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JOURNAL
ORNITHOLOGIE
GEGRÜNDET VON J. CABANIS
Im Auftrage der
Deutschen Ornithologischen Gesellschaft
mit Beiträgen von
Graf H. v. Berlepsch, Frh. H. v. Berlepsch-Seebach, Prof. Dr. R. Blasius,
Geh. Hofrat Dr. W. Blasius, F. Braun, E. Hartert, C. E. Hellmayr,
Dr. F. Helm, Dr. F. Henrici, Dr. A. Jacobi, Prof. Dr. A. König,
Dr. O. Köpert, Dr. P. Leverkühn, Dr. L. v. Lorenz, Oberltn. F. v. Lucanus,
Dr. J. v. Madaräsz, P. Matschie, Baron W. v. Rothschild, H. Schalow,
R. Schlegel, Dr. A. Sokolowsky, J. Thienemann, Dr. E. Vanhöffen,
Baurat C. Wüstnei.
herausgegeben
von
Prof. Dr. Ant. Reichenow,
Kustos der Ornithologischen Abteilung des Kgl. Zoologischen Museums in Berlin,
Generalsekretär der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft, Ehrenmitglied der Natur-
forschenden Gesellschaft des Osterlandes, der American Ornithologists’ Union,
der British Ornithologists’ Union, der Ungarischen Ornithologischen Centrale,
der Urnitholog. Vereine in Leipzig und München u. a.
XLIX, Jahrgang.
Fünfte Folge, 8. Band
mit 4 Tafeln, 2 Karten und einem bildnıs.
Leipzig 1901.
Verlag von L. A. Kittler.
London, Paris, New-York,
Williams & Norgate, 14 F. Vieweg, rue Richelieu 67. B. Westermann & Co.
Henrietta Street, Coventgarden. 812 Broadway,
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Inhalt des XLIX. Jahrganges (1901.)
Graf H. v. Berlepsch, Mitteilungen über die von den Gebrüdern
G. und O. Garlepp in Bolivia gesammelten ee und Be-
schreibungen neuer Arten . .
Frh. H. v. Berlepsch-Seebach, Bericht über den im Auıftrage
der D. 0. G. aufgestellten on eines internationalen Vogel-
schutzgesetzes und über die Beratung dieses Entwurfes auf
dem Pariser Kongress
R. Blasius, Reiseskizzen aus dem Nordwesten) Frankreichs
— Michel Edmond Baron de Selys-Longchamps. Nachruf .
W. Blasius, Die Vogelfauna in den diluvialen Ablagerungen der
Rübeländer Höhlen RL
— Bemerkungen über neue Sendungen malayischer Vogel 5
F. Braun, Über Weite und Spielraum des Temperaments bei
einigen Arten der Sperlingsvögel . a
— Zur Ornis des Thales der Drewenz
— Zur modernen Naturbeschreibung. (Eine Entgegnung auf Dr.
F. Henricis Aufsatz S. 220 ff.) .
Hartert, Über die Bedeutung der Rleinschmidt’schen Formenkreise
E. Hellmayr, Kritische Bemerkungen über die JParidae,
Sittidae. und COerthüdae . i
Helm, Weitere Betrachtungen über die Beweise Gätkes für "die
Höhe und Schnelligkeit des Wanderfluges der Vögel
Henrici, Was verstehen wir unter logischer Naturbeschreibung ?
. Jacobi, [Über eine Varietät der Stockente]
. König, Über seltene Arten aus dem mediterranen Gebiete
. Koepert, Nachträge zur Vogelwelt des Herzogtums S. Altenburg
Leverkühn, Zur Erinnerung an Dr. Gustav Hartlaub .
v. Lorenz und C. E. ne Ein Beitrag zur Ornis Süd-
arabiens. !
v. Lucanus, [Über eine "Amsel mit partiellem Albinismus]
v. Madaräsz, Über Merops salvadorü :
. Matschie, Bemerkungen zur Zoogeographie des westlichen
Mikronesiens
— Einige Bemerkungen über Verbreitung und Systematik der Kasuare
A. Reichenow, [Über Hörundo neumanni n. sp] - - »
— [Über neue afrikanische Arten und Gattungen] Ä
Kuss Fropb=s B as
81
IV Inhalt.
Abbildungen:
W. v. Rothschild, Einige Bemerkungen über Kasuare 359
H. Schalow, Ein Rückblick auf die Geschichte der Deutschen Or-
nithologischen Gesellschaft ; o 6
— Über die Herausgabe einer ornithologischen Bibliographie Deutsch-
lands 105
— Beiträge zur en Conkralastens | Übersicht. der von
Herrn Oberamtmann Dr. Holderer während einer Durchquerung
Asiens gesammelten Vögel . . 393
R. Schlegel, Über Abänderungen von Raubrögeln und Hahnfedrige
Birkhennen . . 102
‚ A. Sokolowsky, [Bericht über W. v. Rothschild’ Monograph of
the Genus Oasuarius] 280
J. Thienemann, Über Zwecke und Ziele einer ornithologischen
Beobachtungsstation in Rossitten 73
E. Vanhöffen, Bericht über die bei der deutschen Diefscenpedi-
tion beobachteten Vögel ; h 304
C. Wüstnei, Beobachtung aus der Ormis Mecklenburgs im \ kim
19002227: 246
— Eine weissliche Farbenvarietät der Märzente, Anas boschas L. 334
Deutsche Ornithologische Gesellschaft.
Bericht über die Jahresversammlung 1900 (Feier des fünfzigjährigen
Bestehens der Gesellschaft) Am u 1
Bericht über die Dezembersitzung 1900 274
Bericht über die Januarsitzung 1901 276
Bericht über die Februarsitzung 1901 279
Bericht über die Märzsitzung 1901 283
Bericht über die Aprilsitzung 1901 . 381
Mitgliederverzeichnis der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft 1901 157
Vogelwarte Rossitten der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft
(Satzungen, Geschäftsordnung, Bitte an alle Ornithologen) 270
Entwurf eines Vogelschutzgesetzes für das Deutsche Reich \ 457
Dem Herausgeber zugesandte Schriften . . . . 165, 286, 383, 467
Taf. I. Merops salvadorii A. B. M. und Pachycephala aurea Rehw.
Taf. II. Anas bochas L. var.
Taf. III. Archibuteo hemiptilopus Blyth.
Taf. IV. Phasianus holdereri Schal.
Karte zur Zoogeographie des westlichen Mikronesiens.
Karte zum Bericht über die deutsche Tiefseeexpedition.
Bildnis des Baron Selys-Longchamps.
JOURNAL
für
ORNITHOLOGIE.
ne Neunundvierzigster Jahrgang.
No. 1. Januar 1901.
Bericht über die Jahresversammlung
der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft
in Leipzig vom 5. bis 8. Oktober 1900,
| zugleich
Feier des fünfzigjährigen Bestehens der Gesellschaft.
Anwesend waren dieHerren: F. von Bardeleben (Frankfurt
a. Main), Graf von Berlepsch (Schloss Berlepsch), Frei-
herr von Berlepsch-Seebach (Kassel), R. Blasius (Braun-
-schweig), W. Blasius (Braunschweig), von Dallwitz (Tornow),
Deditius (Berlin), Grunack (Berlin), Hartert (Tring), Heck
(Berlin), Heine sen. (Hadmersleben), Helm (Chemnitz),
Hennicke (Gera), König (Bonn), Kollibay (Neisse), Lampert
(Stuttgart), von Lucanus (Berlin), Matschie (Berlin), Nehr-
korn (Braunschweig), Proft (Leipzig), Reichenow (Berlin),
Rey (Leipzig), Rolle (Berlin), Schalow (Berlin), Thienemann
(Rossitten).
Als Gäste nahmen Teil die Herren: E. de Maes (Bonn),
Hellmayr (Wien), Herman (Budapest), R. de Neufville
(Frankfurt a. Main), Lindner (Osterwieck), Berge (Zwickau),
G. Garlepp (Klotzsche), Schneider (Liebertwolkwitz), Loos
(Libau a. Elbe), Wolfram (Fuchshain), V. Müller, Krezschmar,
Schreiber, Köhler, Westphal, Thieme, Schlegel,
Schmitt, Voigt, Schulze, Groschupp, Zacharias,
Göring, Zehnigen, Thiel, Simroth, Giebelhausen,
Kunz, Chun, zur Strassen, Detto, Fritsche, Weinhold,
Keu, Krancher, Prasse, Woltereck, Kloss, Kothe,
Pinkert, Naumann, Thatemuth, O. Müller, Tamamscheff,
Journ. f. Orn. XLIX, Jahrg. Januar 1901, 1
2 Bericht über die Jahresversammlung.
Popitz, Weiske (sämtlich aus Leipzig), sowie folgende Damen:
Frau Kollibay, Frau de Macs, Frau Voigt, Frau Göring,
Frau Fritsche.
Der Leipziger Ornithologische Verein hatte in liebens-
würdigster Weise die Vorarbeiten zu der Feier übernommen und
Herrn OÖ. Giebelhausen mit der Lokalgeschäftsführung beauf-
tragt. Die von auswärts erschienenen Mitglieder und Gäste fanden
Unterkunft im Hötel Stadt Nürnberg, wo auch die Sitzungen
‚abgehalten wurden.
Folgende Tagesordnung war festgesetzt worden:
Freitag, den 5. Oktober, Abends 71/, Uhr: Gesellige
Vereinigung im Hötel zur Stadt Nürnberg.
Sonnabend, den 6. Oktober, Vorm. 94), Uhr: Festsitzung:
1. Begrüssung durch den Ornithologischen Verein Leipzig.
2. Festvortrag: Herr H. Schalow: Rückblick auf die
Geschichte der Gesellschaft.
3. Empfang der Vertreter anderer Gesellschaften und
Vereine.
Frühstücks-Pause.
12 Uhr: Besuch des Zoologischen Gartens.
31/, Uhr: Festessen im Hötel Stadt Nürnberg.
8 Uhr: Besuch des Krystallpalastes.
Sonntag, den 7. Oktober, Vorm. 9 Uhr: Versammlung
im Hötel Stadt Nürnberg. Geschäftliche Sitzung.
10 Uhr: Wissenschaftliche Sitzung. An Vorträgen sind an-
gemeldet:
Herr Freiherr H. v. Berlepsch: Bericht über den im Auf-
trage der Gesellschaft aufgestellten Entwurf eines internationalen
Vogelschutzgesetzes und über Beratung dieses Entwurfes auf dem
Pariser Congress.
Herr Graf H. v. Berlepsch: Über die von Herrn Gustav
Garlepp in Bolivia gesammelten Vögel. Beschreibung neuer
Arten und Vorlage von Bälgen.
Herr Prof. Dr. R. Blasius: Naturhistorische Reiseskizzen
aus der Normandie, Bretagne und Touraine.
Herr Geh.-Hofrat Dr. W. Blasius: Die Vogelfauna in den
diluvialen Ablagerungen der Rübeländer Höhlen. — Bemerkungen
über neue Sendungen malayischer Vögel.
Herr Dr. F. Helm: Über die Beweise Gätke’s für die Höhe
des Wanderfluges der Vögel.
Bericht über die Jahresversammlung. 3
Herr Prof. Dr. König: Vorlage seltener Arten aus dem
mediterranen Gebiet.
Herr P. Kollibay: Unsere gegenwärtige Kenntnis der
schlesischen Vogelwelt.
Herr P. Matschie: Bemerkungen zur Zoogeographie von
Mikronesien.
Herr Prof. Dr. Reichenow: Über die Beziehungen der
Vogelfauna Afrikas zu denen anderer Tiergebiete.
Herr H. Schalow: Über die Herausgabe einer ornitho-
logischen Bibliographie Deutschlands.
Herr R. Schlegel: Lokale Raubvogelvarietäten. Kleider
von Tetrao tetrix und T. mlokosiewicezi.
Herr J. Thienemaun: Über Zwecke und Ziele einer
ornithologischen Beobachtungsstation in Rossitten. — Vorlage
handschriftlicher Aufzeichnungen aus der Gründungszeit der
Deutschen Ornithologischen Gesellschaft.
12 Uhr: Besichtigung der Sammlung von Kukukseiern des
Herrn Dr. Rey und Besuch des Zoologischen Museums der Königl.
Universität.
2 Uhr: Gemeinsames Mittagessen im Hötel Stadt Nürnberg.
3 Uhr: Fortsetzung der wissenschaftlichen Sitzung und
Schluss der Versammlung.
7 Uhr: Besuch des Stadttheaters, nachher gesellige Ver-
einigung in Oertel’s Restaurant.
Montag den 8. Oktober: Ausflug nach dem süssen See
bei Eisleben.
Abfahrt Leipzig 62% früh, in Eisleben 8%. Frühstück im
Wiesenhause. Fahrt zu Wagen um den süssen See mit Unter-
brechungen je nach Zeit, Wetter und Beobachtungsgelegenbheit.
Wenn die Zeit es gestattet, Abstecher nach Volkmaritz und Be-
sichtigung der Sammlung des Herrn Pfarrer Kleinschmidt. Um
4 Uhr Rückkehr nach Eisleben. Im Wiesenhause in Eisleben
Ausstellung zweier Sammlungen von Vögeln, die früher auf dem
salzigen See erbeutet worden sind. Mittagessen im Wiesenhause.
Die Verhandlungen leitete als Vorsitzender Herr R. Blasius,
als Stellvertreter Herr H. Schalow, als Schriftführer waren
bestellt die Herren P. Matschie und OÖ. Giebelhausen.
Am Freitag den 5. Oktober, Abends 71/, Uhr ver-
sammelten sich die Teilnehmer im Hötel Stadt Nürnberg zu einer
zwanglosen geselligen Vereinigung. Alte Freunde tauschten ihre
7
4 Bericht über die Jahresversammlung.
wissenschaftlichen Erfahrungen aus, Fachgenossen, welche längst
in regem Briefverkehr gestanden hatten, traten einander persönlich
nahe, und neue Beziehungen wurden angeknüpft.
Am Sonnabend, den 6. Oktober wurde um 10 Uhr
die Festsitzung durch Herrn Prof. Dr. R. Blasius eröffnet. Der
Sitzungssaal hatte einen besonderen Schmuck erhalten durch ein
von Professor Göring’s Meisterhand ausgeführtes Transparent,
ausserdem waren zahlreiche Aquarellbilder aus der Mappe des-
selben Künstlers ausgestellt.
Der Vorsitzende hielt folgende Ansprache:
Vor 50 Jahren wurde die Deutsche Ornithologische Ge-
sellschaft hier in Leipzig gegründet. In dem halben Jahrhundert,
seit welchem sie besteht, hat sie mannigfache Wandlungen er-
fahren. Auf die beschreibende Richtung, welche zunächst das
Feld beherrschte und sich besonders den Vögeln Deutschlands
zuwandte, folgte eine andere, die sich mehr der praktischen Be-
obachtung hinneigte und auf Untersuchungen über Schädlichkeit
und Nützlichkeit der Vogelarten, ihre Wanderungen und bio-
logischen Verhältnisse vornehmlich Wert legte. Als nach der
Erstarkung Deutschlands das Interesse an der Erforschung fremder
Erdteile gewaltig sich mehrte und Sammlungen aus allen Ländern
in die Hände deutscher Vogelkenner gelangten, blühte die Ornitho-
logie in Deutschland weiter auf, indem sie sich dem Studium der
Vögel der ganzen Erde widmete. Möge unsere Gesellschaft, der
Mittelpunkt für die deutschen Ornithologen, weiter gedeihen. Ich
erkläre die 50. Jahresversammlung für eröffnet und erteile Herrn
Kunz das Wort.
Herr Kunz begrüsste als Vertreter des Ornithologischen
Vereins in Leipzig die Versammlung mit folgenden Worten:
Hochgeehrte Anwesende!
Von dem hiesigen Ornithologischen Verein ist mir die hohe
Ehre zu teil geworden, die erste Ansprache an Sie zu richten.
Diese Ehrung ist keineswegs eine Folge meiner Verdienste um
die Ornithologie, sondern ich verdanke sie lediglich dem Umstande,
dass ich noch der einzige lebende Stifter der Deutschen Ornitho-
logischen Gesellschaft bin. Der geistigeUrheber der Vereinigung, der,
dessen Hirn der Gedanke entsprungen ist, eine Ornithologische Ge-
sellschaft zu stiften, ist der vor einigen Jahren verstorbene Dr.
Eduard Baldamus, damals Collaborator am Gymnasium zu
Bericht über die Jahresversammlung. 5
Köthen. Vor etwa 60 Jahren machte ich eine 7 monatige Reise
durch Oesterreich, Ungarn, Öber-Italien, Schweiz, Frankreich,
Belgien, Holland und West-Deutschland; überall nahm ich Ge-
legenheit zu beobachten und zu sammeln und brachte eine
hübsche Sammlung von damals hier wenig bekannten südlichen
Vogelbälgen und Eiern mit heim. Dadurch wurde ich mit
Naumann, Brehm, Baldamus, Thienemann u. A. be-
“kannt und befreundet. Eines Tages besuchte mich Baldamus
und im Laufe des Gesprächs befragte er mich um meine Meinung
betreffend die Gründung einer Ornithologischen Gesellschaft mit
dem Bemerken, er habe bereits mit Naumann darüber gesprochen,
der sich zustimmend erklärt habe. Mit Eifer fasste ich den Ge-
danken auf, und wir schrieben sofort an alle uns bekannten
Ornithologen, welche freudig zustimmten. Auf der bald darauf
stattfindenden Zusammenkunft wurde die Deutsche Ornithologische
Gesellschaft gestiftet. Verschiedene Umstände veranlassten nach
einigen Jahren eine Reorganisation, die 1850 ins Leben trat. Auf
diese Weise hat die Deutsche Ornithologische Gesellschaft zwei
Perioden durchgemacht: eine heitere, mehr dem gesellschaftlichen
Vergnügen geltende, und eine ernste, der Arbeit gewidmete.
Von der zweiten Periode will ich schweigen, 1850—1900, da die
Vorgänge und Ereignisse Ihnen von sachkundigerem Munde
werden vorgeführt werden, auch will ich von der ersten Periode
nur erwähnen, dass die alljährlichen Versammlungen zu den
schönsten Erinnerungen meines Lebens gehören. Ich erinnere
an das gesellige Zusammensein, die Scherze und Witzworte, die
hin und herflogen, und an die sogenannte Ornitbologen-Bole,
mit deren Zubereitung der darin bewanderte Baron v. Münch-
hausen betraut war, dem ich als Vorkoster zur Seite stand,
meine Herren, ein angenehmer aber anstrengender Posten! Als
Curiosum will ich noch erwähnen, dass wir auch eine Ornithologin
zum Mitgliede hatten, eine stille, bescheidene Dame, die in Be-
gleitung ihres Gatten die Versammlungen regelmässig besuchte.
Doch genug der Erinnerungen! Im Auftrage der hiesigen Ornitho-
logischen Gesellschaft begrüsse ich Sie und rufe Ihnen „ein
herzliches Willkommen in Leipzigs Mauern“ zu!
Nachdem der Vorsitzende im Namen der Deutschen Orni-
thologischen Gesellschaft für die Begrüssung gedankt, erteilte er
Herrn Schalow das Wort zur Festrede.
6 Bericht über die Jahresversammlung.
Ein Rückblick auf die Geschichte der Deutschen Ornitho-
logischen Gesellschaft.
Von Herman Schalow.
Hochansehnliche Versammlung!
Wo nur immer ein hoher Tag festlich begangen wird, da
empfängt er seine Weihe durch geschichtliche Erinnerung! In
besonderem Sinne gilt dies von den Festen der Wissenschaft.
Sie, die stets in einem historischen Element lebt, sucht an
solchen Tagen ihre lebendige Geschichte auf. Freudig feiert sie
die Männer, aus deren Händen sie das Erbe empfangen und ver-
tieft und erweitert ihre Geschichte, bis sie sie als Geschichte
des Geistes zu fassen vermag. So lassen auch wir an dem
heutigen Tage die Erinnerung walten und grüssen die Vorfahren,
die ihn uns bereitet haben. —
Möge es gestattet sein, mit diesen Worten Adolf Harnacks,
die gelegentlich der Feier des zweilıundertjährigen Bestehens der
Königl. Preuss. Academie der Wissenschaften gesprochen wurden,
den Rückblick auf die Geschichte unserer Deutschen Ornitholo-
gischen Gesellschaft einzuleiten. -— —
Lassen auch wir in heutiger Stunde die Erinnerung walten!
die Erinnerung in der Zeiten Lauf an jenen für uns denkwürdigen
Tag, an dem vor 50 Jahren, in dieser selben Stadt, eine Anzahl
für die Vogelkunde begeisterter Männer sich die Gesetze zu
festerem Anschluss an einander gab und die Bestimmungen
regelte für die Einrichtung und Führung ihrer gesellschaftlichen
Organisation. Lassen Sie uns in gemeinsamem Gedenken den
Werdegang unserer Deutschen Ornithologischen Gesellschaft ver-
folgen und die einzelnen Phasen ihrer geschichtlichen Entwickelung
betrachten. Lassen Sie uns den Fragen nachgehen, die in den
letzten 50 Jahren auf dem Gebiete der Vogelkunde der Lösung
harrten und in kurzem Überblick zu schildern suchen, wie man
der Fülle der Aufgaben gerecht geworden. Die Geschichte
unserer Gesellschaft ist die Geschichte der Ornithologie
in Deutschland in den verflossenen zehn Lustren.
Zwei gesonderte, sich scharf von einander abhebende Perioden
lassen sich in der Entwickelung der Deutschen Ornithologischen
Gesellschaft verfolgen. In seltener Gleichartigkeit umfasst eine
jede von ihnen fast ein Vierteljahrhundert. Naumann, Ludwig
Brehm, Baldamus bezeichnen die erste, Cabanis, Hartlaub und
Bericht über die Jahresversammlung. 7
Alfred Brehm sind die Träger der zweiten Epoche, welche die Auf-
saben und die Richtung der ornithologischen Arbeit bestimmten
und wesentlich beeinflussten. In diesen Männern verkörpert sich
die deutsche Ornithologie der letzten 50 Jahre. Mit regem Eifer
für die Vogelkunde verbanden sie ein starkes Gefühl und eine
feste Überzeugung von der wesentlichen Einheit der gemeinsamen
Ziele. Oft ist man in den Kreisen unserer jetzigen Zeit geneigt
gewesen, den einen Abschnitt in der Geschichte unserer Gesell-
schaft zu verherrlichen und den anderen herabsetzend zu beklagen.
Beides mit Unrecht. Der zweiten Periode musste in logischer
Folge die erste vorangehen. Eine jede fand ihre Aufgaben, die,
von verschiedenen äusseren Factoren beeinflusst, wesentlich von
denen der anderen abwichen. Beide suchten sie dieselben in
enereischer Arbeit der Lösung nahezuführen. —
Nicht so umfassend wie in Frankreich und so eindringend
wie in England entwickelte sich im Beginn des vorigen Jahr-
hunderts in Deutschland die Ornithologiee Leonhard Frisch,
Matthäus Bechstein, Borchhammer, Meyer, Wolf u. a. waren im
engumgrenzten Schematismus beschreibender Artdarstellung be-
fangen oder betrachteten die Vogelkunde durch die dreiteilige
Brille naturphilosophischer Allwissenheit eines Lorenz Oken, die
eine bestimmte Anzahl von Lebewesen „als notwendig aufzufinden“
einfach vorausprophezeitee Auf den Schultern dieses grossen
Gedankenjongleurs standen viele der damaligen Ornithologen.
Da kam ein Wendepunkt in der Entwickelung unserer Vogel-
kunde: das Werk Johann Friedrich Naumanns! Die deutsche
Ornithologie, welche im Beginn des 19. Jahrhunderts noch von
scholastischen Anschauungen und einseitigen Spekulationen be-
herrscht war, erwachte unter dem mächtigen Einfluss von Nau-
manns herrlichem Werk zur vollsten Thatkraft! —
Im engsten Familien- und Freundeskreise feierte der grosse
deutsche Naturforscher, wie uns sein treuer Schüler Schneider
berichtete, im Juli 1844 durch ein kleines Fest die Herausgabe
des Schlussbandes seines Lebenswerkes. Im Jahre 1822 begonnen,
wurde es nach dreiundzwanzigjähriger Arbeit, die reich war an
Freuden, aber auch reich an Mühen und Arbeit, vollendet. In zwölf
Bänden, mit 337selbst gezeichneten, gestochenen und geätztenTafeln,
steht es vor uns, heute noch ein Fundamentalwerk ersten Ranges
und unerreichter Art, welches Alfred Newton, gewiss ein compe-
tenter Beurteiler, als die erste aller Faunenarbeiten der ganzen
8 Bericht über die Jahresversammlung.
Welt bezeichnete. Ja, Henry Seebohm, einer-der genialsten
englischen Ornithologen unserer Zeit, dessen Arbeiten noch ge-
nannt sein werden, wenn die vieler seiner Mitgenossen längst
vergessen sind, bezeichnet den deutschen Forscher nie anders als den
„grossen Naumann“, den „Giganten der Ornithologie“. Er glaubt
seinem verehrten Landsmann William Macgillivray die grösste
Anerkennung zu erweisen, wenn er ihn den „Naumann der eng-
lischen Vogelkunde“ nennt. „Die zwölf Bände, ein jeder über
600 Seiten“, ruft Henry Seebohm begeistert aus, „zeugen von
dem unglaublichen Fleiss des Verfassers; und ein sorgfältiges
Studium des Inhalts liefert den glänzenden Beweis von der ganz
ausserordentlichen Kenntnis der verschiedenen Phasen des Ge-
fieders der Vögel, ihrer Sitten, ihres Gesanges, ihrer Nahrung
und all’ der kleinen Einzelheiten ihrer Geschichte, zu deren
Studium ein ganzes, langes Leben nötig war. Das Werk ist
ohne Rivalen in Vergangenheit, in Gegenwart und Zukunft!“ Und
Seebohm fügt hinzu: Wäre des grossen Naumanns Arbeit in das
Englische übersetzt worden, ‚‚der helle Unsinn, welchen spätere
Ornithologen bei uns geschrieben, wäre nicht veröffentlicht
worden!“ Mit Freuden dürfen wir dieses Urteil verzeichnen,
welches ein hervorragender Vogelkundiger im Jahre 1885, also nach
weit fortgeschrittener Entwicklung der Materie, über den Alt-
meister deutscher Vogelkunde in rückhaltloser Bewunderung
ausgesprochen!
Naumanns Werk begründete die deutsche Ornithologie
des 19. Jahrhunderts. Es riss die Schranken nieder, welche von
Anschauungen gestützt waren, die zum Teil engem Gesichtskreise
und naturphilosophischer Überhebung, zum Teil ungenügendster
Erfahrung in Bezug auf die einfachsten Lebenserscheinungen der
Vögel entsprangen. Und noch eins, und für uns wahrlich das
Wichtigste: Naumanns Werk gab den Impuls zum festen An-
einanderschliessen der in Deutschland vorhandenen, aber zer-
streuten ornithologischen Kräfte. Überall regte die Arbeit zu
weiterer Forschung an. Überall wurde der bescheidene und
einfache Naumann das leuchtende Vorbild. Das lebhafte Interesse
und die Liebe für die Vogelwelt, die in uns Deutschen von An-
beginn an vorhanden, fand neue Anregung und nachhaltige
Weckung. Zur weiteren, fördernden Entwickelung. bedurfte es
nur der Weisung zielbewusster Methode. Und diese gab ein
begeisterter Jünger des grossen Meisters, Eduard Baldamus, da-
Bericht über die Jahresversammlung. 9
mals Kollaborator am Herzoglichen Gymnasium in Cöthen. Auf
Baldamus’ Initiative kam gelegentlich der Versammlung deutscher
Naturforscher und Ärzte im September 1845 eine Anzahl von
Örnithologen zu gemeinsamen Verhandlungen über die Lieblings-
wissenschaft zum ersten Male zusammen. In dem ersten Heft
der durch Dr. Fr. Aug. Thienemann 1846 begründeten Zeitschrift
„Rhea“ finden wir einen Bericht über jene zwanglose Vereinigung,
welcher Naumann präsidierte. Unter den 32 Teilnehmern nennt
er u.a. Baldamus und Brehm, E. von Homeyer, Pässler, Thiene-
mann, Zander und H. Kunz, den wir in voller geistiger Frische
noch in unserer Mitte zu sehen die hohe Freude haben, und der
uns soeben in seinen Begrüssungsworten aus dem lebendigen
Born seiner Erinnerung in jene fern liegenden Zeiten der Be-
sründung unserer Gesellschaft zurückgeführt hat!
Der ersten Zusammenkunft folgten weitere in Dresden und
Halle. Aber beiden wohnte nicht mehr das impulsive Interesse
inne, welches der ersten Versammlung ein so glänzendes Prog-
nosticon für die Zukunft zu stellen schien. Der inzwischen ein-
segangenen „Rhea“, von der nur zwei Hefte erschienen, folgte 1849
unter des thatkräftigen Baldamus Leitung eine neue Zeitschrift,
die Naumannia. Ihr Titel nennt sie bereits „Organ des Deutschen
Ornithologen Vereins“, obwohl noch gar kein Verein vorhanden!
Trotz aller Anstrengungen war ein Stillstand in der ornitholo-
logischen Bewegung eingetreten. Niemand empfand dies mehr
als Naumann und Baldamus, die mit heiligem Eifer für die Ent-
wickelung ihrer Wissenschaft sich mühten. So kamen die Tage
vom 1. zum 3. Oktober 1850 in Leipzig, die für die vierte Ver-
sammlung bestimmt worden waren. Allseits war das Empfinden
rege, dass etwas geschehen müsse, um das langsam Errungene
zu halten und zu festigen. Und man glaubte das Heilmittel ge-
funden zu haben. „Der Hauptgrund für das Zurückgehen des
Besuchs der Versammlungen“, so heisst es in dem in der Nau-
mannia veröffentlichten Aufruf, „liegt in der in Cöthen beliebten
lockeren Konstituierung oder vielmehr Konstitutionslosigkeit, und
dürfte nur durch eine festere Konstituierung Leben und Zweck
dieser von den vielen Freunden unserer Wissenschaft so freudig
begrüssten Versammlung zu erwarten sein“. Diese „festere Kon-
stituierung“ fand nun in Leipzig statt. Die Satzungen der Ge-
sellschaft deutscher Ornithologen, welche im $ 2 die Förderung
der Ornithologie, besonders der Ornithologie Europas als ihren
10 Bericht über die Jahresversammlung.
Zweck bezeichnete, wurden entworfen, angenommen und Naumann
und Lichtenstein, Eug. von Homeyer, Zander, Brehm und Baldamus
in den Vorstand berufen. Naumann übernahm den Vorsitz, welchen
er bis zu seinem im Jahre 1857 erfolgten Tode inne hatte. Die
Gesellschaft sollte ein Mal im Jahre an einem Orte Deutschlands
tagen, um in lebendigem Gedankenaustausch die Ornithologie zu
fördern. Zum Organ bestimmte man die Naumannia, welche
jedoch für die Mitglieder nicht obligatorisch sein sollte. Im Jahre
1851 tagte die Gesellschaft in Berlin. Hier wurden die Leipziger
Beschlüsse lediglich bestätigt. In der Tagungsliste finden wir u. a.
Hartlaub, Graf Wodzicki, Kjaerbölling, Lichtenstein, v. Homeyer,
Baldamus, Naumann, Brehm, Kunz und Cabanis verzeichnet.
Hartlaub beantragte in den $ 2 der Satzungen statt Förderung
der ÖOrnithologie zu setzen, der gesamten Örnithologie. Der
Antrag wurde angenommen, gelangte aber in der nächsten Zeiten
Lauf weder in den Jahresversammlungen noch in dem Inhalt
der Naumannia zu lebendigem Ausdruck. Cabanis und Hartlaub
empfanden die Lücke in der Arbeit der Gesellschaft und sahen
die Gefahr voraus, welche durch das einseitige Thun der Ent-
wickelung der Ornithologie in Deutschland drohen musste. Durch
ihre, die gesamte Vogelfauna der Welt, als einheitliches Ganze,
umfassenden Arbeiten hatten sie einsehen gelernt, dass wissen-
schaftliches Material durch alleinige Bearbeitung eines eng
umgrenzten kleinen Teils des palaearktischen Faunengebietes nur
in beschränktem Umfange gewonnen werden könne. Nicht neue
Satzungen schienen ihnen nötig, sondern neue Männer, mit weitem
Blick für die zu leistende Arbeit! Aber die Kraft, bildend auf
Persönlichkeiten einzuwirken und die Jugend zu erziehen, ist ohne
Ausnahme den Männern versagt gewesen, die damals an der
Spitze unserer Gesellschaft standen. Sie fehlte dem grossen,
nur auf das Eine schauenden Manne, der den Vorsitz in der
Gesellschaft innehatte. Aus all’ diesen Empfindungen heraus, -die
durch den alleinigenWunsch hervorgerufen wurden,aufeinemanderen
Wege als dem, der in der Naumannia ausschliesslich der führende
war, die Vogelkunde zu fördern, entschloss sich Cabanis im Jahre
1853 zur Herausgabe des Journals für Ornithologie. Es sollte
ein Sammelpunkt der Arbeiten über die Vogelkunde der ge-
samten Erde werden. Auf der Versammlung zu Gotha im Jahre
1854, der ersten, an welcher Alfred Brehm teilnahm, — ein neuer
Stern ist aufgegangen, schrieb damals Baldamus, — beantragte
Bericht über die Jahresversammlung. 11
Cabanis, dass auch sein Journal als Zeitschrift der Gesellschaft
anerkannt werde, ein Antrag, der erst nach hartem Streit der
Meinungen Annahme fand.
Der Berliner Versammlung folgten solche in anderen Teilen
unseres deutschen Vaterlandes.. Man traf sich in Halberstadt
und Gotha, in Braunschweig und Cöthen. Die Anzahl der Mit-
glieder der Gesellschaft wuchs von Jahr zu Jahr. 1856 ver-
zeichnet die Liste deren 237. Neue Namen gesellten sich zu
den alten. Neben Baron König Warthausen und Graf Dziedus-
eycki, neben Heine, Lucanus und Blasius finden wir Salomon
v. Petenyi, den genialen Begründer der ungarischen Ornithologie,
dessen geistvollen Biographen wir an dem heutigen Jubeltage
unter uns zu sehen die hohe Freude haben!
In den Tagen vom 2. bis 5. Juni 1856 fand eine Versammlung
in Cöthen statt. Lassen Sie uns einen Augenblick bei derselben
verweilen. Sie war stark besucht. Von den 52 Mitgliedern, die
an ihr Teil nahmen, seien Blasius, Zander, Wiepcken, Brehm
sen., Jäckel, Altum, Gloger, Tobias, Naumann, Pässler, Baldamus
genannt. Eine besondere Weihe empfing diese Versammlung,
die letzte, welche Naumann leitete, durch die Anwesenheit des
bedeutendsten der zeitgenössischen Ornithologen, des Prinzen
Lucian Bonaparte, der mit seiner Tochter und seinem Schwieger-
sohn, dem Fürsten Gabrielli, aus Rom kommend bereits am
Vorabend der Versammlung in Cöthen eingetroffen war.
Die Verhandlungen dieser Tage trugen einen bestimmten
Character. _Sie beschäftigten sich fast ausschliesslich mit der
Definition der Begriffe Species, Subspecies, Rasse, Form, Spielart und
Abart. All’ die Fragen, die noch heute die Ornithologie bewegen,
wurden schon damals, ebenso lebhaft und ebenso leidenschaftlich
wie in unseren Tagen, debattiert. Wenn man an Stelle der Namen
Naumann, Brehm, Gloger, Altum, Blasius, Baldamus, einsetzt:
Reichenow, Graf Berlepsch, König, Hartert, Kleinschmidt, man
könnte glauben, eine Debatte aus den jüngsten Tagen zu hören!
Brehm betonte, dass die Unterschiede der von ihm beschrie-
benen Subspecies in der Natur existierten, daher auch im System
sämtlich ihre Geltung behalten müssten. Heute wissen wir,
dass Brehm vielfach nur individuelle Abweichungen beschrieben.
So nur konnte er für Europa allein 1606 Vögel nachweisen, von
denen er 966 als Arten und 640 als Subspecies aufgefasst wissen
wollte. Auch heute geht wieder ein Brehm’scher Zug durch die
12 Bericht über die Jahresversammlung.
Ornithologie. Wehe unserer Wissenschaft wenn sich derselbe,
in Brehm’scher Auffassung und in gleicher Ausdehnung, auch der
Vögel der fremden Regionen der Erde bemächtigte und in not-
wendiger Consequenz die heute noch ternär charakterisierte
Subspecies in benannte Individuen auflöst!
Und Gloger docierte in jenen Cöthener Tagen: Alles, was
entweder einer Abstammung nach oder zum Behufe der Fort-
pflanzung zu einander gehört, bildet eine Art. Altum definierte
den Begriff der Species als Wesensgleicheit. Und Prinz Bonaparte,
eifrig an den Debatten sich beteiligend, führte aus, dass die
Species „eine Zusammenfassung oder eine Reihenfolge von Indi-
viduen sei, charakterisiert durch eine Gesamtheit von unter-
scheidenden Zügen, deren Vererbung bei der jetzigen Ordnung
der Dinge natürlich regelmässig und unbegrenzt sei.“ Im An-
schluss an diese Fragen wurden auch die der geographischen
Verbreitung mannigfach discutiert. Ist es nicht auch heute noch
bei vielen ein Axiom, was Altum damals ausführte, wenn er sagt:
„Ich würde, wenn in Neuholland ein Wanderfalke vorkäme, was
ich nicht weiss, mir zutrauen sein Äusseres Kleid zu malen, ohne
dass ich ihn gesehen oder eine Beschreibung von ihm erfahren
hätte!“ Oder wenn Gloger ausführt, dass die beschränkte
geographische Verbreitung eine Art verdächtig und
zweifelhaft mache. „Die Engländer“ sagt er „haben einen
speciellen ornithologischen Patriotismus, indem sie 3 Species,
Motacilla rayi, M. yarrelli und Lagopus scoticus für ihr Vater-
land allein in Anspruch nehmen, die nichts als Varietäten!
Sie bleiben bei dem rührend naiven Glauben, freilich ohne sich
denselben zoologisch oder logisch-rationell klar zu machen, dass
es die Natur der Mühe wert befunden oder gar für notwendig
gehalten habe, für jene zwei Streifen Land, welche man Gross-
Britanien nennt, und welche etwa den fünfzigsten Teil von Europa
ausmachen, eigens drei besondere Vogelarten zu schaffen I!" —
Aus diesen hier wiedergegebenen Mitteilungen mögen wir
ersehen, welch’ wunderbare Vorstellungen damals in den Köpfen
selbst hervorragender Ornithologen spukten, Vorstellungen, die
sich zum grossen Teil durch die alleinige und ausschliessliche
Beschäftigung mit dem beschränkten europäischen Arbeitsgebiet
erklären lassen.
Drei Tage dauerte in Cöthen der Kampf der Meinungen
über diese Fragen. Und das Resultat? Baldamus fasste die
Bericht über die Jahresversammlung. 13
langen Debatten resumierend dahin zusammen, dass er erklärte,
trotz all’ der scharfsinnigen und gelehrten Deductionen noch
immer nicht zu wissen, was eine Art, was eine Unterart, was eine
Species und was eine Subspecies sei! Seien wir offen. Kehrt
nicht gleiches auch in unseren Tagen wieder? —
Am 15. August 1857 starb Joh. Friedr. Naumann im acht-
undsiebenzigsten Lebensjahre. Ein Gott begnadeter Naturforscher
schied mit ihm aus dem Leben. Fünf gesunde Sinne, ein nüchternes
Urteil, ein ernstes Streben und vor allem eine unbegrenzte Liebe
zu der umgebenden Natur waren ihm eigen. Und mit diesem
Pfunde hatte er gewuchert. Nur Autodidact brachte er es dahin,
von den Fachmännern als ebenbürtiger Forscher und Gelehrter
anerkannt zu werden. Von ausserordentlicher Bedeutung war
sein Wirken, das der deutschen Vogelkunde galt; aber ebenso
herrlich jener Teil des Menschen Naumann, den nur die Familie
kannte, und den die Freunde bewundernd und verehrend schätzten.
Naumann war eine Natur von echtem deutschen Sinn. Aus all’
den Berichten seiner Zeitgenossen dürfen wir entnehmen, wie
hoch Naumann als Mensch, als mitfühlender, helfender Freund
und Berater auch bei denen bewertet wurde, die seiner wissen-
schaftlichen Bedeutung nicht gerecht zu werden vermochten. An
des grossen Vogelkundigen Bahre stand trauernd die junge
deutsche Ornithologie, und mit ihr einten sich die vielen Freunde,
die den Menschen Naumann beweinten! —
Das Jahr 1867 bedeutet einen wichtigen Abschnitt in der
Geschichte unserer Gesellschaft. Nach dem Tode Naumann’s
trat ein Stillstand in der ornithologischen Arbeit ein. Die Ver-
sammlungen, die immer von neuem die alten Beziehungen
knüpfen sollten, fanden wiederholt nicht statt. Die „Naumannia“
war aus Mangel an Beteiligung eingegangen. Dagegen ent-
wickelte sich Cabanis’ Journal mehr und mehr und behauptete
den schnell errungenen Platz als erste deutsche Fachzeitschrift,
die auch im Auslande mit Ehren genannt und als gewichtige
Quelle zum Studium der Vogelwelt anerkannt wurde. An Stelle
Naumann’s war Bernard Altum getreten. Doch auch ihm glühte
nicht mehr das alte Feuer jugendlicher Begeisterung für die
Sache. Streitigkeiten im Schosse des Vorstandes, Auflehnung
gegen die Autokratie von Baldamus schufen unerquickliche
Verhältnisse, die um so drückender wurden, als die Mehrzahl
der Mitglieder den Bestrebungen Einzelner zur Besserung und
14 Bericht über die Jahresversammlung.
Änderung der vorhandenen Misstände teilnamlos gegenüber-
standen. So scheint denn bereits in der Versammlung zu Nienburg,
im Jahre 1867, die Frage des Fortbestandes der Gesellschaft
eingehend erörtert worden zu sein, ohne dass jedoch ein be-
stimmter Beschluss hierüber gefasst worden wäre. Cabanis, der
dieser Versammlung beigewohnt und mit seinem Antrag, das
Journal für Ornithologie zum Gesellschaftsorgan zu bestimmen,
nicht durchgedrungen war, schien mit dem Eindruck nach Berlin
zurückgekehrt zu sein, dass eine Auflösung der Gesellschaft un-
mittelbar bevorstehe Sei es nun in irriger Auffassung der
Nienburger Verhandlungen, sei es vielleicht auch um ein fait
accompli zu schaffen, kurz, Cabanis entschloss sich in rascher
That zur Bildung einer neuen Gesellschaft. Es erschien ein
Aufruf, der die Grundzüge der Satzungen entwickelte, welche,
wie es in dem Schriftstück hiess, „zur allseitigen Förderung der
Sache sowie zur Vermeidung einer einseitigen Richtung oder
persönlicher Willkür Einzelner notwendig erscheinen dürften.“
Cabanis, Bodinus, Bolle, Brehm, Finsch, Hartlaub, Heine sen.,
Heuglin, Eugen von Homeyer, Alex. von Homeyer, König-
Warthausen und v. Pelzeln zeichneten den Aufruf. Am 3. Februar
1868 fand die erste Monatssitzung der Deutschen Ornithologischen
Gesellschaft in Berlin statt, der Alfred Brehm präsidierte. Die
Organisation der neuen Vereinigung war eine wesentlich andere
als die der alten Deutschen Ormithologen Gesellschaft.
Während diese nur alljährlich eine Versammlung abhielt, fanden
in der neuen Gesellschaft allmonatlich Sitzungen statt. Die
Mitglieder der alten Gesellschaft erhielten keine Zeitschrift, die
der neuen Berliner Vereinigung das Journal für Ornithologie,
das nun schon im sechszehnten Jahre erschien.
Das eigenmächtige und schnelle Vorgehen Cabanis’ regte
die alte Gesellscheft noch ein Mal zu neuer Thatkraft an. Zu-
nächst war man über den Schritt des Berliner Geiehrten unsag-
bar aufgebracht, und Altum gab in der am 2. Juni 1868 zu
Kiel stattfindenden Versammlung den Gefühlen der Mitglieder der
alten Gesellschaft deutlichen und beredten Ausdruck. Er legte
zugleich die Geschäftsführung nieder. In seine Stelle trat
Freiherr Ferdinand von Droste Hülshofl, ein junger, für die
ornithologische Wissenschaft begeisterter Edelmann, der sich
durch verschiedene Arbeiten über die vaterländische Vogelfauna
die Anerkennung seiner Fachgenossen schnell erworben hatte..
Bericht über die Jahresversammlung. 15
Mit Feuereifer und jugendlichem Enthusiasmus nahm er die
Arbeit für die Gesellschaft auf. Da traf diese ein neuer, schwerer
Schlag! Der Mann, der ihr der eigentliche geistige Leiter
und Führer in diesen Tagen war, dessen Name für sie ein
Programm bedeutete, wurde ihr durch den Tod entrissen. Am
26. Mai 1870 verschied in Braunschweig Johann Heinrich Blasius,
der in den schwierigen Verhältnissen der letzten Jahre dem
Vorstande der Gesellschaft allezeit ein kluger, vorausschauender
Berater gewesen, der mit seinem umfassenden Wissen, seinem
organisatorischen Talent, seinem sicheren Takt die Gesellschaft allein
gehalten hatte. Mit ihm ging ein Mann dahin, von dem Baron Droste
mit Recht in seinem Nachruf rühmend sagen konnte, dass kein
einziger der zeitgenössischen Vogelkundigen als Kenner des euro-
päischen Faunengebietes mit ihm verglichen werden könne. —
Die anfängliche Entrüstung gegen Cabanis machte ruhigeren
Erwägungen Platz. Man ward sich im Schosse der alten Ge-
sellschaft mehr und mehr darüber klar, dass in der einen oder
anderen Richtung etwas zur Änderung des Bestehenden ge-
schehen müsse. Allseits mehrten sich die Stimmen, die einer
Vereinigung beider Gesellschaften das Wort redeten. Aber trotz
mehrfach, auf beiden Seiten genommener Fühlung kam man zu
keinem befriedigenden Zugeständnis. Den Unterhändlern fehlte
das versöhnlich ausklingende Wort, die überzeugende Treue!
Da machten sich Rudolf und Wilhelm Blasius, die Söhne des
unvergessenen braunschweiger Forschers, zu klugen, hingebend
der Sache dienenden Interpreten des allgemeinen Wunsches!
Durchdrungen von der Notwendigkeit eines Ausgleiches für beide
Teile und für die Wissenschaft vor allem, führten sie die Ver-
handlungen mit den Berliner Freunden. In der Versammlung
zu Braunschweig vom 20. bis 23. Juni 1875, an der von der alten
Gesellschaft u. a. Wilh. u. Rudolf Blasius, Eugen von Homeyer,
Ferd. Heine, Nehrkorn, Pralle, Russ, von der jüngeren Brehm,
Cabanis, Prinz Isenburg, Reichenow, Rey und Thienemann Teil
nahmen, konnte der Vorsitzende, Wilh. Blasius, der lebhaftesten
Freude Ausdruck geben, dass sich endlich wieder Mitglieder beider
Gesellschaften zu gemeinsamer Arbeit einten. Die lang ersehnte
Vereinigung wurde hier dann auch zur That! Beide Gesellschaften
verbanden sich zur Allgemeinen Deutschen Ornithologischen Ge-
sellschaft. So fand die erste Epoche unseres Gesellschaftslebens
ihren Abschluss. Nach den 25 Jahren vorbereitender Arbeit trat
16 Bericht über die Jahresversammlung.
sie nun in den Zeitenabschnitt des ruhigen, stetigen Ausbaues.
Wohl geziemt es sich, bei dem Eintritt in die zweite
Periode der Geschichte unserer Gesellschaft, des Errungenen
der ersten zu gedenken.
Die Ergebnisse der Arbeiten der ersten Jahre sind in den Heften
der Rhea, den Bänden der Naumannia und den einzelnen Jahres-
berichten niedergelegt. In natürlicher Entwickelung der Dinge
richteten sich diese Arbeiten fast ausnahmslos auf die Erforschung
der deutschen Vögel und der Vögel Europas, welch’ letzteres, im
Sinne alter Auifassung, als ein natürliches, zoogeographisches
Gebiet betrachtet wurde. Die Frage der Begrenzung des palae-
arktischen Faunen-Gebietes, die Auflösung desselben in charak-
terisierte Subregionen, lag noch in der Zukunft Schatten. Die
srundlegende Kenntnis unserer Vögel danken wir dieser
Zeit. Mustergültiges finden wir in jenen Arbeiten über die Bio-
logie unserer Vögel im weitesten Sinne, und über die faunisti-
schen Gebiete Europas. Nach der angegebenen Richtung dürfen
sie als Fundgruben unendlich reicher Art bezeichnet werden.
Sollen Namen genannt sein, so mögen hier für dankbare Er-
innerung bewahrt werden: Tobias, Naumann, Eugen von Homeyer,
Pässler, Baldamus, Thienemann, Ludwig Brehm, Zander, Jäckel,
Altum, Bolsmann, Joh. Hch. Blasius, Pralle, Preen. —
Aber so hoch die Arbeiten all’ dieser Männer anzuschlagen
sind, so barg doch die ausschliessliche Richtung ihrer Thätig-
keit eine dauernde Gefahr. In dem engbegrenzten Horizont
europäisch - deutscher Ornithologie, in der ausschliesslichen
Beschäftigung mit einem engen geographischen Gebiet, musste
der klärende Blick für die allgemeinen und weiteren Beziehungen,
für die Gesamtheit der zu lösenden Fragen verloren gehen und
die Auffassung systematischer Relationen bei der absoluten Un-
kenntnis der vermittelnden und verbindenden, ausserhalb des
europäischen Faunengebietes vorkommenden Formen, zu wunder-
baren Schlüssen führen. Was über Europa hinausging, war selbst
den hervorragendsten jener grossen deutschen Ornithologen eine
nie geahnte Welt, und die reiche Litteratur über die fernen
Gebiete in anderen Zungen war ihnen ein Buch mit sieben
Siegeln! Aus der Reihe vieler nur ein Beispiel: Ein nicht
gewöhnliches Können, eine bewundernswerte Schärfe des Blickes
war zweifellos Ludwig Brehm zu eigen. Rückhaltlose Aner-
kennung zollen wir seinen Arbeiten auf dem Gebiete deutscher
Bericht über die Jahresversammlung. 17
Ornithologie. Aber mit befangenem Urteil, mit gemütlicher
Überschätzung seines Wissens und seines Könnens und einem
kritiklosen Wagemut trat er auch an die Lösung von Aufgaben
heran, die er absolut nicht zu bewältigen vermochte. So hatte
sich z. B. einst eine kleine Sammlung neuholländischer Vögel in
das Pfarrhaus zu Renthendorf verirrt. Da Brehm die Arten
nicht kannte, beschrieb er sie einfach sämtlich als neu. Der
Gedanke, dass es eine Litteratur über diese Gebiete geben könne,
kam ihm nicht. Die Vögel waren ihm neu, also waren sie für
die Wissenschaft neu! Solch’ gefährlichem Thun gegenüber
erhob Gustav Hartlaub warnend seine Stimme. Er wies darauf
hin, dass die Brehm’schen nov. spec. längst von Vigors, Horsfield,
Vieillot, Gould u. a. beschrieben worden waren. „Möchte meine
Berichtigung“, sagt Hartlaub, „dazu dienen, den Herrn Brehm,
der, wie es mir scheint, mit der bezüglichen Literatur vollständig
unbekannt ist, von weiteren Benennungen fremder Vögel abzu-
halten. Wir haben ja, weiss es Gott!, der Namen genug und es
muss doch mindestens sehr gewagt erscheinen, die ersten besten
Sachen, die man zufällig früher noch nicht gesehen, so auf das
Geradewohl hin für neu zu halten und als solche benennen und
beschreiben zu wollen. Wer heutzutage über neuholländische Vögel
publizieren will, der muss Goulds Arbeiten kennen, und wem die Ge-
legenheit dazu fehlt, der thut klüger, nicht über Dinge zu schreiben,
von denen er nichts versteht!“ So lautete ein Urteil, und in
dieser Richtung ein vollständig gerechtes über Ludwig Brehm! —
Die Berliner Gesellschaft hatte sich nach ihrer Begründung
schnell entwickelt. Nicht nur, dass ihr aus Nah und Fern
Ornithologen beitraten, auch Männer, die sich als Liebhaber für
die Welt der Vögel interessierten, deren Beruf aber im Getriebe
des hastenden Lebens nach ganz anderer Richtung gravitierte,
schlossen sich ihr an. Otto von Bismarck, des deutschen Reiches
späterer Kanzler, und seine journalistisch rechte Hand, der
formengewandte Lothar Bucher, Prinz Ferdinand von Coburg,
der spätere Fürst von Bulgarien, bekannt als hervorragender
Kenner fremder bei uns eingeführter Vögel, der grosse Eisen-
'bahnenerbauer Dr. Strousberg, der viel genannte Financier Gerson
von Bleichröder, der damalige Rittmeister, jetzige General von
‚Korff, der bekannte Schwiegersohn Meyerbeer’s und Freund Las-
'salles, Otto von Mühlberg u. a. finden sich bereits in den Mit-
‚gliederverzeichnissen der siebenziger Jahre genannt.
Journ, £, Orn, XLIX, Jahrg. Januar 1901. 2
18 Bericht über die Jahresversammlung.
Im Jahre 1873 weilte Nicolas Sewertzoff zur Bearbeitung
seiner centralasiatischen Sammlungen längere Zeit in Berlin. Oft
hatte die Gesellschaft den Vorzug, den genialen Russen bei sich
zu sehen, wie er in geistvoller Darstellung ein Bild seiner Reisen
und Forschungen im Gebiet des Kuen-lun und Tianschan ent-
wickelte.e Und mit ihm sahen wir an einem Abend einen alten
Freund der Gesellschaft, der auch nachher noch oft bei uns Ein-
kehr gehalten, Gustav Radde, den besten Kenner und glänzendsten
Darsteller und Schilderer des fernen kaukasischen Gebietes; an
einem köstlichen Abend, der unvergesslich in der Erinnerung
aller fortleben wird, die an demselben Teil genommen.
Am 3. Jan. 1876 fand die erste Monatssitzung der vereinten
Allgemeinen Deutschen Ornithologischen Gesellschaft in Berlin
statt, in welcher Alfred Brehm der veränderten Verhältnisse ge-
dachte und in warmer Empfindung die Vereinigung feierte. Den
Vorsitz selbst hatte Brehm im Jahre 1870 an Hermann Golz ab-
gegeben, der ihn bis 1876 inne hatte. In engem Zusammenhang
mit der Neuordnung der Dinge übernahm alsdann Eugen von
Homeyer das Präsidium, das bis zum Jahre 1882 in seinen
Händen verblieb. —
Die Frage der Lösung eines verständigen Vogelschutzgesetzes,
die in den weitesten berufenen wie unberufenen Kreisen — in
den letzteren vornehmlich — diskutiert wurde, begegnete auch
in unserer Gesellschaft lebhaftestem Wiederhall. Abgesehen von
national-ökonomischen Momenten hat man sie bei uns vor allem
als eine Frage von ethischer Bedeutung betrachtet. Oft wurde
sie in diesem Sinne eingehendst debattiert. Die Gesellschaft
hatte die Genugthuung, dass sich eine Anzahl hervorragender
Reichstagsabgeordneter wie Heinr. Dohrn, Rohland, Aschenborn
und Fürst Hohenlohe Langenburg in unserem Kreise das Material
für die Vogelschutzdebatten im Reichstage holten und sich mit
unseren Ansichten vertraut machen liessen, die sich himmelweit
von den durch Unkenntnis des Lebens der Vögel diktierten
Sentimentalitäten kritiklos schwatzender Liebhabervereine ent-
fernten. —
Das Jahr 1884 schlug unserer Gesellschaft schwere Wunden.
In der Zeit weniger Wochen hatten wir das Hinscheiden von
Heinr. Bodinus, Wilh. Thienemann und Alfred Brehm zu beklagen.
Des letzteren Tod war ein harter Schlag für unsere Berliner
Gemeinschaft. War Brehm in Berlin, so versäumte er keine
Bericht über die Jahresversammlung. 19
Sitzung. Ausgerüstet mit weitem Blick und umfassenden Kennt-
nissen, wusste er immer Leben und Bewegung in die Versamm-
lungen hineinzutragen und Fragen in die Debatte zu werfen, die
stets weitere Kreise zogen. Noch heute hat die Lebensarbeit
dieses genialen Mannes, dessen Wirken auf die Ausbreitung
naturwissenschaftlichen Empfindens in Deutschland von unschätz-
barer Bedeutung war, nicht in zusammenhängender Darstellung
die gebührende Würdigung gefunden. Ein Unrecht an dem
grossen Schilderer tierischen Lebens! Fern sei es daher auch
dieser Stunde und an dieser Stätte, an der er sein bestes Werk,
das „Leben der Vögel“, geschrieben, Nachlese in wenigen Worten
halten und Ähren sammeln gehen zu wollen in dem Felde, in
dem leider bis zum heutigen Tage die volle Ernte seines Ruhmes
noch nicht eingebracht worden ist. Alle, die Brehm nahe ge-
standen, waren durch die plötzliche Nachricht seines Todes tief
erschüttert. Wir sahen ihn noch vor uns. Der charakteristische
Kopf des erst Sechsundfüntzigjährigen mit den straff zurückgelegten,
kaum noch von einigen Silberfäden durchzogenen dunklen Haaren,
mit der energisch vorspringenden Nase und den durchdringenden
Augen, alles verriet auf den ersten Blick, dass hier Jemand war,
dem die Natur die Merkzeichen des nicht gewöhnlichen aufgeprägt
hatte. Es rollte so viel unverwüstlich scheinendes Leben in
seinen Adern, er hatte ein so grosses Mals geistiger Arbeit voll-
bracht, dass man sich nur schwer mit dem Gedanken an die
‚Vergänglichkeit seiner Person vertraut machen konnte. Als er
von seiner ersten afrikanischen Reise heimgekommen, trat er mit
dem kecken Mut der Jugend und wit dem Rüstzeug einer
'tüchtigen Bildung in den Kreis jener Männer, die die Populari-
sierung der Wissenschaft auf ihre Fahnen geschrieben. Mit der
Klarheit scharfen Denkens und der ruhigen Sicherheit des
‚Urteils paarten sich bei Brehm mannhafter Überzeugungsmut
und Schlagfertigkeit des Wortes, die seiner Persönlichkeit das
IGepräge gaben. Oft wandelte ihn die Lust an, durch kleine
oder auch grosse Rücksichtslosigkeiten der Wahrheit zu ihrem
Rechte zu verhelfen. Seine geistige Gesundheit liess nicht Raum
für sentimentale Regungen; er war kein sentimentaler Freund,
der seine Empfindungen in weicher Bequemlichkeit wohlieil ver-
schwendete. Wer das verlangte, dem konnte er herbe erscheinen.
‚Aber diese Herbheit war nur gesunde Klugheit, die nichts ver-
‚hut, auch nicht Empfindungen, die aber gewährte, mie gewährte
20 Bericht über die Jahresversammlung.
aus einem seltenen inneren Reichtum am rechten Orte und zu
rechter Zeit. a
Und wie plauderte es sich mit diesem Manne! Wie freute
er sich seiner Vorfahren voll Charakter und Eigenart, und wie
hoch bewertete er den Schatz, der ihm aus diesem Familienleben
überkommen. Immer wieder erinnerte er an Lebensregeln und
kernige Familiensprüche die im Renthendorfer Pfarrhause von
Mund zu Mund gingen, und welche die Philosophie des Lebens
ausmachten, einer gesunden Philosophie voll Klarheit, voll Ur-
sprünglichkeit und voll von jenem Daseinsoptimismus, den der
thätig strebende Mensch nicht entbehren kann. Man soll den
Leuten auf’s Maul schauen, hatte Luther gemeint; das hatte
Brehm gethan, als er sich die gesunde Anschauung dieser
kraftvollen, thüringischen Art für’s Leben zu eigen machte.
Was er für recht anerkannt hatte, suchte er mit unerschütter-
licher Folgerichtigkeit durchzuführen. Ein Mann mit ausge-
zeichnetem Können, ausgestattet mit Geistesgesundheit, voll Ur-
sprünglichkeit, wie sie dem Volke eigen sein kann, und mit dem
sachlich umfassenden Wissen und der sachlich kritischen Begabung
des Gelehrten — diese Mischung, die so einzig ist, war in
Brehm zu völligem Ausgleich gelangt. Und auf dieser Mischung
beruhte es allein, dass er oft schwierige Probleme des Tierlebens
mit vollendeter Klarheit und überdies lebensvoll fesselnd darzu-
stellen vermochte. —
Auch die folgenden Jahre brachten uns schwere Verluste.
Am 5. Oktober 1885 schied Richard Böhm, im fernen Zentral-
afrika aus dem Leben. Ein rechtes Kind unserer Gesellschaft,
begabt und begeistert wie wenige vor ihm, durfte die Wissenschaft
die grössten Hoffnungen auf ihn setzen, die zu erfüllen ein herbes
Geschick vereiteltee Am 6. Dezember 1886 starb in Berlin an
schwerem Schwarzwasserfieber Gustav Adolf Fischer, ein Mann,
der die Kenntnis der ostafrikanischen Vogelwelt wie kaum ein
zweiter zu fördern gewusst hatte; am 12. Juni 1889 ging Eugen von
Homeyer dahin, ein hervorragender Kenner unserer paläarktischen
Vogelfauna, leider nur oft befangen in kleinlicher Beurteilung
seiner wissenschaftlichen Gegner. Am 14. April 1890 starb
Ladislas von Taczanowski und ein Jahr später am 9. März 1891
Friedrich Kutter, der unvergessene, dem es leider nicht beschieden
gewesen, procul negotiis, der Oologie die Bahnen zu weisen, zu
deren Erschliessung er vor. allen berufen schien. Nach Gustav
Bericht über die Jahresversammlung. 21
Hartlaub hatte er von 1890 bis 1891 den Vorsitz in unserer Gesell-
schaft inne gehabt, der nun auf Bernard Altum überging, dessen
am 1. Februar dieses Jahres erfolgter Tod noch in unserer Aller
Erinnerung ist. Altum’s umfassende Thätigkeit auf dem Gebiete
der deutschen Vogelkunde ist noch in den letzten Tagen, gele-
gentlich seines Hinscheidens, der Gegenstand allseitiger Aner-
kennung gewesen. —
Aus den Statuten der alten Ornithologen Gesellschaft war
beim Ausgleich im Jahre 1875 für die neuen Satzungen die
Bestimmung herübergenommen worden, in jedem zweiten Jahre,
ausserhalb Berlins, eine Jahresversammlung zu halten. So fanden
dieselben vom Jahre 1877 an, in welchem die Gesellschaft zum
ersten Male in Dresden tagte, in Stettin, Hamburg, Oldenburg,
Braunschweig und Münster, Wiesbaden, Frankfurt a. M., Oassel,
Altenburg und wieder in Dresden statt.
Die Tage in Stettin im Jahre 1879, an denen sich die
Ornithologen in den ausgedehnten, wilden, Curower Bruchgebieten
der unteren Oder der Jagd und Beobachtung der Cormorane
widmen konnten; die Stunden in Oldenburg im Jahre 1883, wo
in dem herrlichen, mit Ureichen bestandenen Hasbruch Excellenz
von Alten im Namen des Grossherzogs von Oldenburg mit goldenem
Humpen, gefüllt mit köstlichem deutschen Wein, die Ornithologen
willkommen hiess und dem hohen Empfinden Ausdruck gab,
welches sein erlauchter Herr den Bestrebungen der Gesellschaft
entgegenbrachte; und schliesslich die Festtage in Altenburg, die
der Enthüllung des Brehm-Denkmales galten, all’ diese herrlichen
Tage sind mit unauslöschlichen Lettern in das Buch der Erinne-
rung jedes Einzelnen der Teilnehmenden lichtvoll für alle Zeiten
eingeschrieben.
Von einschneidender Bedeutung für unsere Gesellschaft
waren die Beschlüsse, die auf der Jahresversammlung in Cassel,
vom 23. bis 26. September 1893, gefasst wurden. Auf eine Anre-
sung Adolf Nehrkorn’s wurde beschlossen, mit dem Begründer
und Besitzer des Journals für Ornithologie, Jean Cabanis, ein
dahingehendes finanzielles Abkommen zu treffen, dass das Journal
Besitz der Gesellschaft wurde, welche die Herausgabe ihrem
damaligen Generalsekretär, Anton Reichenow, übertrug. So wurde
die Gesellschaft Eigentümerin der ältesten ornithologischen Zeit-
schrift der Welt, die heute in einer stattlichen Reihe von 48
Jahrgängen vor uns steht und ein monumentales Zeugniss ablegt
22 Bericht über die Jahresversammlung.
von deutscher Energie, deutschem Fleisse und deutscher Arbeit.
Die Ergebnisse emsigster Forschungen, welche in allen Teilen
unseres Vaterlandes durch einen sich stetig verjüngenden Stab
tüchtiger Ornithologen, die durch die Gesellschaft herangezogen
und gebildet wurden, ausgeführt worden sind, finden sich darin ;
niedergelegt. Durch diese Arbeiten hat sich die Deutsche Ornitho-
logische Gesellschaft als ein wichtiges Glied der Geschichte des
wissenschaftlichen Aufschwungs der Vogelkunde in der zweiten
Hälfte des vergangenen Jahrhunderts eingefügt und vermittelnd
fremden Ländern Kunde gebracht von deutscher Forschung auf
dem Gebiete der Vogelkunde.
Lassen Sie uns in wenigen, kurzen Zügen ein Bild der
Arbeiten gewinnen, welche in den letzten 25 Jahren von den
Mitgliedern unserer Gesellschaft und im Rahmen der Veröffent-
lichung der letzteren, geliefert worden sind. Nicht kann es
unsere Absicht sein, die nach Hunderten zählenden Mitteilungen
hier namentlich auzuführen. Die Entwickelung der Kenntnis
unseres Erdballes ist eine so rapide, die Ausbildung der mit der"
Ornithologie in Verbindung stehenden Wissenschaften eine so
durchgreifende gewesen; neue, früher nur auf Empierie beruhende
Disciplinen haben im Laufe der Jahre einen so sicheren Boden
gewonnen, dass wir uns nicht müssiger Übertreibung schuldig
machen, wenn wir die letzten, verflossenen fünfundzwanzig Jahre
als eine zweite Epoche der Entwicklung der Ornithologie in Deutsch-
land bezeichnen. Mögen die Namen einiger unserer Mitglieder,
die mit der Geschichte dieses Zeitabschnittes auf das engste und
innigste verbunden sind, hier eine kurze Erwähnung finden:
Allgemeine systematische, anatomische und oologische Fragen
wurden von Cabanis, W. Blasius, Fürbringer, Reichenow, Kutter,
von Nathusius, Kuschel, Lühder, Gadow und Nehrkorn behandelt.
Das arctische Gebiet dankt wertvolle Aufschlüsse den Forschungen
Heuglins, Walters und Hartlaubs. Im Anschluss an die Zeit von
1850 bis 1875 ist in der weiteren Entwickelung der Kenntnis
unserer deutschen Vögel ausserordentlich viel geschehen. Es
möchte fast den Raum überschreiten, Namen zu nennen. Nur
wenige seien aus der grossen Zahl an dieser Stelle genannt:
Altum, Rud. Blasius, Eugen u. Alexander v. Homeyer, Graf Ber-
lepsch, Alfr. Brehm, v. Droste, Gätke, Hartert, Kollibay, Liebe, Lever-
kühn, Matschie, Reichenow, von Tschusi, Walter, Wiepken u. Ziemer.
Für Sibirien müssen wir Eugen von Homeyer, von Taczanowski,
Bericht über die Jahresversammlung. 23
Dybowski, Bolau, für die Kaukasusländer Gustav Radde, für das
weite turkestanische Gebiet Nicolas Sewertzoff nennen. Das
kaum gekannte Mittelmeerbecken, im weiteren Sinne Zzo0ogeo-
sraphischer Begrenzung, ist durch die Arbeiten Reiser’s, König’s
von Erlanger’s, Krüpers und v. Taczanowski’s grundlegend und
fast abschliessend erschlossen worden. Die Namen Dohrn,
Bolle, Hartwig und vor allem derjenige König’s werden mit der
Erforschung der capverdischen und canarischen Inseln immer
verknüpft sein. Nicht wenige unserer Mitglieder haben in eifriger
Arbeit dazu beigetragen, dass die Kenntnis der Vogelfauna der
äthiopischen Region die Höhe erreichte, auf der sie sich heute
befindet. In dem ersten Zeitabschnitt dieser Arbeit sind es Finsch
und Hartlaub wie Cabanis, in dem zweiten vor allem Anton
Reichenow, die ihm die Bedeutung aufprägten und die intensive
Erforschung der Vogelfauna des afrikanischen Gebietes einleiteten
und mustergiltig fortführten. Mit Reichenow seien dann noch
Fischer und Böhm, Hartert, v. Pelzeln und Neumann genannt.
Für die Erforschung des indischen und malayischen Gebietes
waren Kutter, Hartert, v. Pelzeln, und Wilh. Blasius thätig.
Wenden wir unsere Blicke der neotropischen Region zu, so müssen
wir anerkennend zweier Männer gedenken, die hier ausser-
ordentliches für die Erforschung dieser Gebiete gethan haben:
Jean Cabanis und Graf Berlepsch. Über Centralamerika danken
wir von Frantzius, über die westindischen Inseln Gundlach und
Graf Berlepsch wertvolle Aufschlüsse. Neu Guinea, das poly-
nesische Inselgebiet und Neuseeland haben Finsch, Hartlaub,
Gräffe, Meyer und Reichenow in einer Reihe wichtiger und nach-
haltig wertvoller Arbeiten eingehend behandelt. —
Lassen Sie uns unseren Rückblick auf das fünfzigjährige
Wirken unserer Gesellschaft schliessen. Mit Stolz dürfen wir es
bekennen, dass die Deutsche ornithologische Gesellschaft in der
verflossenen Epoche ihres Daseins den festen Grund gefügt für
einen späteren Ausbau unserer Wissenschaft. In das elfte Lustrum
treten wir jetzt ein, und an der Schwelle des neuen Halbjahrhun-
derts wollen wir noch einmal dankbar uns der Männer erinnern,
unter deren Sorge unsere Gesellschaft gegründet, welche sie geleitet
und entwickelt haben, und von denen noch Cabanis und Hartlaub,
Krüper und Kunz, alle hochbetagt, unter uns weilen. Sie ver-
binden die heutige Ornithologie mit der stolzen Epoche der
Grundlegung unserer Gesellschaft. Sie haben uns auf die Bahnen
24 Bericht über die Jahresversammlung.
gewiesen und dieselben eröffnet, welche von einer jüngeren Ge-
neration, und wir dürfen es mit Genugthuung und Freude be-
kennen, von vielen unserer Mitglieder zur Förderung und zum
Ruhm der Wissenschaft verfolgt worden sind. Gelüftel ist der
Schleier, der Jahrzehnte hindurch die Kenntnis ferner Zonen
unseres Planeten verhüllte. Damit schwindet der Reiz des Un-
bekannten und der Überraschungen. Aber neue Reize ent-
hüllen sich oft, wenn man dem Einzelnen forschend nachgeht oder
die Erscheinungen vergleichend zusammenzufassen sucht. Und
der Aufgaben zu lösen sind noch viele! Noch sind mannigfache
Schranken niederzulegen. Der durch Linne begründete Glaube
an die Unveränderlichkeit der Art ist eine dieser Schranken.
Der Einfluss des Darwinismus und die Bedeutung desselben für
die Ornithologie ist bei uns kaum gestreift worden. Darwin’s
und Wallace’s grundlegende Forschungen fielen in Deutschland
in eine Epoche notwendig vorbereitender ornithologischer Arbeit.
Arten wurden beschrieben, Gattungen abgegrenzt, faunistische
Übersichten geschaffen, die einzelnen Lebensmomente erforscht,
aber der Nutzanwendung der Untersuchungen des grossen
englischen Naturforschers auf die Ornithologie ist bisher nicht
nachgegangen worden. Viele unserer Ornithologen nahmen die
Lehre in der Theorie an, aber Niemand dachte eigentlich bis
heute daran, sie eingehend zum Studium der Vögel zu verwenden.
Und wie in dieser Richtung, so bleiben uns noch viele andere
Fragen offen, die die kommende Zeit in Angriff nehmen wird.
All’ unser heutiges Wissen ist noch Stückwerk und wird überholt
werden von dem Wissen späterer Tage. Wenn die Ornithologie
so fortschreitet, wie sie es in den letztverflossenen fünfzig Jahren
gethan, so dürfen wir noch Grosses erwarten. Intensiveres Licht
wird auf die verwickelte Klassification der Vögel geworfen werden,
wenn wir den Vogelkörper und nicht nur den Balg zu studieren
beginnen. Wenn dann die dort ruhenden reichen Schätze ge-
hoben sind, dann soll den Sitten und Lebensgewohnheiten nach-
gegangen werden, die einen wichtigen Teil in der Geschichte des
Individuums ausmachen. Daun wird es ernste Aufgabe sein, den
hochorganisierten Vogel in seinem instinetiven Leben und Treiben
zu beobachten, die Beziehungen des einzelnen Individuums zu
der Gesamtheit kennen zu lernen und zu versuchen, das
selbständige und selbstthätige, eigenartige Handeln in einzeln
gegebenen Lagen des tierischen Daseins zu verstehen und zu
Bericht über die Jahresversammlung. 25
erkennen. Dann wird zu prüfen sein, wie sich das Thun der
Vögel, welches meist als das Ergebnis eines uns unverständlichen
Naturtriebes angesehen wird, als eine Folge besonderer Sinnes-
schärfe, als eine verständige Verwertung der empfangenen Sinnes-
eindrücke erklären lässt. Und so giebt es der Fragen noch viele!
Auf sie alle die Forschung auszudehnen, die Maschen des über
den ganzen Erdball ausgespannten ornithologischen Arbeitsnetzes
enger und enger zu knüpfen, das ist die grosse Aufgabe, welche
die Gegenwart der Zukunft stellt. Dieses herrliche Ziel aber zu
erreichen, dazu bedarf es der thatkräftigen Mitwirkung aller
Kreise, welche die Förderung der ornithologischen Wissenschaft
auf ihr Banner geschrieben haben! So mag denn das heutige
Jubelfest, welches die älteste ornithologische Gesellschaft, nicht
Deutschlands allein, sondern der ganzen Erde an der Stätte
begeht, an der sie vor 50 Jahren ihren Ausgang genommen, zu
einer neuen Anregung gemeinsamen Strebens werden, für
die ornithologischen Vereinigungen fremder Länder wie für die
Schwestergesellschaften in unserem deutschen Vaterlande!
Möge es bei dem Eintritt in das neue Halbjahrhundert ge-
stattet sein, dem Gefühl freudiger Zuversicht Ausdruck zu leihen
auf eine fernere wirksame Beteiligung unserer Gesellschaft an
der Förderung der gesamten Vogelkunde und auf weitere Lustren
ernster Arbeit, innerer Festigung und äusserer Blüte!
Der Vorsitzende: In ergreifenden Worten hat der Redner
die Geschichte unserer Gesellschaft geschildert. Ihm ist es ge-
lungen, ihre Sturm- und Drangzeit in unparteiischer Weise uns
vor Augen zu führen. Und doch ist er in einer Beziehung nicht
unparteiisch genug zu Werke gegangen. Er hat den Anteil nicht
hervorgehoben, den er selbst am Gedeihen unserer Vereinigung
sehabt und Schalow’s Verdienste dürfen nicht unerwähnt bleiben,
wenn ein Bild der Geschichte unserer Gesellschaft entrollt wird.
Nunmehr folgten die Ansprachen und Beglückwünschungen
anderer Gesellschaften und wissenschaftlichen Anstalten. !
Herr Otto Herman als Chef der Ungarischen Ornitho-
logischen Centrale in Budapest:
Herr Präsident! Hochverehrte Festversammlung!
| Ich folge dem Gebote der Gesittung, welcher ja auch mein
| Vaterland Ungarn huldigt, indem ich die Deutsche Ornithologische
26 Bericht über die Jahresversammlung.
Gesellschaft an der fünfzigsten Jahreswende ihres Bestehens und
ihrer ein halbes Jahrhundert umfassenden glänzenden Thätigkeit
im Namen :der Ungarischen Ornitholegischen Centrale, der Ge-
samtheit der ihr angehörenden ungarischen Ornithologen und
endlich zuletzt, dem Gebote der Bescheidenheit folgend, im
eigenen Namen ehrfurchtsvoll begrüsse.
Dem Gebote und der Form nach könnte ich es ja bei diesen
Worten auch bewenden lassen, hätte der so glänzend beredte
Mund des Historiographen der Gesellschaft nicht einen Gedanken-
gang in meiner Seele angeregt, welchem ich mit Ihrer gütigen
Erlaubnis in bündigster Form wohl Ausdruck verleihen muss.
Vor meiner Seele erscheint ein wunderbar schönes Bild,
welches ich nie vergessen werde.
In einer der schönsten Königsstädte Deutschlands, im Parke
vor dem Königsschlosse erscheint ein kleines deutsches Mädchen.
So wie die erste Amsel das Kind erblickt, lässt sie den Freuden-
ruf erschallen und alles Gevögel des Parkes fliegt dem Kinde zu.
Das Kind nimmt ein Schächtelchen hervor, öffnet es und
beginnt seine Gaben zu verteilen — hier eine Ameisenpuppe,
dort ein Mehlwürmchen — und das Haschen beginnt.
Nun aber ist eine Schwarzamsel die Gierigste von allen;
sie schnappt alles weg, lässt die Übrigen nicht zu.
Da ertönt die Stimme des Kindes:
„Aber Mätzchen, wie kann man auch so unartig sein; die
Anderen sollen ja auch etwas haben!“
Die Amsel zieht den Kopf ein, lässt die Flügel erzittern
und hängen, sie öffnet den Schnabel, — sie bittet also und das
Kind giebt wieder.
Genug!
Fs kann ja in unserer zur kältesten Nüchternheit neigenden
Zeit Leute geben, die das Gebaren des Kindes auf den Nach-
ahmungstrieb zurückzuführen geneigt sind, dass nämlich das Kind
dem Vogel gegenüber jene Lehre anwendet, welche es von der
eigenen Mutter an sich selbst erfahren hat.
Ich sehe mehr darin!
Ich sehe in dem Vorgange den edelsten, in die tiefste Tiefe
der Volksseele verpflanzten ethischen Zug, ein Kleinod von un-
schätzbarem Werte im Schmuckkästchen eines grossen und starken
Kulturvolkes, |
|
|
|
Bericht über die Jahresversammlung. 27
Die edle Erzader dringt in ihrer feinsten Verzweigung bis
zum Herzen des Kindes und erzeugt darin die Freude am Vogel,
die Liebe zum Vogel.
Und die Amseln ziehen für den Winter nicht mehr fort!
Und wenn wir nun die Frage aufwerfen, wer denn die
Knappen waren, die den Erzbau begonnen, die edle Ader ent-
deckt, verfolgt und es bewirkt haben, dass ihr Erz selbst in der
tiefsten Tiefe des Kinderherzens erglänzen möge?
Nun der beredte Mund meines Freundes Schalow hat sie
genannt, die Naumanns, Brehms, Baldamus und die Anderen,
deren Jünger wir ja alle sind. Der Eifer, die Begeisterung dieser
Bahnbrecher waren es, welche grundlegende Werke schufen, aus
welchen jede Stufe der Bildung dasjenige entnahm und fort-
entwickelte, was für den Geist und das Fassungsvermögen des
segebenen Elementes nötig und erspriesslich war — also von
der höchsten Kulturstufe des Fachwissens bis zum Bilderbuche
des Kindes!
Sie fragen „wir?“ sind die Jünger der Grossen? also die
Ungarn auch? Hohe Festversammlung! Unseren ungarischen
Pastor Johann Salomon von Petenyi, den Begründer der unga-
rischen Ornithologie, knüpften innige Freundschaftsbande an die
Naumanns, Baldamus und viele Andere; die innigsten an Vater
Brehm. War es ja Petenyi, der Brehms Sohn über das Tauf-
becken hielt, den Chrysostomus der Deutschen, der mit goldenem
Munde und goldener Feder die Kenntnis des Tierlebens einer
ganzen gebildeten Welt vermittelt hat! Diese Männer waren in
Wissenschaft, in Liebe und Freundschaft aufs Innigste verbunden.
Nun, Salomon von Petenyi führte meinen Vater ein, dieser war
also der ornithologische Sohn der grossen Kohorte; nach meinem
Vater bin ich der Enkel und jene junge Schar, die ich in der
Ungarischen Ornithologischen Centrale um mich vereinte, besteht
aus Urenkeln der Bewegung, deren Jubelfest wir alle feiern.
Ihr grosser Dichter sprach:
Das ist der Fluch der bösen That,
Dass sie fortzeugend Böses muss gebären.
In unserem Falle muss es lauten:
Das ist der Segen der guten That,
Dass sie fortzeugend Gutes muss gebären.
Ich begrüsse nochmals aus vollem Herzen die Deutsche
Ornithologische Gesellschaft! Ich wünsche derselben eine der
28 Bericht über die Jahresversammlung.
glänzenden Vergangenheit und Gegenwart voll entsprechende
Zukunft, reich an Erfolgen zu Gunsten der Wissenschaft, im
Dienste der wahren Aufklärung und der Humanität!
Der Vorsitzende:
Im Namen der Gesellschaft danke ich für die warm em-
pfundenen Worte des Vertreters der Ungarischen Centrale, welche
zu beglückwünschen ist dazu, dass ein so unermüdlicher, arbeits-
freudiger Forscher an ihrer Spitze steht.
Herr Prof. Dr. Chun (Leipzig):
Meine Herren!
Der Vorstand der Deutschen Zoologischen Gesellschaft hat
mich beauftragt, Sie zu der Feier des 50 jährigen Bestehens der
Orvithologischen Gesellschaft warm zu beglückwünschen. Ich
komme dem Auftrage um so lieber nach, als nicht nur zahlreiche
Anwesende zugleich auch Mitglieder der D. Zool. Ges. sind, sondern
auch zu Jenen gehören, deren Namen in der Zoologischen Wissen-
schaft sich des besten Klanges erfreuen. Die Anwesenheit derselben
mag Zeugnis dafür ablegen, dass die Zeiten längst vorüber sind,
wo derjenige, dem es obliegt, das Gesamtgebiet der Zoologie
zu vertreten, sich vornehm einem Ornithologen-Congress fern hält.
Ein Blick auf die zur Diskussion gestellten Vorträge zeigt, dass
Sie im Geiste der Begründer der Gesellschaft denselben Fragen
nachgehen, die sich jeder Einzelne auf seinem Spezialgebiete
als Vorwurf wählt und von allgemeinen Gesichtspunkten aus zu
beantworten sucht. Das sind die Fragen nach dem Werte und
der Berechtigung der systematischen Kategorien, nach der geo-
graphischen Verbreitung, des Zusammenhanges der ausgestorbenen
Vogelfauna mit der heute lebenden, nach dem Einfluss äusserer
Existenzbedingungen und vor allem der anziehenden biologischen
Eigenart unserer Lieblinge. Grund genug, dass wir aufmerksam
den Darlegungen folgen und für die Quellenkunde dankbar sind,
die uns auf Spezialkongressen geboten wird. Und mögen die
Quellen weltentlegen schwer zugänglich sein, mögen sie leicht
erreichbar am Wege liegen, so haben wir ihnen nachzugehen,
wenn anders uns der breite Unterlauf der Erscheinungen ver-
ständlich werden soll.
So heisse ich Sie denn im Namen der Mutter, der Deutschen
Zoologischen Gesellschaft, die freilich diesmal recht viel jünger
ist, als die Tochter, herzlich in Leipzig willkommen!
Bericht über die Jahresversammlung. 29
Der Vorsitzende:
Herzlichen Dank sagen wir der Deutschen Zoologischen
Gesellschaft für die freundlichen Wünsche. Wir schätzen uns
glücklich, dass wir einen Teil der Arbeit übernommen haben,
welche die Deutsche Zoologische Gesellschaft pflegt.
Herr Direktor E. Hartert (Tring) überreicht dem Vorsit-
zenden ein vom Sekretär der British Ornithologists’ Union, Herrn
W. Oates vollzogenes Beglaubigungsschreiben und hält folgende
Ansprache:
Herr Präsident, hochansehnliche Versammlung!
Die Britische Ornithologische Gesellschaft hat mich beauf-
tragt, Ihnen Glück zu wünschen zu dem heutigen Feste, Ihnen
ihre Freude und Genugthuung auszudrücken darüber, dass die
Deutsche Gesellschaft diesen Gedenktag feiert, und Ihnen die
aufrichtigsten Wünsche darzubringen, für eine kräftige Weiterent-
wicklung und Förderung unsrer geliebten Wissenschaft.
Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass ich gern bereit war,
den mir erteilten Auftrag zu übernehmen, da ich aus Erfahrung
weiss — seit ich in England bin, ist es das dritte Mal, dass ich
an den Jahresversammlungen der D. OÖ. G. teilnehme — wie
es in Ihrem Kreise, dem ich ich ja auch angehöre, zugeht, und
auch ohnedies. als Abgesandter der Britischen Ornithologischen
Gesellschaft eines guten Empfanges sicher war.
Ich benutze diese Gelegenheit, Ihnen die Versicherung zu
geben, dass wir in England das wärmste Interesse nehmen an
den Angelegenheiten der älteren Schwestergesellschaft in Deutsch-
land. Schon dass ich den weiten Weg von dem Mittelpunkte
Englands aus über das Wasser bis hierher in das Centrum von
Deutschland gesandt wurde, beweist Ihnen dies, Ich werde noch
darauf zurückkommen, indem ich Ihnen einiges aus der Ent-
wickelung der „Brit. Orn. Union“ mitteile, das im Vergleich mit
der Geschichte dieser Gesellschaft, von der wir soeben eine so
vortreffliche Schilderung gehört haben, von Interesse sein dürfte.
Im Jahre 1858 gründeten einige englische Ornithologen,
nachdem sie schon mehrere Jahre in zwangloser Weise jährliche
Zusammenkünfte gehalten hatten, in Cambridge die „Ornitholo-
gical Union,‘ deren Aufgabe es hinfort sein sollte, eine ornitho-
logische Zeitschrift, genannt „The Ibis“ herauszugeben. Dieses
Journal, so hies es, sollte mit keinem der bestehenden zoologischen
30 Bericht über die Jahresversammlung.
Journale rivalisieren; aber das ornithologische Interesse sei
in Grossbritannien gross genug, um einen Versuch zu rechtfer-
tigen, der in einem andern Lande, bei einer stammverwandten
Nation so erfolgreich gewesen sei. Ich brauche kaum zu sagen,
dass hiermit Deutschland und das ‚Journal für Ornithologie“
gemeint war. Wie glänzend der Versuch ausfiel, beweist Ihnen
der erste Band des „Ibis“, den ich ihnen hiermit vorlege, und
der in Bezug auf Stärke wie Zahl und Pracht der Abbildungen
die ersten Jahrgänge des „Journals für Ornithologie‘“ übertrifft,
und in Bezug auf den Inhalt ebenfalls jeden Vergleich rühmlichst
aushält. Interessant ist, dass die Anzahl der Mitglieder anfangs
auf 20 beschränkt blieb, dass also diese 20 Männer allein die
nicht unerheblichen Kosten der Zeitschrift aufbrachten. Von
diesen 20 Gründern weilen heute noch sieben unter uns, und sie
beschäftigen sich alle noch, und zwar zum Teil auf das eifrigste
mit der Ornithologie.
Die Zahl der Mitglieder wurde erst 1866 erhöht, aber noch
immer müssen Formalitäten durchgemacht werden, um ein Mit-
glied der Gesellschaft zu werden. Nur in der Jahresversammlung
kann ein neues Mitglied aufgenommen werden. Es muss von 3
Mitgliedern schriftlich proponiert werden, von denen eins es
persönlich kennt und seine Qualification der Versammlung ausein-
andersetzt. Dann erst wird zu einer geheimen Wahl geschritten.
Die dadurch herbeigeführte Exklusivität trägt sehr zum Ansehen
dieser und andrer wissenschaftlicher Gesellschaften in England bei.
Im Jahre 1892 wurde, nachdem Dr. Sharpe und andere
‚englische Ornithologen den Jahres- und Monatsversammlungen
der D. ©. G. beigewohnt hatten, als ein Zweig der „Union“
der „British Ornithologist’s Club“ auf Anregung des ersteren
gegründet, der wie die deutsche Gesellschaft monatliche Ver-
sammlungen abhält, und der häufigeren gemütlichen Verkehr der
ÖOrnithologen herbeiführte.e. Nur Mitglieder der Union können
diesem Klub angehören.
Vor nicht langer Zeit schrieb mir ein deutscher Freund,
dass die deutsche ornithologische Arbeit nicht genügend in Eng-
land beachtet würde. Dieser Vorwurf jedoch ist nicht allgemein
berechtigt. Wenn nicht jede deutsche Arbeit überall in Gross-
britannien bekannt ist, so kann dasselbe auch umgekehrt ge-
funden werden. Ich könnte Ihnen mehr als eine englische
ornithologische Schrift von nicht ganz geringer Bedeutung nennen,
Bericht über die Jahresversammlung. 31
die kaum Einem von Ihnen bekannt sein dürfte. Es ist ausser-
dem recht schwer, alle Litteratur zu beherrschen, und die Zahl
der in englischer Sprache erscheinenden Werke über Vögel ist
so gross, dass man viel Mühe hat, damit allein fertig zu werden.
Die berühmten englischen Ornithologen aber kennen die deutsche
Litteratur sehr gut. Die Ziele der Forschung auf beiden Seiten
des Kanals sind nicht immer gleiche, wo sie einander aber be-
rühren, bringen sie jenen gesunden Wetteifer mit sich, der der
Wissenschaft zum Wohle gereicht und frei bleibt von persönlicher,
eitler Rivalität, wie man sie in andern Lebenslagen findet, wie
sie aber in der hehren Wissenschaft, der wir uns geweiht haben,
nie vorkommen sollte, da es ja nicht Erwerb ist und nicht per-
sönlicher Ruhm sein sollte, nach dem die Männer der Wissenschaft
streben. Je mehr die Ornithologen der beiden blutsverwandten
Nationen, Deutschlands und Englands, gemeinsam wirken, desto
mehr wird die Wissenschaft gefördert.
Nicht uninteressant ist es, zu sehen, dass diese beiden
Nationen die einzigen in Europa sind, die schon in den fünfziger
Jahren lediglich der Ornithologie gewidmete Zeitschriften und
Gesellschaften gründeten, deren Bestand und rühmliches Fort-
bestehen auf lange Zeit gesichert ist.
Noch einmal, meine Herren, versichere ich Sie der kamerad-
schaftlichen Gesinnungen der ornithologischen Genossen jenseits
des Kanals und rufe Ihnen in ihrem Namen zu ein herzliches
Glück auf!
Der Vorsitzende:
Mit unserem Danke für die Glückwünsche der British
Örnithologist’s Union verknüpfe ich die Versicherung, dass wir
Deutsche alle aufrichtig die grossen Verdienste der englischen
Gesellschaft um die Förderung der Wissenschaft anerkennen.
20 Ornithologen gründeten die Ornithologist’s Union und diese
20 gaben ein grosse Zeitschrift heraus, den „Ibis“. Solcher
kapitalkräftigen Männer erfreuen wir uns in Deutschland nicht
viele. Noch einen gewaltigen Vorsprung haben die englischen
Ornithologen vor den deutschen voraus gehabt; seit vielen Jahren
sind aus den englischen Kolonien die Sammlungen nach London
geströmt. Wir wollen jetzt erst die Verbindungen mit fremden
Ländern vermehren. Nicht vergessen darf man die Förderung,
welche die Anatomie der Vögel durch englische Forscher erfahren
32 Bericht über die Jahresversammlung.
hat. Aus dem Londoner Zoologischen Garten ist das Material
für zahlreiche anatomische Arbeiten hervorgegangen. In dieser
Hinsicht müssen wir den Engländern nacheifern, Material wird
uns aus unseren zoologischen Gärten genügend geboten; noch
aber sind die Bearbeiter dieser Schätze nicht auf dem Plan. Die
Vertiefung der Systematik durch die Ergebnisse der Anatomie
ist aber die Vorbedingung für die Erweiterung unserer Kennt-
nisse, für die Möglichkeit, eine natürliche Einteilung der Vögel
zu erlangen. Herr Hartert, der Direktor des Museums in Tring,
hat uns die Grüsse der Freunde in England überbracht; wir
empfinden es besonders freudig, dass diese Grüsse von einem
Sohne unseres Vaterlandes überbracht worden sind, der mit
unserer Gesellschaft so viele Beziehungen hat, vielen der Mit-
glieder durch Freundschaft verknüpft ist und der im fremden
Lande sich eine ehrenvolle Stellung errungen hat.
Herr Dr. Hennicke (Gera):
Meine Herren!
Im Namen des Deutschen Vereins zum Schutze der Vogel-
welt bringe ich der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft zu
ihrer 50 jährigen Jubelfeier die herzlichsten Glückwünsche dar.
Mancher mag vielleicht denken, was hat denn ein Vogelschutz- |
verein mit der Feier der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft
zu thun? Nun, meine Herren, der Deutsche Verein zum Schutze
der Vogelwelt hat vom ersten Tage seines Bestehens an die Ansicht
vertreten, dass ein wirksamer Vogelschutz ohne genaue Kenntnis
der Vögel und ihres Lebens unmöglich ist, und vor allem die
Verbreitung der Vogelkunde auf seine Fahne geschrieben. Er
glaubt deshalb auch, dass Sie ihn nicht in einen Topf werfen mit
den Vogelschutzvereinen, deren sentimentale Bestrebungen Herr
Schalow vorhin streifte Der Deutsche Verein zum Schutze der
Vogelwelt weiss also die hohen, wissenschaftlichen Ziele der
Deutschen Ornithologischen Gesellschaft zu schätzen und erkennt
ihre Erfolge, die auch ihm zugute kommen, im vollstem Masse
an. Um dieser Anerkennung auch äusserlich Ausdruck zu geben,
hat die Generalversammlung beschlossen, die Herren Prof. Dr.
Reichenow und Herman Schalow zu ausserordentlichen und
korrespondierenden Mitgliedern des Deutschen Vereins zum
Schutze der Vogelwelt zu ernennen, und mich beauftragt, den
beiden Herren die Diplome hierüber zu überreichen. Möge die
Bericht über die Jahresversammlung. 35
Deutsche Ornithologische Gesellschaft auch fernerhin blühen,
wachsen und gedeihen und sich noch recht lange der Führer-
schaft solcher Männer zu erfreuen haben, wie der jetzt an ihrer
Spitze stehenden.
Der Vorsitzende:
Die Deutsche Ornithologische Gesellschaft spricht dem
Deutschen Verein für Vogelschutz, ihren Dank für die warmen
Worte aus, mit denen der Vorredner sie begrüsst hat. Viele
unserer Mitglieder gehören auch diesem Verein an und auch in
unseren Reihen wird einem praktischen Vogelschutz alle An-
erkennung gezollt. Wir erkennen voll die Leistungen des Vereins
für Vogelschutz an und wir freuen uns namentlich darüber, dass
Naumann’s gewaltiges Werk verjüngt auf Anregung und durch
die werkthätigen Bestrebungen dieses Vereins herausgegeben wird.
Möge der Vereiu gedeihen und blühen.
Herr Geh. Hofrat Prof. Dr. W. Blasius (Braunschweig):
Sehr geehrte Festversammlung!
| Von dem Verein für Naturwissenschaft in Braunschweig ist
mir der ehrenvolle Auftrag erteilt, der Allgemeinen Deutschen
‚Ornithologischen Gesellschaft zu ihrem goldenen Jubiläum die
herzlichsten Glückwünsche zu überbringen. Nach den erhebenden
Worten der soeben gehörten Festrede und den warmempfundenen
Ansprachen meiner Vorredner kann ich, wenn ich nicht in den
Fehler der Wiederholungen verfallen will, es nicht für meine
Aufgabe halten, an dieser Stelle nochmals den Ruhm der feiernden
Gesellschaft zu verkünden. Wohl aber glaube ich, mit einigen
Worten begründen zu sollen, weshalb unser Verein in Braunschweig
sich für berufen halten darf, seine Glückwünsche darzubringen.
Braunschweig ist schon seit langer Zeit eine Pflegestätte ornitho-
logischer Forschung. Als ich vor einiger Zeit damit beschäftigt
war, alte Schriften, die sich auf die Ornithologie unseres Landes
beziehen, aufzusuchen und zu einem Litteratur-Verzeichnis zu
sammeln, fand ich schon in der ersten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts aus der Feder Braunschweigischer Naturforscher manche
Abhandlung über die Vögel Braunschweigs, die auch für weitere
Kreise Interesse beanspruchen dürfte Vor allem erinnere ich
her an Franz Ernst Brückmann, dessen 275 Epistolae
itinerariae und andere Abhandlungen manche nicht unwichtige
Journ. £& Orn. XLIX, Jahrg. Januar 1901. 3
34 Bericht über die Jahresversammlung.
Aufschlüsse über die einheimische Vogelwelt geben. Etwa hundert
Jahre später sind von Alexander Graf Keyserling und
meinem damals als Professor in Braunschweig wirkenden Vater
Johann Heinrich Blasius in den zoologischen Sammlungen zu
Braunschweig die in dem zoologischen Museum zu Berlin be-
gonnenen Arbeiten über die Säugetiere und Vögel Europas
beendigt, deren Ergebnisse in dem klassischen Werke: „Die
Wirbelthiere Europas I“ niedergelegt sind. Und dieses Werk ist
zusammen mit manchen anderen ornithologischen Schriften in dem
Verlage von Fr. Vieweg & Sohn in Braunschweig erschienen. —
Seit beinahe 4 Jahrzehnten besteht in Braunschweig der Verein
für Naturwissenschaft, der sich die Pflege aller naturwissenschaft-
lichen Interessen zur Aufgabe gestellt hat. Schon in den ersten
Jahren des Bestehens hat der Verein gesucht, seinen Mitgliedern
auch Anregungen auf dem Gebiete der Vogelkunde zu geben und
der ornithologischen Forschung zu dienen. Seit vielen Jahren
besteht auch eine besondere Abteilung für Zoologie und Botanik,
in welcher der Ornithologie ein weiter Spielraum gegönnt wird.
Dankbar erkennen wir an, wie befruchtend gerade auf die Arbeiten
dieser Abteilung seit jeher die Anregungen gewirkt haben, die
die Deutsche Ornithologische Gesellschaft uns gegeben hat. So
bringen wir mit dem Ausdrucke herzlicher Dankbarkeit der Ge-
sellschaft die innigsten Wünsche für das neu beginnende zweite
halbe Jahrhundert ihres Lebens dar. Möge die Deutsche
Ornithologische Gesellschaft wie bisher blühen, wachsen und
gedeihen in dem neuen Zeitabschnitt und über diesen hinaus,
immerdar bis in alle Zukunft! Mit diesem Wunsche erlaube ich
mir das mir anvertraute Glückwunschschreiben unseres Vereins
für Naturwissenschaft zu überreichen.
Eine vom Redner gleichzeitig überreichte Glückwunsch-
adresse lautet:
Der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft
widmet
zur Jubelfeier ihres fünfzigjährigen Bestehens
am 6. Oktober 1900
der Verein für Naturwissenschaft zu Braunschweig
die herzlichsten Wünsche für den Fortschritt ihrer hohen
Bestrebungen in der Erkenntnis und Pflege der Natur.
i. A. der Vorstand
Dr. Kaempfer. Dr. Grundner.
Dr. med. Bernhard. Mus.-Insp. F. Grabowsky.
Dr. Wilh. Blasius.
nr A ne ing
ee on
Bericht über die Jahresversammlung. 35
Der Vorsitzende:
Der Braunschweiger Verein für Naturwissenschaft hat seit
langer Zeit durch Veröffentlichungen über Vogelkunde in ähnlicher
Weise gewirkt wie unsere Gesellschaft. Einer der Gründer der
Braunschweiger Gesellschaft, Herr Nehrkorn, ist auch eines
unserer thätigsten Mitglieder. In bibliographischer Beziehung
hat der Braunschweiger Verein uns ein Vorbild geschaffen, dem
nachzustreben unsere Aufgabe sein muss. Mögen die Beziehungen
zwischen beiden Vereinen sich freundlich weiter entwickeln.
Herr R. de Neufville, Sektionär der ornithologischen
Abteilung des Senckenbergischen Museums in Frankfurt a. M.,
überreicht mit warmen Begrüssungsworten der Versammlung
folgende Adresse:
Der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft
beehren wir uns, anlässlich ihrer Jahresversammlung in Leipzig
und der Feier ihres fünfzigjährigen Bestehens, mit dem Ausdruck
verbindlichsten Dankes für die freundliche Einladung zur Teil-
nahme an derselben, Gruss und Glückwunsch zu übersenden.
Mit aufrichtiger Freude und mit warmem Danke blicken wir
heute auf die hervorragenden Erfolge zurück, welche die Deutsche
Örnithologische Gesellschaft durch die rastlose, segensreiche
Thätigkeit ihrer verdienten Mitglieder im Laufe eines halben
Jahrhunderts errungen hat, und wünschen von Herzen, dass sie
mit gleichem Erfolge auch in Zukunft und für alle Zeiten ihren
grossen und schönen Aufgaben zum Segen und zur Förderung
der Wissenschaft gerecht werden möge!
Die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft.
ualaadaıN.
Dr. A. Knoblauch, Ad. Rörig,
I. Direktor. II. Direktor.
Dr. med. E. Roediger. Dr. Vohsen.
I. Sekretär. Il. Sekretär.
Der Vorsitzende:
Für die Glückwünsche der Senckenbergischen Naturforschen-
den Gesellschaft danken wir von Herzen und wünschen ihr
ferneres Blühen und Gedeihen. Die Frankfurter Ornithologische
Sammlung ist in Deutschland eine der an Typen reichsten.
Bi
36 Bericht über die Jahresversammlung.
Herr Rechtsanwalt P. R. Kollibay (Neisse):
Meine Herren!
Aus den Ostmarken des Deutschen Reiches bin ich entsandt,
unserer festfeiernden Ornithologischen Gesellschaft einen Gruss
zu entbieten. Dort, wo nach der Meinung vieler Westländer
sich die Füchse gute Nacht sagen, oder wo die Welt mit Brettern
vernagelt ist, in Oberschlesien und zwar in der früheren Festung
Neisse haben sich vor 6 Jahren auf meine Anregung eine Anzahl
Männer von ornithologischem Interesse zusammengeschlossen, die,
ohne sich über den wissenschaftlichen Erfolg ihrer Bestrebungen
übertriebenen Erwartungen hinzugeben, immerhin durch gegen-
seitigen Gedanken- und Beobachtungsaustausch sich selbst zu
belehren und dadurch Vogelkunde und Vogelschutz zu fördern
bestrebt sind. Ohne Satzungen und ohne Beiträge hält der orni-
thologische Verein in Neisse durch das Wintersemester in zwangloser
Form seine Monatssitzungen ab und veranstaitet im Sommer Ex-
kursionen in vogelreiche Gebiete. Er fühlt sich als ein Kind der
Deutschen Ornithologischen Gesellschaft, denn von einem Mit-
gliede derselben ist er ins Leben gerufen, seine Satzungen sind
denen der Gesellschaft äusserlich nachgebildet, was das Gesell-
schaftsorgan uns bringt, das wird, soweit möglich, zum Gegen-
stande der Besprechungen gemacht, und vom Geiste der Gesell-
schaft versuchen wir alle uns durchdringen zu lassen. So fühlt
sich denn der Ornithologische Verein in Neisse berechtigt und
verpflichtet, Anteil zu nehmen an dem frohen Feste, das die
Deutsche Ornithologische Gesellschaft in diesen Tagen hier feiert.
Unsere Mitglieder sind im Geiste hier anwesend und sind be-
sierig, von dem Resultate der gegenwärtigen Tagungen und
Verhandlungen Kenntnis zu erhalten. In unserer Vereinssitzung
vom 29. September hat man mich beauftragt, die Teilnahme und
die wärmsten Glückwünsche des ÖOrnithologischen Vereins in
Neisse hier in Leipzig auszusprechen. Ich entledige mich dieses
mich ehrenden Auftrages um so lieber, als gerade die letzten
Jahre gezeigt haben, dass neues, frisch pulsierendes Leben in
unsere deutsche ornithologische Wissenschaft eingekehrt ist,
und damit der Erfüllung unserer Glück- und Heilwünsche von
vornherein das günstigste Prognostikon gestellt ist. Ich entledige
mich des Auftrages ferner in der Hoffnung, dass das weitere
Blühen und Gedeihen der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft
auch der Vogelkunde meiner schönen Heimatprovinz Schlesien
Bericht über die Jahresversammlung. 37
zu derjenigen Förderung dienen möge, deren sie so sehr be-
darf. Und so fasse ich die Glückwünsche des durch mich ver-
tretenen Vereins in Worte zusammen, wie sie der hiesigen,
altgeheiligten Stätte der Wissenschaft angemessen sind, in die
Worte: „Die Deutsche Ornithologische Gesellschaft
Vivat, floreat, crescat in aeternum!“
Der Vorsitzende:
Herzlichen Dank sagen wir den Freunden der Ostmark
für ihren warmen Gruss. Wer sich mit der Vogelwelt des
Riesengebirges je beschäftigt hat, der weiss, welche Fülle von
Aufgaben dort noch den Ornithologen gestellt sind. Möge es
den schlesischen Fachgenossen gelingen, ein umfassendes Werk
über die schlesische Vogelwelt zu stande zu bringen.
Herr Prof. Dr. Lampert (Stuttgart):
Hochverehrte Anwesende!
Gestatten Sie, dass ich dem Gruss aus dem Osten in
kurzen Worten einen Gruss aus dem Süden, aus Schwaben, an-
schliesse. Wir haben in Württemberg keine besondere ornitho-
logische Vereinigung, allein in dem „Verein für vaterländische
Naturkunde in Württemberg‘, der seit nun bald sechs Dezennien
sich die Erforschung der natürlichen Verhältnisse Württembergs
zur Aufgabe gesetzt hat, hat auch die Ornithologie stets eine
Heimstätte gefunden. Manche seiner Mitglieder, ich erinnere
nur an Ländbeck, Freiherr Richard von Koenig- Warthausen,
Julius Hotfmann, waren bestrebt, auch ihrerseits am Ausbau der
ornithologischen Wissenschaft litterarisch mitzuarbeiten, und vor
allem waren und sind unsere Vereinsmitglieder stets bemüht,
durch Ergänzung der im K. Naturalien-Cabinet nach biologischen
Grundsätzen aufgestellten Sammlung Württemberger Vögel ein
möglichst vollständiges Bild zu liefern von der Ornis eines Teiles
unseres deutschen Vaterlandes. So mögen sie es nicht für un-
bescheiden erachten, wenn auch der Verein für vaterländische
Naturkunde in Württemberg dieses Ehrentages der Deutschen
ornithologischen Gesellschaft gedenkt,und wenn ich in seinemNamen
nicht nur die herzlichsten Grüsse zum frohen Verlauf des Festes
überbringe, sondern zugleich auch die besten Wünsche für ein
stetes Blühen, Wachsen und Gedeihen der Deutschen Ornitho-
88 Bericht über die Jahresversammlung.
logischen Gesellschaft in der zweiten Jahrhunderthälfte ihres
Bestehens. ;
Der Vorsitzende: Mit innigem Danke vernehmen wir
den Gruss aus dem schönen Württemberg. Wer Stuttgart kennt,
muss es beneiden um sein Museum, dessen reichhaltige Schätze
Ornithologen von weit und breit anziehen, dessen vorzügliche
vaterländische Vogelsammlung den weitesten Kreisen Teilnahme
für die Vogelwelt einflössen. In Württemberg haben zahlreiche
gute Vogelkenner gewirkt, deren Thätigkeit unvergessen bleiben
wird.
In Vertretung des am persönlichen Erscheinen leider ver-
hinderten Herrn Dr. C. Parrot (München) verliest der Schrift-
führer folgende, vom Ornithologischen Verein in München ver-
fasste und in Schönschrift ausgeführte Adresse:
Der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft
bringt zur 50 jährigen Jubelfeier
seine herzlichsten Glückwünsche dar
der Ornithologische Verein München (E. V.)
zugleich mit dem Wunsche, die Gesellschaft möge zu Nutz und
Frommen der Wissenschaft, die ihr schon so viel zu verdanken
hat, noch viele, viele Jahre weiter blühen und gedeihen.
Der Vorstand.
Dr. C. Parrot Dr. F. Kreitner
I. Vorsitzender. IL. Vorsitzender.
Der Vorsitzende spricht dem Münchener Verein den
Dank unserer Gesellschaft aus. Herr Parrot, dessen geschicktem
Vorgehen die Gründung des Münchener Vereins zu danken ist,
hat sich durch seine guten Beobachtungen die Sympathien der
übrigen Ornithologen längst gesichert. Er ist der Mann, in dessen
Händen die Pflege der bayrischen Vogelkunde nach Jäckel’s
Tode gut aufgehoben ist. Möge der Münchener Verein, der
durch seinen ersten, wissenschaftlich wertvollen Jahresbericht
gezeigt hat, was er leisten kann, zur Freude der Fachgenossen
weiter wirken und gedeihen.
Herr Hellmayr verliest folgenden Brief des Herrn Victor
Ritter von Tschusi zu Schmidhoffen:
me
Bericht über die Jahresversammlung. 39
Als eines der ältesten Mitglieder der Deutschen Ornitho-
logischen Gesellschaft drängt es mich, einige Worte — leider aus
der Ferne — an Sie zu richten:
Ich nehme den innigsten Anteil an der schönen und er-
hebenden Feier, die Sie heute begehen, und weile im Geiste in’
Ihrer Mitte, Sie alle herzlichst grüssend.
Wir damals Jungen, die mit dem Feuereifer der Jugend
uns begeistert in den Dienst der Ornithologie gestellt, sind nun
alt geworden, manche Lücke wurde in unsere Reihen gerissen;
aber wir blieben treu der Wissenschaft, die uns damals be-
seistert, und halten ihr Banner hoch. Und wenn heute unsere
Gesellschaft ihr 50 jähriges Jubiläum feiert, so vermag sie mit
vollem Rechte stolz zu sein auf den zurückgelegten Weg, auf
die errungenen Erfolge, auf die gegebenen Anregungen, welche
die schönsten Früchte zeitigten.
Aus nah und fern sind Sie, meine Herren, herbeigeeilt, um
Teil zu nehmen an dem schönen Feste; aber auch wir, die dem-
selben fern bleiben mussten, feiern dieses im Geiste mit Ihnen,
und indem wir Sie alle herzlich grüssen, lassen Sie uns in den
Ruf einstimmen:
„Die Deutsche Ornithologische Gesellschaft wachse und
gedeihe immerdar!“
V. v. Tschusi zu Schmidhoffen, (Hallein).
Der Generalsekretär übermittelt der Versammlung die Grüsse
des Ehrenpräsidenten der Gesellschaft, Herrn Geheimen
Regierungsrat Professor Dr. Möbius in Berlin,
des Seniors der Gesellschaft, Herrn Dr. G.Hartlaub in Bremen,
des Wirkl. Geh. Staatsrats Dr. Radde, Excellenz, in Titlis,
des Herrn Dr. J. v. Madaräsz, Kustos am Ungarischen
Nationalmuseum in Budapest
und des Herrn Dr. C. Bolle in Berlin.
Ferner sind der Versammlung folgende Begrüssungsschreiben
teils brieflich, teils telegraphisch zugegangen:
„Zum fünfzigjährigen Jubiläum der Deutschen Ornithologischen
Gesellschaft, der ich seit 26 Jahren als Mitglied angehöre und
deren Leistungen ich stets mit Interesse verfolge, spreche ich
meine beste Gratulation aus und wünsche guten Erfolg für ihre
wissenschaftlichen Arbeiten.‘ Fürst von Bulgarien.
40 Bericht über die Jahresversammlung.
„Die naturforschende Gesellschaft zu Altenburg entbietet
der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft, mit welcher sie
durch beinahe fünfzigjährige Beziehungen verbunden ist, herzliche
Glückwünsche zum Jubeltage.“ Dr. Koepert.
„Anlässlich der 50 jährigen Jubelfeier des Bestehens der
Deutschen Ornithologischen Gesellschaft gestatten wir uns, unsere
herzlichsten Glückwünsche hierdurch ergebenst zu übermitteln.
Mögen diesen ersten fünfzig Jahren auch alle weiteren
gleichen, immer neue wissenschaftliche Erfolge den bisherigen
sich anreihen und die freundschaftlichen Beziehungen zwischen
unseren Gesellschaften für alle Zeiten in ungeschmälertem Grade
bestehen bleiben.“
Das Präsidium der Naturforschenden Gesellschaft in Görlitz:
v. Seeger. Dr. Freise. Dr. Mund.
„Zur fünfzigjährigen Jubelfeier sendet Glückwunsch“
Der Verein für naturwissenschaftliche Uuterhaltungen in Hamburg.
„Die besten Wünsche für das fernere Blühen und Gedeihen
sendet der Naturwissenschaftliche Verein für Neuvorpommern
und Rügen.“
„Im Namen der k.k. Zoologischen Botanischen Gesellschaft
Und insbesondere der ornithologischen Section, bitte ich, für die
Deutsche Ornithologische Gesellschaft die besten Glückwünsche
entgegenzunehmen. Es möge unserer Schwestergesellschaft be-
schieden sein, so wie sie im Laufe eines halben Jahrhunderts
sich fortentwickelnd eine erspriessliche Thätigkeit entfaltet hat,
auch in alle Zukunft fruchtbringend zu wirken, zum Stolze ihrer
Mitglieder, zum Gedeihen der Wissenschaft.“ v. Lorenz (Wien).
„Mit dem Ausdruck des herzlichsten Bedauerns, nicht per-
sönlich im schönen Leipzig erscheinen zu können, sende ich der
Jubilarin in alter Anhänglichkeit herzlichen Glückwunsch. Allen
Festteilnehmern verbindlichsten Gruss.“
Hermann Bünger (Berlin).
„Am Erscheinen leider verhindert, sende den Ornithologen
herzlichen Gruss in der Hoffnung, sie 1901 zur 50 jährigen Jubel-
feier der Gesellschaft in Berlin persönlich begrüssen zu können,
Bericht über die Jahresversammlung. 41
wo die Gesellschaft durch Statut (siehe Naumannia Jahrgang
1851) gegründet wurde.“
Cabanis (Friedrichshagen b. Berlin).
„Die herzlichsten ornithologischen Grüsse zur Feier des
fünfzigjährigen Bestehens der Gesellschaft.“
Stefan Chernel von Chernelhäza (Köszeg).
„Zur Jubelfeier besten Glückwunsch.“
Stabsarzt Gengler (Erlangen).
„Zur Jubelfeier sende ich der Deutschen Ornithologischen
Gesellschaft die herzlichsten Glückwünsche! Möge die schöne
Feier, begünstigt vom Wetter, zur vollen Zufriedenheit Aller ver-
laufen.“ Hartwig (Berlin).
„Kann ich heute nicht die Ehre haben, zu profitieren von
Meistergaben, wünsch’ ich der Gesellschaft doch ferneres Glück,
den Vereinsgenossen des Adlers Blick.“
Ludwig Holtz (Greifswald).
„Gern hätte ich der Feier des fünfzigjährigen Bestehens
der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft in meiner Vaterstadt
beigewohnt, doch wurde mir der erbetene Urlaub von meiner
vorgesetzten Behörde nicht bewilligt. Mit Bedauern verzichte
ich auf eine Gelegenheit, durch mündliche Aussprache mit Fach-
genossen die mir obliegenden Arbeiten zu fördern und meinen
wissenschaftlichen Anschauungskreis zu erweitern. Stattdessen
muss ich mich auf den aufrichtigen Wunsch beschränken, dass
die heutige Jubeltagung einen zweiten Abschnitt in der Geschichte
unserer Gesellschaft einleiten möge, der an Leistungen und Er-
folgen dem vollendeten mindestens gleichkomme. In diesem Sinne
bitte ich die Festteilnehmer, einen herzlichen Glückwunsch und
Gruss von mir entgegenzunehmen.“
Dr. Arnold Jacobi,
Technischer Hülfsarbeiter in der Biologischen
Abteilung des Kaiserlichen Gesundheitsamtes
in Berlin.
„Der Jahresversammlung zur Feier des fünfzigjährigen
Bestehens der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft sendet
besten Gruss und Glückwunsch.“ Kuschel (Breslau).
42 Bericht über die Jahresversammlung.
„Im Geiste heute bei Ihnen, bitte ich, den versammelten
deutschen Ornithologen meine herzlichsten Grüsse zu übermitteln.“
Leverkühn (Sofia).
„Zu meinem Bedauern kann ich wegen Abwesenheit im
Süden der 50 jährigen Feier der Gesellschaft nicht persönlich
beiwohnen und übermittle daher vor meiner Abreise meine
kollegialen Grüsse auf diesem Wege zugleich mit dem Wunsche,
dass unsere Gesellschaft nach weiteren 50 Jahren einen heute
von uns noch ungeahnten Aufschwung genommen haben möge.“
A. B. Meyer (Dresden).
Adis-Abeba, 11. Sept. 1900.
„Die herzlichsten Glückwünsche der Gesellschaft zur Jubel-
feier und Grüsse allen Anwesenden senden von afrikanischem
Boden.“ Oskar Neumann. C. v. Erlanger.
„Obwohl ich leider durch die Ausführung einer zweimonat-
igen Sammelreise in Serbien verhindert bin an den Festtagen
in Leipzig teilzunehmen, kann ich doch die Versicherung geben,
dass ich im Geiste an jenen Tagen in der Mitte der Versammlung
weilen werde, der ich so gerne persönlich beigewohnt hätte.
So bringe ich hiermit wenigstens schriftlich meine aufrich-
tigen Wünsche für das Gedeihen der Verhandlungen sowohl, als
insbesondere für den Weiterbestand und die fernere erfolgreiche
Arbeitsleistung unserer Gesellschaft auf dem Gebiete unserer
schönen Wissenschaft zur Kenntnis.
Da ich mit Leib und Seele der heute festlich versammelten
Körperschaft seit einer Reihe von Jahren angehöre, wird es
auch fernerhin mein stetes Bestreben sein, in ornithologischer
Beziehung auf der Balkan-Halbinse! zu leisten, so viel mir eben
möglich ist.
Indem ich der Gesellschaft ein kräftiges „Vivat, crescat,
floreat‘‘ zurufe, mit treudeutschem Grusse.“
Othmar Reiser (Sarajevo).
„Der von mir zwecks Teilnahme an der Jahresversammlung
der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft beantragte Urlaub
ist mir verweigert worden, ebenso wie der von mir gestellte
Antrag, mich dienstlich nach Leipzig zu entsenden, abgelehnt
worden ist.
Bericht über die Jahresversammlung. 45
Ich teile dieses dem Vorstand der Deutschen Ornithologischen
Gesellschaft mit dem Ausdruck des lebhaftesten Bedauerns darüber
mit, dass es mir auf diese Weise unmöglich gemacht ist, nach
Leipzig zu kommen; ich bitte, den Grund meines Fernbleibens
in das Protokoll aufzunehmen, da es sonst auffällig erscheinen
könnte, dass ich die so günstige Gelegenheit, die Interessen
meines Berufes durch Beteiligung an den Verhandlungen, welche
zumteil mein spezielles Arbeitsgebiet betreffen, zu fördern, nicht
wahrgenommen habe, und mir später vielleicht ein Vorwurf
daraus gemacht werden könnte.“ Professor Dr. Rörig,
Regierungsrat (Berlin).
„Zur Jubelfeier sendet freundlichen Festgruss und herz-
lichen Glückwunsch aus deutscher Nordmark.“
Rohweder (Husum).
„Zum fünfzigjährigen Bestehen herzliche Glückwünsche für
ein kräftiges Weiterblühen und Gedeihen.“
Direktor Schöpf (Dresden).
„Leider persönlich verhindert, sendet den anwesenden
Örnithologen Gruss und Glückwunsch.“
von Treskow (Berlin).
„Leider kann ich mich an der Festversammlung in Leipzig
nicht beteiligen, wollte aber nicht unterlassen, der Gesellschaft
meinen ergebensten Gruss zu übersenden und ihr eine erspriess-
liche Weiterentwicklung zu wünschen.“
C. Wüstnei (Schwerin i. M.).
Der Vorsitzende spricht alien, die der Jubelfeier gedacht
haben, herzlichsten Dank aus und verkündet der Versammlung
nachstehende Ehrung:
Der Vorstand der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft
hat beschlossen, zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens
folgende ausländische Ornithologen zu Ehrenmitgliedern der
Gesellschaft zu ernennen:
Herrn Wirklichen Geheimen Staatsrat Dr. Radde Excellenz,
Direktor des kaukasischen Museums in Tiflis.
Herrn Dr. P. L. Sclater, Sekretär der zoologischen Gesell-
schaft in London.
44 Bericht über die Jahresversammlung.
Herrn Otto Herman, Chef der Ungarischen Ornithologischen
Centrale in Budapest.
Herrn Dr. R. Bowdler Sharpe, Assistant Keeper, British
Museum, in London.
Herrn Professor Graf T. Salvadori, Vicedirektor des
Zoologischen Museums in Turin.
Herr Herman dankt für die Ehre, die ihm die Ornitho-
logische Gesellschaft hat zuteil werden lassen, eine Ehre, die
ihm für seinen Lebensabend als höchster Schatz erscheint, die
ihm Veranlassung geben wird, das Band immer fester zu knüpfen,
das ibn mit den deutschen Ornithologen verbindet.
Nach einer kurzen Frühstückspause begaben sich die Teil-
nehmer in den Zoologischen Garten, wo Herr Direktor Pinkert
in liebenswürdiger Weise die Führung übernahm. Nachdem der
Tierbestand sehr eingehend in Augenschein genommen war und
Gelegenheit zur Erörterung von mancherlei interessanten Fragen
gegeben hatte, wurde ein photographisches Gruppenbild aller
Anwesenden aufgenommen. Hierauf ging es zur Besichtigung
des prächtigen, eben eröffneten Restaurations-Gebäudes. Bald
mahnte die vorrückende Zeit zum Aufbruch.
Um !/,4 Uhr fanden sich die Mitglieder der Jahresversammlung
zu einem Festmahle zusammen, an dem auch Damen sich betei-
ligten. Eine von Prof. Döring’s Meisterhand entworfene humo-
ristische Tischkarte bot sich als heiterer Führer für die Speisen-
folge. Ernste und heitere Tischreden in grosser Anzahl belebten
das Mahl. Der Abend wurde durch einen Besuch im Krystall-
palaste und daran anschliessende gesellige Vereinigung ausgefüllt.
Sonntag, den 7. October 1900. Vormittags 9 Uhr.
Die Mitglieder der Gesellschaft traten zunächst zu einer
geschäftlichen Sitzung zusammen.
Herr Professor Dr. R. Blasius übernimmt wieder den
Vorsitz und Herr Matschie wirkt als Schriftführer.
Herr Blasius eröffnet die Sitzung um 9 Uhr 20 Min.
Herr Deditius verliest den Kassen-Bericht und bittet um
Prüfung und Anerkennung der Rechnungsbeläge.
Auf die Anregung des Vorsitzenden erhebt sich die
Gesellschaft von den Plätzen, um die in dem Vortrage des Herrn
Bericht über die Jahresversammlung. 45
Deditius genannten, im Verlaufe des letzten Geschäftsjahres
verstorbenen Mitglieder zu ehren.
Hierauf werden als Prüfungsausschuss die Herrn Kollibay,
Nehrkorn und Rey gewählt.
Herr Reichenow erhält alsdann das Wort und weist
darauf hin, dass durch den Tod des Geh. Regierungsrat Professor
Dr. Altum und den durch eine Forschungsreise bedingten Rück-
tritt des Hrn. Dr. Heinroth für die Ämter des Präsidenten
und des stellvertretenden Sekretärs eine Ergänzungswahl während
des verflossenen Jahres vorgenommen werden musste, die durch
den Ausschuss erfolgt ist. Die Wahl ist auf die Herren Prof.
Dr. R. Blasius und P. Matschie gefallen.
Nachdem hierauf der leitende Vorstand den Satzungen ge-
mäss sein Amt niedergelegt hatte, wurde zur Neuwahl des Vor-
standes geschritten. Auf Antrag des Hrn. Amtsrat Nehrkorn
wurde von der Versammlung der ausscheidende Vorstand durch
Zuruf wiedergewählt. Der Vorstand besteht somit für die fol-
senden 2 Jahre aus den Herren: R. Blasius als Präsident,
H. Schalow als Vice-Präsident, A. Reichenow als General-
sekretär, P. Matschie als stellvertretendem Sekretär und
C. Deditius als Kassenführer.
Nunmehr wurde die Neuwahl für 5 ausscheidende Mitglieder
des Ausschusses vorgenommen Es werden wiedergewählt die
Herren J. Cabanis, A. von Homeyer, W. Blasius und
Freiherr R. König-Warthausen; für den wegen der Über-
nahme des Präsidiums austretenden Herrn R. Blasius wird
Herr Koilibay in den Ausschuss gewählt.
Als letzter Gegenstand der geschäftlichen Sitzung ist die
Bestimmung über die Zeit und den Ort der nächsten Jahres-
versammlung vorgesehen. Herr Matschie schlägt vor, diese
Versammlung vom 12.—16. August 1901 in Berlin abzuhalten
in denjenigen Tagen, welche für die Sitzungen des Internationalen
Zoologen Congresses in Aussicht genommen sind.
Die Versammlung beschliesst, im nächsten Jahre gleichzeitig
mit dem Internationalen Zoologen Congress und als dessen Section
in Berlin zu tagen.
Nachdem die geschäftliche Sitzung durch den Präsidenten
geschlossen worden ist, eröffnet Herr R. Blasius sofort die
wissenschaftliche Sitzung. Mit Rücksicht auf die Reichhaltigkeit
der Tagesordnung bestimmt der Vorsitzende, dass jedem Vor-
46 Bericht über die Jahresversammlung.
tragenden nur je 20 Minuten und jedem in der Discussion
Sprechenden nur je 3 Minuten zum Reden gestattet werden können.
Herr Kollibay zieht seinen angekündigten Vortrag zu
Gunsten der übrigen zurück.
Es erhält als erster das Wort Herr Freiherr von Ber-
lepsch Seebach:
Bericht
über den im Auftrage der deutschen Ornithologischen &e-
"sellschaft aufgestellten Entwurf eines internationalen Vogel-
schutzgesetzes und über Beratung dieses Entwurfes auf dem
Pariser Congress.
Von Hans Freiherr von Berlepsch.
Mehrere Motive bestimmten die „deutsche Ornithologische
Gesellschaft“ in der letzten Jahresversammlung sich auch mit
der Frage eines internationalen Vogelschutzgesetzes zu beschäf-
tigen. Abgesehen von der nach den veränderten Culturverhältnissen
vorliegenden Notwendigkeit eines solches Gesetzes, war es haupt-
sächlich auch der Wunsch, dass diese Frage, da sie nach Lage
der Dinge jetzt doch nun mal einer Lösung entgegen gedrängt
wird, nicht von Laien, sondern in sachlicher Weise von Fach-
männern behandelt werden möchte. Zur Bearbeitung eines diesbez.
Entwurfes wurde deshalb nachfolgender Ausschuss eingesetzt:
Amtsrat Nehrkorn — Braunschweig
Professor Dr. König — Bonn
Direktor Hartert — Tring (England)
Professor Dr. Rörig — Berlin
Rechtsanwalt Kollibay — Neisse
sowie meine Wenigkeit, und zwar letzterer als Obmann.
Ich glaube den Bericht am kürzesten und klarsten an der
Hand des vorliegenden Aktenmaterials geben zu können, indem
ich zuerst über den Entwurf, alsdann über die Verhandlungen
und das Ergebnis derselben auf dem Pariser Congress spreche.
Nach mündlichem und schriftiichem Verkehr mit den ver-
schiedenen Herren des Ausschusses stellte ich einen ersten Ent-
wurf auf und sandte diesen allen Ausschussmitgliedern, wie auch
verschiedenen anderen Herrn unserer Gesellschaft zur Einsicht
und Begutachtung ein. Danach haben wir gemeinsam weiter
gearbeitet, bis endlich nach etwa drei Monaten der vorliegende
endgültige Entwurf zu stande kam.
Bericht über die Jahresversammlung. 47
Die Sache gestaltete sich schwieriger, als wir anfänglich
glaubten, und es konnte dieser endgültige kurze Entwurf nur
als oft filtrierter Extrakt dickleibiger Aktenstösse gewonnen werden.
Als unermüdlicher Arbeiter ist besonders unser hochverehrtes
Mitglied Direktor Hartert zu nennen, und wir haben diesem Herrn
unbedingt einen Löwenanteil am Zustandekommen des uns vor-
liegenden Entwurfes zu danken.
Bei Bearbeitung desselben sind die Protokolle aller 7 bis
jetzt zu diesem Zwecke stattgehabten Kongresse, bezw. Kon-
ferenzen — Budapest 1871, Wien 73, Rom u. Budapest 1875,
Wien 1884, Budapest 1891, Paris 1895 und Graz 1898 — einer
eingehenden Durchsicht unterzogen, und die darin zum Ausdrucke
gebrachten Ansichten und Wünsche möglichst berücksichtigt
worden, dabei war das Bestreben des Ausschusses, den Entwurf
in möglichster Kürze und so abzufassen, dass durch denselben
andere, insbesondere die Jagdgesetze möglichst wenig berührt
werden.
Der Gesetzentwurf verliert sich nicht in Einzelheiten, sondern
stellt im allgemeinen nur bestimmte Principien auf, nach welchen
die einzelnen Staaten ihrerseits Gesetze zu geben haben. Deshalb
nahmen wir auch von Aufstellung irgend welcher Listen Abstand
und glauben, dass gerade hierdurch eine allgemeine Aufnahme
vorliegenden Gesetzentwurfes sehr erleichtert werden wird, indem
die Vorschläge der früheren Kongresse, bezw. Konferenzen haupt-
sächlich immer daran scheiterten, dass die für das ganze palä-
arktische Faunengebiet aufgestellten Listen von einzelnen Staaten
nicht angenommen werden konnten.
Zuerst wurde die Frage klar gestellt, ob und warum wir
jetzt Gesetze gegen die Vogelvernichtung bedürfen, indem der
diesbez.e. Wunsch des grossen Publikums allein gewiss nicht
massgebend sein kann. Die Antwort lautet:
Früher, bei den unbeschränkten Nistgelegenheiten konnten
wir eines Gesetzes gegen die Vogelvernichtung wohl ent-
behren. Damals konnten die Vögel dem einen Angriffe
von Seiten des Menschen schon widerstehen. Jetzt ist in-
folge der intensiven Land- und Forstwirtschaft aber auch
noch Entziehung der Brutplätze hinzugekommen. Dieser
doppelte Vernichtungskrieg ist zu viel! Deshalb bedürfen
wir zur Erhaltung und, wenn möglich, Wiedervermehrung
unserer Vögel ausser der Schaffung von Lebensbedingungen für
48 Bericht über die Jahresversammlung.
dieselben (hauptsächlich Nistgelegenheiten) jetzt auch noch
eines — vernünftigen — Vogelschutzgesetzes.
Der von unserer Gesellschaft aufgestellte Entwurf lautet
nun folgendermassen.
Gesetz.
81.
Verboten ist:
a. Fangen der Vögel und Ausnehmen
bezw. Zerstören der Nester und
Bruten derselben.
Jedoch dürfen Nester, welche
sich an oder in Gebäuden oder
in Hofräumen befinden, von deren
Nutzberechtigten beseitigt werden.
b. Schiessen der Vögel vom 1. März
bis 15. August.
c. Das Feilbieten und die Einfuhr
von Vögeln, Bälgen, Teilen oder
Federn derselben zu Nahrungs-
und Putzzwecken. ;
Bemerkungen.
Das Schiessen vom 15. August
bis 1. März müssen wir den Süd-
ländern schon lassen, und zwar alle
Vögel ohne Unterschied. Andernfalls
fehlt die Kontrolle, da die Aufsichts-
behörden keine Ornithologen sind.
Ein Feilbieten der unter $ 3 be-
zeichneten Vögel ist also insoweit
erlaubt, als in dem betreffenden
Lande diesbezügliche verschärfende
Sonderbestimmungen nicht bestehen.
Es muss zugegeben werden, dass
die Kontrolle unter Umständen
schwierig ist, doch ist sie immerhin
durchzuführen. Die Einfuhr der
unzähligen kleinen Vögel durch die
Modewarenhändler wäre jedenfalls
damit zu Ende, wie dies in Nord-
amerika schon seit einem Jahre
verboten ist.
Ein Nachteil für die Wissenschaft
ist daraus nicht zu befürchten.
Die von den Modewarenhändlern
bezogenen Bälge ohne Angabe, wo
und wann dieselben erbeutet wurden,
sind für die Wissenschaft mehr von
Nachteil als Nutzen und haben schon
manche Konfusion gezeitigt. Ausser-
dem wird durch Einfuhr dieser un-
nützen und billigen Ware die Arbeit
der wissenschaftlichen Sammler ent-
8 2.
Ausnahmen von $S 1. a. und b.
können auf Ansuchen gut beleu-
mundeter Leute für eine bestimmte
Örtlichkeit und Zeit nach Bei-
bringung einer Einwilligungsbeschei-
nigung der Besitzer des Grund und
Bodens sowie der Jagdberechtigten
von den zuständigen Behörden ge-
stattet werden
a. zu wissenschaftlichen Zwecken.
b. zum Fang von Stubenvögeln, in-
sofern derselbe nicht Massenfang
ist, innerhalb der Zeit vom
15. August bis 1. März.
ce. zur Vernichtung z. Z. local schäd-
licher oder lästig werdender Vögel.
8 3.
Vorstehende Bestimmungen finden
keine Anwendung auf
a. das ganze Haus-Federvieh.
b. die von den einzelnen Staaten als
schädlich bezeichneten Vögel.
c. das Jagdgeflügel mit Einschluss
der Wasser-, Sumpf-, Strand-
Hühnervögel und Tauben.
r
S.4.
Zugvögel mit Ausnahme der
Wasser, Sumpf-, Strand-, Hühner-
Journ f, Or, XLIX, Jahrg. Januar 1901.
Bericht über die Jahresversammlung. 49
wertet, was auch ein nicht zu unter-
schätzender Nachteil ist.
Unter gewissen Verhältnissen wird
diese Einwilligung von den be-
treffenden Behörden herbeizubringen
sein.
In Ländern, wo freie Jagd ist, hat
natürlich nur ersteres, dort, wo
Grund und Boden dem Staate ge-
hört, nur letzteres Gültigkeit.
Auch dies müssen wir zugeben,
schon um den Vogelhändlern nicht
plötzlich das Brod zu nehmen.
DerFrühjahrsfang der Nachtigalen
und Sprosser, welche jetzt zu
hunderten mit Dutzendpreisen an-
gezeigt sind (siehe „Gef. Welt“,
„Geflügelbörse‘“, „Tierbörse“ und
andere Zeitungen) würde damit aber
glücklich beseitigt sein.
Aufstellung von Listen kann in
einem internationalen Gesetze nicht
stattfinden. Bei der grossen geo-
graphischen wie wirtschaftlichen Ver-
schiedenheit der einzelnen Länder
kann derselbe Vogel hier nützlich,
dort schädlich sein. Deshalb muss
es jedem einzelnen Staate überlassen
bleiben, eventuell erforderliche Listen
nach den in diesem Gesetze gege-
benen Direktiven selbständig auf-
zustellen.
Der Zusatz ‚mit Einschluss der
Wasser-, Sumpf-, Strand-, Hühner-
vögel und Tauben“ ist ‘deshalb
nötig, weil diese Vögel nicht in
allen Ländern (z. B. in England)
Jagdgeflügel sind, und somit ohne
diesen Zusatz durch $ 3 c. in jenen
Ländern der Verkauf dieser Vögel
(Enten, Bekassinen, Tauben etc.)
verboten sein würde.
Es war das Bestreben, den Gesetz-
entwurf so zu formulieren, dass die
4
F
vögel und Tauben dürfen nicht Jagd-
geflügel sein.
Sb
Jedem einzelnen Staate bleibt es
anheimgestellt, für sein Territorium
verschärfende Sonderbestimmungen
zu geben.
50 Bericht über die Jahresversammlung.
Jagdgesetze möglichst unberührt
blieben, da hieran zu rütteln sehr
heikel scheint.
Diesen $4 können wir aber un-
möglich missen, und glaube ich,
dass es auch keine Schwierigkeiten
haben wird, die anderen kleinen
Zugvögel (bezüglich der Krammets-
vögel siehe Anlage) aus der Liste
des Jagdgeflügels auszuschliessen.
Da alle Vögel vom 15. August
bis 1. März geschossen werden
dürfen, so schliesst „Jagdgeflügel“
nur in sich, dass diese Vögel auch
noch zu anderen Zeiten und mit
anderen Mitteln erbeutet werden
können, d. h. insoweit dies durch
die Jagdgesetze des betreffenden
Landes erlaubt ist.
Sehr wünschenswert wäre es, wenn
der Frühjahrswachtelfang und
Schnepfenstrich (auf dem wir nur
unsere eigenen Brutschnepfen weg-
schiessen) allgemein verboten
würden; doch wollen wir von diesen
jedenfalls schwer zu erlangenden
Gesetzen das Zustandekommen des
Ganzen nicht abhängig machen.
Solches bleibt also von den ver-
schärfenden Sonderbestimmungen der
einzelnen Staaten zu erwarten.
Dies ist besonders nötig und
wünschenswert bezügl. $ 1 b. und
SS 3 und 4.
Der Krammetsvogelfang.
Als erste Vorbedingung zu einem internationalen Vogelschutzgesetze
erachten wir Beseitigung des Krammetsvogelfanges in Deutschland.
Wie können wir anderen Völkerschaften, speciell den Südländern
einen Vorwurf machen, oder denselben gar verbieten wollen, dass sie
unsere Vögel fangen, solange wir selbst jene Vögel, welche von Norden
kommend bei uns Gastfreundschaft suchen (ein kleiner Teil der sog.
Krammetsvögel sind bekanntlich nordische Drosseln) in gleicher Weise
durch den Krammetsvogelfang vernichten ?
Nein, gewiss nicht!
Bericht über die Jahresversammlung. 51
Mit vollem Rechte verlachen uns deshalb auch die Südländer und
sagen, dass wir, wenn wir solche Vorschriften geben wollen, doch erst
mal vor der eigenen Thür kehren möchten.
Wenn wir somit Beseitigung des Krammetsvogelfanges auch haupt-
sächlich der Consequenz halber fordern müssen, so sprechen aber doch
auch andere Gründe hierfür, wie unter anderen aus nachstehenden statis-
tischen Notizen zu ersehen ist.
Einige statistische Notizen bez. des Krammetsvogelfanges.
Nach genauer Aufzeichnung des jetzigen Herrn Forstrats Eberts
zu Cassel (Originalacten liegen mir vor) ergab der Krammetsvogelfang
auf der Oberförsterei Heimbach zu Gemund in 10 Jahren, von 1887 —
1896 folgendes Resultat:
1.) 11.2) I. IV. v.
Summe | Kram- Sing- %, | Andere | %, Rot- %,
allerVögellmetsvögel| drosseln |von IT| Vögel | von I |kehlchen |von IV
87 | 4419 | 4350 | 1530 |s52| 69 | 16] 42 | 60,9
88 | 4321 | 4164 | 2395 |575| 157 | 86| 108 | 65,6
89 | A588 | 4461 | 3578 |so2| 127 | 28| 66 | 52,0
00 | 6127 | 6or6 | 3281 |54,0| 51 | 0808| 34 |66,7
91 | 6359 | 6219 | 83149 |50,6| 140 | 2322| 82 | 586
92 | 5352 | 4640 | 3474 174,9 | 7ı2 132 | 470 | 66,0
98 | 5901 | 5778 | 2920 |505 | 123 | a31| 64 |52,0
94 | 5330 | 5020 | 3469 |69,1| sıo | 5,8| 170 | 54,8
95*)| 1621 | 1565 954 |61,0| 56 | 85| 42 | 750
96*)| 575 567 548 | 96,7 Se A 3 | 87,5
Se. | 44593 IE 25298 BE 1758 1076 | 61,4
Jahr
Schlussfolgerung.
Von 1000 gefangenen Vögeln sind 961 sogenannte Krammets-
vögel, von diesen aber 567 Singdrosseln gegen 394 andere Drosseln.
1000 gefangene Vögel setzen sich also zusammen aus
567 Singdrosseln
394 anderen Drosseln
24 Rotkehlchen
15 anderen Vögel
Summa 1000 Vögel.
Von allen gefangenen Vögeln bilden somit die Sing-
drosseln die bei weitem grössere Hälfte: 59,1 von Hundert.
Im vergangenen Herbst wurde durch das Ministerium des Inneren
im Deutschen Reich eine Umfrage bezüglich des Krammetsvogelfanges
I) Summe von Spalte II und IV.
2) Das sind Turdus musicus, merula, ihacus, pilaris, borgwalus,
viscivorus.
*) Von diesen Jahren liegt nur ein Teil des Resultats vor.
4*
52 Bericht über die Jahresversammlung.
erlassen. Die diesbezüglichen Acten für das Königreich Preussen liegen
mir im Original vor, es ist daraus folgendes bemerkenswert:
Im Regierungsbezirk Siegmaringen ist der Krammetsvogelfang ver-
boten, im Regierungsbezirk Cassel (und zwar schon seit 1853) der
Dohnenstieg. In den 35 Regierungsbezirken werden 1159796 Krammets-
vögel gefangen in einem Jahr Wieviel davon auf die einzelnen Drossel-
arten kommen, ist nicht angegeben. Nach vorseitigen Aufzeichnungen
sind über die Hälfte Singdrosseln.
Die Frage: Ist eine Abnahme der Zahl der jährlich gefangenen
Krammetsvögel zu beobachten? beantworten 6 Reg.-Bez. mit „nein“,
2 mit „kaum“ 27 mit „ja‘“.t)
In allen 36 Reg.-Bez. gehört der Krammetsvogel ganz oder teil-
weise zu den „jagdbaren Vögeln“.
Obgleich nun dieser Entwurf nebst Anlage, und zwar nicht
nur in deutscher, sondern auch bereits in französischer, hier an-
gefertigter Übersetzung rechtzeitig der Leitung des II. inter-
nationalen Kongresses eingeschickt und von Herrn Professor
Reichenow um vervielfältigenden Umdruck desselben gebeten
worden war, war dieses doch nicht geschehen, ja die handschrift-
liche Übersetzung anfänglich sogar verlegt, sodass dieselbe in
der ersten Sitzung überhaupt nicht verwendet werden konnte.
Dieser Umstand sowohl, als der überraschende Befehl, dass
ich zum Vortrage des ganzen Entwurfs nur 1/, Stunde Zeit in
Anspruch nehmen dürfe, wie drittens ein anderer das gleiche
Thema, aber von einem ganz anderen Standpunkt aus behan-
delnder Antrag des Herrn Präsidialrats Dr. Ohlsen zeitigten
denn in der ersten Sitzung eine solche Verwirrung, dass an ein
irgend wie befriedigendes Ergebnis scheinbar nicht zu denken war.
Die endlich wieder gefundene französische Übersetzung des
Entwurfes von Dienstag bis Freitag, also in 3 Tagen, zu drucken,
wurde ausserdem in Paris für unausführbar erklärt.
Wenn nun zuletzt doch noch ein — und wie wir nicht
anders sagen können — befriedigendes Resultat folgte, so ist
dieses allein nur 3 Persönlichkeiten zu danken.
1. Der liebenswürdigen Madame Jean Bernard, die es
übernahm, wenigstens das Gesetz ohne Bemerkungen bis zum
Freitag drucken zu lassen.
!) Nach meinen und anderen zuverlässigen Beobachtungen hat die
Singdrossel in den letzten 30 Jahren sehr abgenommen.
Bericht über die Jahresversammlung. 53
2. Herrn Dr. Ohlsen, der sich im Interesse der guten Sache
bestimmen liess, seinen Antrag ganz zurückzuziehen und energisch
für den unserigen einzutreten und
3. der umsichtigen und einsichtsvollen Leitung unseres
Sektionspräsidenten, des Herrn Professor Fatio aus Genf.
Ich werde alle weiteren Einzelheiten bei den ferneren Be-
ratungen übergehen und gleich die endgültig angenommene Re-
solution geben. Dieselbe lautet:
„1. In wirksamer Weise alle Vögel während der 5 bis 6 Monate
“ der Fortpflanzungszeit zu schützen, die nicht allgemein als
unstreitig schädlich anerkannt sind, so lange es noch nicht
gelungen ist, Listen von überall und immer nützlichen Vögeln
aufzustellen. Ausnahmen können nur zu Gunsten der Wissen-
schaft und im Fall der Notwehr gemacht werden,
2. Gänzlich zu untersagen alle Arten von Massenfang, mögen
sie dazu angethan sein, die Vögel in grosser Zahl auf ein
Mal (Netze etc.) zu fangen, oder mögen es Schlingen oder
Dohnen sein, die, in grosser Zahl aufgestellt, denselben Erfolg
haben können.
3. Ebenso zu untersagen den Handel und Versand, das Feil-
bieten, den Kauf und Verkauf der geschützten Vögel, ihrer
Eier und ihrer Jungen während der Schonzeit (das Wander-
wild, insbesondere die Wachtel, müsste denselben Schutz
geniessen).
4. Jeden Staat zu bitten, auf seinem Gebiete gleichzeitig orni-
thologische und entomologische Untersuchungen anstellen zu
lassen, um die Ernährung der einzelnen Arten und dadurch
den Grad ihres Nutzens festzustellen.
5. Durch alle möglichen Mittel (Hecken, Nistplätze) die Ver-
mehrung der nützlichen, besonders der insektenfressenden
Vögel zu begünstigen.
6. Unter die Jugend interessante und nützliche Schriften über
das Leben der Vögel zu verteilen.‘
Sie werden mir zugeben, dass der Entwurf sehr allgemein
und kurz gehalten ist, was beides als ein grosser Vorzug gegen
alle früheren derartigen Beschlüsse angesehen werden muss, und
dass er nichts enthält, was unserem Entwurf direkt entgegen
wäre. Es ist unser Entwurf nur in anderer Form und noch
ergänzt durch die ganz vorzüglichen SS 4, 5, 6.
E}
54 Bericht über die Jahresversammlung.
Wenn allerdings darin von Aufstellung allgemeiner Listen
überall nützlicher Vögel gesprochen wird, so können wir dieser
Ansicht aus vorher dargelegten Gründen zwar nicht zustimmen,
immerhin dürfen wir uns aber auch damit zufrieden geben, be-
sonders da diese Resolution ja vorerst nur Wunsch, noch nicht
Gesetz ist. Kurz, ich glaube, wir können recht zufrieden sein,
durch unser Zuthun vorerst dieses Ergebnis erlangt zu haben.
Es ist der erste derartige Beschluss, der wohl geeignet ist, auf
ihm weiter zu bauen und der, wenn die Vertreter der einzelnen
Staaten wieder zusammentreten, wohl als gute Grundlage dienen
kann, das entgültige Gesetz zu formulieren. Diese allgemein
gehaltene Pariser Resolution in klare Gesetzesform gebracht,
wird dann einfach wieder den Wortlaut unseres Entwurfes er-
geben, ergänzt durch die 8$ 4, 5, 6.
Es soll nun demnächst von Professor Oustalet, dem Präsi-
denten des internationalen Ornithologischen Kongresses, in jedem
Staate ein Mitglied des internationalen ornithologischen Komites
beauftragt werden, den Beschluss seiner Regierung zu unter-
breiten, und ich halte diesen Wez — vorausgesetzt, dass überall
die rechte Persönlichkeit getroffen wird — auch für den einzig
richtigen.
Als weiterer grosser Faktor und nicht zu unterschätzender
Erfolg in der guten Sache muss vor allen Dingen aber auch
noch der Umstand angeführt werden, dass dieser Beschluss,
dank der fortgesetzten Bemühungen des Herrn Dr. Ohlsen, in
ganz gleicher Fassung auch noch vom internationalen Tierschutz-
und Ackerbaukongress angenommen worden ist, und ich glaube,
dass gerade die Wünsche des letzteren Kongresses bei den ver-
schiedenen Staaten am meisten Gehör finden werden.
Soweit wäre also die Sache in gutem Fahrwasser, und wir
können nur hoffen, dass aus diesen guten Wünschen — denn
etwas anderes sind die gefassten Beschlüsse vorläufig nicht —
nun auch wirklich bald ein internationales Gesetz entstehen
möge, wie solches in dem vom unserer Gesellschaft ausgearbeiteten
und nur noch durch die $$ 4, 5 und 6 des Pariser Beschlusses
zu ergänzenden Entwurf jederzeit als fertige Arbeit vorgelegt
werden kann.
In der an den Vortrag sich anschliessenden Besprechung,
an welcher sich die Herren R. Blasius, Reichenow, OÖ. Herman
-
Bericht über die Jahresversammlung. 55
Freiherr von Berlepsch, Hartert und Hennicke beteiligen,
empfiehlt Herr Reichenow ein selbständiges Vorgehen unserer
. Gesellschaft bei der deutschen Reichsregierung unabhängig vom
internationalen Komite. Es wird beschlossen, der Vorstand der
Deutschen Ornithologischen Gesellschaft solle geeignete Schritte
thun, um die deutsche Reichsregierung zu veranlassen, auf Grund
des von Hrn. Freiherrn von Berlepsch vorgelegten Entwurfes
ein internationales Vogelschutzgesetz zu erzielen.
Im Anschluss an den vorangegangenen Vortrag und die
Besprechung des internationalen Vogelschutzgesetzes weist Hr.
Prof. Reichenow auf die von Hrn. Oberlehrer Wetekamp ge-
gebene Anregung des „Schutzes der Naturdenkmäler“ hin und
empfiehlt ein Vorgehen der Gesellschaft in diesem Sinne zur
Erlangung eines erfolgreichen Vogelschutzes in Deutschland.
Redner führt aus, dass diese Bestrebungen auf drei Punkte sich
richten müssen.
1. Allgemeiner zweckgemässer Vogelschutz.
Dieser Vogelschutz wäre durch die Forstbeamten aus-
zuüben.
Dazu wäre erforderlich, dass von den Forstbeamten
und zwar sowohl von den höheren wie Subalternbeamten
eine genaue Kenntnis der einheimischem Vogelwelt verlangt
würde; denn nur wer die Vögel und deren Lebensweise
kennt,wird Teilnahme für sie empfinden und bethätigen können.
Zweitens müsste von der Staatsregierung angeordnet
werden, dass jeder Forstbeamte in seinem Reviere eine
Schutzstätte, Remise, anlegte, wo die Vögel nicht nur ge-
eignete Niststätten, sondern auch Nahrung fänden, und wo
geeigneten Falls auch Winterfütterung stattzufinden hätte.
Wie solche Remisen, die einen Umfang von je etwa einem
Morgen haben müssten, einzurichten sind, das lehrt die vor-
zügliche, von Hrn. Hans Freiherrn von Berlepsch in
Kassel verfasste Schrift: ‚Der gesamte Vogelschutz, seine
Begründung und Ausführung. Gera-Untermhaus 1899," die
allen Forstbeamten zur Kenntnisnahme und Beachtung em-
pfohlen werden sollte.
Für diejenigenForstbeamten,diesich um dieErhaltung eines
reichen Vogellebens in hervorragendem Grade verdient machen,
müssten Prämien ausgesetzt werden,
56 Bericht über die Jahresversammlung.
2. Verhinderung der gänzlichen, durch Nachstellung veranlassten
Ausrottung gewisser Vogelarten, die stellenweise wirtschaftlich
schädlich werden.
Eisvogel und Wasserstar sind stellenweise in Deutsch-
land jetzt durch unnachsichtige und ungerechtfertigte Ver-
folgung ausgerottet, insbesondere durch das rücksichtslose
Vorgehen des deutschen Fischereivereines, der für die Tötung
dieser Vögel Prämien ausgesetzt hat. Es ist nicht zu
leugnen, dass Eisvogel und Wasserstar in künstlichen Fisch-
zuchtanstaltenSchaden anrichten können, und dementsprechend
gerechtfertigt, dass sie in der Nähe solchen Anstalten ge-
schossen und. gefangen werden. Ungerechtfertigt aber ist
es, diese schönen und bereits so seltenen Vögel wegen des
Schadens, dem sie stellenweise einem einzelnen Erwerbs-
zweige zufügen, allenthalben auszurotten. Ausserhalb
künstlicher Fischzuchtanstalten kommt der Schaden des Eis-
vogels für die Fischerei nicht in Betracht, weil es sich um
kleine, meistens ganz wertlose Fische handelt.
Beim Wasserstar ist aber noch viel weniger von Schaden
zu reden, weil er nur während der Wintermenate Fische
zur Nahrnng nimmt und dann ebenfalls meistens wertlose
Fischarten; denn die flinken jungen Forellen kann er nur
schwer erhaschen. Während des grössten Teiles des Jahres
aber nährt sich der Wasserstar von Insekten.
Das Aussetzen von Prämien für die Tötung gewisser
Vogelarten müsste also verboten werden oder dürfte wenigstens
nur unter obrigkeitlicher Aufsicht und nach Einholung des
Gutachtens erfahrener Vogelkenner erfolgen.
3. Schutz für seltene, nur örtlich vorkommende oder auftretende
Vogelarten.
Sehr wünschenswert vom ethischen und wissenschaftlichen
Standpunkte (also ganz besonders im Sinne der Wete-
kamp’schen Anregung) ist die Erhaltung solcher Vogelarten,
die, früher in Deutschland weiter verbreitet, jetzt auf wenige
Örtlichkeiten beschränkt sind oder nur hin und wieder ver-
einzelt auftreten, ferner die Einhürgerung solcher Arten, die
von Süden nordwärts vordringend, hin und wieder an ein-
zelnen Orten sich anzusiedeln versuchen, meistens aber, da
weder Forst- noch Ortsbehörden sich ihrer annehmen, durch
Nachstellungen bald wieder vertrieben werden. Für die
Bericht über die Jahresversammlung. 57
erste Gruppe sind zu nennen: Die Kaspische See-
schwalbe, von der nur noch eine kleine Kolonie auf Sylt
vorhanden ist, die Zwergmöwe, die zur Zeit noch in
Littauen brütet, der auf einigen Seen in Hinterpommern
und Westpreussen noch brütende Polartaucher, der
Nachtreiher, eine seltene Erscheinung in Deutschland,
der im vergangenem Jahre bei Kottwitz in Schlesien sich
eingestellt und dort gebrütet hat. Rotfussfalk und
Beutelmeise sind ferner zu beachten. Von den von
Süden her vordringenden Vögeln sind zu nennen: Bienen-
fresser, Steinsperling, Mauerläufer.
Für die Erhaltung solcher seltenen, örtlich be-
schränkten Arten oder Gäste können keine allgemeinen
Bestimmungen erlassen werden. Sie sind in jedem Einzel-
falle durch Forst- oder Ortspolizeibehörde zu schützen.
Es müsste deshalb eine Behörde vorhanden sein, die, mit
dem Gegenstande vertraut und über die Vorkommnisse
unterrichtet, in der Lage wäre, der Staatsregierung für
jeden einzelnen Fall geeignete Massnahmen vorzuschlagen.
Nach kurzer Besprechung beschliesst die Versammlung, den
bereits bestehenden, mit der Vorbereitung des Entwurfes eines
internationalen Vogelschutzgesetzes betrauten Ausschuss zu be-
auftragen, zunächst bei der preussischen Staatsregierung geeignete
Schritte zur Erzielung eines zweckgemässen Vogelschutzes in der
von Hrn. Reichenow besprochenen Richtung zu thun.
Herr W. Blasius hält nunmehr seine angekündigten Vorträge:
Die Vogelfauna
in den diluvialen Ablagerungen der Rübeländer Höhlen.
Von W. Blasius.
Alfred Nehring hat in seinen zahlreichen Veröffentlichungen
über diluviale Tierreste, von denen ich hier nur die Abhandlungen
„Über den Character der Quartärfauna von Thiede bei Braun-
schweig‘“ (Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläonto-
logie, 1889, Bd. 1 8. 66-98) und „Über Tundren und Steppen
der Jetzt- und Vorzeit, mit besonderer Berücksichtigung ihrer
Fauna“ (Berlin, Ferd. Dümmler, 1890) anführen will, nachgewiesen,
dass die Vogelarten, deren Reste in dem Diluvium Norddeutschlands
58 Bericht über die Jahresversammlung.
beobachtet sind, im wesentlichen mit denjenigen Arten zusammen-
fallen, welche als charakteristische Bestandteile der Vogelfauna
der arktischen und subarktischen russischen und asiatischen
Steppen erscheinen. Es handelt sich dabei hauptsächlich um
einige Raubvogel-Arten, wie einen Geier, ähnlich dem grauen
Geier (Vultur cinereus) und die Sumpfohreule (Otus brachyotus),
_ einige Hühner, wie das Moor-Schneehuhn (Lagopus albus), das
Gebirgs-Schneehuhn (Lagopus alpinus) und das Birkhuhn (Tetrao
Zetrix), mehrere Schwimmvögel, wie die Stockente (Anas boschas),
die Krickente (Anas crecca) und eine Gänse-Art (Anser sp.), einige
Sumpfvögel, wie die grosse Trappe (Ofis tarda) und Bekassinen-
Arten und endlich eine grössere Reihe von Singvögeln, unter
denen besonders einige Alauda-, Fringilla-, Emberiza- und Hirundo-
Formen sowie der Kolkrabe (Corvus corax) zu nennen sind. Auch
die diluvialen Vogelreste, welche bisher in den Rübeländer Höhlen
nachgewiesen sind, stimmen gut mit den bisherigen Funden in
andern diluvialen Ablagerungen Norddeutschlands überein. Schon
Hermann Grotrian, der die ersten Ausgrabungen in der am
28. Juni 1866 entdeckten, nach ihm benannten Hermannshöhle
bald nach der Entdeckung veranstaltet hat, konnte in einer zu
Tage ausgehenden Felsritze grosse Mengen von Schneehuhn-Resten
nachweisen (Schreiben an C. Struckmann in der Zeitschrift der
Deutschen Geologischen Gesellschaft Bd. XXXII. 1880. S. 751).
Später, seit dem Herbste 1887, wurden die Ausgrabungen in
dieser Höhle von J. H. Kloos in grossartigem Mafsstabe fort-
gesetzt, wobei erst die grossen oberen Räume der s. g. Bärenhöhle
entdeckt wurden, die mit der s. g. Krystallkammer jetzt die
Hauptsehenswürdigkeit der Hermannshöhle bilden. Die geologischen
Ergebnisse dieser Untersuchungen hat Kloosin seiner Abhandlung:
„Die Hermannshöhle und ihre Ausfüllungen“ (J. H. Kloos und
Max Müller, Die Hermannshöhle bei Rübeland. Weimar,
K. Schwier 1889 S. 1—52) niedergelegt. Bei diesen Arbeiten
stiess man auch auf einen mächtigen Kegel von Gehänge-Schutt,
welcher wahrscheinlich durch eine darüber gelegene, zu Tage
gehende Spalte während der letzten Glacial-Periode eingeschwemmt
ist und sich in seinen wesentlichen Teilen der ältereren, der
letzten Interglacialzeit entsprechenden, hauptsächlich Höhlenbär-
Reste enthaltenden Ablagerung aufgelagert hat. In diesem Schutt-
kegel wurden wiederum neben zahlreichen Knochen von Glacial-
tieren grosse Mengen von Resten des Moor-Schneehuhns (Lagopus
E
albus) und dabei auch einzelne Knochen des Birkhuhns (Tetrao
tetrix) gefunden. Am 26. Februar 1892 begannen unter meiner
Mitwirkung neue ausgedehnte Ausgrabungen an einer Stelle der
oberen s. g. Bärenhöhle, welche wegen der grossen Mengen von
Höhlenbärknochen, die hier angehäuft waren, den Namen „Bären-
friedhof‘ erhalten hatte. Ausführlich habe ich über diese Arbeiten,
welche hauptsächlich zur Begründung eines in Rübeland ein-
zurichtenden Höhlen-Museums von dem Museums-Inspektor Fritz
Grabowsky ausgeführt wurden und dabei zufällig den ersten
sichern Beweis von der Existenz des Menschen zur Zeit der
Rübeländer Diluvial - Ablagerungen erbrachten, in meiner Ab-
handlung: „Spuren paläolithischer Menschen in den Diluvial-
Ablagerungen der Rübeländer Höhlen“ (mit 3 Tafeln und 1 Text-
figur) in den „Beiträgen zur Anthropologie Braunschweigs‘“.
Festschrift zur 29. Versammlung der Deutschen Anthropologischen
Gesellschaft. Braunschweig, Friedrich Vieweg & Sohn 1898,
8.7 ff.) berichtet. Offenbar waren an dieser Stelle älteres und
jüngeres Diluvium durch spätere Katastrophen zusammenge-
schwemmt. Denn ausser den Resten vom Höhlenbär, Rhinoceros,
Höhlenlöwen, Höhlenwolf, der Höhlenhyäne, vom Hirsch u. s. w.
fanden sich zahlreiche Reste vom Rentier, Schneehasen, Hermelin,
Zobel, der Alpen-Wühlmaus u. s. w. und an Vögeln das Moor-
Schneehuhn (Zagopus albus), der Kolkrabe (Corvus corax), eine
Ente (Anas sp.) und ein nordischer Seetaucher (Colymbus sp.)
vertreten.
Mehr noch, als die Ausgrabungen in der Hermannshöhle,
haben mich in dem letzten Jahrzehnt die Forschungen in den
am 28. Juni 1888 neu entdeckten Teilen der schon seit vielen
Jahrhunderten bekannten Baumannshöhle beschäftigt. Die
seit dem 10. April 1890 hier ausgeführten Arbeiten sind in
meiner zuletzt erwähnten Arbeit: „Spuren paläolithischer Menschen
etc.“ (S. 13—31) eingehend geschildert. Auch in der neuen
Baumannshöhle fand sich, wie in der Hermannshöhle, gerade an
der Verbindungsstelle zwischen den alten und den neuen Teilen,
ein mächtiger Schuttkegel, der von oben her durch ehemals zu
Tage tretende, später verstopfte Spalten zur Glacialzeit einge-
schwemmt und hier im Gegensatz zu dem Kegel der Hermanns-
höhle, an welchem die Ablagerungen sich nicht so scharf begrenzen
lassen, mit scharfer Grenze den älteren Diluvialablagerungen
aufgelagert ist. In diesem Schuttkegel waren haupsächlich Reste
Bericht über die Jahresversammlung. 59
60 Bericht über die Jahresversammlung.
vom Rentier, Schneehasen, Polarfuchs, Vielfrass, Hermelin sowie
von Lemmingen und Wühlmäusen vertreten, und zwar in den
oberen Schichten in einer Mächtigkeit von etwa 1, m. Unter
diesen Glacialtieren und über einem grösseren Neste von feinem
Lösssand fand sich ein fast vollständiges Skelett des für die Steppen
Russlands charakteristischen Pferdespringers (Alactaga jaculus).
In der Nähe desselben lagen zahlreiche Knochen kleiner Vogel-
Arten, deren Bestimmung noch nicht sicher zu bewerkstelligen
war. Unter diesen waren die Knochen einer kleinen Corviden-
Art nachzuweisen, die mit keiner einzigen von unseren ein-
heimischen Formen übereinzustimmen scheint, wohl aber eine
gewisse Ähnlichkeit in Form und Grösse mit dem Saxaul-Heher der
asiatischen Steppen, u. zw. irgend einer der verschiedenen Podoces-
Arten, darbieten. Mir fehlen bis jetzt Skelette von Podoces-Arten,
die ich zur Vergleichung heranziehen könnte. Sollte sich eine
Vergleichung ermöglichen lassen und dabei in der That das
Vorkommen des Saxaul-Hehers in den Diluvialablagerungen der
hübeländer Höhlen bestätigen, so würde dies eine neue will-
kommene Bekräftigung der im Anfange dargelegten Anschauungen
Alfred Nehring’s sein. Die übrigen Funde in den neuen Teilen
der Baumannshöhle sind, soweit sie sich überhaupt auf Vogelreste
beziehen, den geschilderten Funden in der Hermannshöhle ähnlich.
Eine eingehende Bearbeitung des gesamten paläontologischen
Materials, das die Rübeländer Höhlen geliefert haben und bei
der Fortsetzung der Ausgrabungen noch zu liefern versprechen,
ist für später ins Auge gefasst.
Bemerkungen über neue Sendungen malayischer Vögel.
Von W. Blasius.
l. Vögel von Borneo, gesammelt von J. Waterstraat.
In den letzten Jahren erhielt ich wiederholt durch Herrn
Hermann Rolle in Berlin Sendungen von Vogelbälgen, welche
von dem bekannten Sammler J. Waterstraat in den nördlichen
Teilen Borneo’s, in dein Staate Brunei und in dern benachbarten
Gebieten, zusammengebracht waren. Die einzelnen Vögel waren
mit specielleren Fundort - Angaben und mit der Bezeichnung des
Monats versehen, in welchem sie erlegt sind. Bei einigen Bälgen
tehlten die Etiketten oder waren abgerissen und im losen Zu-
stande nur in der Weise beigefügt, dass eine Verwechselung
SE
Bericht über die Jahresversammlung. 61
nicht ausgeschlossen erschien. Diese lasse ich bei den folgenden
Betrachtungen ausser Berücksichtigung. Da der Sammler nicht
jedes einzelne Individuum selbst zu erlegen und zu präparieren
pflegt, so können in Bezug auf Ort und Zeit kleine Ver-
wechselungen untergelaufen sein. Trotzdem dürfte die folgende
Zusammenstellung der gesammelten Arten einigen Wert bean-
spruchen können, wobei ich mir ein genaues Eingehen auf ein-
zelne interessante Formen für später vorbehalten möchte. Die
verschiedenen Fundplätze sind der Lokutan-Fluss, der Mengalung-
Fluss, der Punang-Fluss und der 829 m hohe Marabok-Bersg,
welcher ganz im Norden nahe und zum Theil auf der Grenze
von „Britisch Nord-Borneo‘ gelegen ist, in welchem Gebiete der
mit dem Marabok-Berge beginnende Gebirgszug nordöstlich sich
etwa 130 kilom. weit bis zu dem Kina-Balu-Gipfel fortsetzt und
auf der Nordseite des Marabok-Berges von dem Padas-llusse
durchbrochen wird. Auf die von dem Padas-Flusse und dem
_Kina-Balu, sowie von der an der Brunei-Bucht der Küste von
Borneo vorgelagerten Insel Labuan stammenden Vogelsendungen
werde ich am Schlusse dieser Ausführungen eingehen. Zunächst
mag eine tabellarische Übersicht (mit ungefährer Beibehaltung
der Salvadori’schen Anordnung) folgen über die von J. Water-
straat eingesandten
1. Vögel von Brunei (Nord-Borneo):
Microhierax fringillarius (Drap.), Lokutan-Fl. Mai 1899; Menga-
lung-Fl. Juni 1899.
Spilornis pallidus Wald., Mengalung-Fl. Juli 1899.
Ninox scutulata (Raffl.), Mengalung-Fl. Juni 1899.
Palaeornis longicauda (Bodd.), Lokutan-Fl. Juni 1899; Menga-
lung-Fl. Juni bis August 1899; Marabok-B. Dezember 1899.
Psittinus incertus (Shaw), Lokutan-Fl. Mai 1899; Mengalung-Fl.
Juni 1899.
Loriculus galgulus (Linn.), Lokutan-Fl. Mai 1899; Mengalung-Fl.
Mai bis August 1899.
Chotorhea chrysopsis (Goffin.), Mengalung-Fl. Juni 1899.
r versicolor (Raffl.), Lokutan-Fl. Mai 1899; Mengalung-Fl.
Juni 1899; Punang-Fl. Okt. u. Nov. 1897.
Oyanops mystacophanes (Temm.), Mengalung-Fl. April bis Juni,
Aug. 1899; Marabok-B. Jan. 1900. |
Uyanops monticola Sharpe, Marabok-B. Jan. 1900.
62 Bericht über die Jahresversammlung.
Oyanops pulcherrima (Sharpe), Marabok-B. Jan. 1900.
Xantholaema dwvauceli (Less.), Mengalung Fl. Juni, Juli 1899.
Calorhamphus fuliginosus (Temm.), Marabok-B. Januar 1900.
Iyngipicus aurantüiventris (Salvad.), Mengalung-F]. Juni, Juli 1899;
Marabok-B. Jan. 1900.
Iyngipieus auritus (Eyt.), Lokutan-Fl. April 1899.
Xylolepes validus (Temm.), Mengalung-Fl. April u. Juni 1899.
Hemicercus sordidus (Eyt.), Mengalung-Fl. April, Mai, August 1899.
Lepocestes porphyromelas (Boie), Mengalung-Fl. Mai 1899.
Gecinus puniceus (Horsf.), Mengalung-Fl. Mai, Juni 1899.
COhrysophlegma malaccense (Lath.), Lokutan-Fl. Juni 1899; Men-
galung-Fl. August 1899.
Thriponax javensis (Horsf.), Mengalung-Fl. Juni, August 1899.
Tiga javanensis (Ljungh.), Punang-Fl. Novemb. 1897.
Miglyptes grammithorax (Malh.), Mengalung-Fl. Mai bis August
1899, Lokutan-Fl. Juni 1899; Marabok-B. Januar 1900.
Miglyptes tristis (Horsf.), Punang-Fl. Novemb. 1897.
r tukki (Less.), Mengalung-Fl. Mai, Juni 1899; Punang-
Fl. Novemb. 1897; Marabok-B. Jan. 1900.
Micropternus badıosus (Temm.), Mengalung-Fl. April, Juni 1899.
Sasia abnormis (Temm.), Mengalung-Fl. April - Juli 1899.
Indicator archipelagicus Temm., Mengalung Fl.-Juli 1899.
Surniculus lugubris (Horsf.), Mengalung-Fl. Mai 1899; Lokutan-
Fl. Juli 1899.
Rhinortha chlorophaea (Raffl.), Mengalung-Fl. April bis August
1899; Punang-Fl. Oktob., Nov. 1897.
Rhopodytes borneensis (Bp.), Mengaiung-Fl. Mai, Juni 1899.
5 sumatranus (Raffl.), Mengalung-Fl. August 1899.
Phoenicophaes borneensis (W. Blas. u. Nehrk.), Mengalung-!!l.
| April bis August 1899; Punang-Fl. Novemb. 1897.
Zanclostomus javanicus (Horsf.), Mengalung-Fl. Mai 1899.
Oentrococeyx eurycercus (Hay), Mengalung-Fl. August 1899;
Punang-Fl. Novemb. 1897.
Anorrhinus galeritus (Temm.), Mengalung-Fl. Juni 1899.
Anthracoceros convexus (Temm.), Mengalung-Fl. Juni 1899.
B malayanus (Raffl.), Mengalung-Fl. Juli, August 1899.
Rhytidoceros undulatus (Shaw), Mengalung-Fl. Juni, Juli 1899;
Marabok-B. Dec. 1899, Januar 1900.
Cranorrhinus corrugatus (Temm.), Mengalung-Fl. Juni, August
1899; Marabok-B. Januar 1900.
Bericht über die Jahresversammlung. 63
Buceros rhinoceros Linn., Mengalung-Fl. Juli 1899; Marabok-B.
Dec. 1899.
Rhinoplax vigil (Forst.), Menzalung-Fl. Juli 1899.
Nyctiornis amicta (Temm.), Mengalung-Fl. April, Juni, Juli 1899.
Alcedo ispida bengalensis Gml., Mengalung-Fl. Juni 1899.
„ menintingHorsf.,Lokutan-Fl.Mai 1899, Mengalung-Fl. April 1899.
Pelargopsis leucocephala fraseri Sharpe, Mengalung-Fl. Mai 1899.
Cey& euerythra Sharpe, Lokutan-Fl. Mai 1899.
Halcyon pileatus (Bodd.), Mengalung-Fl. Juli 1899.
Carcineutes melanops (Bp.), Mengalung-Fl. Juni 1899.
Eurystomus orientalis (Linn.), Lokutan-Fl. Mai, Juni 1899; Men-
galung-Fl. Juni, August 1899; Marabok-B. Januar 1900.
Calyptomena viridis Raffl., Mengalung-Fl. Mai 1899; Punang-Fl.
Octob. 1897.
Eurylaemus ochromelas Raftl., Mengalung-Fl. April bis August 1899.
Oymborhynchus macrorhynchus (Gml.), Lokutan-Fl. Juni 1899;
Mengalung-Fl. April bis August 1899; Marabok-B. Januar 1900.
Caprimulgus macrurus Horsf, Punang-Fl. Novemb. 1897.
Collocalia linchi Horsf. u. Moore, Marabok-B. December 1899.
Hirundo gutturalis Scop., Punang-Fl. Octob., Novemb. 1897,
Alseonax latirostris (Raftl.), Mengalung-Fl. Juni 1899.
Siphia elegans (Temm.), Mengalung-Fl. April, August 1899; Punang
Fl. Novemb. 1897.
Siphia beccariana (Salvad.), Mengalung-Fl. all Mai, August 1899.
turcosa (Brüggem.), Punang-Fl. Novemb. 1897.
banyumas (Horsf.), Punang-Fl. Novemb. 1897.
„ caeruleata (Bp.), Mengalung-Fl. April, Mai 1899.
Poliomyias luteola (Pall.), Punang-Fl. Novemb. 1897.
Xanthopygia narcissina (Temm.), Punang-Fl. Novemb. 1897.
Hypothymis occipitalis (Vig.), Lokutan-Fl. August 1899.
Terpsiphone affinis (Blyth ), Mengalung-Fi. April 1899.
Philentoma pyrrhopterum (Temm.),Mengalung-Fl. April, August 1899.
Rhinomyias pectoralis Salvad., Mengalung-Fl. Juni, Juli 1899.
Artamus leucogaster (Valenc.), Mengalung-Fl. Juni, Juli 1899;
Lokutan-Fl. Juni 1899; Punang-Fl Novemb. 1897.
Lalage terat (Bodd.), Punang-Fl. Octob. 1897.
Artamides sumatrensis (S. Müll.), Mengalung-Fl. Juli 1899.
Irena crinigera Sharpe, Mengalung-Fl. Mai bis Jnli 1899; Lo-
kutan-Fl. Mai bis Juli 1899.
Dissemurus brachyphorus (Bp.), Mengalung-Fl. April bis August 1899.
”
„
64 Bericht über die Jahresversammlung.
Hemipus obscurus (Horsf.), Lokutan-Fl. April 1899.
Lanius lucionensis Linn., Mengalung-Fl. Juli 1899.
Dendrophila frontalis (Horsf.), Mengalung-Fl. Juni 1899.
Prionochilus zanthopygius Salvad., Mengalung-Fl. Mai bis
August 1899.
Dicaeum trigonostigma (Scop.), Mengalung-Fl. Mai, Juni 1899.
Oyrtostomus pectoralis (Horsf.), Punang-Fl. Novemb. 1897.
Aethopyga siparaja (Raffl.), Lokutan-Fl. Juni 1899; Mengalung-Fl.
Juni, Aug.1899; Punang-Fl. Novemb.1897; Marabok-B. Jan.1900.
Chalcostetha insignis (Jard.), Marabok-B. Januar 1900.
Anthothreptes hypogrammica (S. Müll.), Mengalung-Fl. Mai 1899.
simplex (S. Müll.), Mengalung-Fl. Juni 1899.
malaccensis (Scop.),Mengalung-Fl. April bis Juli 1899;
Marabok-B. Decemb. 1899, Jan. 1900.
phoenicotis (Temm.), Mengalung-Fl. Mai bis Juli 1899.
nenn longirostris (Lath.), Mengalung-Fl. April bis August 99.
Jora viridis Bp., Punang-Fl. Novemb. 1897.
„ viridissima Bp., Mengalung-Fl. Juni 1899.
Chloropsis zosterops Vig., Mengalung-Fl. April 1899; Marabok-B.
Jan. 1900.
cyanopogon (Temm.), Mengalung-Fl, April, Juni,
August 1899.
Trachycomus ochrocephalus (Gml.), Lokutan-Fl. Juli 1899.
Pycenonotus salvadorii Sharpe, Mengalung-Fl April. Juni 1899.
simplex Less., Mengalung-Fl. April, Mai 1899; Lo-
kutan-Fl. Juli 1899; Punang-Fl. Octob., Novemb. 1897.
plumosus Blyth, Punang-Fl. Octob., Novemb. 1897.
in analis (Horsf.), Punang-Fl. Novemb. 1897.
Rubigula paroticalis (Sharpe), Mengalung-Fl. April, Juni 1899.
Micropus melanocephalus (Gml.), Mengalung-Fl. April bis August
1899; Marabok-B. Decemb. 1899.
Tricholestes criniger (Blyth), Mengalung-Fl. April bis Juni 1899;
Lokutan-Fl. August 1899.
Oriniger gutturalis (Bp.), Mengalung-Fl. Mai 1899.
hr diardi Finsch, April bis Juli 1899.
Jole olivacea Blyth, Punang-Fl. Octob. 1897.
Stachyris maculata (Temm ), Mengalung-Fl. April, Mai 1899.
Mixornis borneensis Bp., Mengalung-Fl. April bis August 1899.
bicolor (Blyth), Mengalung-Fl. April bis August 1899;
Lokutan-Fl. August 1899.
ER]
”
99
„9
”
”
j
Macronus ptilosus Jard. u. Selb., Mengalung-Fl. Mai 1899; Lo-
kutan-Fl. Juli 1899.
Drymocataphus capistratoides (Temm.), Mengalung-Fl. April bis
Juli 1899; Lokutan-Fl. Mai, Juni 1899.
Anuropsis malaccensis (Hartl.), Mengalung-Fl. April, Mai 1899.
Kenopia striata (Blyth), Mengalung-Fl. Mai 1899.
Trichixos pyrrhopygos Less., Mengalung-Fl. April 1899.
Malacopteron affine (Blyth), Mengalung-Fl. April bis August 1899.
cinereum Eyton, Mengal.-Fl. April, Mai, August 1899.
magnum Eyton, Mengalung-Fl. Mai 1899.
SSR magnirostris Moore, Mengalung-Fl. August 1899.
Hydrocichla ruficapilla (Temm.), Mengalung-Fl. Mai, Juni 1899.
Erythrocichla bicolor (Less.), Mengalung-Fl. April bis Juni 1899.
Prilopyga rufiventris Salvad., Mengalung-Fl. April 1899.
Trichostoma rostratum Blyth., Punang-Fl. Novemb. 1897; Menga-
lung-Fl. Juli 1899.
Aleippe cinerea Blyth., Mengalung-Fl. April bis Juli 1899.
Pitta baudi Müll. u. Schleg., Mengalung-Fl. Juli 1899.
ussheri Sharpe, Mengalung-Fl. Mai 1899.
bertae Salvad., Punang-Fl. Novemb. 1897.
„ eyanoptera Temm., Punang-Fl. Octob., Novemb. 1897.
Acrocephalus orientalis (Temm. u. Schleg.), Lokutan-Fl. April 1899.
Kittocincla suavis (Sclat.), Lokutan-Fl. April, Mai 1899; Menga-
lung-Fl. Mai 1899; Punang-Fl. Octob. 1897.
5 stricklande (Mottl. u. Dillw.), Mengalung-Fl. April bis
August 1899; Punang-Fl. Octob. 1897; Marabok-B. Decemb.
1899."
Merula obscura (Gmel.), Punang-Fl. Novemb. 1897.
Motaeilla flava Linn., Mengalung-Fl. Juli 1899.
Calornis chalybaea Horsf., Mengalung-Fl. April 1899; Punang-Fl.
Nov. 1897.
Gracula javanensis (Osb.), Mengalung-Fl. Juli 1899; Punang-Fl.
Octob., Novemb. 1897.
Analcipus eruentus (Drap.), Marabok-B. Januar 1900.
Platysmurus aterrimus (Temm.), Mengalung-Fl. August 1899.
Corone enca tenwirostris (Moore), Lokutan-Fl. Juli 1899.
Butreron capellei (Temm.), Mengalung-Fl. Mai, Juni 1899.
Osmotreron vernans (Linn.), Punang-Fl. Octob., Novemb. 1897.
Treron olax (Temm.), Punang-Fl. Octob., Novemb. 1897.
Ptilopus jambu (Gml.), Punang-Fl. Octob., Novemb. 1897.
Journ. f, Orn. XLIX, Jahrg. Januar 1901. 5
Bericht über die Jahresversammlung. 65
bR]
ER]
”
66 Bericht über die Jahresversammlung.
Ohalcophaps indica (Linn.), Punang-Fl. Octob. 1897.
Lobiophasis bulweri Sharpe, Mengalung-Fl. Juni 1899; Marabok-
B. Decemb. 1899, Januar 1900. |
Lophura nobilis (Selat.), Mengalung-Fl. Juni, Juli 1899; Marabok-
B. December 1899, Januar 1900.
Rollulus roulroul (Scop.), Punang-Fl. Octob., Novemb. 1897.
Charadrius dominicus P. L. S. Müll., Punang-Fl. Novemb. 1897.
Ochthodromus geoffroyi (Wagl.), Mengalung-Fl. Juli 1899; Punang-
Fl. Octob. 1897.
Tringoides hypoleucus (Linn.), Lokutan-Fl. Juli 1899.
Butorides javanica (Horsf.), Mengalung-Fl. Juli 1899.
Hypotaenidia striata (Linn.), Punang-Fl. Novemb. 1897.
Amaurornis phoenicura (Forst.), Punang-Fl., Octob., Novemb. 1897.
Diese Liste, in welche einige Timeliiden-Formen nach den
gütigen Vergleichungen und Bestimmungen meines Freundes Dr.
Otto Finsch in Leiden aufgenommen sind, enthält grösstenteils
Arten, deren Vorkommen in dem Gebiete von Brunei schon
früher bekannt war. Von besonderem Interesse aber dürfte es
sein, dass auf dem Marabok-Berge auch einige Arten erbeutet sind,
die man bisher nur von dem Kina-Balu kannte, wie Cyanops
monticola Sharpe und pulcherrima Sharpe. Es ist ja nicht un-
möglich, dass hier eine Verwechselung des Fundortes vorliegt;
doch spricht der Umstand, dass sogar eine grössere Anzahl von
Exemplaren dieser Arten mit der Bezeichnung: „Marabok-Berg‘“
versehen sind, und dass der Marabok-Berg selbst zu beträcht-
licher Höhe ansteigt und im organischen Zusammenhange mit dem
Kina-Balu steht, wohl für die Möglichkeit des Vorkommens.
Ausserdem möchte ich noch auf einige Seltenheiten hinweisen,
wie Indicator archipelagicus Temm., Rhinoplax vigil (Forst.), Ceyx
euerythra Sharpe, Anthothreptes hypogrammica (S. Müll.) und
simplex (S. Müll), Hydroeichla ruficapilla (Temm.) verschiedene
Pitta-Arten, Kittocinela stricklandi (Mottl. u. Dillw.), Lobiophasis
bulweri Sharpe etc. Von Kittocincla stricklandi und Lophura
nobilis (Sclat.), lagen interessante Jugendkleider vor, deren
genaue Beschreibung ich bei einer anderen Gelegenheit hoffe
geben zu können. (Die betrefienden Bälge wurden zur Vorlage
gebracht).
Bericht über die Jahresversammlung. 67
2. Vögel vom Padas-Flusse (Britisch Nord-Borneo):
Dieselben sind sämtlich in den Monaten September bis
December 1897 gesammelt, sodass ich dem Artnamen nur die
Bezeichnung des Monats hinzuzufügen habe.
Chotorhea chrysopsis (Goffin) October.
> versicolor (Raffl.) October.
Anthracoceros converus (Temm.) October, November.
# malayanus (Raffl.) November.
Rhytidoceros undulatus (Shaw.) November.
Calyptomena viridis Raffl. October.
Eurylaemus ochromelas Raffl. September, October.
Caprimulgus macrurus Horsf. September.
Poliomyias luteola (Pall.) December.
Xanthopygia cyanomelaena (Temm.) October.
Artamus leucogaster (Valeue.) October.
Lalage terat (Bodd.) October.
Cyrtostomus pectoralis (Horsf.) September.
Aethopyga siparaja (Raffl.) September.
lora viridis Bp. October.
Pycnonotus analis (Horsf.) October.
4 plumosus Blyth September.
Trichostoma rostratum Blyth October.
Kittocincla suavis (Selat.) October.
Calornis chalybaea (Horsf.) October.
Treron nipalensis (Hodgs.) September.
_ Osmotreron vernans (Linn.) September.
Treron olax (Temm.) September.
Argusianus grayi (Elliot) October, November.
Lophura nobilis (Sclat.) October, November.
Hypotaenidia striata (Linn.) October.
Amaurornis phoenicura (Forst.) October.
Ein besonderes Interesse dürften die in einer grösseren
Anzahl von Exemplaren gesammelten Bucerotiden und selteneren
Phasianiden-Arten in Anspruch nehmen.
3. Vögel von der Insel Labuan (bei Borneo):
Dieselben sind sämmtlich im December 1897 gesammelt
worden:
Loriculus galgulus (Linn.).
Jyngipicus auritus (Eyton).
5*
68 Bericht über die Jahresversammlung.
Hemicercus concretus (Temm.).
Hirundo gutturalis Scop.
Poliomyias luteola (Pall.).
Lalage terat (Bodd.).
Dicaeum nigrimentum Salvad.
Oyrtostomus pectoralis (Horsf.).
Aethopyga siparaja (Rafll.).
Anthothreptes rhodolaema Shelley.
lora viridis Bp.
Pycnonotus analis (Horsf.).
Drymocataphus capistratoides (Temm.).
Calornis chalybaea (Horsf.).
Wie schon bekannt, entspricht die Vogelfauna von Labuan
fast vollständig der Vogelfauna von Borneo.
4. Vögel vom Kina-Balu (Britisch Nord-Borneo):
In den letzten September-Tagen 1900 sah ich zuerst eine
Sammlung von Vogelbälgen, die J. Waterstraat in den Monaten
November 1899 bis Januar 1900 am Kina-Balu zusammengebracht
hat. Es sind im Ganzen 275 Exemplare, die ungefähr 55
verschiedenen Arten aus etwa 45 verschiedenen Gattungen ange-
hören. Zum Teil sind dieselben in der Höhe von etwa 1000‘,
zum grössten Teil aber in der Höhe von etwa 5000° gesammelt.
Die wenigen Tage bis zur Jubiläumsversammlung in Leipzig
reichten mir noch nicht hin, um sämtliche Arten genau zu
bestimmen; doch kann ich schon jetzt anführen, dass viele für
das Kina-Balu-Gebirge charakteristische Formen in den Reihen
vertreten sind. Während die in der geringeren Höhe gesammelten
Arten, zu denen z. B. Chotorhea chrysopsis (Goffin), COhryso-
phlegma malaccense (Lath.), Phoenicophaes borneensis (W. Blas. u.
Nehrk.), Eurylaemus ochromelas Raffl. etc., sämtlich vom Januar
1900, gehören, im Allgemeinen noch mit den Formen benach-
barter Gebiete N. Borneo’s übereinstimmen, zeigen sich unter
den bei 5000° Höhe gesammelten Vögeln viele von den eigen-
artigen Formen des Kina-Balu. Indem ich mir eine ausführliche
Behandlung dieser Sammlungen für später vorbehalte, kann ich
heute schon anführen, dass darunter beispielsweise folgende
Arten vertreten sind:
Accipiter rufotibialis Sharpe.
Harpactes whiteheadi Sharpe.
Bericht über die Jahresversammlung. 69
Oyanops pulcherrima (Sharpe).
s monticola Sharpe.
Lepocestes porphyromelas (Boie.).
Calyptomena whiteheadi Sharpe.
Hemichelidon cinereiceps Sharpe.
Rhinomyias gularis Sharpe.
Dicaeum monticola Sharpe.
Zosterops clara Sharpe.
Criniger rufierissus Sharpe.
Chlorocharis emiliae Sharpe.
Oryptolopha montis Sharpe.
Oissa minor Cab.
Dendrocitta cinerascens Sharpe.
etc. etc.
Die eingesandten Exemplare von Chloropsis flavocincta und
kinabaluensis Sharpe scheinen zu bestätigen, dass letztere Form
nur das Weibchen der ersteren Art ist; ebenso dürften die
vorhandenen Analeipus- Exemplare beweisen, dass A. vulneratus
das Weibchen von A. consanguineus ist, u. Ss. w. — Aus den
Sammlungen werden sich, wie ich hoffe, manche interessante
Schlussfolgerungen ergeben. —
II. Vögel von der Insel Nias, gesammelt von Hugo Raap.
Durch Herrn Hermann Rolle in Berlin erhielt ich zur
Durchsicht einen grossen Teil der Ausbeute von Vogelbälgen
übersandt, welche Herr Hugo Raap auf der im ganzen noch
wenig erforschten Insel Nias, vor der Westküste von Sumatra
gelegen, gesammelt hatte. Hugo Raap ist in der zweiten Hälfte
der 90er Jahre hauptsächlich durch seine für italienische Museen
ausgeübte Sammelthätigkeit auf entomologischem Gebiete bekannt
geworden. Er hat zuerst auf den Batu-Inseln, dann auf Java,
dann bis in den Juni 1897 in Ajer Bangies auf Sumatra und
schliesslich vom Juli bis December 1897 auf der Insel Nias zoo-
logischen Forschungen obgelegen und dabei auch ethnographische
Sammlungen gemacht und, seiner eigentlichen Berufsthätigkeit
nach, der Pflanzenwelt ein reges Interesse entgegengebracht.
Nach der Rückkehr aus den Tropen ist er nach Braunschweig
- übergesiedelt, wo er Besitzer einer ziemlich umfangreichen Kunst-
und Handelsgärtnerei (Salzdahlumer Strasse 62) geworden ist.
Einen Teil seiner zoologischen Sammlungen, soweit sie noch in
70 Bericht über die Jahresversammlung.
seinen Händen geblieben waren, hat er im Laufe der letzten Jahre
dem Herzoglichen Naturhistorischen Museum in Braunschweig
geschenkweise überlassen. Auf diese Weise sind mir noch einige
Vogelbälge direkt durch den Sammler zugekommen, und im
persönlichen Verkehr habe ich von demselben noch manche inter-
essante Angaben über die von ihm vorgenommene ornithologische
Durchforschung von Nias, über die einzelnen Aufenthalts- und
Sammelplätze u. s. w. erfahren, die an dieser Stelle kurz zu be-
rühren ein allgemeines Interesse darbieten dürfte. Nach Abschluss
seiner Sammelthätigkeit in Ajer Bangies landete der Reisende
etwa Anfang Juli 1897 in dem im Nordosten gelegenen Hauptorte
der Insel: Goenong Sitoli, der Hafenstadt, in welcher die aus
der Ferne anlangenden und die mit den benachbarten Inseln die
Verbindung aufrecht erhaltenden Schiffe anzulegen pflegen. Hier
und in der näheren Umgebung sammelte er zunächst im Juli 1897
etwa einen Monat lang. Von dort machte er im August einen
etwa einen Monat dauernden Ausflug in das gebirgige Innere
des Nordendes der Insel nach Hili Madjajan (oder Hili Madjeio),
wo auch J. Z. Kan negieter gesammelt hatte. Für den September
kehrte er wieder zur Hafenstadt Goenong Sitoli zurück und
unternahm dann zu Schiff von dort eine dreimonatige Rundfahrt
um die südlichen Teile der Insel, bei welcher der Oktober zu-
meist in Goenong Limboe, der November in Talock-Dalanı und
der Dezember in Lagoendi zugebracht wurde. Goenong Limboe
und Umgebung zeigte sich als eine besonders geeignete Sammel-
stelle für Sumpfvögel. Ebenso Talock-Dalam, der Hafenplatz,
in welchem später bei Gelegenheit der grossen deutschen Tiefsee-
Expedition Karl Chun mit seiner „Valdivia“ einen kurzen Auf-
enthalt nahm. Lagoendi liegt an der äussersten Südspitze der
Insel, woraus sich die Mischung interessanter Land- und Wasser-
vögel dort erklären dürfte. — Bevor ich die Raap’schen Vogel-
sammlungen durchmustern konnte, hatte ein grosser Teil derselben
bereits meinem Kollegen und Freunde Ernst Hartert in Tring
(England) vorgelegen, der darüber eine kleine Abhandlung:
„Einiges über Vögel von der Insel Nias“ (Ornithologische Monats-
berichte VI. Jahrg. Juni 1898 No. 6 3. 89—94) veröffentlicht
hat. Da auch schon eine grössere Anzahl von Exemplaren aus-
gewählt war, sind mir manche Arten nicht mehr vor Augen
gekommen. Ich kann daher über, die an den einzelnen Sammel-
stellen gesammelten Arten keine vollständigen Listen geben.
E
Bericht über die Jahresversammlung. 71
Es möge genügen, wenn ich anführe, dass z. B. bei Hili Madjajan,
im Innern von Nord-Nias, m August 1897 gesammelt sind: Gecinus
puniceus observandus Hart, , Lyncornis temmincki Gould., Ceyx dill-
wynni Sharpe, 'Terpsiphone aeg Salvad., > Dicaeum ne
Scop., ’Malacopterum magnum Eyt., eisfıcola cisticola (Temm.),
+ Burnesia superciliaris (Salvad.)Pilopus jambu (Gml.), Rallina
fasciata (Raftl.) ete. —"Burnesia superciliaris ist auch bei Goenong
Sitoli in einem etwas abweichenden Kleide gesammelt, das auf
die Berechtigung der specifischen Absonderung zu prüfen sein
würde, da mir der Sammler mündlich mitteilte, dass er nach der
verschiedenen Lebensweise und den von ihm gemachten bio-
logischen Beobachtungen die Formen für verschieden ansusehen
geneigt sei. Bei Goenong Limboe sind im Oktober 1897 z. B.
erlegt :*Miglyptes tukki (Less.), "Ploceus maculatus (L. S. Müll.),
” Oalornis altirostris Salvad. und an Sumpfvögeln:i Oharadrius
dominicus P. L. S. Müll. Ochthodromus geoffroyi (Wagl.), Arenaria
Linterpres (L.)," Totanus calidris (L.),i Glottis nebularius (Gunn.),
F Tringa ruficollis (Pall.), “Aneylochilus subarquatus (Güld.) und
L Limosa lapponica navaezealandiae Gray. — Von Talock-Dalam
stammen z. B. folgende im November 1897 gesammelte Sumpf-
vogel-Arten: *Totanus calidris (L.)," Glottis nebularius (Gunn.),
* Numenius phaeopus variegatus (Scop.) und Orthorhampus magni-
rostris (Vieill.). Die letztere Art mit verhältnismässig sehr
dickem Schnabel heisst nach Angabe des Sammlers bei den Ein-
geborenen „Bebek laut“, was soviel als „See-‘“ oder „Meerente“
bedeutet. — In und bei Lagoendi sind im Dezember 1897 z. B.
= erlegt/. Macroptery& longipennis (Rafin.),'Centropus eurycercus Hay,
+Chalcostetha insignis (Jard.), /Motacilla melanope Pall.,"Numenius
arquatus lineatus Cuv., {Ardea sumatrana Raftl. und’Hydrochelidon
hybrida (Pall.).. — Den Riesen-Reiher (Ardea sumatrana Raftl.)
hat Hugo Raap zahlreich bei Lagoendi beobachtet und erlegt.
Er erzählte mir, dass er dieselbe Art auch auf den Batu-Inseln
erbeutet habe; auch J. Z. Kannegieter, dessen Sammlungen
J. Büttikofer bearbeitet hat (Notes from the Leyden Museum
Vol. XVIII S. 161—198. 1896/97), habe die Art gesammelt.
Trotzdem fehlte die Art in der von Büttikofer gegebenen Liste,
und E. Hartert führte dieselbe erst nach Raap’s Sammlungen
im Juni 1898 in die Liste der Nias-Vögel ein, allerdings unter
dem mir unberechtigt scheinenden Namen: „Ardea goliath“, der
doch wohl der afrikanischen Form reserviert bleiben muss. —
>
ET
72 Bericht über die Jahresversammlung.
Durch die Sammelthätigkeit Hugo Raap’s sind der von Bütti-
kofer gegebenen, 128 Nummern umfassenden Liste der Nias-Vögel
17 Arten hinzugefügt. Von diesen hat Hartert 10, nämlich ausser
dem bereits erwähnten Riesen-Reiher schon in seiner angeführten
Abhandlung genannt: Lyncornis temmincki, Chalcostetha insignis,
Arachnothera chrysogenys, Ptilopus jambu, Kallina fasciata,
Orthorhamphus magnirostris, Numenius arquatus lineutus, Nume-
nius phaeopus variegatus und Arenaria interpres. Irrtümlich
führt Hartert noch Totanus hypoleucos als neu aufgefunden an,
da schon Büttikofer diese Art als Tringoides hypoleucos aufzählt
unter Hinzufügung vieler Gewährsmänner für das dortige Vor-
kommen. — In einem 1898 erschienenen Preisverzeichnisse über
exotische Vogelbälge hat Hermann Rolle (Naturhistorisches In-
stitut, Berlin N. Elsasser Strasse 47—48) auf Seite 1 und 2 nach
Hugo Raap’s Sammlungen eine leider viele Druckfehler ent-
haltende Liste der von ihm angebotenen Nias-Vögel gegeben, in
welcher 5 weitere neuaufgefundene Arten z. T. mit anderer
Nomenclatur und mit Andeutung von Varietätbildung genannt
sind, und zwar (mit Verbesserung einiger Druckfehler) 1. Macro-
pteryx longipennis, 2. Cisticola cisticola (mit Hinzufügung „var.“),
3. Limosa lapponica novaezealandiae (als „Lim. lapp. baueri [novae-
zeal.|“), 4. Totanus calidris (als „Z. c. niasensis“) und 5. Glottis
nebularius (als „Totanus [calidris] glottis var.“). — Jetzt kann ich
nun der Liste noch 2 weitere Arten hinzufügen, nämlich, bei
Goenong-Limboe im Oktober 1897 gesammelt: 6. Tringa ruficollis
(Pall.) und 7. Ancylochilus subarquwatus (Güld.). Der Sammler hat
mir mündlich mitgeteilt, dass er die ersterwähnte Art dort in
grossen Mengen beobachtet habe, während die letztere nur einzeln
vorgekommen sei. — Im ganzen lässt sich die Vogelfauna von
Nias, soweit sie uns bis jetzt bekannt geworden ist, so charakte-
risieren, dass in derselben offenbar sehr nahe Beziehungen zu
der Vogelfauna von Sumatra zu erkennen sind.
In der sich anschliessenden Besprechung des Vortrages
macht Herr Matschie auf die Beziehungen zwischen der Fauna
von Nias und derjenigen von Hinterindien, dem Mergui-Archipel
oder den Andamanen und Nikobaren aufmerksam. Unter den
Säugetieren von Nias finden sich einige, die nähere Beziehungen
zu hinterindischen und nikobaritischen Arten haben als zu den
sumatranischen.
Bericht über die Jahresversammlung. 73
Herr Graf von Berlepsch hebt hervor, dass nach seinen
Untersuchungen die Ornis von Nias sehr grosse Übereinstimmung
mit Sumatra zeige. Allerdings gebe es aber einige Arten, wie
eine Carpophaga und eine Cittocincla aus Nias, die ihre nächsten
Verwandten auf den Andamanen hätten.
Herr Hartert macht darauf aufmerksam, dass zwei der von
Herrn Blasius für Brunei erwähnten Cyanops bisher nur vom Hoch-
sebirge bekannt sei, dass der Sammler Waterstraat dort nicht
selbst gesammelt habe und vielleicht eine Fundortsverwechslung
nicht ausgeschlossen sei.
Hierauf erhält Her J. Thienemann das Wort.
Über Zwecke und Ziele einer ornithologisehen Beobachtungs-
station in Rossitten auf der Kurischen Nehrung.
Von J. Thienemann.
Meine verehrten Herren! Gestatten Sie, dass ich an den
Vortrag Naumanns über den Vogelzug anknüpfe, den er im
Jahre 1845 auf der ersten Ornithologen-Versammlung in Köthen
gehalten hat und den ich Ihnen nachher im Manuskripte vorzu-
legen die Ehre haben werde. Der Verfasser weist darin auf die
srossen Rätsel hin, die uns der Vogelzug aufgiebt, und will ganz
davon absehen, an die Lösung und Erklärung derselben heran-
zutreten, da noch viel zu wenig Beobachtungsmaterial vorläge.
Mein Grossonkel, Dr. Ludwig Thienemann, giebt zu diesem
später in der „Rhea‘ abgedruckten Vortrage eine Nachschrift,
worin er’hervorhebt, dass erst dann mehr Licht in das Dunkel
des Vogelzuges gebracht werden könnte, wenn an den verschie-
densten Punkten Europas zuverlässige ornithologische Beobachter
stationiert wären, die ihr gesammeltes Material zu vereinigen
hätten. Also schon damals findet sich ein Hinweis auf die
Wichtigkeit von ornithologischen Beobachtungsstationen, vielleicht
der erste. Wenn nun auch seit jener Zeit viel in der Erforschung
der Biologie der Vögel gethan ist: wenn Gätke fünfzig Jahre lang
mit wunderbaren Erfolgen auf Helgoland beobachtet hat, wenn
das permanente internationale ornithologische Comite seine Thä-
tigkeit entfaltet hat, wenn die rührige Ungarische ornithologische
Centrale uns ihre imposanten Zugdatenreihen vorlegen kann,
wenn die deutsche ornithol. Gesellschaft, z. B. in den 70er Jahren,
durch Aufrufe an die Beobachter Deutschlands anregend gewirkt
74 Bericht über die Jahresversammlung.
hat u. s. w., so wird gewiss keiner von uns behaupten, dass be-
reits genug geschehen sei, dass wir über die Zugerscheinungen
und andere biologische Momente in der Vogelkunde genügend
aufgeklärt wären und jetzt die Hände müssig in den Schoss
legen dürften; — nein ich meine, dass gerade durch die Erfolge,
die man bis jetzt in obiger Hinsicht erzielt hat, die grossen noch
auszufüllenden Lücken aufgedeckt worden sind. Und gerade in
neuester Zeit wird ja die biologische Seite in der ornithologischen
Wissenschaft besonders der Berücksichtigung empfohlen. Diesen
Eindruck bekommt man vor allem, wenn man die Verhandlungen
der vorjährigen Ornithologen-Versammlung in Sarajewo durch-
studiert. Von allen Seiten wurde da die Gründung ornitholo-
gischer Beobachtungsstationen gefordert und — das möchte ich
besonders hervorheben — die Mithilfe des Staates dazu angerufen.
In Deutschland sind es nun bis jetzt zwei Punkte, die durch
ihre Lage besonders geeignet erscheinen, Beobachtungen über
den Vogelzug und andere Erscheinungen anzustellen: das ist
erstens das vielgenannte Helgoland und zweitens die Kurische
Nehrung, besonders der Ort Rossitten. Seit vier Jahren verkehre
ich in diesem Nehrungsdorfe, habe in den Jahren 1896, 97 und
98 ornithologischer Studien halber meine Ferien dort zugebracht
und mich dann zusammenhängend ein Jahr lang, ich möchte
sagen, probeweise daselbst aufgehalten, um zu sehen, ob der
dortige Aufenthalt in ornithologischer Beziehung lohnend sei, oder
nicht. Nun, ich muss sagen m. H., dass es für einen Ornithologen
dort viel zu schaffen giebt. So ist denn in mir der Plan auf-
getaucht, auf der Nehrung eine dauernde ornithologische Station
zu gründen, und liebe und verehrte Freunde und Gönner haben
mich in meinen Bestrebungen aufs wärmste unterstützt, wofür
ich ihnen von ganzem Herzen dankbar bin.
Es kann nun nicht meine Aufgabe sein, Ihnen hier bei der
Kürze der Zeit etwa die dortigen Örtlichkeiten genau zu beschreiben
und andererseits die ganze Organisation einer solchen Station,
die sich meist aus der Praxis erst ergeben wird, klarzulegen;
nein, nur einige Punkte möchte ich aus der Fülle des Stoffes
herausgreifen, aus denen Sie einerseits die für unsere Zwecke
günstige Lage Rossittens und andererseits die Zwecke und Ziele
der geplanten ornithologischen Station selbst im Grossen und
Ganzen erkennen können. Ganz kurz muss ich zunächst auf die
Lage Rossittens eingehen.
Bericht über die Jahresversammlung. 75
Die Kurische Nehrung ist der schmale Streifen Land, der
sich in einer Länge von 97 km. vom Samland, speziell vom Ost-
seebad Cranz aus bis nach Memel zwischen der Ostsee und dem
Kurischen Haff hinzieht. Mehr als die Länge interessiert uns
vielleicht die Breite dieser eigentümlichen Landzunge. Die grösste
Breite, welche rund gerechnet /, Stunde Wegs beträgt, erreicht
die Nehrung bei Rossitten, wo sich deshalb, nebenbei bemerkt,
zur Brunstzeit sämtliches Elchwild der Nehrung zusammenfindet.
Es giebt aber auch Stellen, die nur 1/, km. breit sind, wo man
also bequem in 5 Minuten von der See nach dem Haff wandern
kann. Ich habe in einem früheren Vortrage die Nehrung ein-
mal als ein Land voll von Gegensätzen bezeichnet. Man merkt
das schon, wenn man nur einen flüchtigen Blick auf die Special-
karte wirft, die ich Ihnen hier mitgebracht habe. Da bemerken
Sie zunächst von Süden her meilenweit Wald, den Üranzer,
Grenzer und Sarkauer Wald. Dann folgt ganz unvermittelt Wüste,
die reine Wüste, wo das Auge nichts als gelben Sand erblickt,
zu ebener Erde, auf der sogenannten Pallwe, zuweilen noch not-
dürftig mit einzelnen Grashalmen bewachsen, auf den Wander-
dünen dagegen, die hier ihren Anfang nehmen, jedes Pflanzen-
wuchses entbehrend. Dann folgt wie eine Oase in der Wüste
Rossitten, von Wald, Wasser, Wiesen, Sumpf und Feld umgeben.
Ja, meine Herren, Sie können dort ebenso wie hier zu Lande
durch wogende Weizenfelder wandern und vermögen dabei ganz
zu vergessen, dass Sie in kurzer Zeit auf einem Gebiete sein
können, wo der Boden nicht die Kraft hat, auch nur ein einziges
Grashälmchen zu erzeugen.
So unvermittelt abwechselnd zwischen Wald, Wüste, Wasser
und Sumpf zieht sich dann die Nehrung weiter bis zu ihrem
nördlichsten Ende, der sogenannten Süderspitze, Memel gegenüber.
Auch bei unsern Nehrungsexkursionen treten uns Gegensätze
in der Natur mannigfach entgegen. Da sind wir eben noch auf
festem Boden und beim nächsten Schritte sinken wir bis über
die Knie, oder sind wir zu Pferde, bis an den Bauch des Tieres
ein. Wir sind in den tückischen Triebsand geraten und werden
von der nassen, zähen Sandmasse wie von unterirdischen Ge-
walten festgehalten. Auch die Menschen zeigen mancherlei Ge-
gensätze. Im allgemeinen herrscht unter der Bevölkerung ein
relisiöser Sinn, der sich aber vielfach in ungesunder Weise ent-
wickelt hat, so dass das Sektenwesen, Frömmelei und auch noch
76 Bericht über die Jahresversammlung.
krasser Aberglaube an der Tagesordnung sind. Da kommt es
nun zuweilen vor, dass so ein biederer Familienvater am Sonntage
bis gegen Abend mit seinen Hausgenossen betet, dann sich nach
allen Regeln der Kunst bezecht und die Frau durchprügelt.
Da haben Sie denn einen, wenn auch wenig erfreulichen Gegen-
satz von der Kurischen Nehrung.
Dass die Nehrung bei der oben geschilderten Mannigfaltigkeit
des Geländes den verschiedenartigsten Vögeln Existenzbedingungen
bietet, liegt klar auf der Hand, und so werden sich zur Brutzeit,
wo noch kein Ornithologe dauernd dort gewesen ist, noch manche
interessante neue Beobachtungen machen lassen, vor allem wenn
man die am entgegengesetzten litauischen Haffufer gelegenen,
riesigen Rohrwälder und Sümpfe mit in Betracht zieht, wo man,
ohne dieselben Orte wieder zu besuchen, halbe Tage lang per
Kahn herumfahren kann, und in denen man sich einfach verirren
würde, wenn man nicht einen kundigen Botsführer bei sich hätte.
Diesen wunderbaren Landstrich, die Nehrung, aber weiter
noch als eine Vogelzugstrasse ersten Ranges entdeckt zu haben,
dies Verdienst gebührt meinem lieben Freunde, dem Pastor Dr.
Fr. Lindner in Osterwieck a. Harz, der Ende der 80. Jahre die
Nehrung zuerst aus ornithologischem Interesse bereist hat, und
so hätte denn eine ornithologische Station in Rossitten neben
der Beobachtung der Brutvögel ihr Hauptaugenmerk zu-
nächst auf die Erforschung des Vogelzuges zu richten.
Trotz der lückenhaften Beobachtungen, die ich bisher in
Rossitten anstellen konnte, habe ich doch schon ganz hübsche
Resultate erzielt, die ich demnächst zusammenstellen und ver-
öffentlichen werde. Hier kann ich nur weniges erwähnen. Am
meisten frappiert einen oft die Regelmässigkeit und Pünktlich-
keit, mit der die Zugvögel eintreffen. Ich könnte Ihnen schon
jetzt den Verlauf des Herbstzuges, natürlich nur im Grossen und
Ganzen, herzählen: In der zweiten Hälfte des Juli treffen die
Brachvögel ein, Numenius arcuatus und phaeopus, auch tenui-
rostris ist hier schon erlegt. Dann folgen die Tringen, und zwar
erlegt man zuerst fast lauter Tringa alpina schinzi, die von
den typischen Alpenstrandläufern getrennt ziehen. Im August
folgen die Totaniden und Limosen, im September die Haupt-
schwärme der Tringen, Tringa alpina, deren schwarze Unter-
seite jetzt schon teilweise im Verschwinden begriffen ist, minuta
iemmincki, canutus, letztere teilweise mit noch roter Unterseite, ferner
Bericht über die Jahresversammlung. 77
die Charadrien. Im Oktober dann die Gänse und Enten. Zwischen-
ein finden Züge von Kleinvögeln statt. Schon im Juli bemerkt
man sehr viel Finken, Fringilla coelebs, und zwar fast nur
Junge, an manchen Tagen sind zahlreiche Laubvögel zu be-
merken, Ende August und Anfang September Steinschmätzer, im
Oktober Drosseln, Dompfaffen und viel Rotkehlchen. Es folgen
dann die nordischen Gäste: Seidenschwänze, Schneeammern,
Hakengimpel, Alpenlerchen u. a., an grossen Vögeln die nordischen
Enten. Im September finden regelmässig Raubvögelzüge statt.
Bemerkenswert ist besonders der fast in jedem Herbste zu be-
obachtende Zug von Falco rufipes, fast nur Jugendkleider. Das
frappanteste Beispiel für das pünktliche Eintreffen einer Vogel-
art konnte ich in den Jahren 1897 und 98 beobachten. Am 19.
Juli 97 erlegte ich auf der sogenannten Vogelwiese bei Rossitten
5 Stück Limicola platyrhyncha und am 21. Juli des folgenden
Jahres 6 Stück genau an derselben Stelle der kleinen Lache.
Überhaupt ist es mir aufgefallen, dass manche Zugvögel für eine
bestimmte Örtlichkeit eine ganz besondere Vorliebe zeigen; so
beobachtete ich an zwei aufeinanderfolgenden Jahren die Alpen-
lerchenflüge auf denselben Ackerstücken, die sich in keiner Hin-
sicht von den umliegenden Feldern auszeichneten. — Ich meine
nun, wenn man alles das Jahre hindurch genau aufzeichnete und
die meteorologischen Verhältnisse stets dabei berücksichtigte, so
könnte man später gewiss wichtige Schlüsse in Bezug auf den
Vogelzug ziehen, und so manches, was einem jetzt als Zufällig-
keit erscheint, würde sich dann aufklären. Natürlich dürfte sich
die Station nicht nur auf Rossitten beschränken und nach aussen
hin abschliessen, nein, sie müsste nach Norden und Süden und
Osten und Westen hin andere zuverlässige Beobachter suchen
und weiteres Material einholen. Bemerken will ich noch, dass
sich in dem Nehrungdorfe Nidden und ferner auf dem Festlande,
der Süderspitze gegenüber, zwei grosse Leuchttürme befinden, an
denen während der Zugzeit viel Vögel anfliegen, die bisher von
der Wissenschaft fast ganz unberücksichtigt geblieben sind.
Wir alle haben gewiss schon öfter mit Verwunderung, viel-
leicht auch mit stillem Neide gelesen, wie Gätke auf Helgoland
von seinem Fenster aus, oder in seiner Gartenhecke, die seltensten
Laubvögel und anderes geschossen hat. Ähnliches kann einem
in Rossitten auch passieren. Wenn ich z. B. vom Kaffeetische
aus, der im Freien serviert war, meine erste Steppenweihe er-
78 Bericht über die Jahresversammlung.
legt habe, so ist das gewiss ein Erlebnis, das einem anderwärts
nicht so leicht vorkommt. Ohne Gewehr und Fernglas darf der
Ornithologe in Rossitten überhaupt nicht ausgehen, selbst meine
Besuche habe ich in diesem etwas ungewöhnlichen Aufzuge ge-
macht. Hier in Leipzig braucht man das nicht. Übrigens ist
es aber nicht immer so leicht, seltene Vögel zu bekommen und
interessante Beobachtungen zu machen. Oft heisst es, anstrengende
Ausflüge zu Fuss oder zu Pferde in dem losen Sande unter-
nehmen!
Bis jetzt habe ich über den Vogelzug im Allgemeinen ge-
sprochen, nun noch ein kurzes Wort über seine einzelnen
Momente: Höhe, Schnelligkeit u. s. w. Auch diese genauer zu
beobachten und zu studieren, bietet die Nehrung ein günstiges
Feld, vor allem, weil es seiner geringen Breite wegen leicht zu
übersehen ist. Die Vögel können, wenn ich mich so ausdrücken
darf, dem Beobachter nicht ausweichen. Ausserdem zeigt aber
die Nehrung noch eine Erscheinung, die so recht geeignet ist,
exakte Beobachtungen über die oben erwähnten schwierigen und
dunklen Fragen anzustellen — ich meine die ausgeprägten,
regelmässigen Krähenzüge. Jetzt, während wir hier tagen, setzt
in Rossitten der Herbstkrähenzug ein. Da sieht man, so weit das
Auge reicht, die ganze Nehrung entlang nichts als eine lange
Kette dieser dunkeln Vögel, meist C. cornix untermischt mit C.
frugilegus, und wie merkwürdig! Heute eilen sie in unabseh-
barer Höhe ohne Aufenthalt dahin und kümmern sich um nichts,
was auf der Erde vorgeht, und morgen streichen sie ganz niedrig
über den Erdboden weg, fallen an jeder Fanghütte bei den an-
gepflöckten Lockkrähen und den ausgestreuten Köderfischen ein
und werden eine willkommene Beute der Nehrunger, die sie
sich für den Winter einpökeln. Dann wieder fliegen sie frei über
die Baumwipfel dahin, und ein andermal suchen sie fast ängstlich
Schutz hinter der Vordüne. Sollten sich nicht, so frage ich
wiederum, bei fortgesetzter gewissenhafter Beobachtung unter
Berücksichtigung der meteorologischen Verhältnisse und unter
Heranziehung anderer, in bestimmter Entfernnng von hier wohnender
Beobachter wichtige Aufschlüsse über die einzelnen Momente
des Vogelzuges finden lassen ?
Das Zweite, worauf die Station ihr Augenmerk zu richten
hätte, wäre dieAnlegung einer Vogelsammlung. Ein kleiner
Grundstock dazu ist in Rossitten schon vorhanden, und wenn
-Bericht über die Jahresversammlung. 79
man dann sieht, wie das hier zum Sommeraufenthalt weilende
oder durchreisende Publikum vor dem kleinen Sammlungsschranke
steht und sich mit regem Interesse über die Nehrungsornis zu
informieren sucht, so bedauert man, nicht mehr bieten zu
können. Aber nicht nur eine gewöhnliche Schausammlung, die
für das grössere Publikum als wichtiges Bildungsmittel dienen
könnte, vermöchte man hier zusammenzubringen, sondern eine
Vogelkollektion, die für jeden Fachmann von grösstem Interesse
wäre. Ich erinnere nur daran, dass man hier nach und nach
die verschiedenen schwierigen Strandvögel- und Entenkleider
zusammenstellen könnte. So würde diese Ostsee-Sammlung viel-
leicht, bescheiden anfangend, ein Pendant zu der Nordsee-Sammlung
Gätkes werden.
Den dritten Punkt möchte ich nennen: „Beschaffung von
Material.“ Wenn ich meine Reisen nach der Nehrung antrat, hatte
ich jedesmal eine Anzahl Aufträge und Bestellungen von wissen-
‚schaftlichen Instituten und Privatsammlern in der Tasche. Hier
wollte man Bälge haben, dort Vögel im Fleisch, dort Vogelmägen
für wissenschaftliche Untersuchungen, dort die Parasiten der
Strandvögel und dergl. mehr. Man fühlte dann ordentlich das
Bedürfnis einer Centralstelle, an die man sich bei Bedarf zu
wenden hätte. Die Station müsste also nach dieser Richtung
hin mit wissenschaftlichen Instituten und Privatsammlern in
Verbindung treten, und die Erforschung der ostpreussischen
Fauna, die für die Wissenschaft von grösstem Interesse ist, würde
dadurch sehr gefördert werden.
Schliesslich hätte die Station auch dem Vogelschutze
ihr Interesse zuzuwenden. Es wären z. B. Untersuchungen über
praktische Winterfütterung anzustellen. Vor allem böte sich
unter anderem hier auf diesem abgeschlossenen, übersehbaren
Gebiete die günstigste Gelegenheit, umfangreiche Versuche mit
Berlepsch’en Nistkästen anzustellen. Hier sind bis jetzt wenig
oder keine Höhlenbrüter vorhanden, da es an alten, hohlen
Bäumen fehlt. Es würde sich darum handeln festzustellen,
ob man durch Aufhängen von Nistkästen die oben genannten
Vögel in eine solche Gegend hinziehen kann. Wäre das möglich,
dann würde die Land- und Forstwirtschaft grossen Vorteil davon
haben, und wer weiss, ob dann nicht die Schwammspinner-
Epidemien, von denen jetzt öfter die hiesigen Wälder heimgesucht
werden, nachlassen würden.
80 Bericht über die Jahresversammlung.
Das wären so einige Punkte, die in grossen Zügen die Auf-
gaben der geplanten ornithologischen Station darlegen könnten.
Sollte ich bei Ihnen ein wenig Interesse für unsere Pläne erregt
haben, so wäre der Zweck meiner Worte erfüllt. Ich bin in
diesen Tagen von manchem der anwesenden Ornithologen gefragt
worden, ob man nicht auch einmal nach der Nehrung kommen
könnte, um sich alles mit eigenen Augen anzusehen. Nun ich
meine, dass recht zahlreicher Besuch von auswärtigen Ornitho-
logen unsere Sache nur fördern kann, und so gestatte ich mir,
Ihnen zum Schluss für den Fall, dass aus der geplanten Station
etwas werden sollte, ein „auf Wiedersehen in Rossitten“ zuzurufen.
Herr Reichenow tritt bei der Besprechung warm für die
Errichtung einer Vogelwarte in Rossitten ein und giebt bekannt,
dass der Vorstand der Gesellschaft sich bereits mit einer Ein-
gabe an die Kgl. Preussische Staatsregierung gewandt habe, um
die nötigen Mittel für den Zweck zu erhalten. Es sei begründete
Aussicht auf Verwirklichung des Planes vorhanden.
Herr Graf von Berlepsch weist darauf hin, dass auf
Helgoland Tringa schinzi auch sehr frühzeitig erscheine, Ende
Juli oder Anfang August, und dass Limicola in ihrem Benehmen
sowohl an Tringa, als auch an Gallinago gallinula erinnere.
Herr Hartert bittet, die Bestrebungen des Herrn Thiene-
mann zu unterstützen. Noch viele wichtige Aufgaben seien auf
der Kurischen Nehrung zu lösen. Er erinnere nur daran, dass
Turdus iliacus als Brutvogel bei Memel festgestelltsei und möglicher-
weise auch anderweitig in jenen Gegenden vorkommen könnte.
Herr R. Blasius dankt Herrn Thienemann für seinen an-
regenden Vortrag und macht ebenfalls auf die mannigfaltigen
Aufgaben aufmerksam, die auf einer Vogelwarte in Rossitten zu
lösen wären.
Herr Grafvon Berlepsch hält hierauf seinen angekündigten
Vortrag.
Bericht über die Jahresversammlung. 8i
Mitteilungen über die von den Gebrüdern
6. und 0. Garlepp in Bolivia gesammelten Vögel
und Beschreibungen neuer Arten.
Von Hans Graf von Berlepsch.
Verschiedene Umstände haben mich leider bisher verhindert,
die von den Gebrüdern Gustav und Otto Garlepp in Bolivia für
mich zusammengebrachten überaus reichen ornithologischen
Kollektionen systematisch zu bearbeiten. Die Arbeit ist allerdings
keine leicht zu bewältigende, denn es handelt sich um etwa
4000 Vogelbälge, welche ungefähr 800 Arten repräsentieren.
Wohl selten ist eine so vollständige und schöne Vogel-
Sammlung in einem tropischen Faunengebiete angelegt worden.
Alle Vogelbälge tragen wissenschaftliche Etiquetten mit Angaben
über Geschlecht, Fundort und Datum und sind in ganz hervor-
ragender Weise präpariert.
Hoffentlich wird es mir in nicht: zu ferner Zeit möglich
sein, die Resultate der Garlepp’schen Forschungen dem ornitho-
logischen Publikum zugänglich zu machen.
Von den in den Garlepp’schen Kollektionen vorgefundenen
neuen Arten habe ich bereits einzelne nach und nach bekannt
gegeben, nämlich:
1. Upucerthia harterti Berl. Sitzungsber. Orn. Ges. 1392 p. 10.
2. Orypturus garleppi Berl. ibid. p. 12.
3. Nothoprocta moebiusi Berl. ibid. p. 13.
4. Oompsospiza (nov. gen.) garleppv Berl. Ibis 1893 p. 207
| Pl. VI.
. Serphophaga munda Berl. Orn. Monatsb. 1893 p. 12.
6. Merganetta garleppi Berl. Orn. Monatsber. 1894 p. 110.
7. Mitrephanes olivaceus Berl. Stolzm. Ibis 1894 p. 391
(Peru u. Bolivia).
8. Chrysotis aestiva zanthopterye Berl. Orn. Monatsber.
1896 p. 173.
9. Metallura malagae Berl. Journ. f. Orn. 1897 p. 90.
Ferner habe ich im Ibis 1898 p. 62 ff. über die Wieder-
entdeckung des interessanten Idiopsar brachyurus Cass. durch
Herrn Gustav Garlepp berichtet.
Heute soll nun wiederum eine Serie von 20 durch die Herrn
Gustav und Otto Garlepp entdeckten neuen Formen zur Be-
Journ, f, Orn, XLIX, Jahrg. Januar 1901. 6
ot
82 Bericht über die Jahresversammlung.
schreibung gelangen, womit aber die Zahl der in diesen Samm-
lungen enthaltenen Novitäten noch keineswegs erschöpft ist:
+1. Vireolanius bolivianus Berl. sp. nov.
V. dorso alis et cauda extus olivaceis, pileo usque ad
nucham capitisque lateribus cinereis, fronte nigro variegato, stria
superciliari lata a naribus usque ad nuchae latera necnon macula
suboculari et corpore subtus flavis, lateribus olivaceo indutis.
Obs. V. leucotis dieto affınis, sed stria alba subauriculari
destituto, pileo anteriore magis nigro vario, dorso obscuriore
viridi, corpore subtus pallidiore flavo, nec non rostro graciliore
distinguendus.
habitat in Bolivia sept. or.: Quebrada onda (coll. Garlepp).
typus in Mus. H. v. B. no. 1922. Quebrada onda.
al. 691/,—681/,, caud. 601/,—541/,, culm. 18—17?/,, tars.
211/,—20°/, mm.
Weder in Peru noch in Bolivia war bisher eine Vereolanius-
Art nachgewiesen worden. Diese neue von Herrn Gustav Garlepp
entdeckte Art steht dem V. leucotis (Sws.) aus Ost-Ecuador am
nächsten, unterscheidet sich aber leicht durch den vollständigen
Mangel der weissen Binde, welche bei jener unter dem gelben
Fleck unter dem Auge beginnt und sich bis zum hinteren Rand
der Ohrdecken fortsetzt, ferner durch mehr schwärzlich gefleckten
aschgrauen Vorderscheitel, düsterer grünen Rücken, matteres
grünlicheres Gelb der Unterseite, schlankern Schnabel, längern
Schwanz und kürzere Flügel.
Drei Exemplare dieses Vireolanius wurden von Herrn Gustav
Garlepp am nordöstlichen Abhang der bolivianischen Anden bei
Quebrada onda im Juli 1892 erbeutet.
4-2. Conirostrum lugens Berl. sp. nov.
C. $ mari 0. atrocyaneum Lafr. dicto similis, sed dorso alis
caudaque extus necnon corpore subtus reliquo unicoloribus
fumoso-nigris, pileo humerisque solummodo cyaneis abdomine
olivaceo leviter tincto (in ©. atrocyaneum dieto pileo uropygio,
tectrieibus alarum superioribus brevibus cyaneis, dorso medio
remigibus retricibusque extus et abdomine obscure cyaneo lavatis).
9 a foemina ©. atrocyaneum Lafr. dictae abdomine sordidius
flavo viridi et colore griseo juguli minus ad pectus producto vix
distinguenda.
Bericht über die Jahresversammlung. 83
Lt. 93 128—120, al. 71—691/),, caud. 58—55t/,, culm.
111/,—103/,, tars. 15%, —151/), mm. 99 al. 62'/,, caud. 52, culm.
BE stars. 152/., mm.
habitat in Yungas Boliviae orientalis: Cocapata, Quebrada
onda (coll. G. Garlepp).
typus in Mus. H. v. B.: 3 Cocapata 6. IV. 1892 G. Garlepp
no. 1488. 2 Cocapata 5. IV. 1892 G. Garlepp no. 1483.
Der Vertreter des C©. atrocyaneum Lafr. in den östlichen
Yungas in Bolivia unterscheidet sich leicht im männlichen Kleide
vom typischen Ecuador -Vogel durch fast einförmig matt rauch-
schwarze Färbung des Gefieders. Nur der Scheitel und die
kleinsten oberen Flügeldeckfedern (Schultern) erscheinen bei
diesen Vögeln, welche ich unter dem Namen (©. lugens trenne,
blau gefärbt, nicht aber der Mittel- und Unterrücken und die
Scapularfedern. Die Flügel- und Schwanzfedern entbehren eben-
falls der blauen Säume und abdomen und Unterschwanzdeckfedern
zeigen statt des bläulichen einen düster olivengrünlichen Anflug.
Die Weibchen des (©. lugens sind kaum von denen des Ü. atro-
cyaneum zu unterscheiden, nur scheint bei ihnen das abdomen
constant grünlicher gelb, weniger lebhaft gelb gefärbt und das
Blaugrau der Brust und Gurgel scheint sich nie so weit über
die Oberbrust hinaus auszudehnen.
Vögel aus Nord-Peru (Tamiapampa) stimmen vollständig
mit Ecuador-Vögeln überein, dagegen dürften die Vögel aus
Central-Peru (cf. Berl. et Tacz., P. Z. S. 1896, p. 335) und
solche von den westlichen Yungas von Bolivia (S. Antonio coll.
Garlepp) zu einer Zwischenform gehören, welche jedoch dem
©. otrocyameum (Lafr.) näher steht als dem C. lugens und sich
von ersterer im männlichen Kleide nur durch matter schwärz-
liche Körperfärbung, schwächern bläulichen Anflug am Unter-
rücken und den Scapularfedern wie auch am Bauch und den
Unterschwanzdeckfedern unterscheidet. Ich nenne diese Zwischen-
form: CO. atrocyaneum sordidum und lege die Vögel von S.
Antonio, W. Bolivia als Typen zu Grunde.
13. Calliste sophiae Berl. sp. nov. |
©. dorso superiore nigro splendide viridescenti-Havo striato,
capite supra usque ad nucham, colli lateribus humerisque splen-
dissime aureo-flavis, oculorum eireuitu striaque infra aures pal-
lidius flavis; linea frontali, macula ad basin rostri cum mento,
6*
34 Bericht über die Jahresversammlung.
ciliis oculorum et plaga magna auriculari nigris; gula, jugulo
pectoreque superiore splendide castaneo-aureis, hoc colore sensim
in colorem abdominis sordidius aureo-flavum vergente; remigibus
rectrieibusque nigris, tertiariis et tectricibus alarum majoribus
aureo-viridi marginatis; subalaribus remigumque marginibus in-
ternis albis.
©. ©. pulchra Tsch. dietae affinis differt colore gulae cas-
taneo obscuriore usque ad pectus producto; colore capitis pure
aureo-flavo nec aurantiaco, necnon plaga auriculari nigra multo
magis extensa, coloribus dorsi abdominisque obscurioribus, rostro
etiam breviore.
Long tot. 150, 135, al. 74, 72, eand. 53,. 50, culm.. 102,
ll stars. 17 2, 2mm.
habitat in Yungas Boliviae oceidentalis: Songo (coll. Otto
Garlepp).
typus in Mus. H. v. B.: -,.g Songv 4. V 1896. O. Garlepp
no. 2217.
Herr Otto Garlepp sammelte zwei Exemplare dieser
neuen, leicht von ©. pulchra Tsch. zu unterscheidenden Art.
Die kastanienbraune Färbung von Kehle, Gurgel und Ober-
brust erscheint matter als bei ©. pulchra und erinnert. fast an
diejenige von C. arthusi. Am auffallendsten unterscheidet sich
0. sophiae von O. pulchra durch die Färbung des Oberkopfes
und Seitenhalses welche Partieen bei ihr prächtig goldgelb er-
scheinen mit etwas grünlicher Beimischung und verloschenen
schwärzlichen Fleckchen aın Hinterkopfe, während bei ©. pulchra
der Oberkopf rein feurig orangegoldgelb erscheint. Die Gegend
ums und unter dem Auge erscheint heller gelb, fast schwefelgelb
statt goldgelb. Die Säume der Rückenfedern sind grünlich gold-
gelb statt rein goldgelb gefärbt, auch die Färbung des Unter-
rückens und des Abdomen ist eine mattere und schmutzigere.
Der schwarze Oberfleck erscheint viel grösser, fast doppelt so
breit. Der Schnabel ist kürzer.
Auf Wunsch der beiden Gebrüder Garlepp verwende ich
den Vornamen ihrer Mutter für diese prächtige Art, indem ich
ihnen hierdurch gern die Gelegenheit gebe, das Gefühl kindlicher
Pietät zum Ausdruck zu bringen.
Das im Catalog des Britischen Museum vol. XI p. 110 unter
C. pulchra mit i aufgeführte Exemplar aus Bolivia (Buckley)
dürfte zu ©. sophiae gehören.
Bericht über die Jahresversammlung. 85
+4. Malacothraupis gustavi Berl. sp. nov.
M. corpere supra obscure cinereo, corpore inferiore clari-
ore, abdominis medii plumis subtiliter albescente fasciatis, pileo
usque ad nucham rufo-castaneo, postea et ad colli latera nigro
marginato; fronte anguste nigro; loris nigrescentibus; regione
malari maculis albescentibus vario; maxilla pedibusque corneis,
mandibula pallida.
Long. tot. 150, al. 721/,, caud. 69, culm. 15, tars. 191/, mm.
Obs. M. M. dentata Scl. et Salv. dietae forma similis, dif-
fert pileo pulchre rufo-castaneo nec cinereo-nigro, superciliis et
abdomine medio cinereis minime albis, corpore inferiore reliquo
cum capitis lateribus cinereis minime rufis.
habitat: in Yungas Boliviae oceidentalis: Chaco (coll. G.
Garlepp).
typus in Mus. H. v. B. „g“ Chaco 4. VII 1894 (G. Garlepp
legit no. 670.
E Bei der Beschreibung dieser neuen Art hege ich einige
Zweifel ob es sich nicht vielmehr um ein bisher unbekanntes
Kleid (vielleicht das 3 ad.) der M. dentata Sel. et Salv. handelt.
Jedenfalls wäre eine so grosse Differenz in der Färbung der
Geschlechter der M. dentata sehr auffallend und der leider zu
früh verstorbene Mr. Osbert Salvin, dem ich den oben beschrie-
benen Vogel vorlegte, gab sein Urteil dahin, ab, dass es sich um
eine zweifellos neue Malacothraupis-Art handele.
Die Veranlassung zu meinen Zweifeln bietet mir ein eigen-
tümlicher, Vogel, welchen Herr Gustav Garlepp bei Quebrada
onda in den östlichen Yungas von Bolivia gesammelt hat (no.
1852 $ s. Quebrada onda 24. VI 1892), und welcher gewisse
Färbungscharaktere der M. dentata mit denen der oben be-
schriebenen M. gustavi verbindet.
Dieser Vogel hat den Rücken nebst Flügel und Schwanz
wie bei M. gustavi gefärbt nur etwas intensiver. Der Scheitel
erscheint vorwiegend schwarzbraun nach der Stirn zu mehr asch-
graulich (wohl wie bei M. dentata), aber überall mit kastanien-
braunen Federn vermischt, namentlich im Nacken. Der Vogel
besitzt wie M. dentata lange weisse Superciliarstreifen, welche
jedoch teilweise schwärzliche und rotfarbene Mischung zeigen.
Die oberen Kopfseiten erscheinen aschgrau, die unteren aber
sind stark rotbraun überlaufen. Die Unterseite erscheint auf
86 Bericht über die Jahresversammlung.
weisslichem Grunde verloschen aschgraulich gebändert, Kehle
und Brust sind blass rostfarben überlaufen. Die Unterflügel-
deckfedern sind aschgrau und weisslich gemischt. Der Unter-
schnabel ist wie bei M. gustave gefärbt, aber der ganze Schnabel
ist merklich kleiner.
Ob nun dieser Vogel das Jugendkleid (3 juv.) von M. den-
Zata repräsentiert, ob dann vielleicht der von Sclater et Salvin
als M. dentata beschriebene Vogel das © ad. und der oben als
M. gustavi charakterisierte Vogel das $ ad. derselben Spezies
darstellt, oder ob es sich um zwei ganz verschiedene Malacothrau-
pis-Arten handelt muss durch weitere Forschungen erwiesen
werden.
Jedenfalls erhoffe ich von dieser zu Ehren des unermüd-
lichen Forschers Gustav Garlepp benannten Art dass sie sich
als eine sogenannte „gute“ bewähren wird.
+ + 5. Ohlorospingus fulvigularis Berl. sp. nov.
Chl. corpore supra flavescenti-olivaceo-viridi, pileo capitisque
lateribus terreno-brunneis, macula post-et supraoculari alba, gula
isabellino-fulva, inconspicue nigro punctulata, pectore flavo lavato,
abdomine medio pure albo, lateribus tectricibusque subcaudalibus
flavo-olivaceis.
Long. al. 67—63!/,, caud. 59—54, culm. 11—103/,, tars.
21—201/, mm.
Obs. Ohl. Chl. albitemporalis Lafr. dieto e Bolivia septen-
trionali-oceidentali affınis, differt gula isabellino-fulva nec sor-
dide alba, pectore flavo magis fulvo induto, necnon pileo terreno-
brunneo nec brunneo-nigro.
habitat: in Bolivia orientali: Samaipata, S. Jacinto.
typus in Mus. H. v. B.: Samaipata 29. VIII 1890 (G.
Garlepp no. 779).
Es handelt sich hier um eine östliche Form des bekannten
Ohlorospingus albitemporalis Lafr., welche sich leicht durch die
isabellrostgelbe Kehle, orangerostgelben Anflug an der Brust
und hellbraunen statt schwarzbraunen Scheitel unterscheidet.
Auch erscheint der Rücken gelblicher olivengrün.
Am nördlichen Abhang der bolivianischen Anden scheint
schon der echte Chl. albitemporalis Lafr. vorzukommen; denn ich
vermag einen bei S. Cristobal (Yungas) von G. Garlepp gesam-
melten Vogel (no. 1705), nicht von typischen Bogota-Vögeln zu
Bericht über die Jahresversammlung. 87
D)
unterscheiden. Garlepp sammelte 5 Exemplare bei Samaipata
am 29. Juli 1890 nnd bei S. Jacinto am 19. Dezember 1890 und
5. Januar 1891.
#+-6. Hemitriccus flammulatus Berl. sp. n.
H. supra oleagineo-olivaceus, pileo vix obscuriore, alis
caudaque extus dorsi colore marginatis, corpore subtus e fundo
albo, gulae plumis brunneo-griseo longitudinaliter maculatis
pectore superiore brunneo griseo fere unicolore parum albo
mixto, corporis lateribus et subcaudalibus olivaceo lavatis, sub-
alaribus et flexura alae flavis; maxilla pedibusque corneis, mandi-
bula alba.
Long. tot. 119-—110, al. 571%, — 55, caud. 49 —46, culm.
13 —12, tars. 181/,—17!/, mm.
Observatio: H. H. diops (T’emm.) dieto affınis differt
gula juguloque albis brunnescente-griseo flfammulatis nec brunneis
unicoloribus, pectore brunneo griseo albo mixto nec unicolore,
corpore supra obscuriore potius brunnescente-viridi, stria lorali
brunneo-grisea nec flavescente, nec non rostro multo latiore et
erassiore.
habitat: in Yungas, Boliviae septentrionalis: San Mateo.
typus: in Mus. H v. B. 3 s. San Mateo 20. VII. 1891
(G. Garlepp legit no. 1119).
Fünf männliche Exemplare dieser neuen Hemitriccus- Art
sammelte Herr Gustav Garlepp im Juli 1891 in der Umgegend
des bereits im heissen Tiefland der Yungas-Region gelegenen S. Mateo.
Die neue Art unterscheidet sich leicht von der einzigen
bisher bekannten H. diops (Tem.) durch die auf weissem Grunde
graubraun geflammte Kehle und die heller, graubraune, auch etwas
weiss gemischte Brust, während bei H. diops Kehle, Gurgel und
Brust einfarbig dunkel graubraun gefärbt sind. Der Oberkopf
und Rücken erscheinen dunkler bräunlicher olivengrün. Der
Zügelstreif ist graubraun statt gelblich gefärbt. Endlich hat
H. flammulatus einen bedeutend breiteren, stärkeren Schnabel,
der in der Form mehr an den Schnabel einiger Todirostrum-
Arten erinnert.
77. Euscarthmus spodiops Berl. sp. nov.
E. corpore supra obscure viridi, pileo obscuriore uropygio
laetiore viridi, pilei anterioris plumis obscure nigro maculatis, capitis
88 Bericht über die Jahresversam mlung.
lateribus obscure brunneo viridibus, macula anteoculari sordide
alba; gula pectoreque cinerascente viridi lavatis et striis inde-
finitis flavescentibus flammulatis; abdomine medio albo, laterali
eineraceo-viridi lavato; subcaudalibus flavescentibus, subalaribus
pallide flavis; remigibus rectricibusque nigro-brunneis pogonio
externo olivaceo, tertiariis late flavescenti-olivaceo vel albescente
marginatis; tectricibus alarum superioribus nigro-brunneis, majo-
ribus mediisque apice flavescente-viridi marginatis (itaque alis
bifasciatis); rostro nigro brunneo, mandibula basi alba; pedibus
plumbeo-nigris.
Long. tot. 96%,, al. 51Y/,, caud. 38, culm. 10%/,, tars. 153/, mm.
Obs. E. E. zosterops Pelz. dieto ut videtur affınis, sed
gula brunnescente-griseo lavato, pectore minus striato, dorso
laetiore viridi, oculorum eircuitu minus albescente, nec non
rostro breviore et angustiore magis acuminato distinguendus.
habitat:in Yungas, Boliviae oceidentalis: Songo (O. Garlepp).
typus: in Mus. H. v. B. Songo. ©. Garlepp legit no. 2228.
Dieser zweifellos neue Kuscarthmus steht wohl dem E.
zosterops Pelz. am nächsten, unterscheidet sich aber leicht von
dem Exemplar dieser Art aus Borba (Madeira Fluss) im Brit.
Museum, mit dem ich ihn verglichen habe, durch die viel dunklere
mehr aschgrauliche wenig grünlich überlaufene Kehle und Ober-
brust mit nicht so deutlichen gelbweissen Streifen. Der Rücken
erscheint lebhafter und gelblicher grün. Die Bauchmitte ist
weiss statt blassgelb gefärbt. Der weissliche Ring ums Auge
fehlt. Endlich hat E. spodiops einen merklich kürzeren und
schmäleren, viel spitzer zulaufenden Schnabel.
+8. Öaenotriceus simplex Berl. sp. nov.
©. corpore supra obscure olivaceo-viridi, corpore subtus
clariore; gula abdomineque medio viridescenti griseo; fronte et
regione oculari obscure rufescenti-brunneis; alis caudaque extus
brunneo-olivaceis; rostro corneo, pedibus corneis vel brunneis.
Long. tot. 106—103 al. 54—52 caud. 44—39 culm. 10 tars.
181/, —17!/, mm.
Observatio: ©. ©. ruficeps (Lafr.) dieto affınis ut videtur,
sed capite dorso fere concolore, fronte solummodo et regione
ante- et circum-oculari obscure rufescenti-brunneo; gula griseo-
olivaceo nec laete rufo, dorso brunnescentiore, remigibus rectri-
VER
Bericht über die Jahresversammlung. 89
eibusque olivaceo-brunneo nee castaneo marginatis, necnon rostro
breviore et latiore ante apicem dilatato distinguendus.
habitat: in Yungas Boliviae oceidentalibus et orientalibus:
Sandillani (Yungas oce.) et S. Jacinto (Yungas or.).
typus in Mus. H. v. B: Sandillani 2500 metr. 6. VII. 1896
(G. Garlepp legit no. 1535).
Ich stelle diese neue Species in das genus Caenotriccus, ob-
gleich sie in der Schnabelform etwas abweicht. Der Schnabel
ist merklich breiter und erweitert sich namentlich etwas vor der
Spitze, was bei ©. ruficeps nicht der Fall ist. Übrigens stimmt
der allgemeine Färbungstypus des Ü©. simplex mit dem von
C. ruficeps überein: das abdomen zeigt fast die gleiche Färbung
wie bei jener Art, aber Kopf und Kehle sind grün statt rostrot
gefärbt. Nur die Stirn und die Gegend vor und ums Auge er-
scheinen schmutzig rostbräunlich. Flügel und Schwanz zeigen
olivenbraune statt lebhafte kastanienbraune Färbung.
+9. Pogonotriccus ottonis Berl. sp. nov.
P. eorpore supra olivaceo, pileo ardesiaco, linea frontali
albescente; regione superciliari, imprimis post oculos, albo nigroque
varia; tectricibus auricularibus parte anteriore sordide albis,
posteriore (macula semilunari) nigro; remigibus rectrieibusque
brunneo-nigris extus laete olivaceo marginatis; tertiariis Pogonio
externo ad apicem et tectricibus alarum mediis et longissimis
flavescenti albo marginatis (unde alis bifasciatis); corpore subtus
sordide griseo albo, hypochondriis flavescente lavatis; tectricibus
subalaribus et subcaudalibus pallide flavescentibus;- maxilla nigra,
mandibula albescente.
Long. tot. 114, al. 55, caud. 51!/,, culm. 91/,, tars. 13°/, mm.
Observatio: P. ophthalmicus Tacz. dieto affınis sed cor-
pore subtus griseo-albo nec laete flavo primo visu distinguendus.
habitat: in Yungas Boliviae occ.: Songo (1000 metr.).
typus: in Mus.H.v.B. © s. Songo, 1000 m. 28. IV. 1896.
Schnabel schwärzlich, unten grau, Beine grau. Long. tot. 120,
[Otto Garlepp legit no. 2188].
Steht in der Form dem P. ophthalmicus Tacz. von O. Ecuador
und Nord-Peru am nächsten, unterscheidet sich aber leicht durch
einfarbig weissgraue statt lebhaft grünlichgelbe Unterseite. Das
Grün des Rückens erscheint dunkler mit mehr graugrünem statt
90 Bericht über die Jahresversammlung.
grüngelben Tone. Die Flügelbinden sind weisslicher gelb gefärbt.
Der Schnabel erscheint breiter und kürzer.
P. eximius (Tem.) hat wie P. ophthalmicus lebhaft gelbe Unter-
seite, jedoch keine Spur von gelben Flügelbinden. Auch zeigt jene
Art einen gelbgrünen Fleck im Scheitel und viel kleineren
Schnabel. Herr Otto Garlepp sammelte leider nur ein Exemplar
dieser neuen Art, die ich ihm zu Ehren P. ottonis nenne. |
+10. Phyllomyias sclateri Berl. sp. nov.
Ph. copore supra sordide olivaceo, pileo anteriore griseo
lavato seu maculato; plumis nasalibus, striaque brevi superciliari
albis; regione suboculari tectricibusque auricularibus albo mixtis,
corpore subtus fere albo, gula pure alba, pectore lateribusque
corporis pallide flavo flammulatis vel lavatis; hypochondriis et
tectricibus subalaribus et subcaudalibus pallide Havis; remigibus
tectricibusque alarum superioribus nigro-brunneis, remigibus pri-
mariis et secundariis auguste flavescente, tertiariis flavescenti-
albo late marginatis, tectricibus vero apice flavescenti-albo late
terminatis (unde alis bifasciatis), rostro brunneo-nigro, mandibula
dimidio basali albo.
Long. al. 59--65°/,, caud. 631/,-—-55, culm. 81/. —73/,, tars.
17!/,—153/, mm.
Observatio: Ph. Ph. burmeisteri Cab. & Heine dictae affınis
differt gula abdomineque albis, pectore lateribusque flavo indutis
(nec subtus unicolore flava), necnon pileo anteriore griseo mixto,
superciliis albis nec flavis, rostro multo longiore et latiore.
habitat: in Bolivia orientali et septentrionali: Bueyes
prope Sta. Cruz de la Sierra et San Mateo (Yungas).
typus: in Mus. H. v. B.: Bueyes (Sta. Cruz) 21. IV. 1890
(G. Garlepp legit no. 414).
Diese zweifellos neue Phyllomyias-Art, die ich zu Ehren
meines lieben Freundes Dr. Ph. L. Sclater benenne, dürfte der
Ph. burmeisteri Cab. & Heine von Brasilien am nächsten stehn,
unterscheidet sich aber leicht von ihr durch die weisse Kehle
sowie weisse Brust- und Bauchmitte, ferner durch reinweissen
statt gelblichen Superciliarstreifen und weisse statt gelbliche
Mischung unter dem Auge, endlich durch aschgrau überlaufene
oder gefleckte Stirn und viel stärkeren, längeren und breiteren,
auch deutlicher gebogenen Schnabel.
Bericht über die Jahresversammlung. 91
Herr Gustav Garlepp sammelte eine schöne Suite von
Exemplaren dieser Art sowohl im Osten bei Bueyes (nächst Santa
Cruz de la Sierra), als auch im Norden bei San Mateo, welches
im heissen Flachlande am Ausläufer der Yungas von Cocha-
bamba gelegen ist.
+11. Schizoeaca harterti Berl. sp. nov.
Sch. corpore supra olivaceo-brunneo, pileo capitisque late-
ribus magis rufescente tinctis; stria superciliari et altera malari
(vix conspieuis), eiliis oculorum et maculis parvis ante- et supra-
ocularibus striisque ad maxillae et mandibulae basin mentoque
albis; macula magna gulae nigra plumis plus minusve albescente
terminatis; corpore inferiore reliquo sordide griseo, lateribus cum
cerisso olivaceo-brunneo lavatis; alis extus rectrieibusque dorso
cuncoloribus.
gg Long. tot. 178—165, al. 55—54, caud. 1011, —90!/,,
culm. 14 —13!/,, tars. 241/,--221/, mm.
Ozloncz tot. 168, al. 52,, caud. 904, culm.2 12277, :tars.
231/, mm.
Observatio: Sch. Sch. coryi Berl. ex Merida forsan maxime
affınis differt gula nigra, pileo dorso et alis extus pallidioribus
rufescentioribus, stria superciliari inconspicua nec castaneo-rufa,
necnon rectrieibus olivaceo-brunneis nec castaneo-brunneis.
habitat: in Bolivia alta oceidentali (Cillutincara, Unduavi
3500 m.) et septentrionali (Malaga).
typus: in Mus. H. v. B.: „Sg“ Unduavi, 3500 meter, 7. VI.
1896 (G. Garlepp legit no. 1754).
Diese scharf charakterisierte neue Schizoeaca, welche ich
nach meinem lieben Freund Ernst Haıtert benenne, unterscheidet
sich leicht von allen bisher bekannten Arten dieses genus durch
den grossen schwarzen Kehlfleck. Sch. fuliginosa (Lafr.) von
Colombia und Sch. coryi Berl. von Merida in Venezuela zeigen
keine Spur eines schwarzen Kehifleckens, während 9. palpebralis
Cab. von C. Peru einen scharf ausgeprägten rostroten Kinnfleck
besitzt. Die mir unbekannte Sch. griseomurina von W. Ecuador
scheint dagegen einen weissen Kinnfleck zu besitzen.
Im Übrigen steht Sch. harterti wohl der Sch. coryi Berl.
am nächsten, unterscheidet sich aber von ihr ausser durch das
Vorhandensein des schwarzen Kehlfleckens durch schmalen oliven-
röstlichen statt breiten lebhaft rostbrauuen Superciliarstreifen
92 Bericht über die Jahresversammlung.
und desgleichen Halsseiten, ferner durch weisse statt rötliche
Federchen am Auge, weisslichen Zügelstreif, weisses oberes Kinn,
olivenröstlichen statt schwärzlichbraunen Scheitel, hellere mehr
olivenrostbräunliche statt dunkelbraune Rückenfärbung, sowie oli-
venbraune statt rostbraune Flügeloberseite und Schwanzfedern u. s.
w. Der für 8. palpebralis so charakteristische weisse Augenring ist
nur durch kleine weisse Federchen an den Augenlidern schwach
angedeutet. Herr Gustav Garlepp hat 6 Exemplare dieses in-
teressanten Vogels eingesandt.
12. Siptornis maculicauda Berl. sp. nov.
S. corpore supra nigro-brunneo, rufo-brunneo variegato,
plumis omnibus stria mediana longa aequali rufescenti-alba in-
structis; fronte laete brunneo-rufo, corpore subtus sordide albo,
in speciminibus nonnulis fulvo tincto, gula absque macula rufe-
scente, plumis in pectore et in lateribus marginibus fuscis
rufescente mixtis in pectore fere evanescentibus, in lateribus
latioribus et magis conspicuis; stria superciliari et oculorum ceiliis
sordide fulvo-albis, auricularibus e nigro et fulvo albo mixtis;
remigibus nigrescentibus olivaceo-brunneo marginatis, dimidio
basali rufo-brunneis margine externo nigro maculatis; tertiariis
tectrieibusque alarum superioribus extus griseo-fulvo marginatis;
rectricibus omnibus olivaceo- sive rufescente-brunneis, maculis
striisque irregularibus nigris signatis, externis basi plus minusve
nigris brunneo rufo variegatis; tectricibus subalaribus laete rufis,
remigibus intus rubescenti-brunneo marginatis; maxilla nigra,
mandibula pallida apice nigro.
Long. al. 62— 58, caud. 90— 68, culm.123/,—113/,,tars.221/,mm.
Observatio: 8. 8. flammulata Jard. dictae affınis sed absque
macula in gula fulva et pietura caudae etc. insignis.
habitat: in Bolivia alta oceidentali: Iquico (4000 m).
typus: in Mus. H. v. B. „g“ Iquico 18. 1. 1895. (G. Garlepp
no. 975.)
Diese characteristische neue Siptornis unterscheidet sich
leicht von S. flammulata (Jard.) von Ecuador durch den voll-
ständigen Mangel des rostgelben Kehlfleckes, ferner durch die
eigentümliche unregelmässig schwarzfleckige Zeichnung des
Schwanzes, durch die lebhafter rostrote Stirnfärbung und die
bräunlicher weisse Unterseite mit viel undeutlicherer Streifen-
Zeichnung an Brust und Körperseiten.
Bericht über die Jahresversammlung. 93
. Siptornis taczanowskii Berl. et Stolzm. von C. Peru ist von
S. maculicauda noch mehr verschieden als von 8. flammulata,
denn bei ihr erstreckt sich der rostgelbe Kehlfleck über die
Gurgel bis zur Brust, und die Bauchmitte erscheint bei ihr ein-
farbig weiss. Die Brust zeigt keine schwärzlichen Striche
und die Striche auf Rücken und Scheitel erscheinen viel feiner.
713. Siptornis heterura Berl. n. sp.
S. 8. pudibunda Scl. et S. sordida (Less.) dietis affınis, sed
corpore subtus fulvescente nec griseo albo, a S. pudibunda etiam
rectrieibus omnibus acuminatis et quatuor mediis solummodo
pogonio interno nigro-brunneis, caeteris fere unicoloribus rufis
(nec pogonio interno-tribus externis exceptis-nigris), a 8. sordida
colore dorsi et pilei multo obscuriore magis rufescenti-brunneo,
colore subtus magis fulvescente necnon picetura caudae distinguenda.
Long. tot. 161, al. 59, caud. 821/,, tars. 21 ınm.
habitat: in Bolivia alta occidentali: Iquico (4000 m).
typus: in Mus. H. v. B.: Iquico Febr. 1895 Gustav Garlepp
lesit no. 1122.
Das einzige eingesandte Exemplar erinnert in der Färbung
der Oberseite an 8. pudibunda Scl. (zwei Exemplare von Coracora,
W. Peru in Mus. Branicki), nur ist die Färbung noch etwas
dunkler bräunlich. Dagegen ist die Färbung der Unterseite ganz
verschieden, nämlich fahl braungelblich statt hellgraulich. Die
Form der Schwanzfedern ist eine ganz verschiedene, denn alle
sind am Ende stark zugespitzt, der Schaft in eine Nadel aus-
laufend, statt breit auslaufend weich und abgerundet. Die Färbung
der Schwanzfedern erscheint grösstenteils schmutzig bräunlich
rostrot, nur die beiden mittleren Paare haben eine schwärzlich
braune Innenfahne, während bei S. pudibunda das 2., 3. und
4. Paar von der Mitte an gerechnet grösstenteils dunkel schwarz-
braune Innenfahne zeigen. Bei S. heierura haben die Schwanz-
federn vom 4. Paar von aussen beginnend nur schwachen
schwärzlichbraunen Anflug im Basisdrittel der Innenfahne. Die
Körperseiten erscheinen lebhaft rostbräunlich überlaufen statt
graubräunlich. Der Kehlfleck erscheint blass rostgelbweiss, aber
etwas glänzend. Augenstreif und Kopfseiten sind rostgelblich
überlaufen statt grauweisslich wie bei 8. pudibunda. Die Ober-
seite des Flügels erscheint etwas matter rostfarben. Die Unter-
schwanzdeckfedern sind intensiv rostgelb statt graugelblich.
94 Bericht über die Jahresversammlung.
Von 8. sordida unterscheidet sich 8. heterura leicht durch
die viel dunkiere, düster röstlichbraune statt sandbraune Färbung
der Oberseite, durch die fahlbraungelbliche statt schmutzig
bräunlich grauweissliche Unterseite, sowie auch durch die Form
und Zeichnung der Schwanzfedern, welche bei 8. sordida viel
mehr schwarze Färbung aufweisen.
+14. Siptornis modesta sajamae Berl. subsp. nov.
S. 8. modesta Eyton dietae simillima differt corpore supra
clariore arenaceo-brunneo, corpore subtus etiam pallidiore albes-
centiore, tectricibus alarum superioribus magis rufescentibus,
macula gulae rufa magis extensa et laetius tincta, necnon alis
caudaque multo longioribus.
gg al. 70—69, caud. 76—75, culm. 15— 14, tars. 231/,—23 mm.
So naazl, lade oe
habitat in Bolivia alta occidentali: Esperanza u. Sajama
4000 m (G. u. O. Garlepp).
typus in Mus. H. v. B. Esperanza J 7. X. 1896 G. Garlepp
legit no. 1674, @ 12. X. 1892 G. Garlepp legit no. 1689.
Diese bolivianische Form der 8. modesta Eyton unterscheidet
sich leicht von der typischen chilenischen durch die hell fahl
sandbraune, statt dunkel erdbraune Färbung der Oberseite, wie
auch durch hellere, mehr weissliche Unterseite, grösseren und
lebhafter rostgelben Kehlfleck, mehr röstlich überlaufene Ober-
flügeldeckfedern und merklich längere Flügel und Schwanz. Die
Gebrüder Garlepp sammelten eine Reihe von Exemplaren bei
Esperanza im Oktober und bei Sajama im Mai.
Das Weibchen unterscheidet sich wie bei $. sordida vom
Männchen durch weissen statt rostgelben Kehlfleck.
+15. Siptornis modesta rostrata Berl.
S. S. modesta (Eyton) dictae simillima differt rostro longiore,
macula mentali castaneo-rufa (nec fulva), jugulo distinctius albo et
fusco striato, necnon alis longioribus.
al. 67, caud. 681/,, culm. 151/,, tars. 221/, mm.
habitat: in Bolıvia alta orientali: Vacas.
typus: in Mus. H. v. B.: Vacas 8. Septbr. 1890. G. Garlepp
legit I no. 822.
In den östlichen Hoch-Anden Bolivia’s scheint eine 2. Form
der $. modesia vorzukommen, welche sich von der typischen nur
Bericht über die Jahresversammlung. 95
durch längeren Schnabel, dunkler kastanienbraunen statt rost-
gelben Kinnfleck, deutlicher weisslich und schwärzlich gestreiften
Unterhals und längere Flügel unterscheidet. Die Rückenfärbung
ist bei ihr keineswegs heller als bei Chile-Vögeln, erscheint also
dunkler als bei 5. m. sajamae. Der Flügel ist so lang wie bei
letzterer, während sie in der Schwanzlänge wiederum mit Chile-
Vögeln übereinstimmt.
+16. Siptornis marayniocensis robusta Berl. subsp. nov.
S. humilis Scl. (nec Cab.) Cat. birds Brit. Mus. XV p. 67
(Bolivia).
9. 8. marayniocensis Berl. et Stolzm. dietae simillima sed
major, alis et cauda imprimis longioribus, gulae macula castaneo-
rufa majore et pallidiore, nec non jugulo distinctius fusco striato.
al. caud. culm. tars.
g Ulimani-H. de Potosi 76 13 161/,;, 25
g Iquico 76 70 lol 2545
9 Iquico a ne 151), 251),
3 C. Peru 8. marayniocensis 701), 67 15298204,
SS ,„ 691,681), 681/674, 151/, 251), mm.
habitat: in Bolivia alta oceidentali: Iquico.
-typus: in Mus. H. v. B. Z Iquico 24.1.1895 (Garlepp no. 1007).
Die oben beschriebenen Bolivia-Vögel unterscheiden sich
von der typischen S. marayniocensis Berl. et Stolzm. (P. Z. 8.
1896 p. 373) durch grössere Dimensionen, namentlich längere
Flügel und Schwanz, ferner durch etwas grösseren blasser ge-
färbten Kehlfleck und kräftiger schwärzlich gestreifte bezw. ge-
fleckte Gurgel- und Kehlseiten.
+17. Margarornis stictonota Berl. sp. n.
M. corpore supra rufo-brunneo, pileo magis olivascenti-
brunneo, dorso superiore striis vel maculis elongatis lacrymifor-
mibus fulvis signato, gula striaque superciliari fulvo-rufescentibus,
plumis apice subtiliter nigro marginatis, capitis lateribus fusco
et fulvo variis, pectore, abdomine collique lateribus fulvis, plumis
undique nigro marginatis, itaque guttatis, rectricibus nigrescentibus,
remigibus nigro-brunneis, colore dorsi marginatis, maxilla nigra,
mandibula pallida, pedibus brunneis.
Long. tot. 135—130, al. 621/,—581/,, caud. 63—57, culm.
14°/,—131/,, tars. 191/,—181/, mm.
96 Bericht über die Jahresversammlung.
Observatio: M. M. brunnescens Sel. dietae affınis differt
plumis dorsi superioris striis vel maculis fulvis instructis, necnon
abdomine in fundo pallidiore brunneo maculis latioribus et 2
tioribus fulvis guttato.
habitat: in Yungas Boliviae oceidentalis (Chaco) et orien-
talis (Locotal).
byop:us:ın Muss yoBe: 3 Chaco 12. VII. 1894 (G. Gar-
lepp legit no. 707).
Diese bolivianische Form der M. brunnescens Sel. unter-
scheidet sich leicht von der typischen Form durch deutlich rost-
gelb längsgefleckten Oberrücken während bei M. brunnescens der
Öberrücken entweder völlig ungefleckt oder nur mit feinen un-
deutlichen hellen Schaftstrichen gezeichnet erscheint. Ferner
sind bei der neuen Form Brust und Bauch auf heller oliven-
braunem Grunde viel stärker rostgelb gefleckt. Die Tropfenflecke
sind hier viel grösser und lebhafter rostgelb gefärbt, auch nicht
so dunkel umrandet. Die ganze Unterseite des Körpers erscheint
in Folge dessen viel heller.
7-18. Myrmotherula boliviana Berl. n. sp.
M. 3 corpore supra griseo, inferiore clariore, gula jugu-
loque nigris (plaga magna subtus rotundata); mento griseo vel
nigro griseo mixto ; rectricibus ardesiaco-griseis, externis apice
anguste albo marginatis; remigibus tertiariis dorso concoloribus,
caeteris nigrescentibus extus colore dorsi marginatis; tectricibus
alarum superioribus minimis mediisque nigris apice pure albo
marginatis, maximis griseis apice albo marginatis et macula an-
teapicali nigra praeditis; rostro pedibusque plumbeo nigris.
9 corpore supra griseo, capite colloque fulvescenti lavatis,
corpore subtus striaque lorali cum ciliis oculorum fulvescentibus,
pectore magis rufescente lavato.
Long. tot. 95—92, al. 54-53, caud. 291/,—28!/,, culm.
14!/,, tars. 151/, mm.
Observatio M. 5 mari M. cinereiventris Sel. et Salv. dietae
affınis differt gula juguloque nigris nec griseis, rectricibus minime
macula anteapicali nigrainstructisneenon rostro longioreet crassiore.
habitat: in Bolivia septentrionali: San Mateo.
typus: in Mus. H v. B. 3 San Mateo 8. VIII. 1891.
(G. Garlepp no. 1250). ee ee}
Bericht über die Jahresversammlung. 97
Diese neue Art steht der M. cinereiventris Scl. et Salv. am
nächsten, von der sie sich im männlichen Kleide leicht durch
den grossen bis über die Gurgel hinaus ausgedehnten und dort
abgerundeten schwarzen Kehlfleck unterscheidet. Ferner fehlen
ihr die schwarzen Subapicalflecken an den äusseren Schwanz-
federn und der Schnabel ist merklich länger und stärker.
Das 9 von M. boliwiana ist nicht etwa mit dem g von
Myrmotherula atrogularis Tacz. zu verwechseln, welchem es auf
den ersten Blick ähnlich sieht, von dem es sich aber leicht durch
die grauen, vor den weissen Spitzen schwarz gefleckten, statt
ganz schwarzen, weiss gespitzten Oberflügeldeckfedern, die heller
aschgraue Rückenfärbung und den viel längern schmaleren Schnabel
unterscheidet. Die Weibchen der beiden Arten sind total ver-
schieden, und M. atrogularıs gehört überhaupt zu einer andern
Gruppe (der M. ornata-Gruppe).
| Herr Gustav Garlepp sammelte zwei $g und drei @8 dieser
neuen Art bei S. Mateo im Flachlande am Fusse der Anden.
19. Terenura sharpei Berl. sp. n.
T. dorso superiore tectricibusque caudae superioribus viri-
dibus, pileo nigro, stria dorsi medii lateraliter late nigro mar-
ginata et uropygio sulfureo-flavis, gula pectoreque griseo-albis,
gula albescentiore; capitis lateribus striaque superciliari griseis,
linea post- et anteoculari nigra; remigibus rectrieibusque nigro
brunneis extus olivaceo marginatis; humeris laete aureo-favis,
tectricibus alarum majoribus et mediis nigris maculis magnis
pallide flavis terminatis (unde alis bifasciatis); ventre et lateribus
pectoris tectricibusque subcaudalibus olivaceo - flavescentibus,
subalaribus laete flavis; rectricibus intus pallide flavo margina-
tis; rectrieibus externis remigibusque tertiariis apice subtiliter
albescente marginatis; maxilla nigra, mandibula plumbescenti-
alba, pedibus plumbeo-nigris.
Long. tot. 106, al. 54, caud. 45, tars. 141/, mm.
observatio: T. T. callinota Sel. dietae affinis, sed uro-
pygio cum linea dorsi medii sulfureo-flavis nec castaneis primo
visu distinguenda.
habitat in Yungas Boliviae orientalis: Quebrada onda.
typus in Mus. H. v. B.: Quebrada onda 9. VII 1892 (G.
Garlepp legit no. 1947).
Journ, f. Orn. XLIX, Jahrg. Januar 1901. 7
98 Bericht über die Jahresversammlung.
Alle bisher bekannten Terenura-Arten (ausser der fernstehen-
den T. maculata) haben rostroten Unterrücken, während sich Z.
sharpei auf den ersten Blick durch schwefelgelben Unterrücken
und ebensolche Mittellinie des Rückens unterscheidet. T. sharpei
stimmt mit T.callinota in der goldgelben Schulterfärbung überein,
während T. humeralis die Schultern wie den Unterrücken rostrot
gefärbt zeigt.
Diese ausgezeichnete neue Art widme ich meinem lieben
Freunde Dr. R. B. Sharpe in London.
+20. Pithys salvini Berl. n. sp.
P. corpore toto schistaceo, subtus clariore; gula cum regi-
one suboculari pure alba; stria superciliari a naribus inceptis
usque ad oculi angulum posteriorem sordide alba, pileo anteri-
ore, loris et oculorum ciliis fere nigris, hoc colore in parte pos-
teriore pilei in colorem ardesiacum vergente; rectricibus nigris
extus ardesiaco marginatis, omnibus pogonio interno, externis
etiam in dimidio basali pogonii externi fasciis regularibus (in
pogonio interno septem) albis instructis, apiceque albo margi-
natis; remigibus tertiariis apice macula alba signatis; subcauda-
libus griseis albescente variegatis; plumis uropygialibus valde
amplis et laxis; rostro et pedibus nigris.
Long. tot. 133, al. 73, caud. 48, culm. 17?/,, tars. 251/, mm.
observatio: Species colore corporis schistaceo, gula alba
et rectricibus albo fasciatis insignis. |
habitat: in Bolivia septentrionali: San Mateo.
typus: in Mus. H. v. B.: 3 s. San Mateo 23. VIII 1891
(Gustav Garlepp legit no. 1314).
Von dieser sehr charakteristischen neuen Art liegt leider
nur ein einziges von Herrn G. Garlepp bei San Mateo in der
heissen Region am Fusse der Anden gesammeltes männliches
Exemplar vor. Möglicherweise handelt es sich hier um das bis-
her unbekannte $ des von Sclater u. Salvin von Sarayacu, Ost-
Ecuador, als P. lunulata beschriebenen Vogels. Letzterer er-
innert namentlich in der Schwanzzeichnung an den oben be-
schriebenen Vogel, jedoch hat P. lunulata braune Oberseite mit
schwarzen Subterminalbinden und rostgelben Rändern und zeigt
einen kleinen weissen verborgenen Fleck am Rücken, wovon P£.
salvini keine Spur aufweist. Ehe das noch unbekannte $ von
P. lunulata vorliegt, ist die Frage, ob der Bolivia-Vogel zu
Bericht über die Jahresversammlung. 99
lunulata oder einer verschiedenen Art gehört, nicht mit Sicher-
heit zu beantworten und möchte ich eher annehmen, dass das
letztere der Fall sei. Mein unvergesslicher Freund, Mr. O. Salvin,
dem ich meinen Vogel im Jahre vor seinem Tode zeigte, hielt
ihn für eine unbedingt neue Art und riet mir, ihn als solche
zu beschreiben. Ich möchte diese Spezies daher seinem teuern
Andenken widmen.
Der Vorsitzende hebt das Verdienst hervor, das sich Herr
G. Garlepp durch seine ausserordentlich sorgfältigen und umfang-
reichen Sammlungen um die Wissenschaft erworben hat.
Aldann tritt eine Pause ein, die zum Besuche des Zoo-
logischen Museums der Universität und zur Besichtigung der
Sammlung von Kukukseiern des Herrn Dr. Rey benutzt wird.
Im Museum übernahm Herr Professor Dr. Uhun, unterstützt von
Herrn Kustos Dr. Schmidtlein die Führung. Allseitig erregt
die schöne Sammlung der deutschen Tiefsee-Expedition die Auf-
merksamkeit der Anwesenden. Unter den ausgestellten Vögeln
fielen besonders zahlreiche, zum Teil seltene Arten von Sturm-
vögelu auf. Herr Emil Weiske hatte eine von ihm in Nord-
queensland und im südöstlichen Neuguinea zusammengebrachte
Sammlung von Vögeln ausgestellt, die viele Seltenheiten und
manche auffallende neue Art enthielt. Auch die berühmte Samm-
lung von Kukukseiern des Herrn Dr. Rey fesselte die Versam-
melten ausserordentlich.
Nach .Rückkehr zum Gasthof Stadt Nürnberg wurde dort
das Mittagessen eingenommen, das unter lebhafter Unterhaltung
verlief. Bald drängte der Vorsitzende zur Wiederaufnahme der
wissenschaftlichen Sitzung, an der sich jetzt auch eine Anzahl
der anwesenden Damen beteiligte.
Herr König eröffnete die zweite Reihe der Vorträge und
sprach über seltene Arten aus dem mediterranen Gebiete,
die von ihm selbst erbeutet wurden.
Zunächst über Sitta whiteheadi Sharpe, P. Z. S. 1884
pag. 233. Corsicanische Spechtmeise.
Diese selbständige, gute Art ist von Whitehead im Jahre
1883 auf Corsica entdeckt worden. Soweit ich unterrichtet bin,
ist dieselbe nur noch von mir zum zweiten Male aufgefunden
worden und zwar im Frühjahr 1896. Ihretwegen bin ich nach
z*
100 Bericht über die Jahresversammlung.
Corsica gegangen und habe keine Mühe gescheut, um die nied-
liche Spechtmeise ausfindig zu machen und sie zu schiessen.
Allerdings hält das recht schwer. Den Ausführungen Whitehead’s
folgend, suchte ich diese Spechtmeise auf den Höhen Corsicas
nahe der Schneegrenze. Wenn man von Ajaceio mit der Bahn
nach Bastia fährt, führt einen der Zug zunächst durch eine Ebene,
die die Basis der sich von dort erhebenden Berge bildet und die
dem grössten derselben den Namen entlehnt hat, welche der
Corsicaner Campo do l’Or nennt. Dann aber bringt die Bahn
den Reisenden in die Höhe, welche zunächst sanft ansteigend
sehr bald merken lässt, dass man sich in einer stark aufsteigenden
Linie befindet. Wir passieren da die Maquisvegetation mit ihren
immergrünen Sträuchern und Büschen, als da sind Pistacia len-
tiscus, Cistus monspeliensis und albidus, Phillyrea angustifolia,
Erica und Buxus — beide fast baumartig zu nennen, Kork- und '
Steineiche, welche ihrerseits wieder umkränzt werden von Rosmarin
und Thymian. Hier und da erheben sich einzeln oder in losen
Beständen aneinandergereiht die herrlichen Mittelmeerkiefern
(Pinus maritima). In der Höhenlage von ca. 800—1000 m setzt
die essbare Kastanie ein, welche sich hier noch in gewaltigen
Beständen erhalten hat und ringförmig die Berge umgürtet. Da-
rüber hinaus weht den Reisenden schon die kalte Höhenluft an,
die Bahn passiert einen Riesentunnel, worauf sich der Fremde
verwundert umschaut, da ihn plötzlich eine ganz veränderte
Landschaft umgiebt. In einer tiefen Thaleinsenkung, die gebildet
wird von den bier steil bis zu ihren Gipfeln aufsteigenden Hängen
der drei Bergriesen, dem Monte d’Oro, Monte Rinoso und Monte
Rotondo, stehen unvergleichlich schöne Pinien mit glatten Stämmen,
deren Kronen hoch gen Himmel streben. Das ist die prächtige
Pinus laricio, var.: corsicana, die wir in dieser seltenen Schönheit
nur auf Oorsica finden. An den Stämmen hämmert lustig der
grosse Buntspecht, während Kohl- und Tannenmeisen in ihrer
geschäftigen Weise die Borkenrinde nach Insekten und deren
Larven absuchen. Während wir den Tönen nachgehen, fallen
wir oft bis über die Hüften in losen Schnee, aus dem wir uns
mit Mühe wieder herausarbeiten müssen. Gespannt achten wir
auf die uns bekannten Laute, aus denen wir plötzlich auch den
einer Spechtmeise vernehmen. Aber damit haben wir den Vogel
selbst noch lange nicht. Man muss scharf zusehen, um die eifrig
herumkletternde Spechtmeise zwischen den Knorren, den Wedeln
Bericht über die Jahresversammlung. 101
| und auf den Borken der hohen Lariciokiefer zu entdecken. Ich
: habe in der kurzen Zeit meiner Anwesenheit auf Corsica, welche
etwa 10 Tage dauerte, im Ganzen 5 Stück dieser Spechtmeise
in Vizzavona erbeutet und darf mit diesem Resultate zufrieden
sein, da ich nochmals ausdrücklich betonen muss, dass die Er-
beutung dieser Art grossen Schwierigkeiten unterworfen ist, und
es wohl kaum einem anderen, als einem praktisch veranlagten
-Ornithologen beschieden sein dürfte, die kleine Spechtmeise zu
schiessen. — Von den 5 Exemplaren ging eins in den Besitz
des Museums von W. v. Rothschild über, für welches mir im
Tausche ein Gelege dieser kostbaren Art, von Whitehead auf
Corsica gesammelt, zuging.
Während das 39 eine schöne tiefschwarze Kopfplatte zeigt,
ist das @ grau auf dem Kopfe. Diese seltene westlich paläark-
tische Art neigt einerseits der sSilta camadensis aus Nord-
Amerika, andererseits der Silta villosa zu, welch letztere Nord-
China und die östliche Mongolei bewohnt. —
Nach stattgefundener Demonstration eines Balges von Siti«a
whiteheadi zeigte Redner die von ihm zur nova species creirte
Form des Corsicanischen Zitronenfinken (Citrinella corsicana) in
einem männlichen und einem weiblichen Stücke vor. Diese dem
Mittelmeergebiete angehörige Form unterscheidet sich auf den
ersten Blick vom Alpen-Zitronenfinken durch den braunen Rücken.
Hr. Hartert betonte, dass er diese Art auch von der Riviera und
von Süd-Italien gesehen und begutachtet habe. —
Als ein nicht minder wichtiger und interessanter Vogel ist
der Corsicanische Wasserstar anzusehen, von dem der Vor-
tragende 2 männliche Exemplare vorlegte, welche er ebenfalls
im Frühjahre 1896 auf.Corsica erlegte. Sie zeichnen sich durch
die fast einfarbig schwarze Bauchfärbung aus und erinnern in
sofern sehr an den nordischen Wasserstar (Cinclus melanogaster,
Brehm). Überhaupt scheint Corsica manche modificierte Formen
zu besitzen, weshalb sich eine eingehende und längere Durch-
forschung Corsicas nach der avifaunistischen Seite sehr verlohnen
dürfte. —
Schliesslich legte Redner noch den Balg eines seltenen
Steinschmätzers vor, nämlich
Sazxicola xanthoprymna, Ehrbg. 1829.
Sazicola erythropygia, Taylor, Ibis 1857, pag. 61.
102 Bericht über die Jahresversammlung.
Dieser seitenste aller Steinschmätzer ist von mir im Jahre
1899 am 6. Februar am Fusse des Djebel el Täer (d. h. Vogel-
berg) erlegt worden. Ich habe diese Art weder vorher noch
nachher jemals zu Gesicht bekommen und schliesse daraus, dass
sie wohl überaus selten sein mag. Das erlegte Stück ist ein &
im Prachtkleide mit tiefschwarzer Kehle und rostrotem Bürzel.
Der Typus befindet sich im Berliner Museum.
Ausser diesem sind nur ganz wenige Stücke bekannt, von’
denen sich eins in der Tristram’schen Sammlung befunden hat,
von John Keast Lord in Nubien auf dem Hor Tamanib ge-
sammelt. Das Museum Cavendish Taylor muss deren zwei oder
drei haben, ein @ oder ein jüngeres g, sowie ein altes $, das
er kürzlich an den Pyramiden von Ghizeh erbeutet hat.
Im Anschluss an diesen Steinschmätzer sprach der Vor-
tragende noch einige Worte über die von Dixon auf dem Djebel
Mähmel in Algerien im Jahre 1882 entdeckte Art Sazwicola see-
bohmi und stellte sie neben Sazxicola oenanthe als glaciale resp.
Hochgebirgsformen den ihnen entsprechenden mediterranen Arten
Sazxicola stapazina und aurita gegenüber. Die Verbreitungsgrenze
des echten Nonnensteinschmätzers (Saxicola monacha, Temm.)
besprach Redner ebenfalls und suchte sie hauptsächlich in Belut-
schistan und Sind, während dieser Steinschmätzer in Nubien,
Ägypten und auf der Sinaihalbinsel als eine im Ganzen seltene
Erscheinung zu betrachten sei. —
An der dem Vortrage folgenden Besprechung beteiligen
sich die Herren Hartert, Matschie, Nehrkorn, Reichenow,
Schalow und Freiherr von Berlepsch mit einigen Bemerkungen.
Nunmehr zeigen die Herren Schlegel und Thienemann
ihre angekündigten Vorlagen.
Herr Schlegel legte verschiedene Reihen von Raubvögeln
vor, von den Turmfalken erregte besonders ein hahnenfedriges
Weibchen mit grauem, aber weibchenartig gebändertem Stosse
die Aufmerksamkeit der Versammelten. Ein $ ad. zeigte die
seltene Auffälligkeit, dass im Stosse jede Spur von Querbänderung
geschwunden war, wie dies wohl nur im hohen Alter aufzutreten
pflest. Von 2 ausgefallenen, aber fast zur normalen Grösse
nachgewachsenen Stossfedern eines g juv. zeigte die eine das
Bericht über die Jahresversammlung. 103
normale Grau des alten Tieres, während die andere, mittlere
Feder eine Übergangsfärbung erkennen liess. Die ausgestellte,
reichhaltige Sperberreihe zeigte alle nur erdenklichen Fär-
bungs- und Zeichnungsverhältnisse, besonders in männlichen
Kleidern. Besonderes Interesse erregten u. a. ein lehmrotes $
juv. und ein @ ad. mit auffällig weisser Unterseite und feiner
Querbänderung. Die Mäusebussarde zeigten, dass auch in
der Leipziger Gegend, namentlich zur Zugzeit, alle Färbungs-
phasen aufzutreten pflegen. Von Pernis apivorus nehmen be-
sonders ein Jugendkleid, ein einfarbig kaffeebraunes Exemplar
und ein Stück mit reinweisser Unterseite die Aufmerksamkeit der
Anwesenden in Anspruch.
Referent legte ferner 2 stark hahnenfedrige Birkhuhn-
weibchen vor. Er wies auf die Beschreibung hin, die er von
dem einen Stücke in Nr. 1, Jahrg. 1899 der ornithologischen
Monatsschrift zum Schutze der Vogelwelt gab und erwähnt, dass
die verunglückte Tafel gar kein Bild von der Schönheit und
Eigenartigkeit des Stückes gebe. Anknüpfend an die 1898er
Dresdner Verhandlungen zeigte Herr Schlegel ferner 2 3 juv.
von Tetrao mlokosiewiezi, die doch die Vermutung aufkommen
lassen, dass das Alterskleid dieses Tetraoniden durch Umfärbung
angelegt werde. Obwohl im Prinzipe Gegner der Auffassung der
Umfärbung in diesem Sinne, wollte der Referent doch nicht
unterlassen, dies den Anwesenden nochmals zur Erwägung und
Untersuchung anheimzustellen. Der Stoss jedoch zeigte deutlich,
dass die neuen Federn desselben durch Mauser angelegt waren.
Nach Ansicht des Referenten ist es physiologisch unmöglich, dass
die nekrotische Cutispapille einer ausgebildeten Feder nochmals
aufleben und zu erneutem Wachstum und zur Umformung einer
Feder Anlass geben könne.
Herr Thienemann legte vor:
Die Protokolle und Prüfunglisten der drei ersten Ornitho-
logen-Versammlungen in Cöthen 1845, in Dresden 1846 und in
Halle 1847, ferner Manuskripte von J. F. Naumann, E. v.
Homeyer u. a. Als Kuriosum auch den polizeilichen Erlaubnis-
schein zur Abhaltung der Versammlung in Halle 1847.
Das Material ist ihm aus dem Nachlasse seines Grossonkels
Dr. L. Thienemann zugegangen.
104 Bericht über die Jahresversammlung.
Herr Helm sprach über die Beweise Gätke’s für die
Höhe des Wanderfluges der Vögel.
An den Vortrag, der inzwischen bereits im Oktoberhefte
1900 des Journal für Ornithologie erschienen ist, schliesst sich
eine lange, lebhafte Besprechung.
Herr Reichenow weist nach, dass die von Gätke ange-
nommenen Geschwindigkeiten des Vogelfluges unmöglich seien.
Nach Gätke solle das Blaukehlchen in einer Frühlingsnacht
von Ägypten bis Helgoland fliegen und in etwa neunstündigem
andauernden Zuge stündlich je 45 Meilen zurücklegen. Das
mache in der Sekunde 90 Meter. Für Sumpfvögel berechne
Gätke die Fluggeschwindigkeit auf 117 Meter in der Sekunde.
Nun betrage aber die Fluggeschwindigkeit der Brieftauben, die
einzige Flugbewegung, die bis jetzt mit einiger Sicherheit be-
rechnet sei, 30 Meter in der Sekunde. Wenn man nun auch
annehmen wolle, dass ein Blaukehlchen ebenso schnell fliege wie
eine Brieftaube, was nicht der Fall sei, und wenn man annehme,
dass die Luftgeschwindigkeit 20 Meter betrage (Geschwindigkeit
eines Sturmes), so ergebe das erst 50 Meter in der Sekunde,
also nur die Hälfte der von Gätke angenommenen Flugbewegung.
Herr König will die ungeheure Schnelligkeit des Fluges
mancher Vogelarten auf gewaltige Strömungen in den oberen
Luftschichten zurückführen.
An den Erörterungen beteiligen sich ferner die Herren
Nehrkorn, Graf Berlepsch, Helm, Hartert, Freiherr von
Berlepsch, Lindner, Helm, Matschie und R. Blasius.
Aus allen diesen Reden und Gegenreden ergiebt sich, dass es
zur Zeit noch an genauen Beobachtungen über die Schnelligkeit
des Vogellluges mangelt und dass alle Hypothesen über die Ge-
schwindigkeit des Wanderfluges auf unsicheren Voraussetzungen
beruhen.
Herr Reichenow erhält das Wort zu seinem Vortrage über
die Beziehungen der Vogelfauna Afrikas zu denen anderer
Tiergebiete.
Der Vortragende weist auf die Fortschritte hin, die während
der letzten drei Jahrzehnte in der Ornithologie Afrikas gemacht
worden sind. In den siebziger Jahren kannte man aus Afrika
etwa 1600 Arten, heut lässt sich die Zahl auf gegen 2500 schätzen.
An Artenzahl steht Afrika nur Südamerika nach. Redner geht
Bericht über die Jahresversammlung. 105
sodann auf die Beziehungen der afrikanischen Vogelwelt zu den
anderen Tiergebieten näher ein. Die meiste Übereinstimmung hat
die Vogelfauna Afrikas mit der des indischen Gebietes. Enge
Beziehungen bestehen aber auch zwischen der afrikanischen und
europäisch-sibirischen Vogelfauna, was aus der Entstehung der
Vogelwelt in den nördlichgemässigten Breiten sich erklärt, denn
unsere Vögel sind zum grossen Teil nach der Eiszeit von Süden
her und hauptsächlich von Afrika in ihre jetzigen Wohngebiete
eingewandert.
Am Schlusse seines Vortrages legt Hr. Reichenow den
ersten Teil seines Werkes „Die Vögel Afrikas‘ der Versammlung vor.
Hierauf erhält Herr Kollibay das Wort zum Berichte
über die Kassenprüfung. Es wird Entlastung erteilt und der
Vorsitzende spricht unter dem Beifall der Versammlung dem
Kassenführer, Herrn Deditius, den Dank der Gesellschaft für
seine ausgezeichnete Verwaltung aus.
Als nächster Vortragende ergreift Hr. Schalow das Wort.
Über die Herausgabe
einer ornithoiogischen Bibliographie Deutschlands.
Von Herman Schalow.
In dem ersten Bande der Birds of the Colorado Valley,
welchen Elliott Coues im Jahre 1878 veröffentlichte, findet sich
am Schluss desselben ein Bibliographical Appendix !), welcher, mit
dem Jahre 1612 beginnend, eine Liste der faunistischen Ver-
öffentlichungen über die nordamerikanische Vogelfauna enthält.
Derselbe ist im Sinne des Herausgebers als „the first instalment“
einer umfangreichen Universal Bibliographie der gesamten Orni-
thologie zu betrachten.
In dem darauf folgenden Jahre, 1879, erschien eine zweite
Arbeit?) desselben Autors, welche die faunistischen Publicationen
über die Vögel des nicht nearktischen Gebietes von Amerika zu-
sammenstellt.
1) Birds of the Colorado Valley, a repository of scientific and po-
pular information eoncerning North American Ornithology by Elliott Coues.
Pt. 1. Washington 1878. Bibliographical Appendix p. 567— 784.
2) Second Instalment of American Ornithological Bibliography
(Bull. U. St. Geolog. and Geogr. Surv. of the Territories. vol. 5. No. 2.
8. Sept. 1879.
106 Bericht über die Jahresversammlung.
Der dritte!) den Gegenstand behandelnde Aufsatz Elliott
Coues’ giebt die Titel aller derjenigen Veröffentlichungen, welche
sich in systematischer Hinsichtmitden Vögeln Amerikas beschäftigen.
In den einleitenden Worten des ersten Teils dieser biblio-
graphisch-ornithologischen Arbeiten sind von dem berühmten
amerikanischen Vogelkundigen eingehend die Grundzüge erläutert
worden, welche ihn bei der Bearbeitung der Materie leiteten.
Die hier niedergelegten Grundzüge sind als bindende und aus-
schliesslich massgebende für Veröffentlichungen dieser Art zu
bezeichnen. Nicht nur für heute und morgen, sondern unbe-
stritten für alle Zeit. Diese Arbeiten des der Wissenschaft zu
früh entrissenen amerikanischen Forschers sind mustergültig und
werden es auch immer bleiben.
In seinen bibliographischen Veröffentlichungen werden von
Coues die Titel der einzelnen Arbeiten in chronologischer Reihen-
folge gegeben. Zum schnelleren Auffinden des Gesuchten sind
dann dem Hauptteil der Arbeit zwei alphabetisch geordnete
Indices beigefügt, von denen der eine ein Verzeichnis der geo-
graphischen Gebiete, der zweite ein solches der einzelnen Autoren
giebt. So ist einerseits dem practischen Bedürfnis Rechnung
getragen und andererseits zugleich durch die chronologische An-
ordnung des Stoffes ein Überblick über die historische Entwickelung
der Materie gegeben, welcher bei einer Aufzählung der einzelnen
Arbeiten nach alphabetischer Anordnung der Autoren, wie sie
bei uns in Deutschland meist beliebt wird, vollständig verloren
geht. Den grössten Wert bei derartigen Arbeiten hat Coues auf
bibliographische Genauigkeit gelegt. „The title is a thing,“
sagterin den einleitenden Worten seiner ersten Übersicht „no more
to be mutilated than a man’s name; and the compiler must take
the utmost pains to secure transcription of titles verbatim,
literatim et punctuatim. It may be added, that excepting
in certain specified cases, no title in this Bibliography has
been taken at second-hand.“ Das sind Grunsätze, die bei jeder
wissenschaftlichen Bibliographie eingehalten werden sollten.
Die vorgenannten Arbeiten Elliott Coues fanden die unge-
teilteste Anerkennung aller Fachgenossen. Die Sichtung des un-
!) Third Instalment of America Ornithological Bibliography (Bull.
U. 8. Geolog. and Geogr. Survey of the Territories. vol. 5. No. 4, 1879.
p. 521—1066 [erschienen Sept. 1880),
Bericht über die Jahresversammlung. 107
geheuren und zerstreuten Materials war hier bei kritischer
Auslese in geradezu mustergültiger Weise geschehen. Die „Nature“
berichtete s. Z., dass Dr. Coues eine von Flower, Huxley, Darwin,
Mivart, Wallace, Gould, Sclater, Günther, Newton u. a. gezeichnete
Denkschrift erhalten hätte, welche ihn zu der Herausgabe seiner
biblographischen Arbeiten beglückwünschte und dabei die ganz
besondere Befähigung des amerikanischen Forschers für derartige
Untersuchungen betonte. Dabei wurde auf die Wichtigkeit, um
nicht zu sagen Notwendigkeit der Herausgabe einer Bibliographie
der gesamten Ornithologie hingewiesen und zugleich der Wunsch
ausgesprochen, dass bald eine den amerikanischen Übersichten
ähnliche Arbeit über die britischen Inseln erscheinen möge.
Im Jahre 1880 erfüllte Elliott Coues diesen letzteren
Wunsch. Es erschien der vierte!) Teil seiner bibliographischen
Untersuchungen, welcher die englische Fauna behandelt. Leider
fanden die ornithologischen Veröffentlichungen dieser Art Elliott
‚Coues’ damit ihren Abschluss.
Die Wichtigkeit und Bedeutung bibliographischer Arbeiten
sind längst anerkannt, sodass sie nicht an dieser Stelle besonderer
Darlegung bedürfen. Sie sind eine Notwendigtkeit für jeden,
der wissenschaftiich arbeiten will. Sie allein gewähren eine
schnelle Orientierung über die Literatur eines Gebietes. Auch
in Deutschland hat man dies lange empfunden und das Fehlen
einer solchen Arbeit schmerzlich bedauert. Vor zwanzig Jahren
hatten Anton Reichenow und der Verfasser dieser Zeilen damit
begonnen, das zerstreute Material für eine bibliographisch-ornitho-
logische Arbeit zu sammeln. Doch die Schwierigkeiten, die sich
solchem Versuch entgegenstellten, wurden anfangs unterschätzt
und führten später zum Aufgeben der Arbeit. Aber es dürfte
sich als notwendig erweisen, die Arbeit auf's neue, und zwar
auf breiterer Grundlage in Angriff zu nehmen. Nur wenige
brauchbare Veröffentlichungen über einzelne deutsche Gebiete
giebt es, die als Vorarbeiten herangezogen und benutzt werden
könnten. So die ganz vortreffliche Übersicht über die Vogelfauna
von Braunschweig?) und der angrenzenden Gebiete, welche von
1) Fourth Instalment of Ornithological Bibliography: being a list
of faunal publications relating to British Birds. (Proc. United St. Nat.
Mus. vol. 1I, May 1880, p. 359-—475.)
2) Wilh. Blasius, Die faunistische Literatur Brauschweigs und der
Nachbargebiete mit Einschluss des Harzes. Braunschweig 1891. gr. 80. 2398.
108 Bericht über die Jahresversammlung.
unserem verehrten Geheimrat Wilhelm Blasius verfasst worden
ist, und die auch in der Einleitung beherzenswerte Winke enthält;
so ferner auch verschiedene bibliographische Zusammenstellungen,
welche einzelnen faunistischen Arbeiten, die im Journal für Orni-
thologie und in anderen Zeitschriften erschienen sind, beigegeben
wurden. Durchaus unzulänglich und vom Standpunkt ornitho-
logisch-bibliographischer Arbeiten meist lückenhaft ist das in
den verschiedenen „Mitteilungen zur deutschen Landeskunde“
enthaltene Material. Auch die grossen ornithologischen bezw.
allgemein zoologischen Repertorien von Giebel, Carus, Taschen-
berg u. a. lassen den Suchenden oft im Stich. Das in vielen
kleinen localen Zeitschriften verzettelte und zerstreute Material
findet sich in den oben genannten Veröffentlichungen nur aus-
nahmsweise benutzt. Ich möchte hier z. B. an die Zeitschriften,
Veröffentlichungen, Jahres- und Sitzungsberichte der naturwissen-
schaftlichen Vereine, Gesellschaften und Societäten von Landshut,
Ulm, Elberfeld, Schleswig, Cassel, Frankfurt a. O., Luxemburg,
Posen, Chemnitz, Nürnberg, Osnabrück, Magdeburg, Danzig,
Bistritz, Erlangen erinnern, auf die Schriften des Vereins für
Naturgeschichte der Baar und der angrenzenden Landesteile in
Donaueschingen, auf die Jahreshefte des naturw. Vereins für das
Fürstentum Lüneburg, u. s. w. hinweisen, alles Veröffentlichungen,
in denen sich mannigfache kleine Notizen, die meist übersehen
werden, befinden.
Ich denke mir eine bibliographische Bearbeitung der ornitho-
logischen Literatur Deutschlands wie folgt: Deutschland ist
aus Zweckmässigkeitsgründen für eine derartige Arbeit als
politisches Gebiet aufzufassen und demgemäss die Übersicht
der einzelnen Veröffentlichungen zu begrenzen. Würde man das
deutsche Sprachgebiet der Arbeit zu Grunde legen, so müsste
eine Anzahl heterogener Gebiete Aufnahme finden. Hierin liegt
eine gewisse Schwierigkeit. Elliot Coues war bei seinen Arbeiten
in der glücklichen Lage, geographisch abgegrenzte Gebiete be-
handeln zu können. Die Bearbeitung des deutschen Materials
müsste durchaus nach den von dem vorgenannten Ornithologen
festgelegten Grundsätzen stattfinden. Sie würde für Deutschland
alles das umfassen, was Coues in seinen drei Beiträgen für
Amerika gegeben hat. Es würden also alle localen faunistischen
Arbeiten zu berücksichtigen sein, ferner alle biologischen Be-
obachtungen soweit dieselben nicht genereller Natur sind, und alle
Bericht über die Jahresversammlung. 109
systematischen Arbeiten, die im Titel oder im Text erkennbar
deutsche Vögel behandeln. Doch all diese Einzelheiten sind
curae posteriores und bleiben späterer Aufstellung eines gemein-
samen Arbeitsmodus vorbehalten.
Ich möchte die wenigen vorstehenden Worte über diesen
Gegenstaud dahin zusammenfassen, dass ich bei der heutigen
fünfzigsten Jahresversammlung unserer deutschen ornithologischen
Gesellschaft, unter Betonung der ausserordentlichen Bedeutung
dieser Arbeiten, den Antrag stelle:
geneigtest beschliessen zu wollen, dass Seitens unserer
Gesellschaft eine Ornithologische Bibliographie Deutschlands
bearbeitet werde, und dass eine hierfür zu wählende Commission
den Plan der Arbeit und der Arbeitsteilung der Geseilschaft
vorlegen solle;
und dass ich mit diesem Antrage die Bitte verknüpfe:
den Referenten in die betreffende Commission wählen zu wollen.
Die Versammlung beschliesst nach dem Antrage des Redners
die Herstellung einer ornithologischen Bibliographie Deutschlands
in die Hand zu nehmen und beauftragt Herrn Schalow mit der
Übernahme der Vorarbeiten.
Bemerkungen
zur Zoogeographie des westlichen Mikronesiens.
Von Paul Matschie.
Mit dem Namen Mikronesien umfasst man diejenigen Inseln
des Grossen Oceans, welche von 130° östl. Länge nach Westen bis
180° im wesentlichen zwischen dem Wendekreise des Krebses
und dem Äquator liegen.
Es sind die Palau-Inseln, Yap, die Marianen, Karolinen,
Marshall- und Gilbert-Inseln. Über die Vogelwelt der letzten
beiden Gruppen wissen wir noch sehr wenig; da sie nur aus
Koralleninseln bestehen, so werden sie wahrscheinlich solche
Formen nicht mehr besitzen, welche ihnen allein eigentümlich sind.
Über die Ornis der Palau-Inseln, von Yap, den Karolinen
und Marianen sind wir durch die Forschungen von Kubary,
Finsch, Owston, Quoy, Gaimard, Hombron, Jacquinot,
Kittlitz, Marche, Freycinet, Tetens und anderen besser
unterrichtet, wiewohl auch hier noch sehr viel zu thun übrig bleibt.
110 Bericht über die Jahresversammlung.
Lionel W. Wiglesworth hat in den Abhandlungen und
Berichten des Kgl. Zoologischen und Anthropologisch- Ethnogra-
phischen Museums zu Dresden, 1890/91 Nr. 6, unter dem Titel
Aves Polynesiae einen Catalog der Vögel Polynesiens heraus-
gegeben, welcher auch Zusammenstellungen der in den hier zu
behandelnden Gebieten vorkommenden Arten enthält. In dieser
schönen Arbeit findet man ferner unter der Synonymie bei jeder
Art die wichtigen Hinweise auf die Literatur.
Von späteren Veröffentlichungen über Mikronesien erwähne ich:
0. Finsch. Systematische Übersicht der Ergebnisse
seiner Reisen und schriftstellerischen Thätig-
keit, 1859—1899. Berlin 1899.
L. W. Wiglesworth. KRemarks on the Birds of the
Gilbert Islands. Ibis 1893. p. 210-215.
W. von Rothschild. A New Species of Rail. Novi-
tates Zoolog. II. 1895. p. 481. [.Rallus
owstoni von Guam].
=
. ÖOustalet. Les Mammiferes et les Oiseaux des
Iles Mariannes. Nouv. Arch. Mus. Hist. Nat.
Paris VII, 1895. p. 181—228. VIII, 1896.
p- 25 —74.
‘. Hartert. On tbe Birds of the Marianne Islands.
Nov. Zool. 1898. p. 51—69.
E. Hartert. Tephras ruki Bull. Brit. Ornith. Club
XLVII, Okt. 1897.
E. Hartert. The Birds of Ruk in .the Central Caro-
lines. Nov. Zool. 1900. p. 1-11.
Die in Mikronesien vertretenen Gattungen sind in der Mehr-
zahl auch auf Neu-Guinea vorhanden. Mit den Schwimmvögeln
sowie den Strand- und Sumpfvögeln will ich mich hier nicht
weiter beschäftigen: sie sind zum grössten Teil weit verbreitet.
Nur eine Ente auf den Marianen (Anas oustaleti), eine Ralle auf
Kuschai (Aphanolimnas monasa) und das Purpurhuhn erwecken
grösseres zoogeographisches Interesse.
es
Ferner dürfen wir von unserer Betrachtung auch alle die-
jenigen Arten ausschliessen, welche aus Asien nur zu bestimmten
Jahreszeiten erscheinen.
Somit beschränken wir uns auf die Brutvögel.
Bericht über die Jahresversammlung. 111
Aus der Literatur habe ich folgende Übersicht zusammer-
gestellt, welche die Verteilung der einzelnen Vogelformen in
Mikronesien erläutert. (s. Übersicht I. auf $. 112 und 113).
Hiernach leben folgende Gattungen nur auf je einer Insel-
gruppe:
[die mit * bezeichneten sind von keinem anderem Fundorte bekannt]
Palau-Inseln: Scops, Caprimulgus, Artamus, Pinarolestes,
* Psammathia, Caloenas, Porphyrio.
Yap: *Pomarea, Edolvisoma.
Marianen: Corvus, Anas, *Oleptornis.
Karolinen: Chalcopsitta, Oalornis, Erythrura, *Metabolus, *Aplo-
nis pelzelni, *Aphanolimnas.
Alle oben genannten Formen müssen vielleicht für die be-
treffenden Inseln als charakteristisch angesprochen werden; die
Möglichkeit ist aber vorläufig noch nicht ausgeschlossen, dass sie
auch noch an einer andern Stelle mit denselben Arten resp.
Abarten vertreten sind. Deshalb würde es unvorsichtig sein, auf ihr
Vorkommen hin Betrachtungen über die zoogeographischen Be-
ziehungen der einzelnen mikronesischen Inselgruppen anzustellen.
Wesentlich günstigere Verhältnisse bieten uns diejenigen Gat-
tungen dar, welche auf mehreren oder allen von uns zu betrachtenden
Inseln vertreten sind. Allerdings müssen wir von vornherein Collo-
calia, Myzomela, Aplonis kittlitzi und Carpophaga ausschliessen,
weil sie nur in je einer einzigen Form in Mikronesien auftreten.
Es bleiben noch die in der Übersicht I. (s. $. 113) zusam-
mengestellten Gattungen übrig, über die folgendes zu bemerken ist:
Myiayra pluto ist sehr verschieden von M. oceanica und
ebenso Tephras ruki und ponapensis; ich halte es sehr wohl für
möglich, dass M. pluto neben M. oceanica und T. ruki neben T.
ponapensis lebt. Zosterops, Acrocephalus, Phlegoenas und Piik-
nopus sind auf Ruck und Ponape durch dieselbe Abart vertreten;
auch die Erythrura sieht auf beiden Inseln gleich aus.
Es scheint also, dass Ponape und Ruck eine gleich-
artige Vogelwelt besitzen.
Ualan ist noch sehr wenig bekannt; der kleine graue Zosterops
von dort (T. cinereus) gehört, aber nicht zu derselben Form,
welche Ponape bewohnt, sondern zu einer sehr ähnlichen, aber
doch verschiedenen und die Ptilinopus-Taube von Ualan unter-
scheidet sich ebenfalls von der Ponape-Taube durch bestimmte
Merkmale.
Bericht über die Jahresversammlung.
112
ıkıegny SNAION
BUTAIOI BUTAAOI STULOIEN
TZyyıN
tzyıyy3 pun 1ujozjod Tzyıpyy TZUYN zu Tzyıaa sıuopdy
voaydLı} BoaydLı? Boly9Lı eaınıqyjÄag
sIsuaon.ı snjoqeIoN
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113
Bericht über die Jahresversammlung.
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114 Bericht über die Jahresversammlung.
Dagegen wird für Ualan dieselbe Form von Acrocephalus
angegeben, wie für Ruck und Ponape.
Da auf Ruck auch der fliegende Hund, Pieropus, in einer
andern Abart auftritt als auf Ualan, so glaube ich, dass diese
Insel gewisse, nur ihr eigentümliche Tierformen besitzt, welche auf
den mittleren Karolinen durch verwandte Abarten ersetzt werden.
Ualan wird also wahrscheinlich in einem andern
zoogeographischen Gebiete liegen als Ruck und Po-
nape.
Auf Yap sind die Gattungen Khipidura, Zosterops, Thephras
und Phlegoenas durch Formen vertreten, welche nur von dort
bekannt, aber auf den Palau-Inseln und den Marianen durch
sehr nahe verwandte Abarten ersetzt sind.
Yap muss also zoogeographisch sowohl von den
Palau-Inseln als auch von den Marianen getrennt
werden. Diese beiden letzteren unterscheiden sich ebenfalls
voneinander in hohem Grade, die Gattungen Halcyon, Rhipidura,
Myiagra, Zosterops, Phlegoenas, Ptilinopus und Megapodius sind
durch eigentümliche, aber verwandte Formen vertreten. Beide
unterscheiden sich aber in ihren faunistischen Verhältnissen auch
von den Karolinen; denn die vorher genannten Gattungen leben
auf diesen in andern Abarten als auf den Palau-Inseln und Ma-
yjanen. Guam und Saipan scheinen zoogeographisch fast voll-
ständig übereinzustimmen; wir finden aufihnen dieselben Vertreter
der Gattungen Acrocephalus, Phlegoenas, Ftilinopus und Mega-
podius. Der Zosterops von Saipan scheint allerdings nach Hartert
etwas anders auszusehen als derjenige von Guam; Hartert hat
auch die Rhipidura, welche Saipan bewohnt, von der Guam- Rhi-
pidura getrennt.
Haleyon albicilla von Saipan ist mit HA. cinnamomina von
Guam so wenig verwandt, dass beide auch nebeneinander vor-
kommen könnten.
Vorläufig lässt es sich noch nicht entscheiden, ob
die nördlichen Marianen von den südlichen zoogeo-
graphisch verschieden sind.
Wir haben also 5 kleine Faunengebiete zu unterscheiden,
deren jedes einige nur ihm eigentümliche Vogelformen enthält: die
Palau-Inseln, Yap, die Marianen, die westlichen Karo-
linen mit Ruck und Ponape, die östlichen Karolinen mit
Ualan.
Bericht über die Jahresversammlung. 115
Über Merops saladorii A. B. M.
Von Dr. J. v. Madaräsz.
(Hierzu Tafel I).
Das ungarische National Museum besitzt zwei alte männ-
liche Exemplare dieser Art, und zwar aus Deutsch Neu-Guinea. Dr.
A. Reichenow bezeichnet in seinem trefflichen Werke: „Die
Vögel der Bismarckinseln‘“ (Mitth. aus d. Zool. Samm. d. Mus. f.
Naturk. I. H. 3. p. 77. 1899.) diese Art als den Bismarckinseln
eigentümlich, und behauptet, dass nur ein einziges junges Exemplar
des Meyer’schen Typus bekannt sei. Wie es scheint, hat Dr.
Reichenow meinen Aufsatz „Samml. Fenichels Ornith. Ergebnisse
aus dem Finisterre Gebirge in Neu Guinea (1892—93)“ (Aquila,
p- 72—106, 1894) bezw. den diesbezüglichen Passus desselben
(p- 97) nicht zu Gesicht bekommen. Ich habe damals unsere
Exemplare auf Grund Studiums und der Meinung von R. B.
Sharpe und Count T. Salvadori zu Merops salvadorii gezogen.
Sharpe hat unsere Exemplare mit folgender Bemerkung versehen:
„Ihey cannot be referred to M. philippinus, and they belong,
in all probability to the bird from New Britain, which Dr. Meyer
named Merops salvadorü. Unfortunately the specimen described
by Dr. Meyer was immature, and we do not find all his diffe-
rences borne out by the adult bird from the Finisterre Mountains.
The golden olive tint at the upper surface and the more golden green
shade which overspreads the lower surface, the lighter blue of
the upper tail-coverts, and the slightly greener tail, all characters
selected by Dr. Meyer for bis M. salvadori, are present in the
Finisterre specimens In addition to these well-marked differences
from M. philippinus there is also the narrower moustachial streak,
which is white or pale blue in M. salvadorii, not brillant blue; and
the frontal and superciliary streak, which is blue in M. philippinus,
is yellowish with scarcely any tint of blue in M. salwadoriüi.“
Unsere betreffenden Exemplare aus Deutsch Neu-Guinea
können nichts anderes als zwei alte, entwickelte Exemplare von
M. salvadorii sein. Diese Vögel unterscheiden sich schon auf
den ersten Blick durch ihre lebhaft goldolive Färbung von M.
philippinus. Ausser diesem Hauptmerkmale unterscheiden sich
dieselbenauch dadurch, dassderschmale Stirnrand gelblich weiss statt
blau ist, ferner dass der seitlich der kastanienbraunen Kehlfärbung
befindliche lichte Teil bei dem einen Exemplar rein gelblich-
weiss ist, bei dem andern aber ins Blassblaue übergeht, nicht aber
lebhaft lichtblau ist, wie bei M. philippinus. Die zwei mittleren
Schwanzfedern sind bei beiden Exemplaren sehr lang, die übrigen
Schwanzfedern bei einem 74, beim andern um 85 mm. überragend.
Länge circa 31—32, Flügel 12,8—13,3, Schwanz 10—10,5
(Mittelschwänzfeder 17,5—18), Culm. 4,1—4,3, Tarsus 1,1 cm.
Fenichel hat diese Vögel in Deutsch-Neu-Guinea in der
Umgebung des Dorfes Bongu, am 26. u. 27. August 1892 erlegt.
gr
116 Bericht über die Jahresversammlung.
Hiernach ergreift der Vorsitzende das Wort:
Reiseskizzen aus dem Nordwesten Frankreichs,
‚mit besonderer Berücksichtigung der
naturhistorischen Sammlungen.
Von Professor Dr. R. Blasius.
Das Gebiet, das ich heute im Geiste mit Ihnen durch-
wandern möchte, umfasst den Nordwesten unseres westlichen
Nachbarlandes, begrenzt im Osten vom Flusslauf der Seine, im
Norden vom Kanal, im Westen vom atlantischen Ocean, im Süden
von der Loire, entsprechend den bis 1790 geltenden Gouverne-
ments: Normandie, Bretagne, Anjou, Touraine und Orleanais. Seit
der französischen ersten Revolution sind officiell die alten Namen
den neuen Departements-Bezeichnungen gewichen und entspricht
ungefähr jetzt die Normandie den Departements: Seine-Infe-
rieure, Eure, Calvados, Orne, Manche, die Bretagne: Ille et
Villaine, Cötes du Nord, Finistere, Morbihan, Loire-Inferieure,
Anjou: Maine et Loire, Touraine: Indre et Loire und
Orleanais: Loiret, Eure et Loir, Loir et Cher. — Abgesehen
von den beiden grossen Becken der Seine und Loire, bietet das
Gebiet namentlich im Norden und äussersten Westen eine Reihe
von kleineren Flussbecken, deren Ausmündungen sich direct in
das atlantische Meer und den Kanal ergiessen. Von der Loire-
bis zur Seinemündung gerechnet, sind es: Vilaine, Blavet, Aune,
Rance, Orne, wenn man von den kleineren Flüsschen absehen will.
Grosse, hohe Gebirge finden sich im Gebiete nicht, die
Normandie bietet den Charakter eines anmutigen Hügellandes;
die Bretagne, ein grosses Granitplateau, zeigt 3 kleinere Erhe-
bungen, die Montagnes d’Arree, die sich vom Meere von der
Rade de Brest östlich bis zum Le Men& südlich vom St. Brieuc
fortsetzen, nördlich am rechten Ufer der Aune, die Montagnes
noires, südlich am linken Ufer der Aune, und die Landes de
Lanvaux nördlich von der Vilaine; Anjou, Touraine und Orleanais
sind flache Gezenden.
Die Wälder sind seit der ersten französischen Revolution
sehr verkleinert, von 12 Millionen Hektar auf 8 Millionen 400000
herabgesetzt, in der Bretagne finden sich noch viele, grosse,
zusammenhängende Forsten, ebenso in der Normandie. Der
Hauptbaum ist die Eiche.
Wenn man Frankreich nach der Hauptproduktion in 5
Zonen teilt, von Südosten nach Nordwesten gerechnet, die Zone
der Orangen, der Olbäume, des Mais, der Weintraube und des
Apfelbaumes, so gehört unser Gebiet hauptsächlich der Zone des
Apfelbaumes, nach Süden begrenzt durch eine Linie, vom Golf
von Morbihan nach den Ardennen, und ragt nur an den Ufern
der Loire in das Nordgebiet der Zone des Weines. Frankreich ist
ausserordentlich fruchtbar, fast95Prozent desLandes sind ceultiviert,in
Bericht über die Jahresversammlung. 117
unserem Gebiete wird namentlich viel Getreide (Roggen, Weizen
und Hafer), und Kartoffeln gebaut, der Obstbau (Apfel und Erd-
beeren) getrieben und sehr viel Wiesenkultur für Viehzucht
ausgeübt. Odland findet sich namentlich in der Bretagne, wo
Ginstern und DUlex europaeus oft meilenweit die Hochflächen
des Granitplateaus bedecken. Nichts destoweniger ist im Ganzen
das Land sehr reich, man rechnet im Ganzen auf einen Hektar
ce 53 fres. jährliches Einkommen, und Land, Gebäude, Inhalt
der Wohnungen zusammengezählt, durchschnittlich auf jeden
Einwohner Frankreichs 8400 fres.
Dementsprechend hat das Land schon lange die Früchte
einer solchen Wohlhabenheit genossen, die Hauptstädte der
früheren Gouvernements, früherer Herzogtümer und Königreiche,
die Hauptstädte der jetzigen Departements zeigen alte pracht-
volle, öffentliche Gebäude und Kirchen. Die Städte wetteifern
darin, eigene Museen, sowohl auf dem künstlerischen, wie auf
dem naturwissenschaftlichen Gebiete zu besitzen und häufig haben
serade die einzelnen Gemeindeverwaltungen hierin mehr noch
geleistet als der Staat.
Land und Leute, Kunst und Wissenschaft zu studieren,
war der Zweck meiner diesjährigen Erholungsreise nach dem
Nordwesten Frankreichs.
Nach einem flüchtigen Besuche von Aachen betraten wir
französischen Boden nach einer kurzen Fahrt durch das industrien-
reiche malerische Belgien am 23. Mai und trafen noch an dem-
selben Abend ein in
Amiens, der alten Hauptstadt der Picardie, jetzt Haupt-
stadt des Departements der Somme, schon seit der Römerzeit
bestehend, damals „Samarobriva“ genannt, als Hauptstadt der
Ambianer, von Julius Cäsar erobert. Ausser der prachtvollen,
von 1220 — 1288 erbauten gothischen Kathedrale, einer der
schönsten Frankreichs, besitzt die Stadt ein prächtiges Museum
mit Kunstsammlungen (Catalogue descriptif des tableaux et
seulptures du Musee de Picardie von 1899) und interessanten
Altertümern und im botanischen Garten ein Kabinet mit einer
kleinen naturhistorischen Sammlung. Nordwestlich von
der Stadt, am rechten Ufer der Somme, die die Stadt durchfliesst,
ist eine ausserordentlich intensive Gartenwirtschaft (Hortillonages)
entwickelt. Das Land (,„Santerre‘“ genannt) erscheint sehr frucht-
bar, schwarze Ackererde darbietend, ist überall von kleinen
Kanälen durchzogen, auf denen die Gärtner in ihren kleinen,
einrudrigen Booten hin und herfahren, um die Gemüse zu
pflanzen, zu begiessen und zu ernten und auf denen sie dann die
Gemüse und Früchte offenbar direct in die Stadt hinein befördern
können. — In der Nähe des Museums befindet sich die städtische
öffentliche Bibliothek mit mehr als 80000 Büchern und 572
Manuskripten. — Die Lage der Stadt ist überaus anmutig, die
alten Festungswerke sind zu Promenaden und Parkanlagen um-
118 Bericht über die Jahresversammlung.
gestaltet, die zahlreichen, nahen Arme der Somme bieten für die
Singvögel grosse Anziehungspunkte, in unserem Hötel-Garten
lauschten wir dem prachtvollsten Gesange der Nachtigall (Lusei-
nia luscinia).
Durch ein reizendes Hügelland, mit abwechselndem Walde,
im vollsten Apfelbaumblütenschnucke stehenden Obstgärten,
grünenden Kornfeldern, gelangt man in 31/, Stunden nach
Rouen, äusserst malerisch im Seine-T'hal gelegen, der alten
Hauptstadt der Normandie, jetzt Hauptstadt des Departements
„Seine inferieure‘, mit 113219 Einwohnern, der wichtigsten
Stadt Frankreichs für mittelalterliche Baudenkmäler. Die Stadt
bestand unter dem Namen „Rotomagus“ schon zur Zeit der
Römer und wurde 841 von den Normanen bei ihrem ersten Ein-
falle nach Frankreich erobert. Abgesehen von dem prachtvollen,
Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts erbauten Justiz-
palast, der vom 13. bis 16. Jahrhundert errichteten Cathedrale
Notre Dame, der Kirche St. Maclou aus dem 15 Jahrhundert,
der Kirche St. Ouen aus dem 14. Jahrhundert, dem architectonisch
hochinteressanten Hötel du Bouretheroulde aus dem 15 und
16. Jahrhundert und einer 132000 Bände, 3500 Manuskripte und
2000 normannische Portraits umfassenden Bibliothek besitzt
die Stadt 3 Museen, ein Musde des beaux arts mit Sculp-
turen, Bildern (Catalogue des ouvrages de peinture, dessin,
sculpture et architecture par Edmond Lebel) von 1890 und einer
grossartigen Fayence-Sammlung von Rouen, ein Museed’anti-
quitds mit entzückenden alten Holzmöbeln und ein Muse&e
d’Histoire naturelle. Dasselbe enthält eine allgemeine
sehr interessante Vogelsammlung mit schön aufgestellten Exem-
plaren. Vor allem fielen mir einige malerische Gruppen von
Seevögeln auf, die in der Art des Museum Booth in Brighton
mit entsprechender Staffage, z. B. die Möven uud Alken an
steilen Felswänden nistend, aufgestellt waren, dann hatte man
eine sehr lehrreiche natürliche Nestersammlung zusammengebracht
und in einzelnen Fällen, z. B. bei den Uferschwalben und Eis-
vögeln die Nistweise künstlich dargestellt, höchst instructive
Schaustücke für das besuchende Laienpublikum. Sehr interessant
ist auch ein in plastischen Formen dargestellter normannischer
Geflügelhof, in dem die in der Normandie gezüchteten Racen von
Hühnern, Tauben, Enten u. s. w. in sehr niedlichen natürlichen
Gruppierungen vorgeführt werden. Offenbar hatte man auch an-
gefangen, eine normannische Localsammlung anzulegen, die
Hauptsache ist aber die reichhaltige allgemeine Vogelsammlung.
— Von Säugetieren sind nur einige gut ausgestopft, z. B.
ein in der Nähe geschossener Edelhirsch (Cervuus elaphus). —
Abends unternahmen wir mit einer electrischen Bahn einen Aus-
flug nach der Eglise Bonsecours, einer 3 Kilometer strom-
aufwärts auf einem 150 m hohen vorspringenden Hügel des
rechten Seine-Ufers gelegenen Wallfahrtskirche mit prächtiger
Bericht über die Jahresversammlung. 119
Aussicht auf das malerische Flussthal und die meilenweit sich im
Westen und Norden ausdehnenden Waldungen. Daneben ist ein
Denkmal der Jungfrau von Orleans errichtet, die in
Rouen auf dem Place du Vieux-Marche verbrannt wurde, wie an
der Stelle auf dem Platze in einer Inschrift bemerkt wird. Es
siebt wenige Punkte in der Normandie, die eine so schöne und
zugleich characteristische Aussicht bieten, die zahlreichen breiten
Bogenlinien der Seine erinnern mit den bewaldeten Inseln an den
Rhein, die waldigen Hügel an Thüringens Berge, dazwischen
dann die tausende und abertausende von blühenden Apfelbäumen,
die die Landschaft so entzückend verschönern.
Am andern Morgen besuchte ich die Privatsammlung
von Herrn
Gadeau de Kerville in der Vorstadt St. Severe, Rue
Dupont, No 7. Der gelehrte Verfasser der Faune de la Nor-
mandie (in 4 Abteilungen erschienen im Bulletin de la Soeciete
des Amis des Sciences naturelles de Rouen, die Vögel speciell,
Fasc. II, im 1. Semester 1889 mit einem Nachtrage im 2. Se-
mester 1896), der sich mit der gesamten Zoologie, auch mit
den niederen Tieren: Mollusken, Krebsen u. s. w. befasst und
bereits eine grosse Anzahl wissenschaftlicher Arbeiten, zuletzt
auch aus dem Gebiete der Botanik, geliefert hat, wohnt bei
seinen Eltern, besitzt eine reiche Privatbibliothek (speciell auch
auf ornithologischen Gebiete sind die hauptsächlichsten Local-
faunen der verschiedenen Departements vertreten), ist kein Feld-
Ornitholog. Die meisten Angaben in seinen Vögeln der Normandie
stammen aus Sammlungen, Büchern und von Angaben Anderer. Die
Vogelsammlung ist klein, enthält sehr viele Ausländer, namentlich
solche, die draussen in der prachtvollen Voliere von Gadeau’s Mutter
eingegangen sind. In der Voliere selbst flogen noch viele Pa-
pageien, Tauben, Fasanen u. s. w. umher, auf den Teichen tum-
melten sich sehr schöne Prachtenten (Anas sponsa, perspicillata
u. Ss. w.) und entzückende Jagdhunde gaben dem Besucher
ihr Geleit. Dazu kam dann noch ein sehr schön eingerichtetes
Laboratorium mit Mikroskopen. Kurzum Alles heimelte den Be-
sucher an, wenn er unter der Führung des liebenswürdigen Be-
sitzers diese Schätze in Augenschein nehmen durfte.
Eine reizende abwechslungsreiche Fahrt führte uns durch
gebirgiges bewaldetes Terrain am Nachmittage nach
Elboeuf, einem kleinen modernen Städtchen mit 20542
Einwohnern, das seit dem 18. Jahrhundert berühmt ist durch
seine Tuch-Fabriken und offenbar viel Reichtum in sich birgt.
In einem grossen modernen Stadthause befindet sich im Erd-
geschoss das „Mus&e scientifique“. Ein alter Krieger von Seba-
stopol, der offenbar entzückt ist, wenn er Gelegenheit hat, Fremde
umherzuführen, setzt in ächt französischer lebhafter Weise mit
den entsprechenden Körperbewegungen die Vorzüge der Samm-
lungen aus einander. Der Grundstock der ornithologischen-
120 Bericht über die Jahresversammlung.
Sammlung stammt von dem Konservator M. Noury her, der
Alles, was er an Naturalien, namentlich Vögelbälgen und Eiern
zusammengebracht hat, für 30000 fres. an die Stadt verkaufte.
Vor 6 Jahren starb er und ging die Leitung des Museums in
die Hände des jetzigen Konservators L. Coulon über, Professor
am dortigen Gymnasium. Noury hat offenbar mit Verständnis
gesammelt, sehr schöne Exemplare zusammengebracht und selbst
sehr gut ausgestopft, aber leider sonst niemals Fundort und Zeit
angegeben. Der jetzige Director Coulon beschäftiet sich haupt-
sächlich mit Geologie und Paläontologie, hat aber das Bestreben,
das, was jetzt noch angeschafft wird, richtig zu etikettieren, und
konnte, wenn er auch nicht speciell Ornitholog ist, über die
einzelnen interessanten Vögel sehr gute Auskunft geben. Von
den Vögeln fielen mir besonders folgende auf:
Wiesenweihe (Üörcus cineraceus), 3 sehr schöne Melanismen;
Goldfasan, eine sehr schöne hahnenfedrige Henne;
Ibis (Ibix falcinellus), 1 Ex. 1890 in Crefaux (Eure) erlegt;
Dougall’s Seeschwalbe, (Sterna Dougaili), altes g, Juli’
1898 auf Belle-Isle geschossen;
Zwerg-Sumpfhuhn, (ARallus pusillus, Bechst.) aus Nizza,
vom April 1879; A
Habicht (Astur palumbarius), sehr schöne Ubergangskleider;
Triel (Oedienemus crepitans), schöne Exemplare dabei die
Gewölle, ganz denen der Eulen gleichend.
Was ich sah an Vögeln, war richtig bestimmt.
Die Eiersammlung war in einer ganz eigenartigen
Weise aufgestellt. Unter den Glasplatten einer grossen 4 seitigen
Pyramide waren die Eier auf Querleisten, jede Art zu einem
Haufen vereinigt, auf Watte gelegt und hatten natürlich durch
Licht und Sonne (verdeckende Hüllen waren nicht vorhanden!)
sehr in der Farbe gelitten.
Der Katalog der Vögel ist vollendet, der der Schmetterlinge
in Arbeit, es sind darin aber nur die allgemeinen Angaben über
Vorkommen (z. B. Frankreich, Europa u. s. w.) vermerkt mit der
in Frankreich üblichen Synonymie nach Degland und Gerbe.
Nachdem wir noch einen Blick auf den reizenden Garten
hinter der Mairie nach der Seine zu geworfen, traten wir die
Rückfahrt durch das reich mit Villen und Schlössern besetzte
Seine-Thal an und passierten einen grossen Wald. Am Abend
ging es weiter nach
Hävre, dem wichtigsten Handelshafen Frankreichs am at-
lantischen Meere. Die ganz moderne Stadt zählt 119470 Ein-
wohner, ist erst 1509 von Ludwig XII gegründet und durch
Franz I mit einem befestigten Handelshafen versehen, den die
Engländer 1694 und 1790 vergeblich bombardierten, wie es in
zahlreichen Bildern in dem sonst nicht sehr reichhaltigen 1845
erbauten Museum dargestellt ist. Die Bibliothek enthält
50000 Bände, viele Medaillen und zahlreiche alte Manuskripte
N
Bericht über die Jahresversammlung. 121
und gehört, wie das in demselben Gebäude befindliche Museum,
der Stadt. — Im alten Justizpalaste befindet sich das auch der
Stadt gehörige grosse naturhistorische Museum. Im Erd-
geschosse sind reiche mineralogische und geologische Sammlungen,
im ersten Stockwerk ausser einigen ethnographischen Gegenständen
die verschiedenen jetzt noch lebenden Tierklassen vertreten,
namentlich Säugetiere, Fische, Amphibien, Reptilien, Weich-
tiere, Insekten und Vögel. Die letztere Sammlung ist von dem
Vater des jetzigen Director Lennier (Gustav) zusammengebracht
und an die Stadt verkauft. Die Exemplare, die die Vogelwelt
der ganzen Erde vertreten und nicht zu einer Localsammlung
gruppiert sind, entstammen einer Zeit, in der man auf natur-
wahre Wiedergabe der Körperformen wenig Wert legte, sind
mit Angaben von Ort und Zeit nicht versehen, sondern nur mit
dem Degland und Gerbe’schen Etiketten-Namen bezeichnet. Die
Eier waren neben den betreffenden Arten aufgestellt in der
Weise, dass sie mit dem breiten Pole nach unten auf in Holz-
klötze eingetriebene Nadeln aufgespiesst waren. Häufig waren
die Klötze umgefallen! Alles war dem Lichte und der Sonne aus-
gesetzt und daher sehr verblichen.
Die Schönheit Hävre’s liegt in dem prachtvollen Hafen und
der schönen Lage. Wir unternal'men eine entzückende Wagen-
fahrt am Meeresstrande hin nach der Vorstadt St. Addresse, vorbei
an der auf hohem Meeresufer gelegenen Ohapelle de Notre-Dame
des flots (die ähnlich wie bei Marseille die Chapelle de Notre-
Dame de la Garde ein Hauptwallfahrts-Ort der Schiffer ist, die
dort für glückliche Rückkehr von ihrer Seereise beten) nach dem
Cap de la H&ve mit seinem Leuchtturm. Der Wächter versicherte
nir, dass nur sehr selten ein Anflug von Vögeln in der Nacht
beobachtet würde. Nach anmutiger Rückfahrt durchs Land
kehrten wir durch die Felix-Faure-Strasse (die Wittwe des ver-
storbenen Präsidenten wohnt noch in dem Hause) zum Hafen
zurück und fuhren mit einem kleinen Vergnügungsdampfer über
die weite Seine-Mündung hinüber nach dem beliebten Seebade
Trouville und dann südlich hinein in die Normandie, im Thale
der Touques hinauf. Kaum kann man sich eine schönere Land-
schaft denken, als diese am 26. Mai in voller Pracht der Apfel-
blüte rosig angehauchten normannischen Farmen in grünenden
Wiesen an den Bergabhängen gelegen. Die normanischen Farmen
zeigen ein ganz characteristisches Aussehen. Jede ist mit einem
meist kreisförmigen Erdwall umgeben, der dicht mit hohen Bäumen,
meistens Eichen, besetzt ist, das Wohngebäude für den Besitzer,
bez. Mieter, liegt dem Hauseingange in dem Erdwalle gegenüber
und rechts und links davon die Ställe für das Vieh, getrennt
für jede einzelne Art. Um dieselben herum gruppieren sich die
„Jardins bergers‘, Wiesengärten mit Obstbäumen und Felder.
Ungezählte Mengen von Hühnern treiben sich auf den Wiesen
umher, zahlreiche Viehherden weiden im Freien — ein Bild
122 Bericht über die Jahresversammlung.
des behaglichsten Landlebens. Über Lisieux trafen wir noch in
der Nacht in
Caen ein. Die Stadt, jetzt mit blühendem Handel und
45 380 Einwohnern, Hauptstadt des Departements Calvados, wurde
im 11. Jahrhundert von Wilhelm dem Bastard, Herzog der Nor-
mandie, gegründet, später namentlich von Wilhelm dem Eroberer
vergrössert. Sie diente lange Zeit als Hauptstadt der unteren
Normandie und hatte viel unter Kämpfen mit den Engländern
und Bürger- — und Religionskriegen, zuletzt noch unter der
grossen fränzösischen Revolution zu leiden. Nächst Rouen ent-
hält sie die interessantesten Baudenkmäler der Normandie.
Wilhelm der Eroberer und seine Gemahlin Königin Mathilde
erbauten zur Sühne für ihre Heirat, der nach kanonischem
Rechte eine zu nahe Blutsverwandtschaft entgegenstand, jeder
eine Kirche, sie La Trinite oder l’Eglise de l’Abbaye-aux-Dames
und er St. Etieme oder l’eglise de ’Abbaye-aux-Hommes, beide
gegründet 1066. Ausser den Kirchen St. Pierre, gebaut vom
13. bis 16. Jahrhundert und St. Sauveur, aus dem 14., 15. und
16. Jahrhundert existiert von älteren Gebäuden noch das alte
Schloss, jetzt Kaserne, aus der Zeit Wilhelm des Eroberers. Die
Stadt ist Sitz einer Universität mit 3 Facultäten: Lettres, Sciences
und Droit. Im Stadthause befindet sich die öffentliche Bibliothek
mit 90000 Bänden und 623 Manuscripten und das Kunstmuseum,
dessen Beginn aus der grossen französischen Revolution stammt.
Es enthält über 300, zum Teil vortreffliche alte Bilder (darunter
die berühmte Sposalizio von Perugino, dem Lehrer Rafaels) und
sehr gute Repräsentanten unserer neueren Schulen, und spricht
für den guten, wohl mit durch die Kunst-Professoren der Uni-
versität beeinflussten, Geschmack der Museumsdirektion. (Ein
sehr guter Katalog der Bilder ist von dem verstorbenen Konser-
vator der Bibliothek, M. G. Mancel verfasst und von den nach-
folgenden Konservatoren des Museums fortgesetzt, zuletzt als
„Catalogue des tableaux ... . du Musee de Caen, mit historischer
Einleitung 1899 in Caen, Imprimerie E. Adeline, erschienen). —
Im Universitätsgebäude findet sich im ersten Stockwerk das
Musee d’Histoire naturelle. Dasselbe enthält die inter-
essante ethnographische Sammlung von Dumont d’Urville und
eine zoologische Demonstrations-Sammlung zu Vorlesungszwecken.
Besonders gut vertreten ist unter den Säugetieren die Familie
der Affen, leider aber häufig in minderwertig ausgestopften
Exemplaren. Die Vogelsammlung ist sehr reich, historisch
interessant namentlich die Kolibris, gesammelt von Bourcier, in
Prachtexemplaren. Die allgemeine ornithologische Sammlung
erstreckte sich auf alle Vögel der Erde, die meisten Exemplare
waren leidlich gut präpariert und einige wenige auch gut etikettiert,
viele gesammelt von Eugene Deslongehamps und Lesau-
vage. Ausserdem war unten auf dem Korridor noch ein kleiner
Schrank mit Vögeln aus der Normandie aufgestellt, bezeichnet
Bericht über die Jahresversammlung. 123
Collection Delangle, offenbar ganz neuerdings dem Museum
geschenkt, leider die einzelnen Exemplare ohne Angabe der Zeit
und des Ortes des Fundes, aber gut ausgestopft.
Durch Oustalet und Gadeau de Kerville aufmerksam
gemacht, fuhr ich Nachmittags nach
Lisieux, einer kleinen Handelsstadt von 16349 Einwohnern,
früheren Hauptstadt der Lexovier, mit einer alten Kathedrale
aus dem 12. und 13. Jahrhundert und interessanten alten Holz-
häusern, an der Touques gelegen. Hier befindet sich Rue de
Paris, 3, das Museum Fmile Anfrie. Der 72jährige alte
Herr empfing mich ausserordentlich liebenswürdig, stellte mich
seiner etwas jüngeren rüstigen Frau vor und begab sich dann
mit mir in die im 2. Stockwerke gelegene Sammlung. Der Be-
sitzer hat dieselbe ganz allein zusammengebracht, jedes Stück
selbst aufgestellt, die ersten am 1. September 1847, eine Turtel-
taube und einen Puter. Er ist vollständig Autodidact, arbeitete
nur nach Büchern und Zeichnungen und der Beobachtung in
der freien Natur, fing in der Umgegend von Lisieux an zu
sammeln, später in Tunis, den Pyrenaeen, Südfrankreich u. S. W.,
bezog aber in den letzten Jahren die meisten Exemplare von
Schlüter und Tancr& in Deutschland, indem er sich überhaupt
fast nur auf Europa und Nordafrika beschränkte. Bei sehr wenigen
Exemplaren ist Zeit und Ort des Fundes genau bemerkt, die
Notizen waren aber sehr gewissenhaft in einem Notizbuche auf-
geschrieben und versprach mir Herr Anfrie, dieselben möglichst
bald an den Vögeln selbst auf Etiketten anzubringen. — Anfangs
sammelte Anfrie wenig, erst von 1881 an konnte er, durch äussere
Verhältnisse begünstigt, mehr Mittel der Sammlung zuwenden.
Zur Zeit enthält dieselbe:
an wilden Vögeln 455 Arten in 1353 Exemplaren.
„ domesticierten
u. exotischen 55 Te; oo e
Summa 540 Arten in 1510 Exemplaren.
an Säugetieren Re 1 2) en
„ Reptilien u.
Amphibien DDR, re 61 2
Bälge sind nicht vorhanden. Die Vögel waren sämtlich
ausserordentiich naturwahr und vorzüglich ausgestopft.
Unter den vielen interressanten Exemplaren fielen mir be-
sonders auf 2 rotbäuchige Wasserschwätzer (Cinclus cinclus)
aus der Umgegend von Lisieux und 1 schwarzbäuchiger (Cinclus
einclus melanogaster Br.) aus der Haute-Marne; — dann 3 Tan-
nenheher, darunter 2 deutliche Schlankschnäbel (Nucifraga
caryocatactes leptorhynchus) aus der Umgegend und 1 Dick-
schnabel (N. c. pachyrhynchus) aus der Dauphine; — namentlich
aber 3 wahre Prachtexemplare vom Lämmergeier (Gypaetos
barbatus), auf:
124 Bericht über die Jahresversammlung.
1) ein sehr altes 9, erlegt in den französischen Alpen, in
der Nähe des Chalet de l’Alp de Cervieres, in einer Höhe von
2232 m., 5 Stunden südöstlich von Briancon (Departement Hautes-
Alpes), am 20. Februar 1895, im frischen Zustande 6 Kilo 150 gr,
wiegend und eine Totallänge von 1 m 19 cm zeigend.
2) ein junges g, c. 2. Jahre, gefangen in den französischen
Pyrenäen am Eingange des Cirque de Gavarnie (Departement
Hautes Pyrenees) am 23. December 1892, von einer Totallänge
von 1m ]3 cm.
3) ein sehr altes $, aus Nord-Afrika, erlegt am 24. Februar
1895 bei Sidi-Meecid (Algerie). von einer Totallänge von Im8cm. —
Eine Reihe kleiner ornithologischer Arbeiten, die vortrefflich ge-
schrieben sind und den scharfen praktischen Beobachter kenn-
zeichen, hat Emile Anfrie in dem Blatte: La Feuille des jeunes
naturalistes, Revue mensuelle d’Histoire naturelle, fondee & Mul-
house 1870, veröffentlicht, z. B. in den Jahren 1896 bis 1899:
Observations sur quelques Gypaetes barbus, La Chouette
laponne (Strix lapponica, Retzius, worin z. B. die Beschrei-
bung Degland und Gerbe’s (die übrigens hier, wie überhaupt
bei fast allen mir bekannt gewordenen französischen Ornithologen
und Museums-Directoren oder Konservatoren als unbedingte Auto-
rität angesehen wurde!) „la queue moyenne et arrondie“ als
falsch bezeichnet wird, da der Schwanz „longue et &tagee‘ ist),
Observations sur les oiseaux communs dans le Calvados sur l’Aigle
tachet& (Aguila naevia Briss.) et ’Aigle criard (Agwila clanga Pall.)
etc. — Von anderen Tiergruppen waren namentlich die Schlangen
und Eidechsen tadellos ausgestopft, unter den Säugetieren war
mir besonders interessant ein dort in der Gegend erlegten Nörz
(Mustecla lutreola).
Rasch war im anregendsten Gespräche die Zeit vergangen,
bei einer sehr guten Flasche altem Bordeaux nehmen wir Abschied,
in der Hoffnung, uns wieder zu sehen und vorläufig wenigstens
im brieflichem Verkehre zu bleiben.
Wer in diese Gegend kommt, darf nicht versäumen, die
kleine, jetzt c. 8000 Einwohner zählende Stadt Bayeux zu
besuchen, die schon zur Römerzeit als Hauptort der Bajocassen
blühte. Sie besitzt eine der schönsten Kathedralen Frankreichs,
Notre-Dame de Bayeux, aus dem 12. bis 15. Jahrhundert,
hochinteressante alte Holzhäuser und ein kleines Museum, mit
der berühmten Tapisserie de Bayeux, einer Stickerei aus dem
11. Jahrhundert, angeblich von der Königin Mathilde für ihren
Gemahl, Wilhelm den Eroberer gearbeitet, die Geschichte der
Sendung Harold’s durch Eduard an Wilhelm den Eroberer dar-
stellend. Dieselbe ist e. 70 m lang und 1/, m breit. Zur Zeit
der französischen Revolution wurde sie aus dem Museum heraus-
gerissen und von den Soldaten 1793 als Wagendecke benutzt,
nur dem patriotischen Eingreifen einiger energischer Bürger
Bayeux’s gelang es, das unersetzliche Kunstwerk zu retten.
Bericht über die Jahresversammlung. 125
Eine anmutige Eisenbahnfahrt bringt uns weiter nach Vire,
einer uralten Stadt mit den Ruinen eines angeblich von Karl
dem Grossen gegen die Normannen errichteten Schlosses, dann
weiter im schön mit Buchenwäldern besetzten Thale hinab nach
Granville an der Meeresküste, von wo uns ein Sehr guter,
englischer Dampfer in 31/, Stunde nach der Insel
Jersey führet. Das Meer war ruhig, aber sehr vogelarm,
ausser 3 schönen, alten Silbermöven (Larus argentatus) wurde
nichts beobachtet. Jersey ist die grösste der Kanal-Inseln
(franz.: „Iles anglo-normandes,‘ engl.: „Channel Islands‘), die
sich an der Westküste der nach Norden vorspringenden Halb-
insel Cotentin aus dem Meere erheben und in englischem Besitze
sind. Ausser einigen, kleinen, unbewohnten Felsenriffen sind es
ausser Jersey noch Guernsey, Aurigny (engl.: „Alderney‘), Sercq
und Herm, sämtlich aus Granit bestehend, meistens mit steilen,
pitoresten Abhängen nach dem Meere hin, namentlich nach Norden
zu, mit wundervollem, milden, durch den Golfstrom begünstigten
Klima. Mit einem französischen Kutscher, Hubert, unternahmen
wir eine Fahrt durch die Insel, von der Hauptstadt St. Helier
‚aus, an der Südküste, mit sehr gutem Hafen, gelegen. Zunächst
ging es westlich an der Küste entlang an einem sogen. „Druiden-
denkmal‘ (Dolmen mit Steinkreis) vorbei bis Matthews, dann in
einem Hohlwege, unter prachtvollen, überhängenden, immergrünen
Eichen, hinauf auf das Plateau der Insel. Alles prangte im
üppigsten Blüten- und Blattschmuck, die einzelnen, reizend aus-
sehenden Landhäuser, waren umgeben von grossen Araucarien,
Arbutum-Bäumen, Lorbeeren, blühenden Glyeinen, auf Goldregen,
oder Rhododendron-Bäumen sich in die Höhe schlingend, da-
zwischen saftige, grüne Rasenplätze. Namentlich die Südhänge
der kleinen, hügelartigen Erhebungen dienen zur Kartoffel-Kultur.
In colossalen Massen werden diese von Bretonen gezüchtet, die,
ähnlich wie bei uns in Mitteldeutschland die Polen und Russen
aus dem Osten, hier von der Bretagne herüberkommen, um im
Sommer die intensiveste Landwirtschaft zu betreiben. Es war
anı 29. Mai, als die erste Kartoffelernte gemacht wurde, dann
werden Futterrüben gebaut und im Herbste auf demselben
Feldeeine zweiteKartoffelernte eingesammelt.SämtlicheKartoffeln
sehen nach England, in eigens dafür eingerichteten kleinen
Transportschiffen. Die einzelnen Felder sind durch c. 3/,—1 m.
hohe, !/), m. breite Erdwälle abgeteilt, auf denen Weissdornen
und Dlex europaeus gepflanzt waren, die jetzt in üppigster Blüte
standen. Manche Felder mit schlechterem Boden waren ganz
mit Ulex europaeus bewachsen, der hier offenbar als Streu- oder
Brennmaterial abgeerntet wird. An vielen Stellen waren kleine
Gruppen von Eichen und Buchen angepflanzt, sodass für unsere
kleinen Sänger wirklich ideale Brutplätze vorhanden waren.
Ich beobachtete unten auf den Ginstern sehr zahlreich den
schwarzkehligen Wiesenschmätzer (Pratincola rubicola),
126 Bericht über die Jahresversammlung.
der schon ausgeflogene Junge fütterte, hoch oben in den
Bäumen. prachtvoll sein Liedchen schmetternd, die Sperber-
grasmücke, (Sylvia nisoria), massenweise auf den Spitzen der
Blütendolden von Ulex die Provenze-Grasmücke (Sylvia
provincialis), überall an den Hohlwegen im Gewurzel der Büsche
unseren unermüdlichen Sänger, den Zaunkönig (Troglodytes
parvulus), zahlreich waren Gartengrasmücken (Sylvia horten-
sis) und Plattmönche (Sylvia atricapilla) vorhauden und
hunderte von Rauchschwalben (Hirundo rustica), und Mauer-
seglern (Oypselus apus) schwirrten durch die Luft. So gelangten
wir durch ein wirkliches ornithologisches Paradies nach der
wilden Nordseite. Oben auf der Höhe mitten in der Heide steigt
man aus dem Wagen und klettert nun hinunter zum ,„Trou de
diable,‘‘ wo die wilde Meeresbrandung tosend an die steilen
Granitküsten anschlägt. Ein ganz anderes ornithologisches Bild
bietet sich uns dar. An dem steilen, unzugänglichen, schwärz-
lichen Felswänden sitzen die Silbermöven (bLarus argentatus),
offenbar auf ihren Eier brütend, einzelne Kormorane (Carbo
cormoranus) Niegen, Nahrung suchend, dem Meere zu, einige
Kolkraben (Corvus corax) ziehen, laut kreischend, über unse-
ren Köpfen hin, und einsam und bedächtig spaziert der Felsen-
pieper (Anthus rupestris), am Strande oder auf der kahlen
Grasfläche am Felsrande vor uns her. — Nun geht es weiter
westlich durch die Allee, in der seiner Zeit König Karl II.
gefangen genommen wurde, nach der Greve de Lecqg und dem
äussersten, nordwestlichen Punkte dem Point de Plemont, mit
ähnlicher Tierwelt wie am Trou de diable, und darauf zurück,
durch St. Peter Valley, besetzt mit zahlreichen Kaninchen, nach
St. Helier. Auf der ganzen Insel sieht man sehr viel Rindvieh,
eine ganz eigene Rasse, dem Anscheiue nach nicht unähnlich
den Allgäuer Tieren, die vollkommen rein erhalten wird, da es
mit strengsten Strafen verboten ist, irgend eine andere Rasse
lebend einzuführen. Gute Exemplare sollen sehr gesucht sein,
wie unser Kutscher erzählte, hatte ein Amerikaner für einen
jungen Zuchtstier 15000 fres. bezahlt. Die Rinder selbst
werden draussen auf den Wiesen und Feldern an in die Erde
eingeschlagene Pfähle gebunden und weiden so mit der Zeit
Gras, Luzerne, Klee u. s. w., das sie erreichen können, ab.
Abends war noch Zeit genug, das kleine Museum zu
besuchen, das die Societe Jerseaise gegründet hat. Es befand
sich dort ein kleine, locale Vogelsammlung;, aber leider kaum
ein Exemplar nach Ort und Zeit des Fundortes genau etikettiert.
Ausserdem existiert eineöffentliche Bibliothek dort, in der ich u. a.
auch Gätke’s Vogelwarte in der englischen Übersetzung fand. Im
Museum befindet sich noch eine verkleinerte Nachbildung einer
prähistorischen Druidenbegräbnisstätte, die 1785 beim Bau eines
Forts, in der Nähe von St. Helier oben auf der die Stadt beherr-
schenden Anhöhe fortgenommen und nach England geschafft wurde.
Bericht über die Jahresversammlung. 127
In früher Morgenstunde am 30. Mai kehrten wir nach
Granville zurück und fuhren mit kräftigem Einspänner an der
Küste der Bai von St. Michel entlang über verschiedene kleine
Seebäder St. Pair, Julonville, Carolle, dann mit prachtvoller Aus-
sicht auf das Meer hinunter nach St. Jean le Thomas, ebenfalls
einem kleinen Seebade, durch prachtvollen Eichenwald nach
Genets an der breiten Mündung der Selune. Hier verliessen
wir unseren modernen Einspänner und wurden samt unsern
Gepäck in einen etwas vorsündflutlichen Kippkarren verladen.
Die Zeit des Beschirrens der beiden vor einander zu spannenden
Hengste: „le pere et le jeune“, wie unser Kutscher sagte, be-
nutzten wir, um den nationalen Absynth zu trinken und die
einfache Bauernstube anzusehen. Alles war in einem Raume
vereint, im Kamin wurde auf offenen Feuer gekocht und gebacken,
das grosse Bett für das Ehepaar und die kleinen Bettchen für
die Kinder standen daneben, die Küchengerätschaften hingen an
den duıch den Rauch gebräunten Holztäfelungen der Wände, die
ausser mit einigen Heiligenbildern mit einem rosenkranzartigen
Ringe von auf Zwiın aufgezogenen Eiern von Elstern (Prca
pica) und Schwarzkehlchen (Pratincola rubicola) verziert
waren. In wenigen Minuten hatten wir den Strand erreicht und
nun ging es unter Führung eines mit einem Dreizack bewaff-
neten Kundigen des Meeresbodens durch die Greve hinüber nach
dem stolz aus den Wasserfluten aufsteigenden. Mont St. Michel.
Die Fahrt machte uns sehr viel Vergnügen, war aber, wie wir
erst nachher hörten, eigentlich sehr gefährlich wegen des Trieb-
sandes. Nur bei vollster Ebbe ist die Strecke zu passieren, der
Führer erkundet mit seinem Dreizack die festeren Sandpartien.
Wehe wenn man in dem zu durchfahrenden Strome der Selune
in weichen Sand kommt, oder wenn man stecken bleibt und von
der Flut überrascht wird !! Zuweilen ging es sehr flott auf hartem
Boden, dann wieder auf weichem Sande sehr langsam bei furcht-
barster Anstrengung der Pferde. 2 Flüsse hatten wir zu passieren,
unser Führer hatte ein Kleidungsstück nach dem andern abgelegt
und zeigte sich zuletzt als mit Badehose bekleideter Neptun, einmal
wurden wir weit von den Fluten des Stromes nach dem Meere zu
fortgerissen. Endlich hatten wir festen Boden, lustig galoppierten
die Pferde — plötzlich stürzte das Wagenpferd „le jeune“ und wir
standen still, es wurde losgeschirrt, der Wagen kippte hinten
über mit der Deichsel in die Luft und wir wurden zum allge-
meinen Jubel unter unsern Kofiern verschüttet. Das Unglück
war aber bald gehoben und in wenigen Minuten hielten wir vor
dem Thore von
Mont St. Michel. Ein Einfahren ist nicht möglich. Man
geht zu Fuss, begleitet von zahlreichen Gepäckträgern hinauf in
eins der am Fusse des Felsens angebauten Hötels, wir in die
„Poulard jeune“. Der Mont St. Michel ist einer der isolierten
Granitfelsen, auf dem der Abt St. Aubert, Bischof von Avranches
128 Bericht über die Jahresversammlung.
im Jahre 709 eine Abtei gründete, die bald gegen die Normannen
befestigt werden musste. Später eroberten siedas Kloster, gründeten
eine Benedictiner-Abtei, die vielfach durch Feuer und Belagerungen
zerstört wurde. 1790 wurde die Abtei aufgehoben und in ein
Staatsgefängnis verwandelt. 1863 ging sie als Kunstwerk in die
Hände des Staates über und wird jetzt als eine der Hauptinerk-
würdigkeiten Frankreichs conserviert und restauriert und jährlich
von über 50000 Fremden besucht. Bis vor wenigen Jahren lag
der Berg bei Flut ganz im Wasser, so dass man nur mit Booten
oder während der Ebbe mit Kippkarren sich nahen konnte, jetzt
führt von Pontorsson aus ein hoher Damm mit schöner Chaussee
durch die Greve von Süden heran. Grossartig sind die in den
Felsen eingehauenen und oben auf demselben angebrachten
Bauten der verschiedensten Jahrhunderte, (Eine vortreffliche
Darstellung derselben in Bild und Schrift findet sich in dem
Prachtwerke, Le Mont St. Michel par l’Abbe A. Bouillet, Hävre,
Lemale & Cie, Imprimeurs, Editeurs, 1896), in denen man von
sachverständigen Kustoden umhergeführt wird; schauerlich inter-
essantist das kleineM useum, worin die Qualen der Gefangenen und
die Todesangst der in der Greve im Triebsande durch die Fluten
überraschten Pilger in lebensgrossen Gruppen dargestellt sind ; im-
posant ist eine Bootfahrt um die Insel mit den verschiedenen
Ansichten der stolz aus dem Granit aufsteigenden Bauten und der
steil zum Meere abfallenden Felsen; aber am eigenartigsten ist
der Blick oben von den Befestigungswellen auf die meilenweit
mit mächtiger Gewalt und Geschwindigkeit (gleich der eines
galloppierenden Pferdes) anströmenden Flut, vor der die Fischer
mit ihrem Krabhen-, Fisch- und Muschelfange, Männlein und
Weiblein in zahlreicher Schar, im Geschwindschritt der Insel
zu flüchten.
An’s Land zurückgekehrt, passierten wir die Felder, wo die
Polder-Gesellschaft ihre Thätigkeit entfaltet hat und durch Um-
ziehen von Dämmen ein Stück Land nach dem anderen dem Meere
abgewinnt. Elend sehen die Bauernhütten aus, aus Steinen mit
Strohdach, selten erblickt man Schiefer als deckende Hülle.
Durch flaches Dünenland gelangt man von der nächsten Eisen-
bahnstation Pontorsson nach
Dol, nachdem man den Couesnon, die Grenze der Normandie
und Bretagne überschritten hat. Die kleine ca. 5000 Einwohner
zählende Stadt, die in 8 Jahrhunderten 14 Belagerungen oder
Schlachten, namentlich gegen dieNormannen durchzumachen hatte,
bietet jetzt sehr wenig. In der Nähe hat man auf dem Mont Dol,
einem einsam liegenden Granitfelsen, der früher wohl auch rings
vom Meere umspült war, einen grossartigen Rückblick auf die
Bai St. Michel, und besucht dann den sogenannten Champ-
Dolent, südlich der Stadt, einen einzelnen, ca. 10 m über die
Erde hervorragenden Menhir, der noch ebenso tief in dem Boden
sitzen soll und offenbar nur dadurch aus der alten Druiden-Zeit
Bericht über die Jahresversammlung. 129
her erhalten wurde, dass man in der christlichen Zeit auf der
Spitze ein Krucifix errichtete. — Durch flache, bisweilen mit
Wäldern bedeckte Strandgegend ging’s weiter nach
St. Malo, einer auf schroffen Granitfelsen ausserordentlich
malerisch gelegenen befestigten Hafenstadt von 11476 Einwohnern,
am Meere und dem rechten Ufer der Rance, Hauptstadt des Ar-
rondissements Ille-et- Vilaine des gleichnamigen Departements.
Der Ort ist sehr alt und verdankt seinen Namen dem Heiligen
Maclou, dem ersten Bischof des Landes im 6. Jahrhundert.
Viele berühmte Männer hat die Stadt hervorgebracht, vor allen
anderen Chateaubriand, der auf einer steil aus dem Meere
hervorragenden Felseninsel, der Grand Bey, beerdigt ist. In der
Mairie finden sich im ersten Stocke im „Salle des Mariages‘“ und
den grossen Festsälen eine Reihe interessanter Portraits von
hervorragenden Männern aus St. Malo, so namentlich Chateau-
briand und berühmte Seeleute wie Duguay-Trouin und Surcouf,
ferner im II. Stock ein naturhistorisches und ethnogra-
phisches Museum. Vieles haben die Seefahrer aus fernen
Landen offenbar ihrer Vaterstadt mitgebracht, das hier zu einer
schönen ethnographischen Sammlung vereinigt ist, dann erblickt
man zahlreiche Versteinerungen und Gesteinsarten und Tiere
aus allen Ordnungen, z. B. schöne Seesterne, Seeigel, Seefische.
Von Säugetieren fiel mir ein schönes Exemplar unseres Bibers
auf. Die Vögel sind recht gut vertreten, allerdings sämtlich
mittelmässig ausgestopft und durch das reichlich ungehindert
auffallende Licht stark verblasst — aber, so weit ich es control-
lieren konnte, richtig bestimmt und meistens mit Herkunfts-Eti-
kette versehen, wenigstens den Departements nach. Die Mehrzahl
stammte aus dem Departement Ille et Vilaine, so dass man sich
aus den 1500— 2000 Exemplaren doch ein Bild der dortigen Ornis
machen konnte. —
Von-dem Turme der Kathedrale hat man einen sehr schönen
Blick auf die dicht neben einander gelegenen Städte St. Malo
und St. Servan und die verschiedenen Hafenanlagen, ebenso auf
das Thal der Rance und die auf dem linken Ufer derselben
liegenden Seebäder Dinard, St. Enogat und St. Lunaire. Nach
dem Meere zu wird der Horizont begrenzt durch eine Anzahl
kleiner schroffer Felseninseln, die mit zahlreichen Leuchttürmen
besetzt ein ausserordentlich abwechselungsvolles Bild darbieten.
Stürmisches schlechtes Regenwetter verhinderte uns, am
anderen Morgen die benachbarten reizend gelegenen Seebäder zu
besuchen; auch eine Schiffahrt auf der Rance aufwärts war nicht
möglich, so wandten wir uns landeinwärts wieder mit der Eisen-
bahn nach Dol und weiter nach
Dinan, einer sehr alten und malerischen Stadt von 10620
Einwohnern, Hauptstadt des Arrondissements Cötes-du-Nord des
gleichnamigen Departements, einst der Wohnsitz von Anna von
Bretagne, der letzten Herzogin der Bretagne, die sich erst mit
Journ, f, Orn, XLIX, Jahrg. Januar 1901 9
130 Bericht über die Jahresversamm lung.
Karl VIII, dann mit Ludwig XII. verheiratete und dadurch die
Vereinigung der Bretagne mit Frankreich herbeiführte. In dem
alten Schlosse, von dem jetzt nur der Donjon dem Publikum
zugänglich ist, sieht man noch jetzt ihre Wohnräume, die übrigen
Teile des mächtigen Bauwerkes dienen zu Gefängniszwecken.
In der modernen Mairie befindet sich ein kleines Museum, im
ersten Stocke einige Bilder, im Erdgeschoss das Mögliche und
Unmögliche von Funden zusammengestellt, römische Altertümer
aus der Umgegend, Urnenscherben, Steinbeile, Grabsteine aus
der Abtei des nahegelegenen Lehon’s, Ritter aus dem 13. u. 14.
Jahrhundert, roh aus Granit gehauen, die Krieger mit einem
Löwen, die übrigen mit Hunden zu den Füssen, meistens das
Schwert vom Leibe ab zwischen den Beinen herabhängend,
endlich auch einige Vögel, ohne eine Spur von Etikette und
fabelhaft ausgestopft. An den Wänden und unter der Decke
thronten viele Albatrosse, offenbar von den einheimischen Schiffern
(Dinan hat Ebbe und Flut durch die Rance und einen kleinen
Hafen, auch für Seeschiffe) von ihren Seefahrten aus fremden
Ländern und Oceanen mitgebracht. Der Katalog des Museums,
in dem übrigens genaue Beschreibungen, namentlich der Funde
aus der Römerzeit sich finden, stammt aus dem Jahre 1850 und
soll beim demnächsten Umzuge des Museums in das alte Schloss
erneuert werden.
Die Umgebung Dinan’s ist sehr malerisch, wir besuchten
eine Eisenquelle, in einem dicht bewaldetem, kleinen Seitenthale
der Rance, zahllose Ringeltauben (Columba palumbus) gurr-
ten dort, Rotkehlchen (Erythacus rubecula), Plattmönche
(Sylvia atricapilla), Schwarzdrosseln (Turdus merula) sangen
und zwitscherten in den Büschen, ein ideal schöner Brutplatz.
Wunderschön gelegen ist auch Chäteau Coninais, die Ruinen des
Schlosses Garey (jetzt zu Landwirtschaftszwecken benutzt, mit
einer Ciderpresse in Granit) und die alte Abtei Lehon mit den
roh aus Granit gehauenen Grabsteinen der Familie Beaumanoire,
aus dem 12. und 13. Jahrhundert.
Am Sonnabend vor Pfingsten (2. Juni) ging es weiter! Wie bei
uns, trat die Mehrzahl der Kavallerie-Garnison den Pfingsturlaub
an, der Gemeine und Unteroffizier meistens in 1I. Klasse. Trotz
beträchtlicher Verspätung, trafen wir, nachdem wir Lamballe mit
seiner prachtvoll oben am Berge gelegenen, mit Schielsscharten
versehenen und offenbar zu Verteidigungszwecken eingerichteten
Kirche passiert hatten, Abends noch in
St. Brieuc ein, der Hauptstadt des Departements Cötes du
Nord, Sitz eines Erzbischofs, mit 21665 Einwohnern, entstanden
um ein im 5. Jahrhundert von dem Heiligen St. Brieuc gegründetes
Kloster. Es war hochinteressant, diesen Hauptsitz der durch-
schnittlich royalistisch gesinnten und streng orthodox-katholischen
Bretagne gerade am Pfingstsonntage zu sehen. Die Kirchen
waren derartig von Gläubigen überfüllt, dass es uns z. B. trotz
pls
Bericht über die Jahresversammlung. 131
dreimaligem Versuche, Morgens, Mittags und Abends nicht möglich
war, in die Kathedrale zu kommen, fast immer fanden Gottes-
dienste statt und Platz an Platz, so dass kein Apfel zur Erde
fallen Konnte, standen die Gläubigen. . Das Weibliche überwog!
Die ganz gleichmässig schwarz gekleideten Frauen mit ihren
breiten, weissen Hauben, machten einen ganz eigentümlichen Ein-
druck, wie wir ihn später überall in der Bretagne, dieser Hoch-
burg des Katholieismus wiederfanden. Zu gleicher Zeit war
die erste Kommunion gewesen, die kleinen Mädchen in Weiss,
die Knaben in Schwarz, mit weisser Armbinde links und einigen
Kreuzen oder Medaillen auf der Brust, wurden von ihren Eltern
und Verwandten in Empfang genommen und in feierlichem Zuge
aus der Kirche geleitet. —
Um mich etwas über das naturhistorisch Interessante der
Umgegend zu orientieren, besuchte ich einen dortigen, älteren
Arzt Dr. Guibert, der sich speciell mit Anthropologie beschäf-
tigt hat und mir von den dort in der Gegend noch vielfach vor-
kommenden Dolichocephalen (Langköpfen) erzählte, die sich
namentlich auf das Gebirge beschränken und wahrscheinlich aus
‘der Römerzeit stammen. Ein dortiger Militärarzt hat die von
Guibert an Schädeln ausgeführten Messungen jetzt bei den Aus-
hebungen an lebenden Menschen fortgesetzt und noch zahlreiche
Dolichocephalen in den Gebirgsorten gefunden. Die Arbeiten sind
im französischen Bulletin und Archiv für Anthropologie veröffent-
licht, die Schädel sind im anthropologischen Museum in Paris.
Das Museum befindet sich im Hötel de Ville Ausser
einigen recht guten Bildern sind namentlich Mineralien, Versteine-
rungen, Steinwaffen, Bronzesachen, römische Urnenüberreste,
Muschelmosaik ganz eigener Art vorhanden. Eine Treppe hinauf
führt in einen kleinen Saal, in dem sich ausser anderen Naturalien
auch c. 200—300 ausgestopfte Vögel befinden, meistens Europäer,
vielleicht’auch aus dortiger Gegend stammend, aber alle ungenau
etikettiert, d. h. es war nur angegeben: „Famille . ‚ Genre.
und französischer Trivialname, Ort und Zeit fehlte "regelmässig.
Am meisten fiel mir auf, dass einige Vögel, deren Etiketten ich
durch die Glasscheiben deutlich erkennen konnte, falsch bestimmt
waren, zZ. B.:
ein hellerMäusebussard( Duteovulgaris)als,Milan royal,“
ein sehr heller Wespenbussard (Pernis apivorus) als
„Gyrfaut du Nord,“
ein Seeadler (Hahaetus albieilla) als „Aigle criard.“
Etwas derartiges, dürfte bei einem öffentlichem Museum,
das zum Unterricht und zur Bildung des Volkes dienen soll,
nicht vorkommen!
Die folgenden Tage wurden Touren in die Umgegend von
Guingamp mit 9272 Einwohnern und Lannion mit 6120 Ein-
wohnern gewidmet, Arrondissements-Hauptorten des Departements
Cötesdu Nord. Überall war derselbe Landschafts-Charakter, welliges
9*
132 Bericht über die Jahresversammlung.
Terrain, flache Hügel, bedeckt mit einzelnen von dicken Erdwällen
umzogenen Grundstücken, auf den Wällen Eichbäume oder Ulex eu-
ropaeus u. Sarothamnus vulgaris, dazwischen Felder mit blühenden
Apfelbäumen, die mit den gelben Ginsterblüten ein farbenprächtiges
Bild darboten. Hier und da erblickt man ein stattliches Schloss,
entweder bewohnt und mit strahlenförmig herrschaftlich von ihm
ausgehenden alten Eichenalleen versehen, oder malerisch in
Trümmern liegend, prachtvolle Brutplätze für Dohlen (Corvus
monedu«la) und die massenweise vorhandenen Mauerschwalben
(Oypselus apus) bietend. Jedes Dorf, jedes Städtchen, hat seinen
besonderen Heiligen; Namen, die uns noch niemals in Kirchen
des katholischen Ritus vorgekommen, findet man hier wie z. B.
St. Ives, den Heiligen der Notare und viele andere.
Ein ganz anderes Bild hat man, wenu man sich an das
offene Meer begiebt. So fuhren wir am 5. Juni von Lannion
nördlich nach Tregastel und Perros-Guirec. Auf der Höhe bei
Tregastel hat man ein modernes Calvaire errichtet. Auf mächtigem
Granitfelsen geht ein schneckenförmiger Rundgang hinauf, wohl
20 m hoch, auf der Spitze gekrönt mit einer Statue des heiligen
Erovan. Die Inschriften sind in 2 Sprachen angebracht, fran-
zösisch und bretonisch. Für den Fremden, der glaubt, wie
wir es auch thaten, dass Frankreich das Land sei, das möglichst
sleichmässig in allen seinen Provinzen in Sprache, Bildung und
Religion assimiliert sei, ist dies besonders interessant, hier in der
Bretagne eine Sprache zu finden, die, wie wir uns überzeugten,
zuweilen noch als einzigste Sprache von der älteren Landbe-
völkerung gesprochen und verstanden wird. Das Bretonische
gehört zu den Keltischen Sprachen. Von keltischen Stämmen
war einst von dem grossen, romanischen Sprachgebiete besessen
Öberitalien, der grösste Teil des heutigen Frankreich und grosse
Teile von Spanien und Portugal. Abgesehen von einer kleineren
Zahl altgallischer Inschriften, vielen Namen und einzelnen Wörtern,
die bei griechischen und lateinischen Schriftstellern überliefert
sind, haben nach Gröber, Grundriss der romanischen Philologie,
Bd. I, S. 283, die keltischen Sprachen dieser Länder, keine sprach-
lichen Denkmäler hinterlassen, wohl aber haben sich die keltischen
Sprachen Brittanniens und Irlands bis auf den heutigen Tag
erhalten. Sie zerfallen in den gälischen und brittischen Zweig.
Der gälische Zweig umfasst:
1) Das Irische oder das Gälische von Irland,
2) Das Gälische von Schottland oder das Ersische,
3) Das Manx oder das Gälische der Insel Manx.
Der brittische Zweig umfasst:
1) Das Cymrische oder Welsh in Wales,
2) Das Cornische, bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts
in Cornwall lebendig,
3) Das Bretonische oder Armorische, die Sprache der Bre-
tonen, deren Vorfahren vom 5. bis 7. Jahrh. nach Christus,
Bericht über die Jahresversammlung. 133
von Cornwall aus in die Bretagne (vergleiche J. Loth. L’emi-
gration bretonne en Armorique, Paris, 1883) eingewandert sind.
Von diesem bretonischen Calvaire aus hat man eine unver-
gleichliche Rundsicht. Bäume sind wenig zu erblicken, dafür
eine Unzahl von Granitfelsen, die sich in den wunderlichsten
Gruppierungen finden, häufig den Dolmen ähnlich, dazwischen
die verwitterte Graniterde, hier und da mit Haide und grossen
Feldern von blühenden Gebüschen von Ulex europaeus und
Sarothamnus vulgaris besetzt, selten einmal ein Getreidefeld an
geschützter Stelle hinter dem Felsen, in der Ferne das Meer,
tief in die Granitküste sich einnagend, die Felsen des Strandes
zu mächtigen, festungsartigen Gebilden durch die Macht der
Brandung zusammenwürfelnd, im Meere eine unzählige Menge
von schwärzlichen Felsenriffen, die aus dem Wasser hervor-
ragenden Granitspitzen des ganz flach sich hinziehenden Strandes.
— Die Tierwelt ist im Lande ausserordentlich einförmig, zahl-
reiche Höhlen deuten auf Überfluss an Kanninchen, massenweise
beobachtet man den schwarzkehligen Wiesenschmätzer
(Pratincola rubicola) und den Felsenpieper (Anthus rupestris)
‚und den Kuckuck (Cuculus canorus). 2 Vertreter dieser Art,
offenbar sehr eifersüchtige Männchen, hatten jeder auf der Spitze
eines Steinhügels Platz genommen und überboten sich auf ca.
400 m Entfernung im lauten Kuckucksrufe. Unmittelbar am Meere
ist der Kormoran (Carbo cormoranus) und die Silbermöve
(Larus argentatus) zu Hause und die einsamen Felsenriffe im
Meere bieten ihnen sichere Brutplätze. Felsen, die nur bei Flut
umspült und bei Ebbe noch zu Fusse zugänglich sind, hat der
Mensch sogar zu kirchlichen Bauten benutzt. So findet sich bei
Ploumanach eine kleine, dem heiligen Guirec geweihte Kapelle,
die dazu benutzt wird, dass die Mädchen, die sich verheiraten
wollen, in die Statue desselben eine Stecknadel einsenken.
Die.-Eisenbahn führte uns am folgenden Tage nach Plouarnel
zurück und dann nordwärts, um der zoologischen Station von
Roscoff einen Besuch abzustatten. Diese kleine, 4732
Einwohner zäblende Stadt, die, begünstigt durch den warmen,
die Küste berührenden Golfstrom, hauptsächlich vom Gemüse-
handel (namentlich Artischokkenbau) lebt, hat eins der beiden,
an der französischen Nordküste liegenden „Laboratoires de
Zoologie“, eingerichtet für 14 Eleven, z. Z. unter der Leitung
des berühmten Professors Dr. Dacaze-Thuriot, der 1872 die
„Archives de Zoologie experimentale‘“ gründete und bis jetzt
fortführte und dessen 80 jährigen Geburtstag wir Ende Juni,
während des internationalen Ornithologen- Kongresses zu Paris,
feierten. Zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt gehört ein ca.
200 Jahre alter Feigenbaum, an der Wurzel eingemauert, um ihn
nicht auseinanderfallen zu lassen, mit zahlreichen Stützen der
Zweige versehen, aber sonst in voller Gesundheit, mit tausenden
von Früchten, im Freien wachsend.
134 Bericht über die Jahresversammlung.
Über St. Pol-de-L&on, mit seiner interessanten Kathedrale
und der Chapelle de Creizker, langten wir am Nachmittage in
Morlaix, der malerisch gelegenen Arrondissements-Haupt-
stadt des westlichsten französischen Departements Finistere, an,
mit dem Meere verbunden durch einen kleinen Fluss, so dass
die Seeschiffe mit der Flut bis hierher gelangen können. Ausser
einigen hochinteressanten Holzhäusern, namentlich dem der „Reine
Anne,“ besitzt die Stadt in der alten früheren Kirche der Jaco-
biner ein Museum und eine Bibliothek. Im Kriege 1870/71
diente die Kirche Remontezwecken. Als nachher das Depöt nach
Guingamp verlegt wurde, brachte die Stadt ihre Bibliothek 1873
dort unter. Dann verlegte die „Societe d’Etudes scientifigues du
Finistere“ ihre Sammlungen hinein. Comte Ange de Guernisac
schenkte der Stadt 6000 fres. (davon wurden Bilder gekauft und
Museumseinrichtungen getroffen) und überdies seine reiche
Schmetterlingssammlung. Dr. Le Hir schenkte seine geologische
Sammlung, eine ähnliche Collection stiftete Herr Miciol. Aus
Staatsmitteln und Gaben von Dr. J. E. Chenantais und Graf de
Lauzanne wurden eine Vogelsammlung gebildet. Die paar
hundert Vögel liessen zu wünschen übrig, nach Ort und Zeit
war nichts etikettiert, meistens nur die französischen Namen ange-
geben, so weit ich controllieren konnte, in der Regel richtig. _
Eier und Nester waren auch einige vorhanden. Angenehm fielen
die zahlreichen, dort gefundenen Stein- und Bronzesachen auf
und die vortrefflich etikettierten Versteinerungen. Das ganze
Museum war sehr ordentlich gehalten, der Katalog, verfasst von
Edmond Puyo, von 1896.
Je weiter wir nach Westen kamen, desto einförmiger wird
das Land, auf ganz flachem Granitboden sieht man, die Wälder
von Montagnes d’Arrde in der Ferne links liegen lassend, kaum
etwas anderes als grosse ebene Flächen, bedeckt mit Ulex euro-
paeus und Sarothamnus vulgaris, und ab und an einige Getreide-
und Kartoffelfelder. Von der Station St. Thegonnec aus besuchten
wir zu Fuss den berühmten dortigen Calvaire, eine Gruppe von ca.
550 Personen, die Leidensgeschichte Christi darstellend, in Granit
gehauen, und dann in einem flotten zweirädlrigen Kippkarren einen
ähnlichen, mit noch mehr Personen ausgestatteten Calvaire bei
Gimillau. Die Landbevölkerung erscheint immer mehr in der
charakteristischen Nationaltracht, hier auch die Männer mit
kurzen mit blanken Knöpfen besetzten schwarzen Röcken, fest
gestärktem breitem weissen Vorhemde mit weissem Stehkragen,
meist ohne Halstuch und namentlich niedrigem breitkrämpigen
schwarzen Filzhute mit einem in 2 Enden (mit weisser Schnalle
zusammengehalten) herabhängendem schwarzen Sammetbande.
Bäume in grösseren Gruppen sind an der Bahnstrecke kaum zu
sehen, so sind z. B. die Turteltauben (Columba turtur) ge-
zwungen, in den Bahnhofsgärten zu brüten, wie bei T'hegonnec,
wo ich ausserdem noch Flüevögel (Accentor modularis) beob-
Bericht über die Jahresversammlung. 135
achtete. — Weiter westlich nach dem Meere zu wird die Land-
schaft wieder abwechslungsreicher, ab und zu fährt man auf
Viaducten über ein tief eingeschnittenes Thal, in dem sich üppiger
Baumwuchs zeigt, Wälder treten wieder auf, bei La Roche
leuchten malerische weisse Klippen (wie es mir schien, aus Feld-
spat bestehend) aus dem Blattgrün hervor, hinter Landerneau
durchkreuzt man einen grossen Wald, der an unsere norddeutschen
Forsten erinnert, dann beginnen die Villen der Vorstädte von
Brest mit ihren schönen Parkanlagen, durch die man die weiten
Wasserflächen der „Rade de Brest“ hindurch schimmern sieht,
endlich passiert man eine Anzahl von Wällen und Festungsgräben
und ist in
Brest, dem grössten Kriegshafen Frankreichs, einer Festung
ersten Ranges. Brest mit 74538 Einwohnern ist ebenfalls Ar-
rondissements-Hauptstadt des Departements Finistere, hat blü-
henden Handel, entzückende Lage und durch den für die grössten
Kriegsschiffe zugänglichen von Norden her zwischen steilen
Bergabhängen einmündenden Fluss Penfeld einen geradezu un-
vergleichlich schönen Kriegshafen. — Das Museum befindet
sich in einer alten Halle und enthält hauptsächlich Bilder und
wenige prähistorische und ethnographische Gegenstände. Die
Vögel sind vertreten durch eine kleine c. 150 ausgestopfte
Exemplare enthaltene Sammlung in 2 unten an der Erde be-
findlichen Schränken, meistens Europäer, sehr mangelhaft aufge-
stellt und nicht einmal mit fransözischen Namen etikettiert. Eine
50000 Bände starke Bibliothek befindet sich ebenfalls im
Gebäude. —
Nachdem wir auf den Spaziergängen an den Bastionen, so
weit sie zugänglich waren, die entzückenden Aussichten auf das
- Meer der „Rade de Brest‘‘ genossen und uns über die sich zahlreich
selbst mitten in der Stadt tummelnden Möven gefreut, wandten
wir uns südlich. Zunächst ging die Bahn wieder bis Landerneau,
dann schwenken wir rechts südlich ab und passieren die eine der
die Bretague durchziehenden höheren Granitketten, die Montagnes
d’Arree, mit Blick auf das Meer, da man oben an den Bergen
hinfährt. Die Landschaft ist gegen den Norden der Bretagne
sehr verändert, viel mehr Wälder treten auf, namentlich Eichen
werden sehr zahlreich cultiviert, offenbar, wie bei uns am Rhein
und in der Eifel, zur Gewinnung der Rinde Zwecks Gerberei.
Die Waldbäume sind ausser den Eichen die Buche und Edeltanne
und ab und an schon die Strandkiefer. Nach den auf den Bahn-
höfen verladenen Sachen zu schliessen, müssen hier unendlich
viel Erdbeeren cultiviert werden, in den Hötels, auf den Märkten
‚überall sah man Erdbeeren zu wahren Spottpreisen. — Allmählich
nähert man sich dem zweiten höheren Granitgebirgszuge, den
Montagnes Noires, überschreitet den Aulne, der von Ost nach
West zwischen beiden Gebirgszügen hinfliesst und erreicht Cha-
teaulin in entzückender Lage. In der Gegend wird ein sehr
136 Bericht über die Jahresversammlung.
guter Schiefer gebrochen. Dies hat einen vorzüglichen Einfluss
auf die Bauart der Häuser gehabt, die Strohdächer verschwinden
allmählich bei den Bauerhäusern, weisse schmuck aussehende Ge-
bäude mit leuchtenden schwarzen Schieferdächern erscheinen. Cha-
teaulin mit einer alten mit Gras bewachsenen Burg und dem
schlanken Kirchturme mit den Seitentürmchen auf den 4 Ecken,
wie man ihn hier in der westlichen Bretagne so häufig findet,
liegt reizend. Nun passiert man (die westlichen Ausläufer der
Montagnes Noires, die noch mehr Wald haben als die Montagnes
d’Arree, und gelangt in abwechlungsreicher Fahrt nach
Quimper, der Hauptstadt des Departements Finistere, mit
18557 Einwohnern, Sitz eines Bischofs, Geburtsort des berühmten
Mediciners Laennec, in entzückender Lage, mit hervorragen-
der Porcellanfabrikation. Ausser der sehr schönen Kathedrale
St.-Correntin aus dem 13. bis 15. Jahrhundert besitzt die Stadt
ein sehr reichhaltiges Museum, dass sofort zeigt, dass wir
es hier mit einer historisch sehr interessanten Stadt zu thun
haben. Quimper, bretonisch „Kemper“ d. h. Zusammenfluss ge-
nannt, da hier 2 Flüsschen, der Odet und der Steir, zusammen-
kommen, hat sich lange Zeit Quimper-Correntin genannt, nach
seinem ersten Bischofe St. Correntin, der es gründete. Im Be-
ginn des Mittelalters war es unter einem „Roi Grallon“ Haupt-
stadt der Cornouaille, wurde dann im 11. Jahrhundert von den
Herzögen der Bretagne erobert. — Im Museum ist die erste
Etage mit zum Teil sehr schönen älteren und neueren Bildern
angefüllt und im Erdgeschoss finden sich die archäologischen
Sammlungen, sehr interessante prähistorische und romanische
Altertümer, alte Möbeln, ganze Facaden von alten Holzhäusern,
die abgerissen wurden, namentlich aber eine prachtvolle Sammlung
alter bretonischer Kostüme, sämtliche Figuren in Lebensgrösse. —
Dem vortrefflichen, patriarchalisch gemütlich eingerichteten Hötel
de l’Epee gegenüber befindet sich, nur durch den Fluss getrennt, die
Präfeetur, hinter dieser Anlagen und dann am Bergabhange an-
steigend ein prächtiger Buchenwald, der an die schönsten deutschen
Wälder erinnert.
Der Sonnabend, 7. Juni, wurde zu einer Excursion nach der
Pointe du Raz benutzt.
Zwischen der Bai von Douarnenez und Audierne erstreckt
sich eine weit in den atlantischen Ocean hinausragende Halbinsel,
deren äusserste westlichste Spitze die Pointe du Raz genannt wird.
Von Quimper aus lässt sich der Ausflug bequem in einem Tage
machen, zunächst fährt man durch anmutiges welliges, zum Teil
schön bewaldetes Hügelland nach der nördlich gelegenen kleinen
Hafenstadt Douarnenez an der gleichnamigen Bai und durch-
quert dann die Halbinsel, um an der südlich gelegenen gleich-
namigen Bucht in Audierne, einem kleinen Fischerstädtchen,
wieder das Meer zu erreichen. Es war gerade Markttag und
hatten wir Gelegenheit, die Bauern und Seeleute der Umgegend
Bericht über die Jahresversammlung. 137
in ihren malerischen Nationaltrachten zu beobachten. Haupt-
sächlich Fische waren es, die ausser den üblichen auf allen Jahr-
märkten angebotenen Gebrauchsartikeln in grossen Mengen ver-
kauft wurden. Besonders interessierte uns ein colossaler Hai-
fisch, von fast 2 m Länge und 500-600 Pfund Gewicht, der
gerade gelandet wurde, aber, wie die Fischer sagten, zum
Genusse für Menschen unbrauchbar sei. Audierne ist berühmt
durch feine Sardinen, wir fragten ein Mädchen am Eingange der
grössten Sardinen-Fabrik um die Erlaubnis, das Etablissement
zu besichtigen. Sie führte uns zu der Besitzerin, einer bretonischen
Dame, die sich aber in ihrer Kleidung kaum von dem Dienst-
mädchen unterschied; die characteristische weisse Haube, das
schwarze Kleid und die dunkele Schürze trug sie ebenso, wie
die Hausmädchen und zeigte uns die verschiedenen Apparate,
die zur Herstellung der bei uns so beliebten ‚„Sardines & l’huile‘“
dienten, von den frisch gefangenen Fischen an bis zu der zum
Export fertigen Büchse. In der Zwischenzeit war unser Einspänner
fertig angespannt, der Frühstückskorb im Hötel de France gepackt
und fort ging es zunächst bergauf zum Kamm der Halbinsel
und dann im lustigen Trabe auf der kahlen Hochfläche an einigen
armseligen aus Granitsteinen erbauten Fischerdörfern vorbei
in c. 5/, Stunden nach dem Leuchtturme auf der äussersten
Landspitze. Hier muss man ausspannen und darf dann zu der
äussersten Felsspitze zu Fuss gehen. Von 2 Führern und
3:Jungens, die schon einige Kilometer hin neben unserem Wagen
gelaufen waren, um sich zur Führung anzubieten, (ähnlich wie
am Aschenkegel des Vesuvs. wenn man von Pompeji her kommt)
nahmen wir einen Führer und suchten uns zunächst ein schönes,
vor dem Winde geschütztes Plätzchen, um uns leiblich auf die
uns bevorstehende Kletterpartie zu stärken. Köstliche Aussicht
nach Norden bis zu der die Bai von Douarnenez nordwärts um-
ziehenden Halbinsel von Crozon mit dem weit nach Süden vor-
“springenden Cap de la Chevre, im äussersten Norden die Pointe
St. Mathieu, an der „Rade de Brest“ den Horizont begrenzend!
Zunächst wird man nördlich hinabgeführt zum sogenannten
„Enfer de Plogoff“‘, weil die Alten hierher den Eingang zur Unter-
welt verleeten. Ein enger langer Felstunnel führt dicht über dem
Meeresspiegel hinüber zur Südseite, bei Ebbe kann man hindurch
sehen, bei Flut strömt das Meer von der einen zur andern
Seite. Bei Sturm muss es schauerlich hier sein, wir hatten
verhältnismässig ruhiges Meer und trotzdem donnerten die Wellen
in imposanter Weise in den Felsspalt hinein. Der Fübrer er-
zählte uns, dass die grosse französische Schauspielerin Sarah
Bernhard tausend Franken Belohnung geboten habe für den,
der sie durch das „Enfer‘ führte, aber keiner habe sich gefunden.
— Grossartiser noch war die äusserste westlichste Felsenspitze,
kaum 4 Menschen haben neben einander Platz, 80 m steht man
über der tosenden Brandung, das Meer zwängt sich mit einem
133 Bericht über die Jahresversammlung. °
kräftigen Strudel von Norden nach Süden durch die unzähligen
kleinen dicht unter der Meeresfläche lagernden ausgezackten
Granitblöcke. In der Verlängerung der Spitze liegt etwa 9 Kilo-
meter entfernt im Meere die kleine Insel Sein, das Sena der Alten,
wo ein altes Druidenheiligtum lag mit 9 Druidenpriesterinnen,
deren letzte, Velleda, der grosse Chateaubriand in unserem
Zeitalter besang. Weiter hinaus folgt der unermessliche atlan-
tische Ocean, bis Amerika hin nicht durch festes Land unter-
brochen. Der Anblick war unbeschreiblich grossartig, gar nicht
trennen konnten wir uns, besonders da tief zu unseren Füssen
gerade in dem Strudel 4—5 Haifische jagten und die immer
wiederkehrenden, aber immer schönen Wogen der Brandung
belebten. Nach einem Rundgange an der Südseite mit dem weiten
Blicke südlich bis zur Pointe de Penmarch wandten wir uns
nochmals nordöstlich zur „‚Baie des Trepassees“. In für Menschen
ganz unzugänglichen tiefen Felsspalten brüteten Dreizehen-
Möven (Larus tridactylus), vier oder fünf Nester konnten wir
deutlich mit dem Opernglase beobachten, die Jungen waren
c. 14 Tage alt, dazu flogen Kormorane (Carbo cormoranus) aus
und ein und lautkrächzend verschwanden 2 Kolkraben (Corvus
corax) hinter der nächsten Felsenspitze. Überall war der be-
dächtige Felsenpieper (Anthus rupestris) zu beobachten und
einige Mauersegler (Oypselus apus) schwirrten in den Lüften.
— Auf demselben Wege kehrten wir Abends noch bei Zeiten
nach Quimper zurück, um am andern Morgen dem schönen Buchen-
wald auf der andern Seite des Flusses einen Besuch abzustatten
und dann mittags weiter zu fahren über Rosporden. Quimperle,
Lorient (der ersten Stadt in dem so einförmigen und ärmlich
aussehenden Departement Morbihan, das durch seine prä-
historischen Altertümer mit zu den interessantesten ganz Frank-
reichs gehört), Hennebout (berühmt durch Johanne von Flandern,
die Gemahlin Johann IV von Montfort, die hier 3 Jahre lang
von 1342 — 1345 dem Karl von Blois Widerstand leistete und
ihn zuletzt mit Hilfe der Engländer besiegte), Auray (bekannt
jetzt durch die grossen Austernkulturen und von früher her durch
die Schlacht von 1364, die die Nachfolge Johann V in der Herr-
schaft der Bretagne gegen die Herzöge von Blois sicherte) nach
der Halbinsel
Quiberon. Schon von der Eisenbahn aus sieht man sich
in einem Lande, das unseren friesischen Haide- und Moorland-
schaften gleicht. Weite sandige Strecken, viel Haide, ab und an
ein Wäldchen von Strandkiefern, die jetzigen menschlichen Be-
wohner unseren „Moorpustern“ eleichend. Wir verliessen den
Eisenbahnzug in Plouharnel-Carnac, um von hier aus die schmale
weit nach Süden in der Art unserer Ostsee-Hatfl’s vorspringende,
die Bai von Quiberon nach Westen begrenzende Halbinsel
kennen zu lernen. Wir befinden uns auf einem der interessan-
testen prähistorischen Terrains, das überhaupt auf der ganzen
Bericht über die Jahresversammlung. 139
Erde existiert, inmitten der megalithischen, keltischen oder
Druidendenkmäler, die hier vor tausenden von Jahren er-
richtet wurden. Fast alle Formen und Gruppierungen, die über-
haupt bekannt sind, können wir hier beobachten:
1) Menhir (bretonischer Name), Men-pierre, Hir-longue,
Peulven (französische Namen). Riesensteine; rohe unbehauene
Steine vertikal aufgestellt, von sehr verschiedener Grösse. In
der Regel erreichen sie nur eine oder mehrere Manneshöhen,
bisweilen sind sie aber von enormer Grösse, so liegt der König
aller Menhirs, der Manear-Groach, in 4 Stücke geborsten bei
Lochmariaquer, mit einem Umfang von 7 m, einer Länge von
11'/;, m und einem auf 200000 Kilo berechnetem Gewicht.
2) Alienements. Dies sind Gruppen von reihenweise
aufgestellten Menhirs. Solche Felder von 5—4 Kilometer Aus-
dehnung giebt es jetzt noch bei Carnac mit mehr als 600 Steinen.
Nach glaubwürdisen Berichten des 16. Jahrhunderts, als man
noch nicht mit Menschenhand diese prähistorischen Bauwerke
zerstörte und zu Häuser-, Kirchen- und Strassenbauten benutzte,
sollen an 15000 in dortiger Gegend gewesen sein.
3) Lech. Menhirs, die behauen sind und an den Seiten
meistens Kreuze zeigen, z. B. dicht am Dorfe Plouharnel.
4) Cromlech (bretonischer Name), Crom-cercle, Lech-lieu
Cameilloux (französische Namen), eine Gruppe von Menhirs oder
einfachen Felsblöcken, wie sie sich in der Haide finden, in Form
eines Kreises oder Vierecks, wie z. B der Crom-lech von Menee,
oder der Quadrilatere von Crucuno.
5) Dolmen (bretonischer Name), Dol-table, Men-Pierre,
Grottes-aux-Fees (französische Namen), Tafelsteine, Grabkammern
eyclopischen Gepräges, Steinplatten, die auf 2 Reihen von Stütz-
pfeilern ruhen, wie z. B der Dolmen von Corcoro bei Plouharnel
oder der in der Nähe gelegene von Kerinoz u. S. w.
6) Allee-couverte, zwei Reihen von Menhirs, die mit
Platten bedeckt sind. Häufig bilden sie den Zugang zu den Dolmen.
7) Cist-ven (bretonischer Name), Cist-tombe, Ven-pierres
(französische Namen), Stone-kist (englischer Name), Steinkiste,
bestehend aus flachen Steinen, die eine Grabkammer darstellen,
kleiner als in den Dolmen.
8) Galgal, Zusammenhäufung von kleinen Roll-Steinen,
die einen Hügel bilden.
9) Tumulus, Zusammenhäufung von grossen Steinen, mit
Erde überdeckt, in der Mitte eine Grabkammer, wie z. B. der
Tumulus von St. Michel bei Carnac und der von Kercado.
Mitten zwischen diesen grossen Überresten einer Epoche,
die vor unserer geschichtlichen Zeit liegt, wohnt man im „Hötel
des voyageurs“ in Carnac in einfacher aber vortrefflicher Weise.
Wunderbar berührt es, zwischen diesen Riesensteinen einherzu-
wandern, die zum Teil in wunderlichen, gespenstischen Formen,
namentlich wenn es dunkelt, sich darbieten. Der Ort gruppiert
140 Bericht über die Jahresversammlung.
sich um eine Kirche aus dem 17. Jahrhundert, die an der vor-
deren Facade ein Bild des Heilgen Cornely zeigt, der die heran-
kommenden Rinder segnet. Er ist der Heilige der Haustiere,
Mitte September strömt die Bevölkerung der Umgegend herbei,
mit ihren Viehherden, um diese von dem Heiligen segnen zu
lassen. Am östlichen Ausgange befindet sich das Musee Miln,
gegründet von dem 1881 verstorbenen Archäologen Miln. Dieses
kleine von dem Kustoden Zacharias le Rouzig geleitete
Museum ist ausserordentlich interessant durch die Menge von
prähistorischen Funden aus der Umgegend und sehr instructive
Modelle der verschiedenen prähistorischen Denkmäler. Ausser-
dem findet sich eine kleine oruithologische Sammlung von
recht gut ausgestopften in der dortigen Gegend erlegten Vögeln,
bei denen der Tag der Erlegung meistens angegeben war, die
Bestimmung aber vielfach fehlte, So weit meine Zeit reichte,
suchte ich die Bestimmung zu ergänzen. Nach den Angaben
Rouzig’s kommt die Schneekrähe (Corvus cornix) dort im
Oktober an und zieht im März ab, die Haidelerche (LZullula
arborea), die wir massenweise auf den Steinfeldern beobachteten,
brütet sehr häufig, das feuerköpfige Goldhähnchen (Regulus
ignicapillus) nistet viel in den Wäldern ‘der Seestrandkiefern,
die Uferschwalben (Cotyle riparia) brüten in der Dünen, die
Mantelmöve (Larus marinus) nistet auf der Insel Houat im
Süden der Bucht von Quiberon, der Eisvogel (Alcedo ispida)
ist allgemeiner Brutvogel, der Löffelreiher (Platalea leucero-
dia) ist in einem sehr schönen dort erlegten Exemplare vertreten,
von Drosseln ist Schwarzdrossel (Turdus merula), Sing-
drossel (Turdus musicus), Weindrossel (Turdus tliacus),
Wachholderdrossel (Turdus pilaris) und Misteldrossel
(Turdus viscivorus) dort vorgekommen und in der Sammlung
zu sehen. — Die meisten Angaben des Kustoden waren so sicher
und treu vorgetragen, dass sie mir glaubwürdig erschienen. Nur
in einem Falle wurde ich sehr skeptisch, ich muss denselben
hier erwähnen, da Herr Rouzig denselben vielleicht auch anderen
Besuchern von Carnac vorträgt, und überlasse es den franzö-
sischen Ornithologen, denselben aufzuklären, da er, wenn wahr,
hoch interessant wäre. In der Sammlung ist ein Seidenschwanz
(bombyecilla garrula) vorhanden. Rouzig versicherte mir mehrere
Male mit absoluter Sicherheit seinerseits, dass derselbe dort
ausgebrütet sei, er habe im Juni 1879 das Nest mit 5 Jungen
in der Zeit des Frohnleichnamsfestes bei Kerkado mitgenommen,
die Jungen aufgefüttert und einen davon, dieses im Museum be-
findliche Exemplar, ausgestopft.
Schwer war es für uns, diesen interessanten Fleck Erde zu
verlassen, namentlich da noch eine Commission gelehrter Herren
aus Vannes eintraf, um Ausgrabungen vorzunehmen, — aber die
Zeit drängte und so ging es auf demselben Wege zurück, über
Auray, nach
Bericht über die Jahresversammlung. 141
Vannes, einer ruhigen Stadt, von 22189 Einwohnern, der
alten Hauptstadt der Veneter, der schlimmsten Feinde der Römer
in der Provinz Armorica, jetzt Hauptstadt des Departements
Morbihan. Ausser der, aus dem 13. —14. Jahrhundert stammenden,
den verschiedensten Bauepochen angehörenden, Kathedrale und
einem, wie Bädecker sagt: „Embryo“ von Kunstmuseum enthält
die Stadt von Sehenswürdigkeiten eigentlich nur das archäo-
logische und naturhistorische Museum. Dasselbe gehört
der „Societe polymathique du Morbihan“ und findet sich am Place
des Lices in einem alten Gebäude. Die Gesellschaft ist am
29. Mai 1826 gegründet, zum Zweck des Studiums der natür-
lichen Productionen des Landes, seiner Geschichte und seiner
Altertümer. Sie hält jeden Monat eine regelmässige Sitzung ab,
und veröffentlicht den Bericht über dieselbe. Alle 6 Monate
giebt sie ein Bulletin heraus, in dem die der Veröffentlichung
würdig erklärten Arbeiten abgedruckt werden. Seit 1826 existieren
die Sitzungsberichte im Drucke oder als Manuskript, von 1833
bis 1856 sind keine Memoiren gedruckt. Die naturwissenschaft-
liche Bibliothek hat ca. 1000 Bände, von Temminck z. B. Les
. Oiseaux d’Europe. Der Conservator des naturhistorischen Muse-
ums, A. Leguillon-Guyot, beschäftigt sich mit Vorliebe mit
Lebensbeobachtungen der Vögel, speciell den Wanderungen und
der Nistweise. —
Die Anordnung der Museumsräume ist die, dass sich auf
der einen Seite eines Mittelkorridors 4 Säle mit prähistorischen
Objecten und auf der anderen Seite die naturhistorischen Samm-
lungen befinden. — Ausser zahlreichen ausgestopften Vögeln aus
verschiedenen Ländern der Erde ist eine sehr interessante
Sammlung der Vögel des Morbihan vorhanden, mit franzö-
sischer und wissenschaftlicher Etikettierung, meist auch das Jahr des
Fundortes und die Jahreszeit (Frühling, Herbst u. s. w.) angegeben.
Von einzelnen Arten fielen mir besonders auf: Kleiner Schrei-
adler (Aguila naevia), im vorigen Winter bei St. Gilda erlegt,
Eiderente (Somateria mollisima), schönes altes &, Schlangen-
adler (Circaetos gallicus), vortreffliches Exemplar, Mauerläufer
(Tichodroma muraria), 1896 an der Mauer der Kathedrale
geschossen, Kolkrabe (Corvus corax), Standvogel, schlank-
schnäbliger sibirischer Tannenhäher (Nucifraga caryo-
catactes leptorhynchus), 1 Exemplar, Wiedehopf (Upupa epops),
viel dort brütend, Alpenkrähe (Pyrrhocoraz graculus), Brutvogel
auf Belle-Isle, Trappe (Ots tarda) sehr selten in schweren
Wintern, Brautente (Anas sponsa), sehr schönes @, im October
1899 am Etang von Pargo geschossen (vermutlich einer Voliere
entflogen! Bl.), weiskehliges Blaukehlchen (Lusciola leuco-
eyanea), Durchzugsvogel im Frühjahre, Provence- Sänger
(Melizophilus provineialis), Standvogel, Dompfaff, kleinschnäb-
lige Foım, (Pyrrhula vulgaris), 2 Exemplare, schwarzer Storch
(Oieonia nigra), 1 Exemplar, Purpurreiher (Ardea purpurea),
142 _ Bericht über die Jahresversammlung.
selten, 1 sehr schönes Exemplar, Löffelreiher (Platalea leuce-
rodia), sehr selten, 1 Exemplar, Nachtreiher (Ardea nyeticorax),
selten, Papageitaucher (Fratercula arctica), Standvogel auf
Belle-Isle, grosse Raubmöve (Stercorarius parasitieus), 1877
erlegt, Basstölpel (Sula bassana), viele alte und junge Exem-
plare, Mornell-Regenpfeifer (Eudromias morinellus) aus dem
Frühjahr, Kranich (Grus cinerea), I Exemplar, vom Regen-
brachvogel (Numenius phaeopus) und dünnschnäbligen
Brachvogel (N. tenuirostris), je 1 Exemplar, grosse Rohr-
dommel (Dotaurus stellaris), 1 Exemplar, Tordalk (Alca torda),
ı Exemplar. Überhaupt war namentlich die Sammlung von
Enten, Sägetauchern, See- und Krontauchern hervor-
ragend schön.
Die Eier der betreffenden Vögel waren in manchen Fällen,
ausgeblasen, auf einen Faden gezogen, an den Füssen der
betreffenden Art befestigt. Ausserdem war eine ganze Samm-
lung von Eiern, unter 2 Glaskasten, auf Fäden gezogen, auf der
Hinterwand aufgehängt, meistens bestimmt, mit richtigen, fran-
zösischen Namen.
Von Säugetieren waren auch viele aufgestellt, darunter
ein prachtvoller Wolf, vor 20 Jahren dort erlegt.
DieSchmetterlinge hatten sehr unter Mottenfrass gelitten.
Conchylien, der Jetztzeit und versteinert, waren sehr
schön vertreten.
Die Mineraliensammlung schien sehr reichhaltig zu sein.
Eine Treppe höher war die Bibliothek der Gesellschaft
aufgestellt, Bücher aus allen möglichen Wissenschaften, Geschichte,
Geographie, Naturwissenschaften u. s. w. und eine grosse Zahl
von Bulletins anderer französischen gelehrten Gesellschaften.
Bei der Weiterfahrt nach Nantes hat man anfangs bis Redon
die Landes de Lanveaux nördlich neben sich mit Ginstern und
Haide bedeckte ziemlich öde Landschaften, dann wendet man
sich südlich nach der Loire zu, passiert weite Wiesenflächen, dann
einige grössere Wälder und erreicht bei
Nantes den breiten, mächtigen Loire-Strom. Nantes, die
siebentgrösste Stadt Frankreichs, am rechten Ufer der Loire
gelegen, Hauptstadt des Departements Loire inferieure, mit
123902 Einwohnern, mit blühender Industrie und reichem Handel,
jetzt eine Pflegstätte für Kunst und Wissenschaft, hat eine inter-
essante Geschichte, die bis auf die Römerzeit zurückführt. Nach
langwierigen, heftigen Kämpfen für die Selbständigkeit der Stadt
und der Bretagne, fand dort 1491, in dem alten, aus dem 15.
Jahrhundert stammenden, Schlosse die Hochzeit von Anna von
Bretagne mit Karl VIII. statt, wodurch die Bretagne mit Frank-
reich vereinigt wurde.
Ausser dem genannten Schlosse, das jetzt zu Militärzwecken
benutzt wird, und der Kathedrale. St. Pierre mit dem schönen
Grabdenkmale Franz II., des letzten Herzogs der Bretagne,
Bericht über die Jahresversammlung. 143
besitzt Nantes an Instituten der Kunst und Wissenschaft: 1. das
Musde de peinture, nach den Plänen von C. Josso 1893
begonnen und 1897 vollendet, ein grossartiges Gebäude, mit ca.
1000, zum Teil sehr schönen Bildern, 2. das Mus&e Dobree,
von dem Bürger gleichen Namens der Stadt 1894 geschenkt, auf-
gebaut im Stile des i3. Jahrhunderts, um gleichsam als Oluny-
Museum zu dienen und prähistorische, römische, merovingische
Funde, alte Möbel u. s. w. aufzunehmen, 3. den botanischen
Garten, sehr schön und instruktiv eingerichtet, z. B. an den
Bäumen «arosse Porzellanetiketten, mit einer, das ursprüngliche
Vorkommen bezeichnenden, Landkarte und kurzer Angabe, wozu
- die Pflanze dient, mit prächtigen Warm- und Kalthäusern, Teichen
mit Wasservögeln, Volieren mit Landvögeln u. Ss. w. 4. das
Muse&e d’Histoirenaturelle und 5. die Privatsammlung
Bonjour.
Ernest Bonjour, jetzt 72 Jahr alt, ein ausserordentlich
liebenswürdiger prächtiger Herr, sammelt Vögel seit 1857, viele
hat er in seinem früheren Wohnorte, Amiens in der Picardie, ferner
später im Gebiete der Vendee und Loire inferieure erbeutet,
‚sämtlich selbst ausgestopft und ganz genau wissenschaftlich mit
Geschlechts-, Zeit- und Ortsangaben etikettiert. In der Privat-
Wohnung, Passage St. Jves, No. 23, sind die Vögel, vortrefflich
gestopft, in einem grossen Saale mit Oberlicht in 2 Schränken,
frei in der Mitte stehend, und rings an den Wänden angebrachten
Glasschränken aufgestellt. In neuerer Zeit sind viele schöne
Exemplare von Möschler, Rey und Schlüter in Deutschland
bezogen. Wundervolle Suiten von verschiedenen Kleidern, Alters-
stufen und Geschlechtern namentlich von Sabine’s Möve (Larus
Sabinei), Dougall’s Seeschwalbe (Sierna Dougalk) und
Papageitaucher (Mormon fratercula) fallen besonders in die
Augen. Einige Übergangs-Mauser-Kleider waren vortrefflich und
sehr selten sonst zu finden. Die Larus Sabinei sind sämtlich im
August und September an der Westküste der Bretagne und weiter
Loire aufwärts bis Nantes hin erlegt. Der Purpurreiher (Ardea
purpurea) nistet auf den Inseln der unteren Loire. Von Tan-
nenheher (Nucifraga caryocatactes) waren schlank- und dick-
schnäblige vorhanden, ferner sehr schöne Steppenhühner
(Syrrhaptes paradozus) aus dortiger Gegend von 1888 und eins
von 1863. Von Wiesenweih (Circus cineraceus), der wie der
Rohrweih (C. aeruginosus) dort sehr gemein ist, bemerkte ich
2 sehr schöne Melanismen. Der Steppenweih (Circus pallidus)
ist nach Bonjour’s Angaben dort noch nicht vorgekommen. Der
Nachtigallrohrsänger (Locustella luscinioides) nistet bei
Nantes. Vom Waldkauze (Syrnium aluco) sind nach Bonjour’s
Untersuchungen die @ meistens die braunen, die g die grauen.
Anthus Richardi (Richard’s Spornpieper) wurde mehrfach
- dort in älteren Exemplaren geschossen, einmal auch ein junger
im ersten Jahre stehender Vogel erleg. Ein Wanderfalke
144 Bericht über die Jahresversammlung.
(Falco peregrinus) stand in Wuchs und Zeichnung dem Würg-
falken (Falco lanarius) sehr nahe, erwies sich aber nach Ver-
gleichung mit den Exemplaren des Braunschweiger Museums als
echter Wanderfalk. — Der Sohn, SamuelBonjour, ist prak-
tischer Arzt, c. 40 Jahr alt, eifriger Musiker, grosser Verehrer
von Beethoven (Abends erfreute er uns in dem gastlichen Hause
seiner Eltern durch sein köstliches Violinspiel!), beschäftigt sich
auch mit Ornithologie, sammelt aber hauptsächlich Schmetterlinge;
ausser medicinischen Arbeiten, z. B. über Myelome, hat er u. a. im
Bulletin de la Societe zoologique de France eine kleine Arbeit über
Farben-Variationen einiger Vogelkleider (Tom. XIII, S. 193, Jahr-
sang 1888) veröffentlicht, namentlich aber eine Schmetterlings-
fauna der Loire-inferieure herausgegeben (Bulletin de la Societe
des sciences naturelles de l’Ouest de la France, 1894, IV,
p. 164 u. I). ==
Das Muse&e d’Histoirenaturelle steht zur Zeit unter
der Leitung von Dr. Louis Bureau, Professor an der Ecole
de Medeeine zu Nantes. Es findet sich in der Ecole des Sciences
zwischen Rue Voltaire und Place de la Monnaie in einem 1821
in klassischem Style errichteten Gebäude, das zuerst als Münze,
dann als Justizpalast diente. Die Tiere, sämtliche Tierklassen
vertreten, sind in grossen Sälen in 2 Etagen über einander mit
Seiten- und OÖberlicht und je einer höheren Gallerie an den
Wänden vortrefflich aufgestellt und ausgezeichnet conserviert.
Die Säugetiere, Reptilien, Amphibien, Fische und niederen Tiere
sind in schönen Exemplaren vertreten, der Hauptwert der Sammlung
liegt aber in den Vögeln. Wenige Gegenden Frankreichs sind’
vom ornithologischen Standpunkte aus so genau studiert, wie die
untere Loire, Bretagne und Vendee und das grosse Verdienst L.
Burau’s ist es, dass er die Belegs-Exemplare möglichst im Museum
zu Nantes zu vereinigen suchte. Das grundlegende Werk für die
dortige Ornis ist Blandin, Catalogue des Oiseaux dans le
Departement de la Loire inferieure, veröffentlicht 1863 in den
Ann. Soc. acad., p. 504—584 und 2 kleinere Arbeiten desselben
Autors, ein Appendix zu dem Katalog, eodem loco, 1874, p. 438
u. 444 und eine Schrift: Oiseaux migrat. q. visit. la Bret. et causes
de leurs migrat., erschienen St. Brieuc, Congr. sc. de Fr. 1872.
Die Sammlung Blandin wurde durch dessen Schwiegersohn,
Jules Levesque, 1876 dem Museum geschenkt, Ernest Bonjour
gab viele seiner interessanten Exemplare ab und die Sammlung
Jules Quiquandon, der auch seit 1857 Vögel aus der Umgegend
sammelte, ging ebenfalls 1895 in den Besitz des Museums über.
Seit 1863 ist Louis Bureau mit seinem Bruder Etienne bemüht
gewesen, namentlich in der Fortpflanzungszeit die grossen Wälder
des Departements, die Küsten und Inseln der Bretagne und Vendee
zu erforschen und die gesammelte Beute dem Museum zu über-
weisen. Seit 1882 ist Bureau Director des Museums und bemüht
sich durch selbst erlegte Exemplare die Sammlung zu bereichern,
Bericht über die Jahresversammlung. 145
er ist nicht nur Arbeiter im Museum, zwischen den Bälgen und
ausgestopften Bälgen, nein er ist im besten Sinne des Wortes
„Field Ornitholog‘“, mehrere Monate des Sommers bringt er auf
seinem Familiengute in der Provinz zu, prachtvoll gelegen für
Naturbeobachtungen, vom Fenster der Villa aus mit dem Blicke
auf ein Fischreiher-Colonie. — So ist es denn gekommen, dass die
ornithologische Local-Sammlung des Museum zu Nantes mit zu den
vortrefflichsten ihrer Art gehört, die man überhaupt sehen kann.
Beim Durchgehen zeigte es sich immer mehr, dass Bureau
ein ganz vortrefflicher Beobachter in der freien Natur ist. So
erklärt er, ganz sicher beobachtet zu haben, dass die weissen
hellen Bussarde niemals dort brüteten, sondern nur auf dem Zuge
vorkämen, Brutvögel seien dort nur die dunklen, auch bei diesen
konnte er die stärker dunklen sicher als die Alten von den we-
niger dunklen, den Jungen, unterscheiden. — Offenbar hat B.
auch das Bestreben, die einzelnen Arten nach localen geogra-
phischen Verschiedenheiten zu sammeln, so waren z. B. bei den
Tannenhehern die dickschnäbligen, pachyrhynchus, von den
- schlankschnäbligen, leptorhynchus, getrennt. Die grossen grauen
Raubwürger (Lanius excubitor) wurden genauer durchgesehen
und nur zweispiegelige echte excubitor, kein einziger ein-
spiegeliger major gefunden. Offenbar scheint letzterer hier nicht
mehr vorzukommen. Lanius senator, der rotköpfige Würger,
ist offenbar viel häufiger als bei uns. — Von Sabine’s Möve
(Larus Sabinei) und Dougall’s Seesch walbe (Sterna Dougallı),
die ziemlich jedes Jahr auf Belle-Isle brütet, waren prachtvolle
Suiten da. — Mormon fratercula, der Papageitaucher, ist
klassisch vertreten in allen Formen der Mauser des Schnabels,
wie sie B. nach mehrmaligen Excursionen nach den Brutplätzen
in seiner schönen mit höchst instructiven Tafeln versehenen Arbeit
in Bulletin de la Societe zoologique de France 1878 „De la Mue
du Bec et_ des Ornements palpebraux du Macreux arctique (Fra-
lercula arctica (Lin.) Steph. apres la saison des amours“ be-
schrieben hat. Auch er brütet auf Belle-Isle. — Eine Menge
interessanter Exemplare anderer Vögel finden sich, z. B. Nach-
tigallrohrsänger (Locusiella luscinioides), von Blandin zuerst
dort nachgewiesen, Rothalsgans (Anser ruficollis) 1848 im
Winter erlegt, Kolbenente (Branta rufina) vom Februar 1848,
Blaudrossel (Peirocincla eyanea) Schneespornammer (Plec-
trophanes nivalıs) im Hochzeitskleide am 21./4. 1896 erlegt,
Halsbandgimpel (Glareola pratincola) im April 1859 geschossen,
Weissbärtige Seeschwalbe (Hydrochelidon hybrida) im Mai
1860 erbeutet, Lerchenspornammer (Plectrophanes lapponieus)
vom 6./11, 1869, Eismöve (Larus glaucus) von Mitte Dezember
1892, Kaspische Seeschwalbe (Sterna caspia) aus dem Früh-
jahr 1855, Grosser Schreiadler (Agwila clanga Pall.) vom
1./11. 1886, Rauhfussbussard (Archibuteo lagopus) vom 2./11.
1891, Rosenstar (Pastor roseus) vom 28./7. 1885, Alpen-
Journ, f, Orn, XLIX, Jahrg. Januar 1901. 10
146 Bericht über die Jahresversammlung.
mauerläufer (Tichodroma muraria) in 2 Exemplaren vom
26./10. 1890 und 6./11. 1892, Steppenhuhn (Syrrhaptes para-
doxzus vom 11./5. und 23./7. 1888, Europäischer Rennvogel
(Oursorius gallicus) vom 28./7. 1888, Grauer Tauchersturm-
vogel (Puffinus cinereus) vam 26./8. 1890, Ruderente (Eris-
matura leucocephalu) vom 23./12. 1893 und 7./12. 1897 u. s. w.
Auch die Eiersammlung war sehr gut; nach Gelegen
waren die einzelnen Arten gesammelt, und genau bezeichnet,
jede Art in einen kleinen Pappkasten mit Glasdeckel auf Watte
aufbewahrt, meistens auf der Seite mit einem Loche ausgeblasen,
viele aber auch mit 2 Löchern an beiden Polen. Die meisten
waren in Schubladen aufbewahrt, so dass sie nicht verbleichen
konnten, diejenigen, die frei für das Publikum auslagen, waren
mit Tüchern bedeckt.
Die Privatsammlung Bureau’s findet sich in dessen
Hause Die europäischen Vögel stehen ausgestopft in grossen.
Glasschränken an den Wänden, sehr schöne Exemplare; ausser-
dem sind viele Bälge in Blechkisten mit Einsätzen sehr sinnreich
verpackt, Erinnerungen an die Reisen, die B. nach Spanien, Tunis
und Klein-Asien machte.
In Louis Bureau besitzt Frankreich einen Mann, der
voll und ganz im Stande wäre, eine Ornithologie Frankreichs,
den jetzigen Anforderungen der Wissenschaft entsprechend, zu
schreiben, er kennt nicht bloss seine jetzige Heimat, sondern
auch die übrigen Departements sehr gut und besitzt eine Masse
von Einzel-Notizen, die nur der Durchsicht und Verarbeitung
harren. Leider ist er zur Zeit zu sehr mit anderen Arbeiten
überhäuft, so dass wir wohl auf eine Ornis Frankreichs, die nach
der 2. Auflage von Degland & Gerbe’s Ornithologie europeenne von
1867 sehr erwünscht wäre, noch etwas warten müssen.
Schweren Herzen’s trennten wir uns von dem interessanten
Nantes und seinen liebenswürdigen Bewohnern, um nun der
Bretagne Lebewohl zu sagen. Wohl verlohnt es sich, auf dieses
interessante Land, in dem wir fast 14 Tage zugebracht hatten,
einen Rückblick zu werfen. |
In geologischer Beziehung wohl der älteste Landstrich
Frankreichs, ist die Bretagne auch seit dem Bestande unseres
Continentes von Veränderungen am wenigsten berührt. Sie
besteht aus Granit und verwandten krystallinischen Gesteinen und
gehört geologisch zu Westengland, von dem sie geographisch nur
oberflächlich durch den Kanal getrennt ist. Ähnlich wie mit der
Geologie, ist es auch mit der Bevölkerung und der Tier- und
Pflanzenwelt der Bretagne, es hat sich auch hierin im Laufe der
Jahrhunderte wenig verändert. Während, wie L. Rütimeyer,
von deutsch redenden und schreibenden Forschern der Wissen-
schaft wohl der beste Kenner der Bretagne, in seiner Arbeit:
„Bretagne, Schilderungen aus Natur und Volk“ (abgedruckt in
L. Rütimeyer, Gesammelte kleine Schriften allgemeinen Inhalts
Bericht über die Jahresversammlung. 147
aus dem Gebiete der Naturwissenschaft, Bd. II, S. 259 und £f.)
‚1879, 1880 und 1881 schreibt: „allerorts, wo nicht grössere
Unterbrechungen von Menschengeschichte zeitweise stattfanden
— die älteren Spuren von Geschichte, von späteren, wie mit
neuen Wachstumsringen, wie mit neuer Vegetation bedeckt werden,
während allerorts die Völker ihre Physiognomie wechseln, oder
bis in’s Unkenntliche verändern, während die Monumente, die sie
zurücklassen, unterirdisch werden, und zwar um so mehr, je
zahlreichere Schichten späteren Bauwerkes sich darüber lagern,
— ist in der Bretagne nichts ausgelöscht, Druidensteine, römische
Tempel, Kirchen und Abteien aus den ersten Anfängen des
Christentums, Türme und Schlösser der Feudalzeit stehen eben-
bürtig nebeneinander. Das häufigste Bauwerk, die aus Granit
und Lehm zusammengesetzte Hütte des Bauern, vertritt sogar,
da sie sich seit der Bewohnung des Landes augenscheinlich nie
verändert hat, alle diese Epochen der Geschichte insgesamt;
und der Landmann selbst trägt nicht weniger als seine Wohnung
in Physiognomie und Sprache, in Kleid und Geräten, in Sitte und
Religion, im Handeln und Fühlen noch Merkmale an sich, die in
verflossenen Jahrhunderten und Jahrtausenden wurzeln. Aus der
Druidenzeit, deren Denkmäler das Land viel reichlicher bedecken,
als Städte und Dörfer, und deren Kultur in Sage und Glauben
bald düsterer, bald fröhlicher Art, noch jetzt nicht verblichen ist,
hat er seine Mystik und manche Züge ächt heidnischer Wildheit
beibehalten. Noch werden an den Totenfesten, am Tage nach
Allerheiligen, wenn sich die Familie um Mitternacht von dem
gemeinsamen Mahle zurückzieht, Speisen auf den Tisch gestellt
für die Abgeschiedenen, die jetzt aus den Gräbern aufsteigen
und unter dem Dache, wo sie geboren wurden, ihr jährliches
Mahl in Empfang nehmen. Wenige Jahrzehnte sind verflossen,
seit noch auf offener See, zwischen Guilvinec und Penmarch, der
christliche Priester, von der in ihren Barken knieenden Menge
umgeben, die Sacramente darbrachte über der Stelle, wo vor
alten Zeiten das Meer die noch heute in der Tiefe sichtbaren
Dolmen unter seinen Fluten begraben hatte. Noch steht in der
Nähe von Treguier die Kapelle Notre Dame de la Haine, wo man
vor dem Bilde der Mutter Gottes Ave Maria’s für den Tod
seiner Feinde betete.
Aus der Römerzeit, deren Strassen von Vannes aus, der
Hauptstadt des alten Armorica, das Land reichlicher durchziehen,
als Eisenbahnen, und deren Villen an der Bucht von Quiberon
und auf den Inseln des Morbihan häufiger sind, als die modernen
Chälets und Badeplätze, hat der Mann die Tapferkeit und Tüch-
tigkeit zur See bewahrt, die sich schon in dem Widerstande der
Veneter gegen den Angriff Cäsars und in den Siegen ihrer
späteren Nachkommen über den Admiral Ruyter erprobte. Die
Menge von Kirchen und die zahllosen Kreuze an allen Wegen
weisen nicht minder, als der Sinn tiefer Devotion, der zu
10*%
148 Bericht über die Jahresversammlung.
den hervorragendsten Zügen der Landbevölkerung gehört, auf die
starken Wurzeln hin, welche das aus Gross-Brittannien schon in
der Römerzeit nach Klein-Brittannien hinübergebrachte Christen-
tum in der angeborenen Mystik des Volkes fand. Die Kreuze,
die auf den Druidensteinen aufgerichtet wurden, scheinen zu
sagen, dass es sich eher um eine Umkleidung eines alten in
einen neuen Kultus handelte, als um eine Reformation im vollem
Sinne des Wortes. Die ungewöhnlich grosse Zahl von Heiligen,
welche die Bretagne verehrt und von deren Namen die übrige
katholisehe Welt keine Kenntnis hat, erinnert eher an die Poesie
des Altertums, welche jedem Hügel und jedem Stein, jedem
Baum und jedem Quell, sowie jeglicher Verrichtung des täglichen
Lebens einen besonderen Schutzgeist widmete. Nicht der Kultus,
sondern nur die Namen wurden geändert. Die Gesänge der
keltischen Barden haben sich erhalten in den seltsamen Liedern
und Reimen, die ohne schriftliche Tradition zu Tausenden im
Munde des Volkes leben, und die Romanzen der Tafelrunde,
welche ja hier ihren Hof hielt, sind nur halb verdrängt durch
die religiösen Dramen, welche den wichtigsten Teil der unter
den Schutz der Kirche gestellten Festlichkeiten bilden.
Diese Unveränderlichkeit und Altertümlichkeit des Volkes
findet in der Beschaffenheit seines Wohnplatzes ein solches Gegen-
stück, dass es geradezu gewaltsam schiene, an einem intensiven
Einfluss der Landschaft auf die psychische Gestaltung ihrer
Einwohner zu zweifeln.“
Dieser innige, durch die tausendjährige Entwicklung be-
gründete, Zusammenhang zwischen Land und Volk ist es, der
Jedem, der mit offenen Augen reist, gerade in der Bretagne auf
Schritt und Tritt auffällt und der die ablegene, so selten von
Fremden besuchte Bretagne so ausserordentlich interessant macht.
Westwärts am rechten Ufer der Loire führt die Bahn in
dem einförmigen, flachen Thale aufwärts, schöne Blicke bietend
auf die grossen Wasserflächen des Flusses oder auf alte und neue
Schlösser, die in zahlreicher Menge vorhanden sind. Mit dem
„Rapide“ erreicht man
Angers in ca. 11/, Stnnden. Angers, das alte Andegovia
der Römer, ist eine sehr alte Stadt, jetzt mit 77164 Einwohnern,
Hauptstadt des Departements Maine et Loire, frühere Hauptstadt
des Herzogtums Anjou, malerisch gelegen an dem schiffbaren
Flusse Maine, 8 Kilometer oberhalb dessen Einmündung in die
Loire. Ausser einigen interessanten Kirchen, St. Maurice aus
dem 12. und 13. Jahrhundert, St. Serge aus dem 15. Jahrhundert,
St. Laud, in dem letzten Jahrhundert restauriert, aber noch mit
Hufeisenbögen, die wohl noch aus alter Zeit der Anjou’s in Sizilien
stammen, den malerischen, an die Klosterüberreste in Walken-
ried i. H. erinnernden Ruinen der Eglise Toussaint und dem wohl
imposantesten Schlosse aus dem 13. Jahrhundert, in Pentagon-
Form, mit 17 mächtigen Festungtürmen, auf einem Felsen am
Bericht über die Jahresversammlung. 149
Westufer der Maine erbaut, einst Sitz des Königs Rene von
-Anjou, besitzt die Stadt 4 Museen: 1. Mus&de palaeontologique
im alten Justizpalast, 2. Musee St. Jean, in dem alten Hospice
St. Jean 3. Hötel de Pince& oder d’Anjou, eins der schön-
sten Privathäuser aus der Renaissancezeit, c. 1530 erbaut,
und jetzt zu einer kleinen, Öffentlichen Antiquitätensammlung
eingerichtet und 4. MusdeetBibliotheque in dem aus dem
15. Jahrhundert stammenden Logis Barrault untergebracht.
| Das Musee St. Jean ist von der Stadt und einer dort
sesshaften archaeologischen Gesellschaft eingerichtet. In einem,
aus einem früheren Kloster stammenden, grossen, dreischiffigen,
gothischen Saale (1174—1230 erbaut) und einem anschliessenden
Kreuzgange und gothischer, verfallener Kapelle, sind wohl an
4000 Nummern zählende Gegenstände der verschiedensten Epochen
und der mannigfachsten Art aufgestellt, prähistorische, gallo-
romanische, mittelalterliche Sachen, wundervolle Holzmöbel, Reste
und ganze Facaden von abgerissenen Holzhäusern, Siegel, Siegel-
stempel, Skelette, Bilder von Dolmen, die in der Provinz gefunden
waren, ältere und neuere Bilder, Skulpturen u. s. w., kurz, so
ungefähr Alles, was man jetzt auch bei uns in Deutschland in
städtischen Museen, z. B. in Braunschweig, zu sammeln pflegt,
aber nicht bloss aus der Provinz und Frankreich waren Objecte
da, ich sah z. B. einen Gypsabguss des bekannten Medaillons,
das unseren jetzigen deutschen Kaiser mit der Kaiserin als
Brautleute darstellt.
- Das Muse&e mit der städtischen Bibliothek, enthält im
Erdgeschoss Skulpturen, namentlich Werke von David, wohl
einem der fruchtbarsten Bildhauer Frankreichs. Seine Vaterstadt
ist bemüht gewesen, seine Werke entweder im Original, oder in
Nachbildungen hier zu vereinigen, wohl an 800 verschiedene
Arbeiten sind zu sehen, darunter auch schöne Statuen und Büsten
von Chevreuil, ebenfalls aus Angers gebürtig, jenem berühmten
Chemiker, der Ehrenmitglied vieler deutschen, gelehrten Gesell-
schaften, u. a. auch des Vereins für Naturwissenschaft zu Braun-
schweig war.
Im 2. Stockwerke sind die Bilder aufgestellt, waren aber
nicht zu sehen, da durch ein Hagelwetter in der Nacht vom 12.
zum 13. Februar des Jahres 1900 die ganzen Öberlichter zer-
trümmert waren und man jetzt mit der Restauration sich be-
schäftigte.
Im 1. Stockwerke befindet sich das naturhistorische
Museum, z. Z. unter der Leitung von Georges Bouvet, der
zu gleicher Zeit Direktor des botanischen Gartens ist, und
in der Stadt eine Apotheke leitet. Im Bulletin de la Societe
d’Etudes scientifiques d’Angers, XV, N. S. 1885, S. 145 hat
Bouvet einen Überblick über die Geschichte und den Inhalt des
Museums gegeben und Vorschläge zur Reorganisation, besseren
Aufstellung u. s. w. gemacht. Von Säugetieren waren vorhanden:
150 Bericht über die Jahresversammilung.
300 Stück, von Vögeln 500 europäische Arten in 1813 Exem-
plaren, Dunenjunge 20 Arten in 100 Exemplaren, exotische Arten
200 in 356 Exemplaren, Eier europäischer Vögel 350 Arten,
Nester europäischer Vögel 175 Exemplare; von Amphibien und
Reptilien 117 Exemplare, von Fischen 100 Arten und 5 Skelette
— ausserdem sehr viele Insekten, z. B. 4 Käfersammlungen,
einige Krustaceen und Mollusken. Eine sehr reichhaltige mine-
ralogische Sammlung, geologische und paläontologische Gegen-
stände und ein sehr grosses Herbarium, hauptsächlich her- |
stammend von Professor Boreau, mit den Typen seiner „Flore
du Centre de la France“, vertreten die übrigen Naturreiche —
Die Vögel Europas waren für sich aufgestellt und, so weit
ich sehen konnte, immer richtig bestimmt, aber leider wieder
ohne Angabe von Ort und Zeit des Fundes, zum Teil in sehr
schönen Exemplaren und guten Suiten einer Art. Meistens
waren sie in der auch in älteren deutschen Museen üblichen
Art, gerade aufgerichtet wie die Grenadiere in der Front, einer
wie der andere, dargestellt. Eine Ausnahme machten nur die
Klettervögel, die entweder an der Rinde von Baumstämmen, oder
auf glattpolierten senkrecht stehenden weissen Holzklötzchen
angebracht waren. — Die Eier lagen in Pappkästen auf Senf-
körnern, hoben sich sehr gut gegen den dunklen Hintergrund ab
und rüttelten nicht. Mehrere Pappkästen waren dann unter einer
mit Glas bedeckten Holzschublade vereinigt. Gelege waren
nicht bezeichnet. Einige seltene Eier, z. B. von Nucifraga ca-
ryocatactes, fielen mir besonders auf, namentlich aber ein Ei von
Alca impennis, das wenigstens an den beiden oberen Dritteln
nach der Spitze zu echt ist, während der breite Dopp künstlich
ersetzt ist. (Früher besass das Museum, wie mir der Direktor
sagte, mehrere Exemplare — leider sind dieselben verkauft).
— Die Nester-Sammlung ist sehr schön, meistens natürliche
Exemplare, aber einige künstlich nachgemacht, darin die Eier
angebracht und ein ausgestopftes brütendes Weibchen aufgesetzt.
Besonders fielen mir auf: 3 sehr schöne Nester vom Wasser-
star (Cinclus aquaticus), 2 vom Tannenhäher (Nucifraga cary-
ocatactes), schöne Beutelmeisen- (Parus pendulinus) und
Schwanzmeisen (Orites caudatus)-Nester, dann 2 sehr schöne
Nester vom Alpenmauerläufer (Tichodroma muraria), solche
vom Goldhähnchen (Regulus eristatus), Zaunkönig (Zrog-
lodytes parvulus), Rohrsängern (Calamoherpe turdoides, arun-
dinacea etc.) und Cistensänger, (isticola cursitans). Manche
Eier trugen die Handschrift von Möschler in Herrnhut, die
meisten Nester und Eier waren aber ohne Angabe von Ort und
Zeit. — Sehr niedliche Gruppen vom Steinhuhn (Perdix
graeca) die Jungen aus den Eiern kriechend, Kiebitz (Vanel-
lus eristatus) und Wachtelkönig (Orex pratensis) die Jungen
auf dem Rücken der Mutter, fielen besonders in die Augen.
Früher war eine noch reichhaltigere Sammlung von 88 Dunen-
Bericht über die Jahresversammlung. 151
jungen vorhanden, die aber von einem Herrn Deloche, als
Privatbesitz, beim Abgange vom Museum mit fortgenommen wurde.
Ich hatte das Glück, nachher den Direktor des Museums
persönlich kennen zu lernen, und fand bei ihm ein volles Ver-
ständnis für die Schwächen der Sammlung und der Aufstellung
derselben. Vieles hat derselbe ja, seit das Museum unter seiner
Leitung steht, schon erreicht, z. B., dass eine Localsammlung
eingerichtet ist, es muss aber noch bessere Beleuchtung ver-
schafft werden, (manche Säle und Schränke sind so dunkel auf-
gestellt, dass man mit dem besten Willen die Tiere nicht
deutlich sehen kann!), dann muss eine grössere Bibliothek mit
Specialwerken angelegt und vor allen Dingen eine genaue Eti-
kettierung der einzelnen Exemplare durchgeführt werden. — Das
Museum gehört ganz der Stadt, die Leitung desselben scheint ganz
Ehrenamt zu sein, leider ist aber offenbar zu Neuanschaffungen
wenig Geld vorhanden.
Der Botanische Garten ist prächtig angelegt, mit kleinem
Palmenhaus, vielen Wasservögeln auf den Teichen, schönen Spazier-
gängen, aber ohne Etiketten an den Bäumen.
Immer am rechten Ufer der Loire geht es weiter westlich
in dem breiten Flussthale, ab und zu in seiner Einförmigkeit
unterbrochen durch malerische Schlösser über Saumur, früher
vor der Zurücknahme des Edict von Nantes Sitz einer protes-
tantischen Universität, jetzt der berühmten französichen Cavallerie-
Schule, in 2 Stunden nach
Tours, blühender Handelsstadt an der Loire, alter Haupt-
stadt der Touraine, jetzt Hauptstadt des Departements Indre
et-Loire mit 63267 Einwohnern.
Ausser der von 1170 bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts
erbauten Kathedrale St. Galien mit dem entzückenden marmornen
Grabdenkmal der Kinder Karl VIII. hat die Stadt eigentlich nur
das prachtvoll am rechten Flussufer gelegene Museum als
Hauptsehenswürdigkeit. Im Erdgeschoss und 1. Stockwerke sind
hauptsächlich Bilder, im 2. Stockwerke eine archaeologische
und eine kleine naturhistorische Sammlung aufgestellt.
Von allen möglichen Tiergruppen ist etwas vorhanden, Säuge-
tiere, Vögel, Fische, Amphibien, Insekten, Korallen u. s. w.,
ausserdem Mineralien, Versteinerungen, anthropologische und
ethnographische Sachen aus allen möglichen Ländern der Erde.
— Die Vögel waren etikettiert, aber ohne Angabe von Zeit
und Ort des Fundes, systematisch, aber sehr eng aufgestellt.
Eine Localsammlung war nicht vorhanden. Das ganze Museum
war viel zu klein für die Unmasse von zum Teil sehr schönen
Sachen, man konnte sich zwischen den Schränken kaum um-
drehen. — Die Eier waren bisweilen in den betreffenden Nestern
vorgeführt, die meisten aber ohne eine Spur von Etikettierung
auf Papptafeln aufgeklebt und in den, den Arten nach zuge-
hörigen, Schränken unter Glas aufgestellt. Der Konservator,
152 Bericht über die Jahresversammlung.
Landais, ein alter, liebenswürdiger Herr, bedauerte den viel
zu geringen Platz und die mangelhafte Etikettierung am meisten.
— In dem modernen Villen-Viertel schien eine grosse Vorliebe
für Papageien und Kakadu’s zu herrschen, überall hörte
man dieselben, zum Teil in grossen Volieren oder-frei in den
Parks und Gärten umherfliegend, ihre schrillen Töne erschallen
lassen, offenbar befanden sie sich bei der am 15. Juni herrschenden
tropischen Hitze sehr wohl.
Nach Besichtigung des romantischen Schlosses Loches.
mit dem Grabdenkmal von Agnes Sorel, der Geliebten Karl VII,
im Thale des Indre, kehrten wir nach der Loire zurück, um die
Schlösser Amboise, berüchtigt durch die Ermordung von 1200
Calvinisten im Jahre 1560 unter Franz IL, und Chennonzeau
zu besuchen, wo Heinrich II seine Geliebte Diana von Poitiers
und später Katharina von Medici wohnen liess, entzückend über
dem Cher liegend, und in Blois wieder Station zu machen.
Blois, mit 23542 Einwohnern, Hauptstadt des Departements
Loir-et-Cher, auf 2 Hügeln, einem mit der Kathedrale, dem
anderen mit dem entzückendsten Renaissance-Schlosses Frankreichs
gekrönt, am rechten Ufer der Loire gelegen, hat einen Haupt-
anteil an der Geschichte Frankreichs unter Franz I. und Lud-
wig XII. Eine Fülle der interessantesten Ereignisse, der Ge-
fangenschaft Maria Medici’s, der Ermordung der Herzogs von
Guise u. s. w. hat sich in dem jetzt stilvoll restaurierten Räumen
des Schlosses abgespielt. Das Ganze ist jetzt Staatseigentum
und ein offizieller Führer übernimmt es, den Fremden die Ge-
schichte und den Kunstwert der einzelnen Gemälde zu erklären.
In der Gallerie Ludwig XII. ist ein kleines Museum eingerichtet,
Muse&e de la ville, mit Bildern und einer kleinen natur-
historischen Sammlung. Die Vögel, (einheimische und
exotische durcheinander) waren nach Ordnungen aufgestellt, aber
sonst ohne alle Etiketten; Eier habe ich nicht bemerkt.
Am Südufer der Loire, landeinwärts in flacher Gegend liegt
mitten in einem über 5000 Hektar grossen mit einer 31640 m
langen Mauer umzogen eins der grossartigsten Renaissance-Schlösser
Frankreichs, Chateau Chambord erbaut für Franz I, später
für Ludwig XIV. und den Marschall von Sachsen eingerichtet,
aber immer noch nicht ganz fertig in der Unzahl der inneren
Zimmer, Säle und Gallerien. In dem waldähnlichen Schloss-
parke schienen zahlreiche Fasanen (Phasianus colchicus) sich
aufzuhalten. Die jetzigen Besitzer, der Herzog von Parma und
der Graf von Bardi, wohnen zeitweise im Erdgeschoss in einem
niedrigen Seitengebäude des Hauptschlosses.
Auf dem rechten Loire-Ufer führt die Bahn durch frucht-
bare aber einförmige Gegend nach
Orleans der früheren Hauptstadt des Orl&anais, jetzigen
Hauptstadt des Departements Loiret, an Stelle der alten gal-
lischen Stadt Cenabum, die von Caesar zerstört wurde, vom
Bericht über die Jahresversammlung. 153
Kaiser Aurelian wieder aufgebaut und daher Aurelianum genannt,
mit jetzt 66699 Einwohnern. In den Kriegen und der Geschichte
Frankreichs hat es immer eine grosse Rolle gespielt. Der Bischof
St. Aignan rettete es 451 vor einer Belagerung der von Attila
geführten Hunnen, Jeanne d’Arc, die Jungfrau von Orleans, vor
dem Ansturme der Engländer 1528—1529, im Kriege 1870—71
wurden zwischen Deutschen und Franzosen harte Kämpfe um
die Stadt geführt. — Die ziemlich stille, offenbar sehr ruhige
seschäftslose Stadt enthält ausser der spätgotischen Kathedrale
St. Croix, dem jetzigen 1570 begonnenen Stadthause, frü-
herem königlichen Schlosse, in dem Franz II starb, dem Musce
historique in dem im 16. Jahrhundert erbauten sogenannten
„Hötel de Diane de Poitiers“ mit einer von A. Desnoyers (der
alte jetzt 94 jährige, noch immer rüstige Abbe an der Kathe-
drale hat das Museum aus aller Herren Länder zusammenge-
bracht und der Stadt geschenkt mit der Bedingung, dass er es
so lange behält und leitet, als er lebt) zusammengebrachten An-
tiquitäten-Sammlung, dem Mus6&e Jeanne d’Arc in dem Hause
Rue Tabour, 37, wo angeblich die Jungfrau von Orleans während
der Belagerung der Stadt wohnte, jetzt angefüllt mit zahlreichen
Erinnerungen an die Heldenjungfrau, und mehrere Statuen der
Jungfrau von Orleans auf den öffentlichen Plätzen der Stadt,
im alten Hötel de Ville ein Muscde de peintures et
sceulptures mit Bildern, Sculpturen und Kupferstichen und ein
Musee d’Histoire naturelle, das, wenn es auch in kleinen
alten Räumen untergebracht ist, doch ziemlich viel bietet und
sehr gut in Stand gehalten wird. Der jetzige Konservator, A.
Sainjeon, den ich leider nicht traf, da er zur Ausstellung nach
Paris gefahren war, hat einen kleinen Führer geschrieben, der sehr
gut orientiert. Meistens ist für die verschiedenen Tierklassen eine all-
gemeine und eine specielle Departements-Sammlung angelegt. Alles
ist sehr gut etikettiert. —DieVo gelsammlung des Departements war
sehr schön geordnet, mir fielen besonders auf 1 diekschnäb-
liger Tannenheher (Nucifraga caryocatactes pachyrhynchus),
ein Sturmvogel (Thalassidroma Leachit), ein Nachtreiher
(Ardea nycticorax), ein Ibis (Ibis falcinellus), eine Zwerg-
trappe (Teirax tetrax), ein Rothuhn (Perdix rubra). eine
Grosstrappe (Otis tarda) und verschiedene Exemplare des
- sogenannton Perdrix de Damas oder Petite Perdrix gris
(Perdrix damascena Briss.), geschossen im Departement Loiret
24./11. zwischen Patey und Rouoray. Diese in der französischen
Literatur (siehe Degland & Gerbe, Ornith. europ. 2. Auflage, II,
S. 75 und Leon Olphe-Galliard, Faune ornith. de ’Europe ocecid.
fasc. XXIX, S. 35) als constante Localrace unseres Rebhuhns
aufgeführte Form, die in der Bretagne und Vendee ständig vor-
kommt, und unregelmässig sich auch im Dep. Seine inferieure,
Eure et Loire gezeigt hat, kommt also auch im Dep. Loiret vor.
Die Exemplare gleichen im Gefieder vollkommen unseren central-
154 Bericht über die Jahresversammlung.
europäischen Rebhühnern, sind aber viel kleiner im Wuchs. —
Die Eier waren auf weissem Sande in Uhrgläsern aufgelegt und
diese auf weissangestrichenen Holzklötzen von quadratischem
Durchschnitt aufgeklebt, genau, wie die zugehörigen Vögel, nach
Ort und Zeit etikettiert. — Besonderer Wert war auf die Al-
bino’s gelegt, die in sehr zahlreichen Schaustücken vertreten
waren. — Auch hier in Orleans, wie in Tours, war der Raum für
die zahlreichen Gegenstände viel zu klein und ist dem fleissigen
tüchtigen Konservator wohl zu wünschen, dass er bald genügend
grosse Räume für die naturwissenschaftlichen Sammlungen erhält.
Durch die fruchtbaren, aber unendlich einförmigen Ebenen
der „Beauce“ wenden wir uns von der Loire nun nördlich nach
Chartres, eine der ältesten Städte Frankreichs, 600 vor
Christus von den Carnuten erbaut, dann lange Zeit Sitz des
Druiden-Kultus, früher Hauptstadt der „Beauee“, jetzt Hauptstadt
des Departements Eure-et-Loir, mit 23182 Einwohnern, an der
Eure gelegen. — Die berühmte Kathedrale Notre Dame ist im
11., 12. und 15. Jahrhundert über einer alten Druiden-Capelle
(die jetzt noch in der weiten Unterkirche erhalten ist) aufgebaut
und gehört zu den schönsten Frankreichs. — Im Hötel de Ville
ist ein städtisches Mus&e mit Bildern, Sculpturen, Stickereien,
Gobelins, alten Rüstungen, Antiquitäten und einer kleinen natur-
historischen Sammlung. Dieselbe war in einem Saale
untergebracht und besteht aus Säugetieren, Vögeln, Fischen,
Reptilien, Amphibien, Muscheln u. s. w. (Schmetterlinge und
Käfer habe ich nicht bemerkt !). Sie ist 5 Kustoden unterstellt,
für die Vögel einem Herrn Oury, der leider abwesend war.
Der Guardien des Museums, ein gewisser Bourdon, führte mich
und wusste offenbar sehr gut Bescheid.
Von den 9 Glasschränken, die Vögel enthielten, sind 11/,
für Ausländer, die übrigen 71/, für Vögel des Departements bez.
Frankreichs. Sehr wenig ist bestimmt, selten ein Name, ein Ort,
eine Zeit des Fundortes angegeben. Einige hatten Etiketten,
darunter bemerkte ich einige falsch bestimmte, so stand an
einem alten Habicht (Astur palumbarius) als Bestimmung
„Zalco Buteo Linne, La Buse.“ Im Ganzen sollten c. 4000 Vögel
da sein, sie waren aber viel zu eng gestellt, so dass der Beschauer
sehr wenig und sehr schlecht sehen konnte. — Von Tannen-
hehern war ein schlankschnäbliger (leptorhynchus) und
ein dickschnäbliger (pachyrhynchus) vorhanden. Unter dem
Klotze des letzteren, den ich mir herausholen liess, war eine
Etikette aufgeklebt, aus der hervorging, dass der Vogel von einem
Naturalienhändler Lef&brein Paris gekauft war, weitere Angaben
enthielt der Zettel nicht. Die Eier hatte man in den untersten
beiden Etagen eines Glasschrankes untergebracht und so dunkel,
dass man kaum etwas von ihnen sehen konnte. Sie waren senk-
recht auf einer Nadel auf einem kleinen Holzklotze aufgespiesst,
Bericht über die Jahresversammlung. 155
oben und unten mit einem Pfropf befestigt. Von Etiketten habe
ich nicht eine einzige bemerkt.
Die Zeit der Erholungsreise war abgelaufen, am 23. Juni
ging es durch abwechslungsvolle Landschaft mit Hügeln, schönen
Wäldern, reizenden Villen und Schlössern nach Versailles und
Paris, um dort die Wunder der Weltausstellung, den friedlichen
Wettkampf aller Völker der Erde, einem gründlichen Studium zu
unterwerfen und an dem III. internationalen Ornithologen-Con-
gresse Teil zu nehmen.
Vier Wochen lang hatten wir den Nordwesten Frankreichs,
Normandie, Bretagne, Anjou, Orleanais und Beauce, durchstreift
und ausser dem Zentrum dieser Länderstriche mit Rennes, Laval
und Le Mans eigentlich das Sehenswerteste mit den wichtigsten
Städten besucht. Schwer wird es in Europa Sein, in so kurzer
Zeit, in so angenehmer Weise, mit so bequemen Reisemitteln,
mit so vortrefflichen Wirtshäusern, bei einer so freundlichen und
entgegenkommenden Bevölkerung, ein geschichtlich, künstlerisch
und naturhistorisch ähnlich interessantes und abwechslungsreiches
Land zu finden. Ausserordentlich anzuerkennen ist, was besonders
_ die Städte und in diesen wieder einzelne patriotische Männer für-
die Herrichtung von Museen, diesen wichtigen, öffentlichen
Bildungsstätten für das Volk, gethan haben. Sache der Regierung
dürfte es sein, an manchen Orten durch Staatsunterstützung
grössere, hellere, für Museen geeignetere Räume schaffen zu helfen
und namentlich an den Stätten, wo sachverständige Kenner der
Tiere fehlen und gar nicht, oder unter Umständen auch falsch
bestimmte, naturhistorische Gegenstände sich in den Sammlungen
finden, durch Entsendung von Specialgelehrten Abhilfe zu schaffen,
denn nur richtig bestimmte und genau etikettierte zoo-
logische Objecte haben für diejenigen, die in einem Museum
Belehrung finden wollen, Wert. Bei der jetzigen Regierungsform
unseres westlichen Nachbarlandes dürfte es den Abgeordneten
der einzelnen Departements ein Leichtes sein, die Regierung für
die Museen ihres engeren Heimatlandes zu interessieren und diese
würde gewissermassen durch diese wissenschaftliche Decentrali-
sation für die locale Weiterbildung der Bevölkerung der Provinzen
sich grosse Verdienste erwerben können. Wenige Staaten giebt
es wohl, die in ihren kleinen Provinzstädten, Dank der patrioti-
schen Handlungsweise ihrer Bürger, solche Schätze in wissen-
schaftlicher und künstlerischer Beziehung bieten, helfe man ihnen
seitens der Regierung, dieselben als allgemeines Volksbildungs-
mittel in ergiebigster Weise zu verwerten.
Hiermit war die Reihe der Vorträge erledigt. Der Präsi-
dent dankte allen Rednern für die von ihnen gehaltenen Vorträge
und allen Teilnehmern für ihre Ausdauer und schloss unter dem
wärmsten Danke an den Leipziger ornithologischen Verein für
156 Bericht über die Jahresversammlung.
die getroffenen Vorbereitungen, insbesondere an Herrn Professor
Göring für die sinnige Ausstattung des Festsaales, die fünfzigste
Festversammlung der Deutschen Orvpithologschen Gesellschaft.
Dem Präsidenten aber brachte Herr Schalow im Namen
der Anwesenden den Dank für seine liebenswürdige, umsichtige
und sachkundige Leitung der Versammlung aus.
Am Montag, den 8. Oktober, unternahm eine Anzahl der
Congressmitglieder einen Ausflug nach dem süssen See bei Eis-
leben und dem Bindersee, der vom herrlichsten Wetter begün-
stigt wurde.
Vom Bahnhofe Eisleben ging die Fahrt durch das Senkungs-
gebiet. In Eisleben wurden Luthers Geburts- und Sterbehaus,
die durch die Erdsenkungen stark beschädigte Andreaskirche,
das Lutherdenkmal, das alte Haus der Mannsfelder Grafen am
Markte besichtigt und darauf im Wiesenhause das Frühstück
eingenommen.
Weiter ging die Fahrt um den grossen, süssen See herum,
auf dem zahlreiche Entenscharen sich tummelten. Hin und wieder
wurde halt gemacht, um das Vogelleben auf dem See zu be-
obachten und das Jagdglück zu versuchen, da der Besitzer des
Sees, Herr Gutsbesitzer Rittmeister Wendenburg, seinen Jäger
als Führer zur Verfügung gestellt hatte. Dann an dem malerisch
gelegenen Schloss Seeburg vorbei und nach dem Bindersee, dem
Rest des salzigen Sees bis Rollsdorf. Von hier aus wurde ein
Abstecher nach Volkmaritz, dem Wohnorte des Herrn Pfarrer
Kleinschmidt gemacht.
Die Besichtigung der Kleinschmidt’schen Sammlung fesselte die
Teilnehmer lange Zeit. In der Sammlung tritt besonders das
Bestreben hervor, individuelle Schwankungen und geographische
Abweichungen einzelner Arten zur Darstellung zu bringen. Es
fielen namentlich die grossen Reihen von Wandertalken, Schleier-
eulen, Bussarden, Raubwürgern, Kolkraben, Haubenlerchen,
Meisen, Baumläufern auf.
Ein Mittagessen im Wiesenhause in Eisleben beschloss
dann diesen letzten Abschnitt der Jahresversammlung.
Mitgliederverzeichnis
der
Denischen Ornithologisenen Gesellschaft
1901.
Vorstand:
R. Blasius, Präsident.
H. Schalow, Vice-Präsident.
A. Reichenow, Generalsekretär.
P. Matschie, Stellvertr. Sekretär.
C. Deditius, Kassenführer.
Ausschuss:
J. Cabanis. M. Kuschel.
A. v. Homeyer. A. Nehrkorn sen.
W. Blasius. Graf v. Berlepsch.
Freih. R. König-Warthausen. | J. Talsky.
P. Kollibay. A. Koenig.
Ehrenmitglieder;
1870. Herr Möbius, Carl, Dr., Prof., Geh. Regierungsrat, Direktor
des Königl. Museums für Naturkunde in Berlin.
Ehrenpräsident der Gesellschaft.
1868. - DBolle, Carl, Dr., Gutsbesitzer, Scharfenberg bei Tegel.
1870. - Collett, Robert, Professor, Christiania.
1900. - Herman, O., Chef der Ungarischen Ornithologischen
Centrale, Budapest.
1862. - Krüper, Theobald, Dr., Conservator am Universitäts-
museum in Athen.
1862. - Newton, Alfred, Dr., Professor, Cambridge, Magdalene
College.
158
1900.
1900.
1900.
1900.
1874.
1897.
1887.
1894.
1898.
1884.
1891.
1870.
1893.
1897.
1862.
1872.
1880.
1895.
1879.
Mitglieder-Verzeichnis.
Herr Radde, Gustav, Dr., Kaiserl. russ. Geh. Staatsrat,
Excellenz, Director des Kaukasischen Museums in
Tiflis, Transkaukasien.
Graf Salvadori, T., Professor, Vicedirektor des zoologi-
schen Museums in Turin.
Herr Sclater, P. L., Dr., Sekretär der Zoologischen
Gesellschaft in London, W., 3 Hanover Square.
- Sharpe,R.B., Dr., Assistant Keeper, British Museum,
London SW., Cromwell Road.
Mitglieder:
Seine Königliche Hoheit Ferdinand Fürst von Bul-
garien, Prinz von Sachsen-Coburg-Gotha, in
Sofia.
Ihre Königliche Hoheit Prinzessin Therese von Bayern
in München.
Seine Durchlaucht Fürst von Salm-Salm in Anholt,
Westfalen.
Herr Arends, Dr. med., prakt. Arzt, Nordseebad Juist.
Graf Arrigoni Degli Oddi, Ettore, Professor, Dozent
der Zoologie an der Universität Padua (Italien).
Herr von Bardeleben, Friedrich, Generalmajor z. D.,
Frankfurt a. M.
Freih. von Berg, Kaiserl. Landforstmeister, Strassburg i. E.
Graf von Berlepsch, Hans, Erbkämmerer in Kurhessen,
Schloss Berlepsch bei Gertenbach.
Freiherr von Berlepsch-Seebach, Hans, Kassel, Landau-
strasse 2.
Herr Biedermann, Rich., Dr., Eutin, Waldstrasse.
- Blasius, Rud., Dr. med., Professor, Stabsarzt a. D.,
Braunschweig, Insel-Promenade 13.
- Blasius, Wilhelm, Dr. med., Prof, Geh. Hofrat,
Direktor des Herzogl. Naturhist. Museums u. Botan.
Gartens, Braunschweig, Gauss-Strasse 17.
- DBolau, H., Dr., Direktor des Zoolog. Gartens in Ham-
burg. (Für die Zoolog. Gesellschaft in Hamburg).
- Brehm, Horst, Dr. med., prakt. Arzt, Berlin N.,
Wörther-Strasse 48.
- Brusina, S., Professor, Direktor des Zoologischen
National-Museums in Agram, Kroatien.
Mitglieder-Verzeichnis. 159
1886. Herr Bünger, Herman, Bankvorsteher, Potsdam, Vie-
1851.
1894.
1884.
1854.
1868.
1880.
1868.
1890.
1900.
1832.
1894.
1893.
1892.
1890.
1873.
1868.
1888.
1894.
1892.
1899.
1896.
1872.
1898.
toriastr. 72.
Cabanis, Jean, Dr., Professor, Friedrichshagen bei
Berlin, Friedrich-Strasse 101.
Chernel von Chernelhäza, Stef., Köszeg (Ungarn).
von Dallwitz, Wolfgang, Dr. jur., Rittergutsbesitzer,
Tornow bei Wusterhausen a. d. Dosse.
Deditius, Carl, Ober-Postsekretär, Schöneberg b.
Berlin, Merseburgerstr. 6 II.
Dohrn, H., Dr., Stettin, Lindenstr. 22.
W. von Douglas, Karlsruhe.
Dresser, H. E., Topelyffie Grange. Farnborough R.
S. OÖ. Kent, England.
Dreyer, Otto, Buchdruckereibesitzer, Berlin W.,
Mauerstr. 53.
Gräflich Dzieduszyckisches Museum (vertreten durch
Herr
Herrn Dr. P. J. Mazurek), Lemberg, Galizien.
Ehmcke, Landgerichtsrat, Berlin W., Motzstr. 76.
Freiherr von Erlanger, Carl, Nieder-Ingelheim, Rhein-
Herr
Hessen.
Evans, A. H., Cambridge in England, 9 Harvey Road.
Fischer, Leopold, Dr. med., prakt. Arzt, Karlsruhe,
Westendstr. 49.
Freese, Richard, Bureau-Assistent, Berlin NO.,
Bardeiebenstr. 1.
Frick, C., Dr., Sanitätsrat, Burg, Rgbz. Magdeburg.
Fritsch, Anton, Dr., Professor, Kustos d. National-
Museums in Prag, Wenzelsplatz 66.
Fürbringer, M., Dr., Geh. Hofrat, ord. Professor
der Anatomie a. d. Universität Jena.
Gaal de Gyula, Gaston, Gutsbesitzer, Budapest,
Szentkirälyi n. 15.
Gengler, J., Dr. med., Stabsarzt im bayr. 19. Infant.
‚Regiment, Erlangen, Sieglitzhoferstr. 6 I.
Geras, Assessor, Cottbus, Hubertstr.
Gottschlag, H., Kaufm., BerlinW., Potsdamerstr. 86.
Grunack, Albert, Kaiserl. Kanzleirat, Berlin SW.,
Blücherstr. 7.
Haase, O., Adr. F. Sala & Co., Berlin NW., Mittel-
strasse 51.
160
Mitglieder-Verzeichnis.
1896. Herr Härms, M., Samhof b. Nustago, Livland.
1871.
1885.
1889.
1862.
1895.
1898.
1901.
1889.
1898.
1900.
1891.
1898.
1881.
1868.
1858.
1890.
1892.
1890.
1901.
1897.
Hagenbeck, Carl, Handelsmenageriebesitzer, Ham-
burg, St. Pauli.
Hartert, Ernst, Direktor des Zoologischen Museums
in Tring in England.
Heck, L., Dr., Direktor des Zoolog. Gartens zu
Berlin W. (Für den zoologischen Garten).
Heine, F., Oberamtmann auf Kloster Hadmersleben,
Rgbz. Magdeburg.
Heine, F., Referendar, Hadmersleben.
Heinroth, O. Dr. med., Berlin W., Kurfürsten-
strasse 99, Gartenhaus.
Hellmayr, Eduard, Wien VII. 1, Halbgasse 1, Thür 20.
Helm, F., Dr., Lehrer an der Landwirtsch. Schule
in Chemnitz, Schillerplatz 21, I.
Hennicke, C. R.,, Dr. med., Spezielarzt f. Augen-
und Ohrenleiden, Gera (Reuss), Adelheidstr. 12.
Henrici, F., Dr., Referendar, Langfuhr b. Danzig,
Brunshöferweg 13.
von Heyden, Lucas, Major z. D., Dr. phil. h. c.,
Frankfurt a. M.-Bockenheim.
Hilgert, C., Präparator, Nieder-Ingelheim, Rhein-
Hessen.
Hintz, Robert, Königl. Ober-Forstmeister, Kassel,
Annastr. 6.
Holtz, Ludw., Greifswald, Wilhelmstr. 6.
von Homeyer, Alexander, Major a. D., Greifswald.
Hülsmann, H. Fabrikbesitz.,, Altenbach b. Wurzen
in Sachsen.
Jacobi, A., Dr., Berlin NW., Klopstockstr. 19/20.
Junghans, K., Professor an der Realschule I., Kassel,
Grüner Weg 26.
Klein, Eduard, Dr. med., praktischer Arzt in Sofia,
Bulgarien.
Kleinschmidt, O., Pfarrer, Volkmaritz bei Höhn-
stedt, Prov. Sachsen.
1851. Freiherr Richard König von und zu Warthausen,
Dr., Königl. Kammerherr, Schloss Warthausen bei
Biberach, Württemberg.
1887. Herr König, A. Dr., Prof., Bonn a. Rh., Coblenzerstr. 164.
Mitglieder-Verzeichnis. 161
1888. Herr Kollibay, Rechtsanwalt u. Notar, Neisse, Ring 121.
1901.
1898.
1899.
1885.
1898.
1890.
1898.
1896
1886
1900.
1881.
1891.
1895.
1884.
1898.
1872.
1894.
1892. Graf
1880. Herr
Kormos, Th. Mitarbeiter der „Fövärosi Lapok“
Budapest, V. Lipöt Körüt 16. IV. 20.
Kosegarten, M., Fabrikdirektor, Berlin SO., Köpe-
nickerstr. 146 IL
Kräpelin, Dr., Professor, Direktor des zoologischen
Museums, Hamburg.
Kuschel, Max, Polizeirat, Breslau, Salzstrasse
a JU0E
Lampert, Dr., Professor, Vorstand des Kgl. Natu-
ralien Cabinets, Stuttgart.
Lauener, Ch., Redakteur, Leipzig, Sophienstr. 49.
Lauterbach, Dr., Stabelwitz b. Deutsch Lissa.
. Leipziger Ornithologischer Verein (vertreten durch Herrn Dr.
E. Proft, Leipzig, Hotel Stadt Nürnberg, Bayerischestr.)
. Herr Leverkühn, Paul, Dr. med., Direktor der wissen-
schaftlichen Institute und Bibliothek Sr. Kgl. Hoheit
des Fürsten von Bulgarien, Sofia, Bulgarien.
von Lucanus, F., Leutnant im 2. Garde-Ulanen
Regiment, Berlin NW., Werftstr. 14.
von Madaräsz, Julius, Dr. phil., Kustos am Un-
garischen National-Museum in Budapest.
Mannkopf, Oscar, Königl. Hof- und Garnison-
Apotheker, Cöslin.
Martin, Dr., Direktor des Grossherzoglichen Natur-
histor. Museums in Oldenburg (Grhzgt.).
Matschie, P., Kustos der zoolog. Sammlung des
Kgl. Museums für Naturkunde in Berlin, N. 4,
Invalidenstr. 43.
Methner, O., Berlin NW., Pritzwalkerstr. 16.
Meyer, A. B., Dr., Geh. Hofrat, Direktor d. Zoo-
logischen, Anthropol. u. Ethnograph. Mus. in Dresden.
v. Middendorff, E, Majoratsherr auf Hellenorm
b. Elwa in Livland.
von Mirbach-Geldern-Egmont, Alphons, auf
Schloss Rogenburg in Schwaben, Kgl. Bayr. Kammer-
herr, Kaiserl. Legationssecretär an der Deutschen
Botschaft in Wien.
Müller, August, Dr. phil., Inhaber des naturhistor.
Instituts „Linnaea“, Berlin N. 4., Invalidenstr. 105.
Joum. f. Orn. XLIX. Jahrg, Januar 1%1, “Mi
162 Mitglieder-Verzeichnis.
1897. Münchener Örnithologischer Verein. (Vertr. durch den
Vorsitzenden Hrn. Dr. Parrot, München).
1880. Königliche Forst-Academie in Hannöv.-Münden.
1868. Herr Nehrkorn, A., Amtsrat, Braunschweig, Adolfstr. 1.
1893. - Nehrkorn, Alex., Dr. med., Assistenzarzt am pathol.
anat. Institut, Heidelberg.
1901. - de Neufville, Robert, Sektionär der ornith. Samml. -
d. Senckenbergischen Naturh. Mus. i. Frankfurt a. M.
1896. - Neumann, O., Berlin W., Potsdamerstr. 10.
1893. - Nitsche, Dr. Professor der Zoologie a. d. Königl.
sächs. Forst-Akademie Tharandt. (Für die Academie).
1895. Naturforschende Gesellschaft des Osterlandes, (vertreten
durch Herrn Lehrer Schilling) Altenburg, Schmölln’
sche Chausee.
1890. Herr Pabst, Wilhelm, Dr., Kustos der naturhistorischen
Samml. d. Herzogl. Museums zu Gotha. (Für das
Museum.)
1897. - Paeske, Ernst, Berlin NW., Am Circus 6.
1875. - Palmen, J.A., Dr., Professor, Helsingfors, Finland.
18866. - Parrot, Carl, Dr. med., pract. Arzt, München,
Thierschstr. 37 I.
1888. - Pascal, Georg, Lehrer a. d. Luisenschule, Berlin N.,
“ Ziegelstr. 12.
1885. - Pasch, Max, Königl. Hof-Lithograph und Hof-Buch-
und Steindrucker, Verlagsbuchhändler, Berlin SW.,
Ritterstr. 50.
1895. - Prazäk, J. P., Dr. phil. et iur., Doctor of Science,
Getreidehändler, Prag, Kgl.Weinberge, Slesischestr. 38.
1897. - vw. Quistorp-Crenzow, W., Dr. jur., Rittergutsbes.,
Mitgl. d. Hauses d. Abgeordneten, Crenzow b. Murchin.
1892. - von Rabenau, H., Dr, Direktor d. Museums d.
Naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz. (Für die
Naturf. Gesellschaft).
1868 - BReichenow, Anton, Dr., Prof., Kustos der Zoolog. -
Sammlung des Königl. Museums für Naturkunde, in
Berlin N. 4, Invalidenstr. 43.
1885. - Reiser, Othmar, Kustos d. Naturwissenschaftlichen
Abteilung des Bosnisch-Herzegowinischen Landes-
museums in Sarajewo, Bosnien.
1865. - Rey, E. Dr., Leipzig, Flossplatz 11.
Mitglieder-Verzeichnis. 163
1894. Herr Rörig, G., Dr., Prof., Regierungsrat, am Kaiserl.
Gesundheitsamt, Berlin, Klopstockstr. 19/20.
1876. - Rohweder, J., Gymnasial-Oberlehrer, Husum.
1898. - Rolle, H., Naturalienhändler, Berlin N., Elsasser-
strasse 47/48.
1895. Graf von Rothenburg, Friedrich, Rittmeister und Ma-
joratsherr, Polnisch Nettkow.
1893. Baron von Rothschild, W., Dr., Tring in England.
1876. Herr Samplebe, Tierarzt, Schöppenstedt.
1888. - Schäff, Ernst, Dr., Direktor des Zool. Gartens in
Hannover.
1872. - Schalow, Herm., Kaufm., Berlin NW., Schleswiger
Ufer 15 II.
1901. - Schlegel, R., Leipzig, Täubchenweg 43,b.
1870. - Schlüter, Wilhelm, Naturalienhändler, Halle a. S.
1898. - Schöpf, Direktor des zoologischen Gartens in Dresden.
1896. - Schulz, A., Essen a. Ruhr, Huttropstr. 47 I.
1891. - vonSchutzbar gen. Milchling, Rittmeister a. D.,
Hannöv.-Münden.
1897. - Schwerdt,C.F.G. Richard, Millcourt Alton (Hants),
England.
1892. - Shelley, G. E., Captain, 39 Egerton Gardens, Lon-
don SW.
1901. - Sokolowsky, A. Dr. phil., Charlottenburg, Her-
derstr. 14.
1879. Sueiiner ÖOrnithologischer Verein (vertreten durch Herrn
F. Koske, Stettin, Carlstr. 6 IV).
1895. Herr Stoll, F., Conservator, Riga, Grosse Schlossstr. 9.
1900. - Snsollen, P., Assistent am Kabinet für vergleich.
Anatomie d. Kais. Universität Moskau.
1878. - Talsky, Josef, Professor,. Olmütz, Mähren.
1872. - Thiele, H., Baumeister, Köpenick.
1874. - Thiele, Hch., Forstmeister, Braunschweig. Ausser-
ordentliches Mitglied.
1901. - Thieme, Alfred, Lehrer, Leipzig, Johannisallee 7 Il.
1899. - Thienemann, J., Rossitten a. d. Kurischen Nehrung.
1890. - von Treskow, Major a. D., Westend bei Berlin,
Spandauerberg 5.
1868. Ritter Victor von Tschusi-Schmidhoffen, Villa
Tännenhof bei Hallein, Salzburg.
11*
164
1886.
1890.
1901.
1890.
1896.
1873.
1898.
1884.
1892.
Mitglieder-Verzeichnis.
Herr Urban, L., Architekt u. Maurermeister, Berlin SW.,
Blücherstr. 19.
Frau Vieweg, H., geb. Brockhaus, Braunschweig.
Herr Voigt, Alwin, Dr. phil. Leipzig, Färberstr. 15 1.
- Wendlandt, P., Kgl. Forstmeister, St. Goarhausen.
- Wickmann, H., Dr., Münster i. W., Kathagen 11.
Graf von Wilamowitz-Möllendorf, Majoratsherr auf
Schloss Gadow bei Lanz, Reg.-Bez. Porsdam.
Herr Wüstnei, C., Baurat, Schwerin i. Meckl., Mühlen-
strasse 13.
- Ziemer, E. Klein-Reichow b. Standemin, Pommern.
- Zimmermann, Th., Apotheker, Danzig, Kaninchen-
berg 11.
Dem Herausgeber zugesandte Schriften. 165
Dem Herausgeber zugesandte Schriften.
The Auk. A Quarterly Journal of Ornithology. Vol. XVII. N0.4.1900.
Bulletin of the British Ornithologists’ Club. No. LXXV. Nov. 1900.
Bulletin de la Societe Philomathique de Paris. IX. Serie, Tome
II. No. 2. 1899 —1900.
The Ibis. A Quarterly Journal ofOrnithology. (7.) VI. October 1900.
Ornithologisches Jahrbuch. Organ für das palaearktische Faunen-
gebiet. Herausgegeben von Victor Ritter von Tschusi zu
Schmidhoffen. XI. Jahrgang. 1900. Heft 6.
Ornithologische Monatsschrift des Deutschen Vereins zum Schutze
der Vogelwelt. Jahrg. 1900.
F. E. L. Beal, Food of the Bobolink, Blackbirds, and Grackles.
(Bulletin No. 13 U. S. Dep. of Agriculture, Division of Bio-
logical Survey, Washington 1900).
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Gegenden des indomolayischen Gebietes, gesammelt von
Herrn Kapitän H. Storm für das Naturhistorische Museum
zu Lübeck. (Abdruck aus: Mitt. Geogr. Ges. u. Naturh.
Mus. Lübeck II. Reihe Heft X 1896).
W. Blasius, Das Herzogliche Naturhistorische Museum zu
Braunschweig. (Abdruck aus der zu Ehren der 69. Versamml.
D. Naturforscher und Arzte herausgeg. Festschrift 1897
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W. Blasius, Neuer Beitrag zur Kenntniss der Vogelfauna von
Celebes. (Abdruck aus: Festschrift d. Herzogl. Technisch.
Hochschule Carolo-Wilhelmina bei Gelegenheit der 69. Vers.
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W. Blasius, Der Riesen-Alk, Alca impennis L. oder Plautus
impennis (L.) in der ornithologischen Litteratur der letzten
fünfzehn Jahre. (Abdruck aus: Orn. Monatsschr. D. Ver. z.
Schutze d. Vogelw. 1900. No. 11).
R. Burckhardt, Der Nestling von Rhinochetus jubatus. Ein
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der Rhinochetiden. (Abdruck aus: Abh. Kais. Leop. Carol.
Akad. Naturf. LXXVII. No. 3 1900).
A. Dubois, Synopsis Avium. Nouveau Manuel d’Ornithologie.
Fasc. IV. Bruxelles 1900.
L. v. Führer, Beiträge zur Ornis Montenegro’s und des angren-
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Jahrb. XV. Heft 4,5 1900.
166 Dem Herausgeber zugesandte Schriften.
[dp]
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made on that Island by Messrs. W. Doherty and Dumas.
(Abdruck aus: Novit. Zool. VII. August 1900. T. IV).
. Hartert, List of a Collection of Birds from the Lingga Island.
(Abdruck aus: Novit. Zool. VII. Dec. 1900).
. Hartert, On the Genus Scaeorhynchus Oates. (Abdruck
aus: Novit. Zool. VII. Dec. 1900).
. Hartert, The Birds of the Banda Islands. (Abdruck aus:
Novit. Zool. VII. Dec. 1900).
. Hartert, Some Miscellaneous Notes on Palaearctic Birds.
(Abdruck aus: Novit. Zool. VII. Dec. 1900).
. Hartert, On Zuracus chalcolophus Neum. (Abdruck aus:
Novit. Zool. VII. August 1900. T. I).
. Hartert, Einige Worte der Wahrheit über den Vogelschutz.
Neudamm 1900.
. Hartlaub, Aus den Zentral-Karpathen. Aus „Bergauf und
Bergab.“ (Abdruck aus: Jahrb. Ungar. Karpathenver. 1900).
SE. Hellmayr, Bemerkungen über die neuweltliche Gattung
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Peru. (Abdruck aus: Novit. Zool. VII. Dez. 1900).
.L. Hinde, On Birds observed near Machako’s Station, in
British East Afrika. With Notes by R.B. Sharpe. (Abdruck
aus: The Ibis for October 1898).
. J. Jackson, List ob Birds obtained in British East Africa.
Part. 1. With Notes by R. B. Sharpe. (Abdruck aus:
The Ibis for October 1899).
. Jacobi, Verbreitung und Herkunft der höheren Thierwelt
Japans. (Abdruck aus: Zool. Jahrb. 5. Heft 1900).
. Jacobi, Lage und Form biogeographischer Gebiete. (Abdruck
aus: Zeitschr. Ges. f. Erdk. XXXV. 3. Heft 1900).
. R. Lankester, Report on a Collection made by Messrs. F.
V. MeConnell and J. J. Quelch at Mount Roraima in British
Guiana. (Abdruck aus: Trans. Linn. Soc. Zool. Ser. 2. Vol.
VII. 1900, T. IV).
. Leverkühn und R. Blasius, Ornithologische Beobachtungen
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aus: Ornis VIIl. Heft IV 1896).
Dem Herausgeber zugesandte Schriften. 167
P. Leverkühn, Todesanzeigen X.— XII. (Link, Senoner, See-
bohm, Gundlach, Bogdanow, Rütimeyer, Lilford. (Abdruck
aus: Mntschr. D. Ver. Schutze d. Vogelw. 1896).
P. Leverkühn, Eine Reise nach Finnland. (Sonderabdruck aus
der Beilage zur „Allgemeinen Zeitung“ No. 154 u. 155.
München 1898).
P. Leverkühn, Ornithologisches aus Lichtenbergs Briefen an
Dieterich. (Abdruck aus: der Zool. Garten XLI. 1900 Hft. 5).
F. Lindner, Grundstein zur Ornis des Fallsteingebietes (mit
einer Kartenskizze und Index). Inauguraldissertation. Gera-
Untermhaus 1900.
J. v. Madaräsz, Beiträge zur Ornis von Deutsch Neuguinea.
(Abdruck aus: Termesz. Füzetek XXI1V. 1901.
G.H. Martens, Hamburger Magalhaenische Sammelreise. Vögel.
Hamburg 1900,
P. Matschie, Die Vogelwelt der neuesten deutschen Besitzungen
in der Südsee (Abdruck aus: Westermann’s Illustr. D.
Monatshefte 1900).
J. A. Naumann, Der Philosophische Bauer, oder Anleitung,
die Natur durch Beobachtung und Versuche zu erforschen.
Neudruck nach der ersten Original-Ausgabe von 1791 besorgt
und herausgegeben von Paul Leverkühn. Gera-Unterm-
haus 1900.
H. Nitsche, Bemerkungen über das Vorkommen des schwarz-
bäuchigen Wasserschmätzers und einiger anderer seltener
Vögel im Königreiche Sachsen. (Abdruck aus: Abhandl.
naturw. Gesellsch. Isis in Dresden 1900 Heft 1).
G. Rörig, Die Verbreitung der Saatkrähe in Deutschland. —
Die Krähen Deutschlands in ihrer Bedeutung für Land-
und Forstwirtschaft. (Arbeiten aus der Biol. Abt. f. Land-
u. Forstwirtsch. am Kaiserl. Gesundheitsamte. Berlin 1900).
W. v. Rothschild, A Monograph of the Genus Caswarius. With
a Dissertation on the Morphologie and Phylogeny of the
Palaeognathae and Neognathae by W. Pycraft. (Abdruck
aus: Trans. Z. S. London XV. Part. V. Dec. 1900).
T. Salvadori, Viaggio del Dr. A. Borelli nel Matto Grosso e
nel Paraguay V. Uccelli. (Abdruck aus: Bollet. Mus. Zool.
Anat. Torino No. 378 1900).
T. Salvadori, Contribuzione all’a Avifauna dell’ America
Australe (Abdruck aus: Ann. Mus. Civ. St. Nat. Genova
XI, 1900).
168 Dem Herausgeber zugesandte Schriften.
H. Schauinsland, Ein Besuch auf Molokai, der Insel der
Aussätzigen. Bremen 1900.
R. B. Sharpe, Monograph of Christmas Island. Aves. (Abdruck
aus: Andrews, A Monograph of Christmas Island London 1900).
R. B. Sharpe, On the Birds collected during the Mackinder
Expedition to Mount Kenya. With Notes by H. J. Mackinder,
E. Saunders, and C. Camburn. (Abdruck aus: Proc. Z. 8.
London May 1900).
R. B. Sharpe, On a Collection of Birds obtained by Mr. H. S.
H. Cavendish in Mozambique. (Abdruck aus: The Ibis for
January 1900).
R. B. Sharpe, On a Collection of Birds made by Captain A.
M. Farquhar in the New Hebrides. (Abdruck aus: The Ibis
for April 1900).
R. Snouckaert van Schauburg, Ornithologie van Neder-
land. Waarnemingen van 1. mei 1899 tot en met 30. April
1900 gedaan. (Abdruck aus: Tijdschr. Ned. Dierk. Vereen.
1900).
J. L. Sowerby, On a Collection of Birds from Fort Chiquaqua,
Maschonaland. With Notes by R. B. Sharpe. (Abdruck
aus: The Ibis for October 1898).
V. v. Tschusi, Bemerkungen über einige Vögel Madeira’s.
(Abruck aus: Ornith. Jahrbuch XI. Heft 5. 6. 1900).
C. Weller, Catalogue of a Collection of Birds’ Eggs. Kopen-
hagen 1900.
Druck von Otto Dornblüth in Bernburg.
JOURNAL
ORNITHOLOGIE
Neunundvierzigster Jahrgang.
No. 2. April 1901.
Kritische Bemerkungen
über die Paridae, Sittidae und Certhiidae.
Von C. E. Hellmayr.
Il. Paridae.
In nachstehenden Zeilen erlaube ich mir, einige Gesichts-
punkte zu erörtern, nach denen ich die Pariden im „Tierreich“
behandelt habe. Bezüglich der Abgrenzung und Anordnung der
Genrera habe ich mich im wesentlichen an G. R. Gray und Gadow
gehalten, abgesehen von einigen notwendigen Änderungen, da-
gegen in Hinsicht auf die Ausdehnung der erstgenannten Familie
einen ganz anderen Weg eingeschlagen, und dabei vorwiegend
anatomische Momente zu Rate gezogen. Leider stand mir sehr
wenig osteologisches Material zur Disposition und musste ich
mich teilweise auf die Ergebnisse anderer Autoren stützen. Um
zunächst die erste Familie zu besprechen, schicke ich die Bemerkung
voraus, dass die Pariden meiner Ansicht nach in 4 ziemlich scharf
begrenzte Unterfamilien zerfallen, welche allerdings durch ver-
bindende Glieder mit einander in Beziehung stehen, es sind dies:
A. Regulinae C. Parinae
B. Polioptilinae D. Paradoxornithinae.
Bezüglich der systematischen Stellung der erstgenannten
Gruppe ist man heute wohl allgemein zu dem Schlusse gekommen,
dass sie ihren Platz besser in der Nähe der Meisen als bei den
Sylviidae findet. Besonders ihre Lebensweise schliesst sie eng
an jene an, ebenso haben Nestbau und Eier mehr Ähnlichkeit
mit den entsprechenden Verhältnissen der Meisen. Aber auch
einige anatomische Cheraktere, auf die ich hier nicht näher ein-
gehen will, sprechen für diese Verwandtschaft. Lepfopoecile ver-
mittelt den Übergang zu den Sylviidae, steht aber nach ihrer
Journ. £, Orn, XLIX, Jahrg. April 1901. 12
170 C. E. Hellmayr:
Lebensweise den Meisen bedeutend näher, während anderseits
Sylviparus, den ich auf Grund der Beschaffenheit und allgemeinen
Färbung des Gefieders hier an seinem besten Platze glaube, die
Regulinae zu den eigentlichen Meisen hinüberführt. Diese, die
Paridae der meisten Autoren, umfassen eine grosse Anzahl
äusserlich ziemlich different, anatomisch aber übereinstimmend
gebauter Arten. Gadow unterscheidet im Kataloge des brit.
Museums 8 Genera, wozu nach neueren Forschungen noch“
Chamaea kommt. Auch Parisoma habe ich vorläufig (in Erman-
gelung eines besseren Platzes im System) wegen ihrer allgemeinen
Ähnlichkeit mit Aphelocephala (= Xerophila Gould) mit inbe-
griffen. Aus dem Genus Parus musste ich nach sorgfältigen
Untersuchungen ausser P. modestus noch P. sultaneus, semilar-
vatus und luzoniensis ausscheiden. Dabei will ich bemerken, dass
mir bei Abgrenzung der Gattungen und teilweise auch der Unter-
gattungen lediglich morphologische Charaktere malsgebend waren.
Während bei den typischen Parus-Arten die Nasenlöcher
immer vollständig von kleinen Federn bedeckt sind, bleiben sie
bei dem Genus Melanochlora zur Hälfte frei von jeder Bedeckung,
liegen auch mehr dem Culmen zu gerückt. Ausserdem ist die
hierher gehörige Art viel kräftiger gebaut und kennzeichnet sich
durch einen auffallend spitzigen Schopf.
P. semilarvatus und P. luzoniensis, welch letzteren ich dank
der Liebenswürdigkeit des Herrn Amtsrat Nehrkorn untersuchen
konnte, stimmen untereinander im Gesamthabitus völlig überein,
entfernen sich aber nicht unwesentlich von den übrigen Parus-
Arten. Während bei diesen die zusammengelegten Flügel gerade
bis ans Ende der Schwanzdecken reichen, ragen sie bei den beiden
genannten Arten über 2/, des Schwanzes, fallen auch durch ihre
spitzere Form auf. Dann hat auch der Schnabel eine andere
Gestalt, ist verhältnismässig länger, die obere Mandibel stärker
gekrümmt und überragt die untere wesentlich. Deshalb bin
ich geneigt, diese beiden Arten in einer besonderen Gattung zu
vereinigen, für welche ich den Namen Penthornis vorschlage.
(Typus: Melaniparus semilarvatus Salvad.) Das Genus Parus bildet
nach dieser Elimination eine streng geschlossene natürliche Gruppe.
Bei dem Formenreichtum dieser Gattung drängte sich mir
das Bedürfnis nach einer zweckmässigen Untereinteilung auf,
welche ich denn im Interesse der Übersichtlichkeit versucht habe,
ohne aber behaupten zu können, dass sie mir völlig gelungen
Kritische Bemerkungen. 171
wäre. Als Fundament benützte ich das vorzügliche Essay de
Selys-Longchamps im Bulletin de la Societe de France, ann. 1884,
welches eine so klare Auffassung des Gegenstandes bekundet,
dass ich mit meinen schwachen Kräften wohl kaum etwas Besseres
zustande gebracht hätte. Natürlich musste den seitherigen
Forschungsergebnissen Rechnung getragen und dementsprechende
Modifikationen getroffen werden. Selys unterscheidet nach
Färbungscharakteren 10 Subgenera, welche im wesentlichen bei-
behalten wurden, wenn auch die Grenzen einzelner weiter oder
enger gezogen. Der merkwürdige P. fringillinus Fschr. u. Rchw.,
den mir Herr Prof. Kraepelin freundlichst zur Untersuchung
überliess, zeigt einen so aberranten Färbungscharakter, dass es
notwendig war, für diese Art ein besonderes Subgenus zu be-
gründen, das ich Aegithospiza nennen möchte. Hinsichtlich der
Einzelheiten verweise ich auf meine Arbeit.!)
Die dritte Unterfamilie umfasst die neuweltlichen Polioptili-
nae,”) welche ebenfalls noch keine sichere Stellung im System gefun-
den, sondern bald zu den Muscicapidae, Mniotiltidae und zuletzt zu
den Sylviidae bezogen wurden. Nach ihrem osteologischen Ver- .
halten gehören sie noch am ehesten in die Nähe der Begulinae,
verbinden aber auch etliche Merkmale der Sylviidae Die Ver-
wandtschaft der Paradoxornithinae mit den Meisen hat W. K.
Parker betont, und auch äusserlich schliessen sie sich gut an
dieselben an: Paradoxornis heudei zeigt nämlich in der Schnabel-
bildung, Flügelform, Färbung etc. grosse Ähnlichkeit mit Panurus
biarmicus, an welchen ich deshalb die Gruppe der Papageimeisen
anfügen möchte.
Nun gehe ich zur Erörterung einzelner Arten über.
l. Penthornis luzoniensis (Gm.).
W. Blasius beschrieb aus der Ausbeute Dr. Platens von
Mindanao eine neue Vogelart als Micropus nehrkorni, welche
1) Oates etablirt für Minla cinerea (Brit India v. 1. 1839) ein
neues Genus „Siftiparus“; dieser Name ist schon 1884 für P. varius
Temm. Schleg. von Selys verbraucht (Bull. Soc. zool. France, p. 58), ich
möchte deshalb für die Zimalien-Gattung die Bezeichnung Semiparus
in Vorschlag bringen.
2) Zu meiner Polioptila-Arbeit (Nov. Zool. 1900, p. 535) ist nach-
zutragen, dass ich seither auch P. caerulea aus Guatemala gesehen habe,
‘welche mit Bonaparte’s Diagnose übereinstimmt und zur Form: mexıcana
gezogen werden muss.
12*
172 C. E. Hellmayr:
später als zu den Meisen gehörig erkannt wurde, macht aber die
Bemerkung (J. Orn. 1890, p. 147), dass dieselbe vielleicht mit
Gmelins Muscicapa luzoniensis ähnlich sei. Die Gmelin’sche Art
basiert auf der Abbildung und Beschreibung des „Gobe mouche
noir de Isle de Luzon“ in Sonnerats Voyage & la Nouvelle
Guinde. In diesem Werke ist auf Tafel 27, f. 2, unser Mecropus
(Melaniparus) nehrkorni sofort zu erkennen; die weisse Stirn,
der charakterische Flügelspiegel, die Schnabelform, alles stimmt
genau mit dem untersuchten Vogel überein, nur in der Diagnose
wird die Färbung des Unterkörpers „gris-noirätre“ genannt,
während bei dem in Rede stehenden Exemplar derselbe matt
braunschwarz gefärbt ist. Trotzdem glaube ich, unterliegt es
keinem Zweifel, dass der Sonnerat’sche Vogel mit unserem M.
nehrkorni identisch ist, welcher demnach Penthornis luzoniensis
(Gm.) heissen muss.
2. Przewalski sonderte die in den Tannenwäldern von
Kansu angetroffene Lophophanes-Form als besondere Art unter
dem Namen Loph. dichroides, Gadow zog ihn aber als Synonym
zu Parus dichrous des Himalaya, bis erst Pleske (Aves Przew.
p. 166) die Verschiedenheit der beiden Arten betonte. Ein, wenn
auch geringes Material beider Arten aus dem Wiener und Berliner
Museum setzt mich in den Stand, die Angabe Pleskes zu prüfen,
und es freut mich, derselben vollinhaltlich beistimmen zu können.
Beide Formen sind so verschieden, wie P. affinis Przew. und P.
songarus Sev., welche ich auch dem Wiener Museum danke.
Bei ersterer ist die Kopfplatte, welche bis zur Mitte des Vorder-
rückens reicht, kaffeebraun und die übrige Oberseite isabellfarben,
bei letzterer hingegen jene mattschwarz und der Rücken lebhaft
rostbraun. -
3. Prazäkt) trennte im Orn. Jahrb. 1895, p. 81 die persischen,
Trauermeisen als besondere Subspecies ab und benannte sie
Poecile lugubris persica. Mir lag aus Persien leider nur ein
einziges Jg ad. vor, dieses zeigt aber in der That die von Prazäk
angegebenen Unterschiede. Der Rücken ist im Gegensatz zu
westlichen Vögeln mehr grau, Spuren des bräunlicheu Anflugs
zeigen sich bloss auf dem Unterrücken, die unteren Teile sind
reiner weiss, die Seiten ganz unmerklich rostfarbig überhaucht,
1) Bei dieser Gelegenheit möchte ich davor warnen, auf die Meisen-
arbeiten dieses Autors viel Gewicht zu legen; dieselben enthalten eine
Menge unrichtiger Angaben.
Kritische Bemerkungen. 173
auch ist die Kopfplatte mehr schwarz mit schwachem Glanz.
Da auch Blanford (East. Persia v. 2, p. 229) und Gadow (Cat.
B. Brit. Mus. v. 8, p. 48, Obs.) die Differenzen der östlichen
Vögel hervorheben, scheinen dieselben ziemlich constant zu sein
und wäre es vielleicht angezeigt, die Prazäak’sche Subspecies auf-
recht zu halten. Die Gattung Parus bildet aber eine so natürlich
geschlossene Gruppe, dass man von jeder generischen Spaltung
absehen muss; der Prazäk’sche Name ist daher unverwendbar,
weil persicus von Blanford bereits für die persische Blaumeise
sebraucht wurde, und schlage ich deshalb vor, die östliche
Trauermeise Parus lugubris dubius zu nennen.
4. Über P. maior und P. caeruleus.
Derselbe Autor hat auch die englischen und persischen
Kohlmeisen als besondere Subspecies gesondert und giebt ein-
gehende Unterscheidungsmerkmale für beide Formen an. Ich
habe eine Reihe von über 100 Kohlmeisen aus den verschiedensten
Gegenden Deutschlands und Österreichs, sowie aus England,
Skandinavien, Spanien, Algier, Cypern, Griechenland, Persien,
Kleinasien und Palästina daraufhin geprüft, muss aber bekennen,
von den gewonnenen Ergebnissen nicht befriedigt zu sein.
Erstens finden sich die von Prazäk angegebenen Kennzeichen
der englischen Kohlmeise auch bei einzelnen Exemplaren des
Kontinents, und andrerseits sind sie nicht einmal bei allen
britischen Vögeln constant, so z. B. bildet die Flügelbinde absolut
kein sicheres Criterium, weil man sehr häufig auch unter den
continentalen Kohlmeisen welche findet, die entschieden eine
unreinere und schmälere Querbinde besitzen als die englischen.
Der Glanz der schwarzen Partieen des Kopfes ist ebenso bei fest-
ländischen als insularen Individuen der Variation unterworfen;
und was die Säume der Schwanzfedern anlangt, so kommen
dunkelblaugraue auch bei continentalen Stücken vor. Das einzige
constante Merkmal der englischen Kohlmeisen liegt in dem sehr
starken, bisweilen auch höheren Schnabel, doch findet man diese
Form auch bei norwegischen und tunesischen Stücken.
Ebenso verhält es sich mit P. maior blanfordi. Wenn auch
einzelne persische Exemplare auf der Unterseite eine hellgelbe
Färbung aufweisen, so kann ich dies doch nicht für eine sub-
specifische Trennung als genügend erachten; denn dann müsste
man die Bewohner Cyperns, welche jene in dieser Beziehung
noch übertreffen, da ihre Unterseite gelblichweiss gefärbt ist,
174 C. E. Hellmayr:
ebenfalls subspecifisch trennen, was aber kaum Zustimmung
finden dürfte, wenn ich erwähne, dass auch unter spanischen
Vögeln, die doch sonst intensiver gefärbt sind, sich einige dureh der-
artige Färbung der Unterteile auszeichnen. Der mehr graue Ton
des Rückens scheint wirklich für die östlichen Vögel bezeichnend
zu Sein, doch will ich nicht unerwähnt lassen, dass sich derselbe
auch bei zwei 38 aus Aguilas (Spanien) sehr ausgeprägt zeigt,
womit der Wert dieser Kennzeichen bedeutend herabgesetzt wird.
Ich bin daher der Ansicht, dass es sich empfehlen wird,
nach wie vor die Kohlmeise als eine ungeteilte Art zu betrachten,
wenn ich auch nicht leugnen will und kann, dass erhebliche
Abweichungen von dem typischen Kleide vorkommen, die mir
aber mehr individueller Natur zu sein scheinen.. |
Die Blaumeisen bilden ein sehr interessantes Studienobject
für die geographische Variation; dieser Gegenstand wurde vor
einigen Jahren von Prazäk ausführlich behandelt, der bei dieser
Gelegenheit für die englischen Blaumeisen subspecifischen Rang.
in Anspruch nahm. Dieselben zeichnen sich ja in der Regel
durch dunkleres Colorit aus, doch finden sich ebensolche Exem-
plare auch in andern Gegenden Mitteleuropas, so 2. B. in Ungarn;
deshalb bin ich auch hier der Ansicht, von einer subspecifischen
Trennung absehen zu sollen.
Im Westen gehen die typischen Blaumeisen allmählich in
P. caeruleus ultramarinus über, und ein von Natterer im süd-
lichen Spanien gesammeltes Exemplar des Wiener Museums
würde ich unbedenklich zu der letzteren Form ziehen (so dunkel
sind hier die blauen Partien des Kopfes), wenn der Rücken nicht
olivengrünlich gefärbt wäre wie bei unsern Blaumeisen.
5. Ich hatte Gelegenheit, eine schöne Serie von P. cyanus
zu untersuchen und damit zwei Originalexemplare von Severtzows
tianschanicus zu vergleichen; der grauliche Anflug der Kopfplatte,
welcher für die letztgenannte Varietät charakteristisch sein soll,
kommt auch bei russischen Exemplaren vor und Pleske hat ganz
richtig betont, „dass die Severtzow’sche Form nicht einmal als
Varietät haltbar ist.“
6. Prof. v. Menzbier erwähnt in der in russischer Sprache
erschienenen „Ornithographie des europäischen Russlands“ eine
Varietät von Parus pleskei, die sich durch den Mangel des
schwarzen Kehlflecks, bläulichgrauen anstatt azurblauen Scheitel,
breiteres, aber kürzeres Nackenband und mehr Weiss auf den
|
Kritische Bemerkungen. 175
Flügeln auszeichnet. Bei der Durchsicht meiner kleinen, aber
vollständigen Reihe der russischen Blaumeise finde ich ein zu
dieser Form gehöriges Exemplar, das irrigerweise als juv. der
typischen Art etiquettiert war. Beim Vergleich mit echten, jungen
P. pleskei stellte es sich heraus, dass meine Determination richtig
war. Das in Rede stehende Stück zeigt ausser den oben ange-
führten Merkmalen noch eine sehr breite, weisse Flügelbinde,
ferner erstreckt sich das Weiss auf den Armschwingen über das
letzte Drittel der Federn und die Aussenfahne der vier äusseren
Schwanzfedernpaare weist einen breiten, weissen Saum auf; der
gelbe Fleck auf der Brust ist ganz blass, und die Färbung des
Rückens zieht mehr ins Graue. Die beiden Formen lassen sich
geographisch ja gewiss nicht trennen und ich möchte deshalb
die von Menzbier entdeckte Abweichung bloss als Varietät be-
zeichnen, für welche sich der Name pallescens vielleicht eignen
dürfte.
7. Parus cinereus und verwandte Arten.
Diese Art ist ganz ausserordentlich der Variation unter-
worfen und es wundert mich, dass sich noch niemand eingehend
mit diesem Gegenstand beschäftigt hat. Ich hatte ein ziemlich
ansehnliches Material unter den Händen, und es ist vielleicht
nicht uninteressant, einige Worte über meine Ergebnisse zu
veröffentlichen.
Manche Autoren sind bekanntlich geneigt, den Javavogel
(atriceps Horsf.) für verschieden zu halten von den indischen und
chinesischen Vertretern (nipalensis Hodgs.=caesius Tick.) Ersterer
soll sich dadurch kennzeichnen, dass der helle Nackenfleck von
einem schwarzen Streifen ringsum eingefasst ist, während bei
nipalensis bloss vorne und an den Seiten eine solche Begrenzung
vorhanden wäre. Das Vorkommen einer solchen Verschiedenheit
war ja a priori gar nicht unwahrscheinlich, aber meine sorgfältig
angestellten Untersuchungen haben ergeben, dass dieser Charakter
keineswegs constant ist. Wohl kommt bei Exemplaren von
Lombok, Java und Sumba eine derartige Zeichnung vor, allein
man findet sie auch bei Festlandsvögeln. So zeigt besonders ein
Exemplar aus Mysore die Einfassung am hintern Rande des
Nackenflecks so präcisiert wie es bei keinem typischen atriceps
vorkommt. Ausserdem findet man alle möglichen Übergänge und
Zwischenstadien, indem die immer schwarzgrau gefärbten, basalen
Teile der Federn des Nackens diese Färbung weiter gegen
176 C. E. Hellmayr:
die Spitze ausdehnen, so dass es zur Andeutung eines schmalen,
verwaschenen Bandes kommt. Am häufigsten übrigens ist der
Nackenfleck weisslich, stuft sich nach hinten allmählich in Grau
ab und geht in die Rückenfärbung über. Diese ist nun wiederum
ungemein veränderlich und finden sich alle Stufen von hellasch-
blau bis düster- oder schmutziggrau. Am hellsten ist ein © von
Godavary des Wiener Museums, das sich in der Färbung von
bokharensis Licht. kaum unterscheidet, auch durch bedeutend
breitere, helle Flügelbinden sowie durch wahrhaft zwerghafte
Dimensionen auffällt. Ich wollte zuerst diesen Vogel als Typus
einer neuen Subspecies beschreiben, habe dies aber nach Ver-
gleichung mit unterdes eingetroffenem, weiterem Material unter-
lassen.
Bei der Durchsicht einer grösseren Serie zeigte sich nämlich,
dass die Grösse dieser Art sehr bedeutenden Schwankungen
unterliegt und dass derartige Zwerge auch aus anderen Gegenden
des weiten Verbreitungsgebietes vorliegen: z. B. zeigt ein von
Hartert als „small subspecies ?“ vermerktes $ aus Hainan die-
selben geringen Masse, nähert sich auch in der Rückenfarbe dem
vorerwähnten des Wiener Museums, doch ist der Nackenfleck
kleiner, die Flügelbinde schmäler, aber reiner weiss. Zumal diese
Charaktere auch ausserordentlich varieren, wäre es zum mindesten
voreilig, daraufhin eine neue Form zu begründen. Wie also aus
den vorhergehenden Zeilen zu entnehmen ist, lässt sich die Trennung
von cinereus Bodd. (= atriceps Horsf.) und nipalensis Hodgs.
nicht aufrecht erhalten, doch will ich auf einige andere Punkte
hinweisen. Als brauchbares Criterium könnte vielleicht die Aus-
dehnung des Weiss auf den äusseren Schwanzfedern noch am
ehesten verwendet werden, ist aber auch nicht in allen Fällen
verlässlich, wie die nachfolgende Übersichtstabelle ergiebt.
I. Vögel von Java, Lombok, Sumba.
a) 65, 60, 19, 10 nm]
b) 65, 55,219. 9119, daya
c) 65, 60, 19, 11 |
A263, 59,218, 2112 -Lombok
e) 64, 59, 17,5,11 ,„ Lombok
f) 65, 59, 18, 11 ,„ Sumba
g) 67, 63, 18,8, 11 „, Java
h) 64,62, 18,117 ‚Java.
Dr
Kritische Bemerkungen. 177
Grösse also ziemlich constant. Der Nackenfleck klein, rein-
weiss und gegen den Rücken hin scharf abgesetzt, bisweilen wie auch
bei chinesischen Vögeln durch einen schwarzen Streifen hinten
abgegrenzt. Äusserstes Schwanzfederpaar zum grossen Teile weiss,
zweites mit weisser Spitze, manchmal auch noch das dritte Paar
mit kleiner, weisser Spitze. Oberseite dunkelgraublau.
II. China.
a) 66, 59, 20, 12 mm . E u
P. cinereus commizxtus Swinh.
0466,57, 19, 1° mm 7 nl cha
c) 67, 60, 20, 11 mm ?
d) 63, 54, 17, 10,5 mm Hainan (small subsp.? Hart.).
Die chinesischen Vögel stehen in der Grösse mitten zwischen
denen von Java und denen vom indischen Hügellande Nacken-
fleck klein, weiss, die hinteren Federn mit graulichen Spitzen,
geht allmählich in die Rückenfärbung über, zuweilen durch einen
blauschwarzen Streifen abgegrenzt. Äusserstes Schwanzfedern-
paar zum grössten Teile weiss, auf dem Innenrande der Innen-
fahne zieht sich ein grauschwarzer Streifen bis nahe gegen die
Spitze, bei dem Vogel aus Hainan ganz weiss; zweites Paar mit
weisser Spitze, bei dem letztgenannten Exemplar auch die
Aussenfahne weiss.
Ill. Gebirgsform des Himalaya.
a) 70, — 19, 11 mm Kashmir (Sindevalley)
b) 75, 69, 21, 11,7 mm Kashmir
c) 72, 68, 20,8, 11,2 mm Kashmir
d) 72, 70, 20, 12 mm Kashmir
e) 75, 72, 21, =11,5 mm Gilgit.
Die Vögel sind bedeutend grösser, besonders der Schwanz
länger. Nackenfleck gross und schmutziggrau verwaschen, ebenso
die Zeichnungen der Flügel. Das Weiss der Schwanzfedern
mehr entwickelt, das äusserste ganz weiss, das nächste weiss bis
auf einen schmalen, dunklen Saum längs der Innenseite der
Innenfahne, die folgenden oft mit weisser Spitze.
Ein Stück von Dr. Stoliezka aus Westtibet misst: 76, 62,
19, 12 mm, nähert sich also in der Grösse mehr den chinesischen
Vögeln, stimmt aber in der Färbung ganz mit denen aus dem
Himalaya überein.
178 C. E. Hellmayr:
IV. Vorderindien und Ceylon.
a) 68, —, 20,11 mm f) 72, 65, 19,6 11,2 mm Nilghiris
b) 66, 57,20,11 mm 8) 69, 60,18, 11 mm Myore
6) 71,64,19,11 mm g Ceylon 1)70,58, 18, 11,5 mm Coonor
d) 68, 59, 18, 11,3 mm i) 63, 53, 17, 10,5 mm Godavery
e) 68,62,18,5,11,7mm S.Panschab k)65, 59, 17, 11 mm Gorakhpur
Etwas grösser als die Vögel von Java. Nackenfleck weiss,
nicht sehr ausgedehnt, hinten in Graulich übergehend. Oberseite
hellaschblau, bei einzelnen Individuen nahe P. bokharensis.
Äusseres Schwanzfedernpaar zum grossen Teile weiss, das zweite
mit weisser Aussen- und Spitze der Innenfahne, das dritte mit
weisser Spitze. Das @ von Godavary fällt allen gegenüber durch
ausserordentlich kurzen Schwanz auf.
Bei Betrachtung der obigen Zusammenstellungen ergiebt
sich, dass das Weiss seine grösste Ausdehnung bei den Vögeln
des Himalaya erreicht, während das Minimum bei den chinesischen
Vertretern auftritt. Diese hat Swinho& bekanntlich als eine
besondere Art, P. commixtus angesehen, welche aber unter diesem
Begriffe nicht haltbar ist. Die drei mir vorliegenden Vögel aus.
Südchina zeigen den olivengrünlichen Anflug auf dem Rücken
sehr deutlich und ausserdem, was sie meines Erachtens besser
von der typischen Form unterscheidet, an der Aussenfahne der
grossen Flügeldecken einen feinen, rostgelblichen Rand. Solange
mich nicht reicheres Material von der Unhaltbarkeit der Form
überzeugt, möchte ich P. commixtus als Subspecies von P. cine-
reus aufrecht erhalten.
Hand in Hand mit der grösseren Ausdehnung des Weiss
auf dem Schwanze geht auch die Entwicklung des Nackenflecks,
der bei den Himalaya-Bewohnern am grössten, bei P. cinereus
commiztus am kleinsten ist. Je weiter man im südlichen Indien
vorschreitet, desto mehr wird dasWeiss auf dem Schwanze reduziert
und erreicht schliesslich bei den Bewohnern von Java und
Lombok ungefähr dieselbe Ausdehnung wie bei den Chinesen.
Selbstverständlich ist dieses Merkmal nicht ganz ohne Ausnahme,
doch möchte ich behaupten, dass bei den Gebirgsvögeln, wollen
wir sagen, eine albinistische Tendenz sich geltend macht. Dass
dieselben die grössten Masse aufweisen, ist nicht auffällig;
bemerkenswert aber die bedeutende Länge des Schwanzes, woran
man diese Exemplare sofort erkennen kann. Die Flügelmasse
hingegen sind sehr variabel und bilden deshalb kein verlässliches
|
Kritische Bemerkungen. 179
Kennzeichen. Ferner notierte ich folgende Beobachtung: Bei
den Himalayabewohnern ist der Nackenfleck gross, trübe und
seht sichtlich in die Rückenfärbung über, bei den indischen
Stücken nur mehr im hinteren Teile graulich, während die Federn
der vorderen Partie sehr zur weissen Färbung neigen, bei den
Sundavögeln endlich reinweiss und scharf gegen den Rücken
abgesetzt. P. cin. commixtus stimmt hierin mit den Indiern
überein. Ebenso scheinen die Säume der Armschwingen und die
Binde der Flügeldecken trübgrau bei den Himalayavögeln,
während sie bei den Bewohnern des niedriger belegenen Indiens
reiner weiss werden und am hellsten wieder bei denen aus dem
südlichen Vorderindien, Ceylon und den Sundainseln auftreten,
bei welch letzteren ihre Färbung reinweiss erscheint. Auch der
Ton der Unterseite wechselt je nach der Verbreitung. Die
Gebirgsvögel sind am dunkelsten, schmutziggrau und der Längs-
streifen ziemlich undeutlich; in Indien wird die Unterseite
heller, an den Seiten graulich rahmfarbig, in der Mitte zu
beiden Seiten des sehr stark entwickelten schwarzen Bauchstreifen
weisslich. Am hellsten ist sie wieder bei den Javanern, die
reinste Färbung weist aber der Vogel aus Hainan auf, der ja
in mancher Beziehung von dem Normaltypus abweicht.
Fassen wir das Gesagte zusammen, so erhalten wir folgen-
des Ergebnis:
Die Gebirgsvögel zeigen die unreinsten Farben; je weiter
nach Süden und Osten, desto reiner werden dieselben und er-
langen das Extrem auf den Sundainseln. Vielleicht kommen
ähnlich wie bei den europäischen Graumeisen auch hier immer
zwei verschiedene Schläge von Individuen vor, grössere und
kleinere, wie die Exemplare von Godavary und Hainan möglich
erscheinen lassen. Zur Beurteilung dieser Frage ist aber ein
bedeutend reicheres Material erforderlich, als mir zu Gebote steht.
Am Schlusse noch ein kurzes Resume:
1. Himalaya: a. 70—75, c. 68—72 mm. Nackenfleck gross,
schmutziggrau und in die Rückenfarbe übergehend, Unter-
seite schmutziggrau, Bauchstreifen schwach entwickelt, Arm-
schwingen und Flügeldeckenbinde sehr breit, graulich gesäumt;
äusseres Schwanzfedernpaar weiss, das nächste bis auf einen
schmalen Rand an der Innenfahne, die beiden folgenden nur
an der Spitze weiss.
180 C. E. Hellmayr:
2. Indien und Ceylon: a. 66—72, c. 57—65. Nackenfleck
weiss, hinten graulich überwaschen und in die Rückenfarbe
übergehend. Unterseite heller, Seiten trübe rahmfarbig.
Mitte weisslich, Bauchstreifen stärker entwickelt. Helle
Flügelzeichnungen reiner, Flügeldeckenbinde aber schmäler,
Äusserstes Schwanzfedernpaar zum grossen Teile, nächstes
Paar auf Aussenfahne und Spitze, folgendes bloss an der
Spitze weiss.
Anhang. Godavary: a. 63, c. 53. Schwanz sehr kurz,
Färbung wie bei 2), aber zweitäusserstes Schwanzfedernpaar
mehr weiss, Nackenfleck grösser.
3. Sundainseln: a. 63—67, c. 55—63. Nackenfleck reinweiss,
scharf abgegrenzt gegen den Rücken. Unterseite am hellsten,
schwarzer Bauchstreifen sehr breit und bis zu den unteren
Schwanzdecken reichend. Flügelzeichnungen weisslich.
Äusserstes Steuerfedernpaar mit Ausnahme des dunkeln,
basalen Drittels oder eines schmalen Innenrandes weiss,
das 2. (und 3.) mit weisser Spitze.
4. Hainan: a. 63, c. 55. Wie 5, aber Schwanz mit mehr Weiss,
Rücken einfarbig hellaschblau, Flügel ohne rostgelbliche Säume.
5. Süd-China: (P. cinereus commistus): a. 66—67, c. 57—60.
Nackenfleck klein, vorn weiss, hinten in Graulich übergehend.
Rücken olivengrünlich verwaschen. Helle Flügeldeckensäume
von einem rostgelblichen Rande eingefasst. Äusseres Schwanz-
federnpaar mit Ausnahme eines schwarzen Innenrandes
weiss, das nächste mit weisser Spitze.
Es fragt sich, inwieweit sich die angegebenen Charaktere
als constant erweisen, wozu aber mein Material nicht ausreicht.
Vielleicht gelang es mir, durch vorstehende Bemerkungen zu
gründlichen Untersuchungen anzuregen; vorläufig lasse ich es
unentschieden, ob die oben aufgeführten Differenzen zu sub-
specifischer Trennung ausreichen oder nicht. F. cin. commistus
führt sichtlich zu P. minor hinüber, und je nach dem Vorkommen
ist er bald dieser, bald der anderen Art ähnlicher. Interessant
ist es, dass auch im Westen eine abweichende Form von P.
cinereus vorkommt, P. bokharensis, den man gewöhnlich specifisch
unterscheidet, sowie vertretende Arten auf Borneo, P. sarava-
censis Slat. und P. nigriloris Hellm. auf den südlichen Liu-Kiu
Inseln. Die beiden letzteren kennzeichnen sich sofort durch
ihre dunkle Färbung, der letztere überdies durch den fast
Be;
Kritische Bemerkungen. 181
gänzlichen Mangel der weissen Farbe auf den Schwanzfedern.
Wie sich P. intermedius (= transcaspius) Zrd. zu den vorstehend
behandelten Arten verhält, kann ich leider nicht entscheiden,
8. Einiges über die Aegithalus!)-Formen.
Ich will nur bemerken, dass nach Untersuchung einer
grossen Serie europäischer, sibirischer und nordjapanischer Aeg.
caudatus von einer Trennung der östlichen Vögel Abstand ge-
nommen werden musste. Wenn sich dieselben auch in der Regel
durch längeren Schwanz und grössere Ausdehnung der weissen
Färbung auf den Armschwingen auszeichnen, so ist einerseits
doch nicht zu leugnen, dass ähnliche Vögel auch in Europa vor-
kommen, und anderseits findet man wieder Sibirier, die ganz mit
europäischen Stücken übereinstimmen. Dass die Schwanzlänge
der japanischen Schwanzmeisen sich mehr den Verhältnissen der
Europäer nähert, ist ebenfalls nicht zu verkennen, wie überhaupt
das Gesamtgepräge mehr auf diese als auf die asiatischen Be-
wohner hinweist. Doch genügt meines Erachtens diese Differenz
nicht zu einer subspecifischen Trennung, weder der östlichen als
macrurus, noch der japanischen als japonicus.
Ähnliche Beziehungen liegen auch zwischen A. caudatus
roseus und A. caudatus trivirgatus vor, worauf ich schon in
einer früheren Arbeit (Orn. Jahrb. 1900, Heft VI) hingewiesen
habe. Für die europäischen Rosenmeisen muss auch fernerhin
die Bezeichnung ‚‚roseus“ in Verwendung bleiben, denn Leach’s
Name vagans ist ein nomen nudum, worauf dann der nächste,
von Blyth gegebene in die Rechte der Priorität tritt.
Die Aegithalus-Formen sind noch lange nicht klar, und
besonders die der Balkanhalbinsel (tephronota, macedonica etc.)
bedürfen dringend weiterer Untersuchungen; leider war es mir
nicht möglich, die letztere Form zu erlangen. Die beiden
neuen „Species‘ des Kaukasus Acredula senex und Acredula dor-
salis Madaräsz, werden sich bei weiterer Erforschung dieses
Landes wahrscheinlich bloss als Verbastardierungsproducte er-
weisen. Acredula calva Plsk., die ich gleichfalls nicht untersuchen
konnte, scheint sich nach der Beschreibung recht gut von Aegsth.
caudatus glaucogularıs zu unterscheiden, ist aber kaum specifisch
trennbar. Zwischen allen Aegithalus-Formen finden sich so
zahlreiche Übergänge, die man gewiss nicht durchwegs als Bas-
1) Bezügl. der Anwendung dieses Namens vgl. J. f. Orn. 1900, p. 372.
182 C. E. Hellmayr:
tarde erklären kann, und deshalb halte ich es vorläufig für vor-
teilhafter, von (manchmal allerdings ziemlich ausgeprägten)
Subspecies zu sprechen. Ich habe die Typen der Mecistura swin-
hoei Pelz. im Wiener Museum untersucht, bin aber nicht ganz
sicher, ob sie wirklich das Jugendkleid von A. glaucogularis dar-
stellen. Leider sind die Bälge nicht gut erhalten. Der Schwanz
hat ganz Aegithalus-Charakter, aber die Vögel sind viel kleiner
als A. glaucogularis, Kehle und Brust kastanienbraun, etwas blasser
als das Querband bei A. concinnus. Dass es junge, nicht aus-
gefärbte Tiere sind, lässt sich sofort erkennen; die Färbung des
Kopfes bei dem einen Exemplar (Stirn rahmfarbig, Oberkopf
schwarz, in der Mitte ein heller Scheitelstreifen) spricht sehr für
ihre Zugehörigkeit zu A. glaucogularis.
9. Bezüglich der Gattung Parus möchte ich nachtragen, dass
sich meine Ergebnisse nach der Untersuchung eines reichen Ma-
terials von P. cristatus mit den Ausführungen Kleinschmidts
vollkommen decken, wonach wir zwei gut unterscheidbare Sub-
species in Europa haben: P. cristatus cristatus im Norden, P.
cristatus mitratus in Mittel- und Westeuropa.!)
10. Die Untersuchung einer hübschen Serie von Panurus
biarmicus überzeugte mich, dass zwei leicht unterscheidbare
Formen vorkommen. Auch hier zeigt sich das interessante
Factum, dass die Färbung nach Osten immer heller wird, wie
man dies auch bei andern Arten z. B. Certhia findet. Freilich,
im Centrum des Verbreitungsgebietes, in unserm Falle im süd-
östlichen Russland, sind die Charakter sehr verwischt und ist es
nicht immer leicht, einen Galizier von einem Stücke aus dem
südöstlichen Russland zu unterscheiden; dagegen fällt die
Differenz beispielsweise zwischen einem Exemplar aus Holland
und einem aus Asien sofort in die Augen.
Nun noch einige Worte über den Wert der Genera. Ich
habe, wie schon oben betont, zur Abgrenzung derselben aus-
schliesslich morphologische Charaktere herangezogen und sah
mich deshalb mehrmals genötigt, Arten, die sonst in verschiedenen
Gattungen verteilt werden, in einer einzigen zu vereinigen. Von
diesem Gesichtspunkte aus konnten Aegithaliscus, Psaltriparus,
1) Genauere Bemerkungen über P. ater und Verwandte behalte ich
mir für später vor.
Kritische Bemerkungen. 183
Auriparus und Anthoscopus der Kritik nicht standhalten. So z.
B. liegt der Unterschied zwischen Aegithalus, Aegithaliscus und
Psaltriparus einzig und allein in dem Wechselverhältnis der
Länge von Flügel und Schwanz; liessen sich wenigstens alle
Arten in eine der drei Abteilungen unterbringen, so hätte ich sie
gewiss aufrecht erhalten; man findet jedoch in diesen „Genera“
Arten, die gerade in der Mitte stehen und ebensowohl zu dem
einen, als zu dem andern bezogen werden können. Wenn ich
bei der Abgrenzung der Gattungen etwas vorsichtig zu Werke
gegangen und ihre Anzahl auf ein Minimum reduciert habe, so
wird mir doch niemand den Vorwurf des „Zusammenwerfens“
bezüglich der Unterscheidung von Unterarten und Arten machen
können; denn ich habe mich bemüht, auch dort, wo nur ein
Schein von Berechtigung vorlag, die Formen zu sondern.
11. Paradoxornithinae.
Von dieser interessanten Unterfamilie lag mir Dank der
Liebenswürdigkeit der Herren Prof. Reichenow und E. Hartert
ein relativ reichhaltiges Material vor, doch will ich meine Bemer-
kungen auf Suthora webbiana und Scaeorhynchus beschränken.
Von ersterer standen mir 12 Stück zur Verfügung und zwar
6 aus der Mandschurei und Ussuri, 3 typische webbiana, 2 aus
Südchina und 1 aus Formosa. Diese Art wurde schon mehrmals
kritisch behandelt, zuerst von Sharpe im Brit. Cat. VII, dann
von Seebohm (Ibis 1894 p. 338), Slater (Ibis 1897 p. 173) und
neuerdings von De la Touche (Ibis 1838). Sharpe unterscheidet
3 Arten ©. webbiana Gray (Nordchina), S. suffusa Swinh. (Süd-
china) und S. bulomachus Swinh. (Formosa); Taczanowski be-
schrieb 1885 (Bull. Soc. zool. Franc. v. 10, p. 470) eine durch
blassere Farben ausgezeichnete Form aus Östsibirien, die merk-
würdigerweise allen neueren Bearbeitern dieser Gruppe vollständig
entgangen zu sein scheint; denn keiner der genannten Autoren
erwähnte diese Unterart. 1892 (Ibis p. 237) führte Campbell
zwei angeblich neue Arten aus Korea unter dem Namen &. ful-
vicauda und S. longicauda in die Wissenschaft ein. Seebohm
reducierte die 5 Arten wieder auf zwei, indem er 8. longicauda
und 8. fulvicauda zu S. webbiana und S. suffusa irrigerweise zu
S. bulomachus zog. Slater geht noch weiter und sucht auszu-
führen, dass bloss S. webbiana Anrecht auf Artselbstständigkeit
besitzt, während die übrigen vier Formen nur Synonymie der-
184 C. E. Heilmayr:
selben wären. In neuester Zeit behandelte La Touche unsere
Art ziemlich eingehend und gelangte zu dem Schlusse, dass $.
webbiana in vier gut unterscheidbare Rassen zerfällt, nämlich
S. longicauda, 8. webbiana, 8. suffusa und S. bulomachus, übersieht
aber $. webbiana mantschurica Tacz. gänzlich und lässt auch 8.
fulvicauda aus dem Kreise seiner Betrachtungen. Bezüglich der
S. fulvicauda kann ich mir kein Urteil erlauben, möchte aber
doch bemerken, dass diese ‚Art‘ sich vielleicht als ein Jugend-
kleid von 9. webbiana mantschurica entpuppen wird; denn ein
offenbar jüngeres Exemplar der letzteren zeichnet sich gleichfalls
durch rötlichen und dabei kürzeren Schwanz aus, welche Eigen-
tümlichkeit die Form Campbells charakterisieren soll. Diese
Vermutüng hat auch Seebohm, der den Typus vor sich hatte,
ausgesprochen. Dagegen spricht aber die Angabe Campbells:
„Rücken viel lebhafter und mehr rötlich‘ während alle mantschu-
rica oberseits hellbraun gefärbt sind. Möglicherweise stellt
fulvicauda also eine besondere Unterart dar.
Für mich unterliegt es keinem Zweifel, dass lonyicauda
mit S. webbiana manischurica zusammenfällt, welch letzterem
Namen als dem älteren die Priorität gebührt. Wenigstens kann
ich aus den Diagnosen beider Formen keinen ‚Unterschied heraus-
lesen. Am sympathischesten sind mir die Ausführungen La Touche’s,
welchen ich mich auf Grund meiner Untersuchungen anschliessen
möchte. Wenn auch nicht immer so ausgeprägt, wie der genannte
Autor angiebt, so sind die diagnostischen Merkmale doch vor-
handen; an der Grenze des Verbreitungsgebietes der einzelnen
Unterarten sind die Charaktere allerdings verwischt und die
Rassen gehen in einander über. Als Arten sind sie alle nicht
haltbar, bilden aber vier sehr gut kenntliche „Subspecies,“ wie
man jetzt die geographischen Formen nennt, nämlich 8. webbiana
mantschurica, 8. webbiana webbiana, 8. webbiana suffusa und 8.
webbiana bulomachus.
Noch wenige Worte über Scaeorhynchus, welche E. Hartert
demnächst eingehend behandeln will. Wie mir der genannte Herr
in litt. mitteilte, unterscheiden sich die ruficeps aus Cachar von
denen aus den westlichen Teilen des Himalaya durch grössere und
stärkere Schnäbel und viel lebhafteren, rostgelben Anflug der
‚Unterseite; ich fand diese Unterschiede bestätigt und machte
ausserdem die Beobachtung, dass auch die Sc. gularis aus Cachar
von den typischen Vögeln des Himalaya und Chinas abweichen,
Kritische Bemerkungen. 185
und zwar unterscheiden sie sich durch bedeutend geringere Grösse,
ferner sind Brust und Seiten lebhaft rostgelb verwaschen und die
sraue Kopfplatte setzt sich scharf gegen den Rücken ab. Die
Himalaya- und chinesischen Stücke sind dementgegen unterseits
reinweiss, auch wesentlich grösser. Trotz einiger Übergänge ist
nach Harterts Mitteilung eine subspecifische Trennung in beiden
Fällen zu rechtfertigen. DBetrefis näherer Angaben verweise ich
auf Harterts mittlerweile erschienene Arbeit (Nov. Zool. 1900, III).
Il. Sittidae.
Da Herr Hartert eine gründliche Durcharbeitung dieser
Gruppe vorbereitet, beschränke ich mich auf einige kurze Notizen.
1. Sitta neumayert.
Ich habe von dieser Art über 70 Exemplare aus dem Berliner,
Wiener- und Tringmuseum sowie einige meiner Privatcollection
untersucht und möchte bloss mitteilen, dass sie danach in drei
gut charakterisierte, geographische Formen zerfällt, deren Ver-
breitung ich aber nicht mit völliger Sicherheit feststellen konnte.
Die erste S$. neumayeri neumayeri charakterisiert sich wie die
folgende durch reinweisse Kehle, weicht aber durch etwas geringere
Grösse und durch das Vorhandensein eines deutlichen, rostfarbigen
Fleckes auf der Spitze der äusseren Schwanzfedern ab. 8. neu-
mayeri Syriaca ist etwas grösser, oberseits fahler grau und die
Rostfarbe an den Schwanzfedern auf einen Saum längs der Spitze
der Innenfahne beschränkt. Die dritte, östlichste Form, 8. neumayeri
tephronota Shpe., weist dieselben Masse wie die vorhergehende
Unterart auf (nicht wie neumayeri, wie Oates in B. Brit. India v. 1.
p. 305 hervorhebt), ist aber sofort von beiden daran zu unter-
scheiden, dass die ganze Unterseite vom Kinn an rahmfarbig
überwaschen erscheint, bloss Bauch und Unterschwanzdecken
rostfarbig wie bei den anderen Vertretern, aber wesentlich blasser.
Am unsichersten scheint mir $. syriaca zu sein, denn erstens
variiert die Färbung des Rückens ganz ungemein und dann ist
auch die Grösse nicht constant, da sich unter den Dalmatinern
Stücke fanden, die den Dimensionen typischer syriaca nicht nach-
standen; ferner scheint das Verbreitungsgebiet ziemlich beschränkt
zu sein, weil alle syriaca, die ich sah, aus Syrien und Palästina
stammten, während andrerseits neumayeri ausser Spanien die
Balkanhalbinsel von Dalmatien und Kroatien an bis Griechenland
bewohnt, durch ganz Kleinasien und wahrscheinlich Nordpersien
Journ. %, Orn. XLIX, Jahrg. Januar 1901. 13
186 C. E. Hellmayr:
bis in den Kaukasus vorkommt, woher sie Radde erst neuerdings
(Mus. Caucas. 1899) wieder anführt. Dort scheint sie übrigens
mit S. tephronota zusammen vorzukommen, wie ich dem Werke
Raddes entnehme. $. rupicola Blanf., deren Typus ich vor mir
hatte, ist nichts anderes als eine kleinwüchsige, jüngere Zephronota.
S. tephronota findet sich durch ganz Persien bis in den Kaukasus
und geht ostwärts durch Transkaspien und das südliche Turkestan
bis zum Tian-schan, ausserdem bewohnt sie noch Belutschistan
und Afghanistan.
Schlüssel der drei Formen:
Be Unterseite rahmgelb . . 8. neumayeri tephronota Shpe.
Kehle und Vorderbrust weiss, Unterkörper fahlrostfarbig. — 2.
[Oberseite fahler, mehr grau, Zügelstreifen breit und bis auf
den Nacken fortgesetzt; äussere Schwanzfedern ohne Rostfarbe
oder bloss mit einem schmalen Rande . . . SS. neumayeri
2 syriaca (Ehrbg.) Temm.
mehr bläulich, Zügelstreifen schmäler und kürzer;
äussere Schwanzfedern mit deutlichem, rostfarbigem Fleck auf
(der Spitze. . . . . . 8. neumayeri neumayeri (Michah.).
2. Sitta caesia.
Ich kann nur Harterts Ansicht beistimmen, wonach sich
die englischen Kleiber ständig durch hellere Unterseite unter-
scheiden, wodurch m. E. deren subspecifische Abtrennung voll-
ständig gerechtfertigt ist. Allerdings kommen auch auf dem
Continente derartige helle Individuen vor, in England aber nie-
mals so lebhaft gefärbte als die continentalen im Durchschnitte
sind. Genaueres über diese interessante Art findet der geneigte
Leser in Harterts Artikel, wie auch über 8. europaea homeyer;,
die wohl kaum bloss ein Bastardierungsprodukt der nördlichen
und mitteleuropäischen Art ist.
3. Sitella.
Dieser von Swainson 1837 (Classif. B. v. 2. p. 317) für die
australischen Kleiber eingeführte Name fand schon vorher bei Rafı-
nesque, (Analyse de lanature outableau des corps organises, Palermo
1815, p. 68) eine andere Verwendung, nämlich für die Gattung
Sitta L. Rafinesque’s Name ist kein nomen nudum; denn obwohl
eine Diagnose nicht gegeben, lässt die Bemerkung, dass seine
Bezeichnung sich mit dem Begriff: Sitta L. deckt, keinen Zweifel
darüber bestehen, was er damit meint. Da auch Neops Vieill.
Kritische Bemerkungen. 187
(Nouv. Diet. v. 31, p. 327) schon vorher (Vieillot, Analyse 1816,
p. 45) eine andere Bedeutung erhielt, müssen die austra-
lischen Spechtmeisen neu benannt werden und schlage ich dafür
Neositta vor.
III. Certhiidae.
1. Die Gattung Certhia ist von Hartert bereits sehr gründ-
lich durchgearbeitet worden, und kann ich mich auf folgende,
kurze Notizen beschränken. Certhia brachydactyla unterscheidet
sich, abgesehen von Färbung, Schnabel, Hinterkralle etc. besonders
durch Lebensweise, Lockruf, Aufenthalt etc. so fundamental
von C. familiaris, dass man hier besser von zwei besonderen
Arten sprechen wird. Zu meiner Freude teilte mir auch Herr
Hartert seine Beobachtungen hierüber brietlich mit (unterdessen
publiciert, Novit. Zool. 1900, H. III.), welche sich mit den meinigen
völlig decken. Ich möchte bloss bemerken, dass die Angabe
Deichlers über den Unterschied der Eier beider Arten für Öster-
reich keine Giltigkeit hat (vgl. meinen Artikel in: Orn. Jahrb.
Jahrg. 1899, X. p. 97). Die Exemplare, bei denen der eine oder
andere Charakter als Schnabellänge etc. wenig deutlich zum Aus-
druck kommt, mögen als Bastarde gedeutet werden. Auch bei
Cerihia konnte ich die interessante Erscheinung constatieren, dass
nach Osten hin die Schwanzlänge constant zunimmt, dass hin-
gegen die Japaner in dieser Hinsicht und auch bezüglich der
Färbung den Europäern und zwar wieder den englischen
Vertretern ähnlicher sind; CO. familiaris japonica ist wirklich
die ©. fam. brittanica in verkleinerter und etwas dunklerer
Ausgabe. Ein analoges Beispiel bieten Aegith. caudatus roseus
und Aeg. caud. trivirgatus, die nach der Färbung kaum zu
unterscheiden sind, nur ist letztere merklich kleiner.
Mir haben nahezu 200 Certhien vorgelegen, von denen
besonders die Europäer einer möglichst genauen Untersuchung
unterzogen wurden. Die südeuropäischen Baumläufer weisen den
skandinavischen Vögeln gegenüber ein dunkleres Oolorit der
Oberseite auf; man findet aber bei beiden so viele Ausnahmen
von dieser Regel (es sind dies nicht etwa im Winter erlegte Vögel,
die allenfalls von Norden zugewandert sein könnten; obwohl
sich der Strich der Baumläufer kaum sehr weit ausdehnen
dürfte, wäre es ja immerhin möglich), dass ich vorläufig von
einer Trennung in C. fam. familiaris und ©. fam. costae absehen
13*
188 C. E. Hellmayr:
möchte. Vielleicht sind eher die deutschen und nordeuropäischen
Vögel zu vereinigen und den Schweizer- und italienischen Baum-
läufern gegenüberzustellen (Spanien war leider in meiner Reihe
nicht vertreten), doch war das untersuchte Material zu dieser
Entscheidung nicht genügend. C. brachydactyla scheint in Süd-
europa zu fehlen, kommt aber in Österreich und Bosnien vor;
Erlanger will sie auch in Tunis gefunden haben (?); genaue An-
gaben über die Verbreitung dieser Art sind sehr wünschenswert.
Die neuerdings von Kleinschmidt gesonderte Certhia fam. rhenana
kann ich unmöglich als besondere Form anerkennen, ebensowenig
als seinen P. montanus rhenanus (darüber a. o. mehr). Es ist
vielleicht nicht ohne Interesse, hier auf eine Erscheinung hinzu-
weisen, die sich beim Vergleich der englischen und westeuro-
päischen Fauna zeigt; während es auf dem Inselreiche in einzelnen
Fällen bereits zur Ausbildung einer besonderen Form gekommen
ist, (Certhia fam. brittanica, P. mont. kleinschmidti, P. ater brit-
Zannicus), lässt sich in anderen eine solche Trennung kaum durch-
führen, d. h. die Bewohner von Westeuropa und England sind
einander noch ähnlicher (P. eristatus mitratus, Aegilhalus caudatus
roseus, P. communis dresseri). Natürlich ganz identisch sind sie
nicht und von diesem Gesichtspunkte aus haben die Formen
P. mont. rhenanus, ©. fam. rhenana, P. com. longirostris eine
gewisse Berechtigung, wenn wir sie auch heute noch nicht als
äquivalent betrachten können, da die Grenzen für den Begriff
von Art und Unterart vielfach doch mehr nach dem Quantum
als nach dem Quale gezogen werden. Mir dünkt dies deshalb
von Interesse, weil es zu beweisen scheint, dass nicht alle Arten
den äusseren Einflüssen im Sinne der Selectionstheorie in gleicher
Weise unterworfen sind. —
Vier Baumläufer aus Kleinasien, verglichen mit einer grossen
Reihe Europäer, unterscheiden sich so auffallend von denselben,
dass sie einen besonderen Namen verdienen. Die Färbung des
Rückens ist so abweichend dunkelrotbraun, der Bürzel bedeutend
dunkler, fast kastanienbraun, der Unterkörper viel trüber, schmutzig-
rahmfarben, an den Seiten stark mit Rostfarbe vermischt. Am
meisten fällt die Färbung des Bürzels in die Augen, die von
C. fam. familiaris so verschieden ist, wie etwa zwischen C. fam.
montana und ©. fam. albescens. Ich nenne diese neue Form zu
Ehren meines Gönners und Freundes in ornithologieis
Kritische Bemerkungen. 189
Cerlhia familiaris harterti subsp. n.
Diagnose: Oberseite dunkelrotbraun, die weissen Schaft-
flecken reinweiss, aber in der Ausdehnung ziemlich beschränkt,
meist auf der Innen-, oft aber auf beiden Seiten von einem
dunkelbraunem Streifen eingefasst, wodurch denn auch der dunkle
Ton zustande kommt. DBürzel viel dunkler, fast kastanienrotbraun
(wie bei ©. fam. mexicana). Streifen über dem Auge blassrahm-
gelb. Kehle reinweiss, übrige Unterseite trüb rahmfarbig, die
Seiten stark graulichrostfarben vermischt. Schwanzfedern mehr
rostfarben (bei O. familiaris familiaris mehr gelbbraun).
Typus: ad. 28. 12. J. 8 (Elwes leg.) Kleinasien (Tring Museum).
Masse: a. sm. 62, c. 59, t. 14, r. 18 mm.
Diese interessante Form entspricht in der dunklen Färbungs-
tendenz der C©. fam. mexicana, der sie auch am nächsten steht;
man kann sie jedoch unschwer von derselben an der helleren
Unterseite und dem weniger intensiv gefärbten Bürzel unterscheiden.
2. Salpornis.
Shelley und Sharpe zogen Hartlaubs $. emini als blosses
Synonym zu #8. salvadorii Boc., ohne die Gründe für dieses
Vorgehen anzugeben. Ich konnte Hartlaubs Typus mit drei Bälgen
der andern Art vergleichen und muss mich den Ausführungen
dieses ausgezeichneten Ornithologen anschliessen. Wenn die
englischen Stücke, was nach der geographischen Lage der Fund-
orte (Tobbö, Mt. Elgon) als ziemlich sicher angesehen werden
kann, mit Hartlaubs Vogel identisch sind, so begreife ich die
Aussprüche der beiden vorgenannten Forscher nicht; denn die
Unterschiede sind sehr auffallend und deutlich prononciert, wie
es Hartlaub vorzüglich auseinandersetzt. Solange nicht nachge-
wiesen ist, dass die Differenzen des 8. emini auf Rechnung des
geringen Alters (denn der Typus ist ein noch nicht ganz erwach-
senes Exemplar) zu setzen sind, hätte ein vorzeitiges Zusammen-
ziehen keinen Zweck; im Gegenteil würde die Entwirrung der
Synonymie später vielleicht grosse Schwierigkeiten verursachen.
3. Olimacteris.
Gadow macht bei ©. scandens die Bemerkung dass sich die
Exemplare der Moreton-Bai durch ein schmutziges Band über
der Brust auszeichnen; ich fand bei Untersuchung meiner 20
Vögel dieses Kennzeichen auch bei solchen aus andern Gegen-
den, so dass ihm taxonomischer Wert nicht zuzusprechen ist.
190 C. E. Hellmayr: Kritische Bemerkungen.
Interessant war es hingegen, im Berliner Museum ein als
„scandens?“ etiquettiertes $ ad. aus Adelaide zu finden, das sich
als typische superciliosa erwies, welche von North am Illare Creek
(Centralaustralien) entdeckt wurde. Eine genauere Beschreibung
dieses Vogels gebe ich im „Tierreich“.
Zum Schlusse ist es mir eine angenehme Pflicht jenen Herren,
die mich bei meiner Arbeit durch Überlassung von Material
unterstützten, besonders W. v. Rothschild, E. Hartert, Dr. v.
Lorenz, V. v. Tschusi zu Schmidhoffen, Prof. Kraepelin, Amtsrat
Nehrkorn, R. de Neufville und besonders Prof. Dr. Reichenow,
dessen geschätzter Rat und Beistand mir bei schwierigen Fragen
unentbehrlich gewesen wäre, meinen innigsten Dank auszusprechen.
So empfehle ich denn meine grössere Erstlingsarbeit der
Öffentlichkeit mit der Bitte, nicht allzu streng mit mir ins Ge-
richt zu gehen und in der Hoffnung, dass mein mit so viel Liebe
begonnenes und bis zum Schlusse fortgesetztes Werk nicht ganz
unnütz geschrieben sei und der Wissenschaft einigen, wenn auch
geringen Nutzen bringe.
Berlin, 1. October 1900.
Über Weite und Spielraum des Temperaments
bei einigen Arten der Sperlingsvögel.
Von Fritz Braun-Danzig.
Wie die Mitglieder einer und derselben Art körperlich
nicht völlig übereinstimmen, so zeigen sie auch in ihrem geistigen
Leben vielfache Abweichungen. Ebenso wie wir unter den
Menschen phlegmatische und cholerische Naturen finden, wie hier
dem Sanguiniker der Melancholiker zugesellt ward, so steht es
auch bei den Vogelarten. Sehr bemerkenswert ist es, dass unter
den Gefiederten bei eng verwandten Arten die Weite, der Spiel-
raum des Temperaments durchaus nicht gleich ist. Zeigen sich
bei den Mitgliedern der einen Art überraschend grosse Ver-
schiedenheiten, so sehen die Individuen einer Schwesterspecies
sich in ihrem ganzen geistigen Leben oft scheinbar so ähnlich,
als habe die Natur ihre physische Hälfte mit demselben Stempel
ausgeprägt. Zu diesen interessanten Beobachtungen des Seelen-
lebens der Vögel hat derjenige die meiste Gelegenheit, der auch
Über Weite und Spielraum des Temperaments der Sperlingsvögel. 191
seine Wohnung mit den gefiederten Freunden füllt und auch
dort auf ihr Leben, ihr Weben achtet.
Es wird uns kaum jemand verdenken, dass wir die Auf-
merksamkeit der Fachgenossen auf diesen Gegenstand zu richten
suchen, sind doch alle Beobachtungen der Tierseele den Freunden
des animalischen Lebens willkommen. Aber wir wollen uns
nicht daran genügen lassen, diese Beobachtungen nüchtern neben-
einander zu stellen; auch hier soll man sich bemühen, den Gründen
der Erscheinungen nachzugehen und dabei versuchen, die auf-
tauchenden Fragen allgemeiner Natur — wenn auch nur vorläufig
— zu beantworten.
Wir werden dabei sehen, dass auch die Frage, weshalb der
Spielraum des geistigen Temperaments, der geistigen Regungen
bei der einen Art eng, bei jener so viel weiter wurde, sich einer
Antwort durchaus nicht von vornherein entzieht, wenn wir auch
hinter diese Antwort noch ein grosses, recht grosses Fragezeichen
setzen müssen.
Aber steht es denn um viele ähnliche Dinge anders? Wenn
ein Russ seine verschiedenen Abarten von Fringilla carduelis
nach dem Rate fremder Gewährsmänner konstruierte, wenn auf-
merksame Liebhaber die Verfärbung der Stubenvögel behandelten
und kühnen Mutes den Sprung von der Beobachtung zur Auf-
stellung schneidig klingender Hypothesen wagten, so blieben
diese, ihre Thesen mindestens ebenso zweifelhaft als die beschei-
denen Gedanken, zu denen uns unsere heutige Betrachtung
führen wird.
Wenn wir gefangene Vögel auf die Weite ihres Temperaments
hin untersuchen und beobachten, so werden wir uns stets fragen
müssen, welche gemütlichen Regungen in ihrem Naturell von vorn-
herein begründet waren und welche erst die Gefangenschaft mit
ihren veränderlichen Lebensbedingungen hervorrief. Unserer
Meinung darf man die letzteren weit weniger betonen als jene;
am besten würde man sie gänzlich vernachlässigen, denn sie sind
mehr oder minder unnormal und pathologisch, bewegen sich nicht
in den natürlichen Bahnen der Entwicklung, welche die betreffende
Art verfolgt.
Auffallend klein ist der Spielraum des artlichen Temperaments
bei den meisten nordischen Vögeln. Gelingt es dem Liebhaber,
der einen Flug Zeisige (Fr. spinus) oder Stieglitze (Fr. carduelis)
sein eigen nennt, ebenso wie wohl einem guten Schäfer fast
192 Fritz Braun:
immer, die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft nach Sitten und
Bewegungen, Temperament und Lebensart genau zu unterscheiden,
so wird das sehr schwer, ja zumeist unmöglich, wenn er einen
Flugkäfig etwa mit Bergfinken (Fr. montifringilla) besiedelt.
Wohl ist der eine Bergfink friedfertiger wie jener, aber sonst
bewegt und benimmt sich der eine wie der andere; kaum jemals
wird man finden, dass einer der Vögel durch besondere Lebhaf-
tigkeit oder übergrosses Phlegma sich vor seinen Artgenossen
besonders auszeichnet. Deshalb ist es denn auch fast immer
unmöglich, diese Quäker genau zu unterscheiden, sofern nicht
grade Monstrositäten oder das nach dem Alter der Vögel hellere
oder dunklere Federkleid dem Pfleger einen bestimmten Anhalt
bieten. Nicht viel anders steht es mit den Schneeammern
(Emb. nivalis), nicht viel anders auch mit den Berghänflingen
(Fr. flavirostris), Alpenlerchen (Al. alpestris) und Seidenschwänzen
(Bomb. garrula).
Aller Wahrscheinlichkeit sind in der Lebensweise dieser
Geschöpfe die Gründe dieser auffälligen Erscheinung zu suchen.
In ihrem ganzen Dasein sind sie auf elementare, massenhafte
Phänomene eingestellt, die sich heute und morgen gleich bleiben
und durch ihre fortdauernde Einwirkung Körper und Geist der
Tiere einfach wirkenden Maschinen ähnlich machten. Im Sommer
füllen die Mosquitos die hungrigen Magen, im Herbst und Winter
wenige Baumsämereien und der unerschöpfliche Beerenreichtum
des Nordens. So geht es jahraus, jahrein; im engen Kreise dreht
sich ihr Leben; da verlor denn auch der Geist seine federnde
Kraft, wurde der Spielraum ihres Temperaments eng und enger.
So muss es denn dem Beobachter scheinen, als ob das
geistige Leben dieser Hyperboräer zu Gunsten des rein anima-
lischen, fast möchte ich sagen, vegetativen, entschieden zurück-
ging. Wer unter einer Gesellschaft von Seidenschwänzen noch
scharf geprägte, individuelle Eigenschaften zu entdecken vermag,
der verdient sicher, als der Prophet einer neuen Aera der Tier-
psychologie mit Jubel begrüsst zu werden.
Noch so ziemlich den weitesten geistigen Spielraum unter
den echtnordischen Sperlingsvögeln hat der Leinfink (Fr. linaria).
Geschöpfe, die in besonders günstigen Jahren gross wurden, sind
weit grösser, aber auch matter als die übrigen ihrer Sippe und
fast phlegmatisch zu nennen, während die grosse Mehrzahl der
Artgenossen nervös und hurtig erscheint, fast wie frischgefangene
Über Weite und Spielraum des Temperaments der Sperlingsvögel. 193
Erlenzeisige (Fr. spinus). Für die Weite des Temperaments
grade der Birkenzeisige spricht auch der Umstand, dass unter
diesen fast sprichwörtlich zärtlichen und anschmiegenden Geschöpfen
sich bisweilen höchst ärgerliche Zänker finden. Ein Weibchen,
das ich besass, zeigte schon im grossen Flugbauer diese unlieb-
same Eigenschaft, und als ich es mit einigen anderen kleinen
Vögeln an Herrn Oberlehrer Ibarth weitergab, quälte es in dessen
kleinerem Käfig die Genossen bis zur Erschöpfung und Verzweiflung
sodass man die rotköpfige Ungarin schliesslich entrüstet an die
Luft setzen musste.
In jedem Falle möchte ich raten, die Weite des Tempera-
ments der Leinfinken nur durch Beobachtungen an solchen
Individuen festzustellen, die noch nicht lange in der Gefangen-
schaft sind, jedenfalls noch keine Mauser in ihr durchmachten.
Wie die Verfärbung von Fr. linaria schon zur Genüge zeigt,
werden auch diese harten Stubenvögel durch die Gefangenschaft
doch recht wesentlich beeinflusst, und diese Umformung, diese
Ummodelung geht wohl tiefer als wir annehmen möchten.
Dagegen bieten die Leinfinken wie viele andere Hyperboräer
dem Beobachter den Vorzug, dass sie schon ziemlich zahm in
seine Käfige einziehen. Sie kennen den Menschen noch nicht
instinktiv als den grossen Naturverwüster, der mit glattem Sinn
und eitelster Zwecksetzung die anderen Geschöpfe als schädlich
und unnütz bezeichnet, sie zurückdrängt und vertilgt. Sie
fürchten deshalb auch den Herrn der Schöpfung noch nicht derart,
dass durch seine Anwesenheit in ihrem Thun und Treiben jener
scharfe Wandel eintritt, der sich bei manchen Arten erst nach
der Zähmung legt.
Immerhin müssen wir uns hüten, den geistigen Spielraum
von Fr. linaria zu überschätzen. Im Gegensatz zu anderen
Nordländern musste diese Art energisch hervorgehoben werden,
unter den einheimischen Finkenarten würde sie aber trotzdem
nur einen mittleren Platz in der Rangordnung erhalten.
Gilt es, diese einheimischen Finken von unserem Gesichts-
punkte aus zu betrachten, so würde ich nach der Weite des
Temperaments, (von unten beginnend) sie etwa in folgender
Weise ordnen: 1) Buchfink (Fr. coelebs) 2) Hänfling (Fr. cunna-
bina) 3) Girlitz (Fr. serinus) 4) Grünfink (Fr. chloris) 5) Zeisig
(Fr. spinus) 6) Stieglitz (Fr. carduelis).
194 Fritz Braun:
Der Buchfink zeigt unstreitig noch manche Ähnlichkeit mit
dem Bergfinken, wenn auch dessen Streitlust — wenigstens in
der Gefangenschaft — zu fehlen pflest. Als ich früher Buch-
finken in grösserer Zahl in meiner Voliere hielt, dauerte es zu-
meist nicht lange, bis sie mir nur noch Vertreter der species
waren, bis es mir also unmöglich wurde, das Individuum a vom
Individuum b und e zu sondern. Trotzdem ich im Laufe der
Zeit sehr viele Buchfinken pflegte, heben sich heute nur wenige
— manche allerdings recht entschieden — aus der Masse her-
vor. Vor allen lernte ich einen fetten Buchfinken, der trotzdem
ein fleissiger Sänger war, als charakteristisches Individuum
kennen; dieser Vogel gehörte zu meinen ersten ornithologischen
Bekanntschaften. Doch ich fürchte, auch er war eine Anomalie,
wie sie erst die Gefangenschaft herausbildet. Unter den Frisch-
fängen, die meinen Flugkäfig bevölkerten und unter gleichen
Bedingungen in die Gefangenschaft hinüberlebten, gab es solche
auffälligen Ausnahmen kaum. Deshalb hüte man sich auch, den
Wissensdurstigen zu dem finkenliebenden Thüringer oder Wiener
zu senden, was er dort findet, ist schon ein Kunstprodukt, nicht
mehr der normale Vogel.
Vielleicht hat die psychische Ähnlichkeit der Buchfinken
darin ihren Grund, dass dieses Geschöpf bis vor nicht allzu
langer Zeit reiner Waldvogel war, der sich erst dann an die
offene Landschaft gewöhnte, als sie im Gefolge der menschlichen
Kultur sich in seiner Siedelungszone breit machte. Wir bedenken
vielfach zu wenig, dass die offene Landschaft mit ihren Gärten
und Feldern, Wiesen und Wäldern in unserer paläarktischen
Heimat vielfach erst durch den Menschen entstehen konnte.
Deshalb stehen auch wohl viele der Gefiederten, die aus dem
Walde und der Steppe in diese Landschaft übersiedelten, erst
im Beginn einer neuen Entwickelung. War aber der Buchfink
bis vor kurzer Zeit noch reiner Waldvogel, so werden wir uns
seinen damaligen Lebenswandel fast ebenso wechsellos, fast
ebenso elementar zu denken haben, als den des Bergfinken und
der hochnordischen Schneeammer.
Unter meinen Hänflingen (Fr. cannabina) hoben sich schon
deutlichere Unterschiede des Temperaments ab, die man aller-
dings bei der im allgemeinen ungemein passiven Art dieser
Tierchen auch erst mühsam entdecken muss. Mancher Hänfling
war vom ersten Tage seiner Gefangenschaft ab entschieden
Über Weite und Spielraum des Temperaments der Sperlingsvögel. 195
Phlegmatiker, während seine gleichartigen Genossen fröhliche
Munterkeit weit besser kleidete.e Auch die Zähmbarkeit der
Hänflinge ist sehr verschieden, was doch immerhin eine Ver-
schiedenheit der psychischen Beanlagung voraussetzt. Ein gutes
Mittel, sich bei solchen Studien vor Selbsttäuschung zu behüten,
besteht darin, dass man in seiner Abwesenheit die Vögel von
einem anderen in andere Käfige setzen lässt. Da sieht man
denn oftmals ein, dass man die scheinbar so bekannten Geschöpfe
doch nicht zu unterscheiden vermag, und muss abwechselnd seine
Unwissenheit eingestehen. Selbstverständlich wird nur der wirklich
geübte Tierpfleger und Beobachter einen solchen Versuch wagen
können, denn bei dem Neuling in diesen Dingen würde der
ständige Misserfolg ja selbstverständlich sein müssen.
Schon einen grösseren Spielraum des Temperaments möchte ich
dem Grünfinken (Fr. chloris) einräumen. So manchen Liebhaber wird
diese Ansicht sicherlich befremden, da ich aber nur auf Grund von
eigenen Erfahrungen berichte, so bitte ich andere, die über genügen-
‘des Material verfügen, durch Mitteilung ihrer Erfahrungen den
Gegenstand zu klären, nicht aber mit Schlagworten in einer Sache
zu streiten, die vor anderen induktiver Behandlung zugängig ist.
Vom ersten Tage ihrer Gefangenschaft zeigen sich manche
Grünfinken ungemein phlegmatisch, sitzen stets auf einem Fleck
und lassen auch ihren Gesang niemals hören, trotzdem man die
Überzeugung hat, dass die Tiere vollständig gesund sind. Als
ich etwa neun Jahre alt war, bekam mein Bruder bei einem
Vogelkauf einen Grünfink zugeschenkt, den ersten, den ich in
der Gefangenschaft beobachten konnte. Das Tier war völlig
gesund, spielte aber trotzdem beinahe Standbild und rührte sich
nur, um seine dringendsten Nahrungsbedürfnisse zu befriedigen.
Zwei, drei, die ihm folgten, sahen dem stillen Gast merkwürdig
ähnlich, sodass ich wie jener Engländer, der die These prägte,
dass alle Deutschen rote Haare haben und grobe Kerle sind, zu
der Überzeugung gelangte, dass Fringilla chloris in der Gefangen-
schaft nicht den Mund aufmacht und, wenn möglich, auf seinem
Sitz versteinert. Um so überraschter war ich also, als wirklich
kecke, muntere Schwunsche in meinen Flugbauer einzogen, und
ich traute kaum meinen Ohren, als die wohlbekannte, rollende
Strophe durch’s Zimmer tönte. Da aber die Kehle des Vogels
sich deutlich hob und senkte, senkte und hob, musste es doch
Wahrheit sein, und es war Wahrheit.
196 Fritz Braun:
Wenn es manchem überflüssig erscheinen sollte, dass ich
hier kindische Erinnerungen aus längst vergangenen Tagen auf-
tische, so möge er bedenken, dass ich sie nur deshalb ausspinne,
um meine obige These zu begründen und dem Grünfinken seinen
Platz in meiner Fringillenrangordnung zu retten.
Dem Girlitz (Fr. serinus) würde ich seinen Platz direkt
neben dem Grünfinken anweisen, vielleicht steht er noch unter
ihm. Zwar konnte ich eine ganze Anzahl beobachten, doch fürchte
ich, bei vielen waren die Unterschiede nicht so sehr im Tempe-
rament als in der Gesundheit begründet, so dass ich also in
meinen Folgerungen vorsichtig sein muss. Dass der Girlitz im
allgemeinen weit quicker und lebhafter ist als der Grünfink,
thut ja nichts zur Sache, da uns nicht das durchgängige Naturell
der Art, sondern nur die individuellen Abweichungen in ihrem
Bereich interessieren.
Ebenso wie den Grünfinken und Girlitz, möchte ich Stieglitz
(Fr. carduelis) und Zeisig (Fr. spinus) bezüglich des Spielraums
des Temperaments etwa neben einander stellen. Wie ich Bart-
zeisige neben den hellkehligen Vettern erhielt, bekam ich auch
beständig neben auffällig kleinen und schlanken Geschöpfen mit
recht dunklem Gefieder und braunschwarzen Füssen viel grössere
Vögel mit hellerem Gefieder und helleren Füssen in die Hände.
Die letzteren trugen sich zumeist dick und plustrig und er-
schienen dem zu Folge viel kürzer als die sehnigeren, dunkleren
Artgenossen. Sicherlich waren diese wie jene alte, völlig ausge-
färbte, gesunde, männliche Vögel. Vielleicht waren die kleinen,
flinken, dunkelfüssigen Zeisige im Nadelwald rauher Berge aufge-
wachsen, während die Heimat jener anderen ein milderes Klima
und weichere Baumvegetation aufwies. Die ständige Kreuzung
und Vermischung solcher Geschöpfe wird vielleicht (denn möglicher-
weise findet sie nur in Ausnahmen statt, haben wir hier- diver-
gierende Wege vor uns) den grossen Spielraum mitbedingen, den
wir im Temperament der Zeisige finden. Manche sind zeitlebens
quicke, ungemein hurtige Vögelchen, während andere, ohne irgend-
wie krank zu sein, ein wahres Wiederkäuerdasein führen. Wie
mancher Mensch mit einem Tropfen an der Nase dahinträumt,
sitzen diese Zeisige mit einem hellen Tropfen Magensaft im
Schnabel ganze Stunden lang an einem Orte still. Ich selbst
habe gar manchen dieser schläfrigen Gesellen besessen, in die nur
Lenz und Liebe ein wenig Beweglichkeit zu bringen vermochten.
F
a
5
Über Weite und Spielraum des Temperaments der Sperlingsvögel. 197
Neben friedlichen, fast zärtlichen Tieren fand ich garstige Mörder,
die aus Futterneid ihre Mitbewohner überfielen und zu töten
versuchten. Noch neulich rettete ich einen Zeisig erst im letzten
Augenblick aus den Krallen eines artgleichen Männchens. Der
Unglückliche hatte seinen Genossen vom Futternapf vertreiben
wollen. Rasch packte ihn aber der erzürnte Kumpan beim Kragen,
drückteihn mit den Füssen zu Boden und hackte minutenlang aus Lei-
beskräften aufihn los,einStudent würde sagen: „Wie aufkaltesEisen.“
Ebenso verschiedene Geschöpfe wie unter den Zeisigen
finden wir bei den Stieglitzen (Fr. carduelis), aber auch hier
möchte ich warnen, vorschnell Arten zu konstruieren, wo die Be-
zeichnung als Lokalrasse völlig genügt.
Vor allem hebt sich bei uns im deutschen Osten eine lange,
dünne Rasse von unbesieglicher Wildheit und mürrischem Tem-
perament von den übrigen ab, die von unseren Händlern wohl
als russischer Stiegiitz bezeichnet wird. Ein Oheim von mir
besitzt einen solchen Vogel wohl schon seit zwölf Jahren; er sitzt
im kleinen Käfig fleissig am Futtertrog, aber ist trotzdem spin-
deldürr wie weiland Don Quijote, dem er auch in seiner streit-
baren Natur, seiner Lust am Bramabasieren durchaus gleicht.
Den freundschaftlichen Verkehr mit den Menschenkindern lehnt
er noch heute ebenso wie ehedem völlig ab.
Erhält man einen frisch gefangenen Bergfink, einen eben
erbeuteten Buchfink, so weiss man nur, dass man ein Mitglied
einer bestimmten Art vor sich hat, bei einem Zeisig oder Stieg-
litz kann man sich und anderen oft schon über Naturell und
Charakter, Goethe würde sagen über den Typus des betreffenden
Tieres kurzen Aufschluss geben.
Jene grossen, dürren, zänkischen Stieglitze, die Russen der
Händler, gleichen in Art und Wesen etwa den geschilderten,
schwarzfüssigen, schlanken Zeisigen, während die mittelgrossen
und kleinen Stieglitze zumeist weicheres Gefieder, sanfteres Na-
turell und mehr Neigung zum Phlegma haben. Auch die Stieg-
litze, die unser Danziger Händler aus Ungarn empfing, waren
ihrem Wesen und Naturell nach von den erwähnten Russen
völlig verschieden und glichen schon eher der andern, Klasse.
Allerdings scheinen die weicheren, friedfertigeren Stieglitze auch
die weichlicheren zu sein, die dürren Russen (ich gebrauche den
Namen, ohne seinen richtigen Sinn zu verbürgen) erreichten
meines Wissens fast ausnahmslos ein ehrwürdiges Alter.
198 Fritz Braun:
Jedem, dem diese detaillierte Sonderung nach Tempera-
menten befremdend erscheint, rate ich einmal das kleine Büch-
lein Hermann Müllers „Am Neste“ zur Hand zu nehmen und
sich durch Sprache und Stil nicht von seiner aufmerksamen
Lektüre zurückschrecken zu lassen. Allerdings wird mancher
Ornithologe das komisch geschriebene Büchlein kopfschüttelnd
beiseite werfen und sich wundern, dass ein Mann wie Brehm
solches Zeug bevorworten konnte, aber gemach — sollte es doch
nicht etwas recht Gutes sein? Ich glaube, viele praktische Orni-
thologen werden diese Frage bejahen.
Wie schon gesagt, möchte ich auch beim Stieglitz lieber
Lokalrassen als species annehmen. Rasch fertig sind die Forscher
mit der Art und bedenken oft gar nicht, dass zweite, ja abnorme
dritte Bruten oft andere Vögel erzeugen werden als die ersten
Gelege, dass nasse und kalte Sommer, Verschiedenheiten der
vegetativen Umgebung und vieles andere mehr, auf die körper-
liche und geistige Ausbildung der jungen Vögel von wesentlichem
Einfluss sein dürfte.
Ungemein verschieden ist die Weite des Temperaments bei
dem Feld- und Haussperling (P. montanus und P. domesticus).
Während wir jenen mit seiner schematischen Natur kaum dem
Grünling gleichstellen können, übertrifft dieser an Spielraum des
geistigen Lebens wohl alle anderen Fringillen. Wie bei dem
Star, den wir später behandeln, kommen wir hier kaum mit dem
Begriffe des Typus aus, sondern müssen schon jeden Vogel als
Individuum auffassen.
Jeder der zahlreichen Haussperlinge (P. domesticus), die ich
im Laufe der Zeit verpflegte, schwebt mir als scharf abgegrenztes
Individuum vor Augen, und kaum jemals laufe ich bei ihm, wie
bei anderen Arten Gefahr, die Bilder mehrerer Individuen in der
Erinnerung zu verschmelzen. Von solchen Geschöpfen, die sich
seit dem ersten Augenblick friedfertig und nachgiebig benahmen,
führt eine ganze Skala von Charakteren bis zu jenen Haus-
sperlingen, die, wenn irgend ein Vogel, Anspruch auf den Namen
herzloser Verbrecher hatten. Langsame, plumpe Gesellen fehlten
ebenso wenig, wie frische, regsame Burschen, die in steter Unrast
ihre Tage verlebten. Gewölinen sich die listigen Gesellen erst
recht ein, werden sie erst mit den Sitten und Gewohnheiten des
Menschen so recht vertraut, so zeigen sie, vornehmlich, wenn sie
jung dem Neste entnommen wurden, oft überraschend grosse
.
Über Weite und Spielraum des Temperaments der Sperlingsvögel. 199
Fähigkeiten. Diese gehen uns zwar bei unserer heutigen Unter-
suchung nichts mehr an, immerhin möchten wir jeden Tierpsycho-
logen raten, ihr Interesse vor anderen Sperlingsvögeln den all-
bekannten Bewohnern der Gasse zuzuwenden.
Die Verwandten der eigentlichen Finken, Kernbeisser
(Ooccothraustes vulgaris), Kreuzschnäbel (L. curvirostra) und
Gimpel (Lox. pyrrhula), bleiben an Spielraum des Temperaments
hinter Zeisig, Stieglitz und dem Haussperling vor allem weit zu-
rück. Allerdings giebt es auch hier Ausnahmen von der Regel,
doch sind diese kaum zahlreich genug, um die Regel umzustossen.
Am wenigsten schematisch geartet sind noch die Gimpel, immer-
hin aber lernte ich unter ihnen weit weniger charakteristische,
will sagen scharf ausgeprägte Individuen kennen als unter Stieg-
litzen und Zeisigen.
Die Liebhaber des Dompfafien, die ibn als gelehrigen
Schüler preisen, werden zwar dieser Auffassung kaum beipflichten,
doch gebe ich ihnen zu bedenken, dass sie ihre Zöglinge doch
von einem recht einseitigen Standpunkte aus betrachten. Die
ungezähmten Dompfaffen, die ich kennen lernte, glichen einander
- zumeist fast aufs Haar, und die gezähmten, an denen auch ich
meine Freude hatte, waren doch alle mehr oder minder nach
derselben Richtung entwickelt, liessen untereinander lange nicht
so weiten Spielraum wie die Vertreter. mancher anderen Arten.
Auch die Meisen (Paridae) zeigen lange nicht so grosse
individuelle Verschiedenheiten, als man erwarten sollte. Man glaubt
anfangs, die hoch begabten Geschöpfe müssten darin mindestens
mit dem Haussperling wetteifern, doch ist dem bei weitem nicht
so, selbst nicht bei der Kohlmeise (P. major), die in dieser Hin-
sicht noch am höchsten steht und uns zwischen Raubtiernatur
und liebenswürdiger Friedfertigkeit, unbändigem Freiheitsdrang
und stiller Fügsamkeit eine grosse Reihe von Charakteren vorführt.
Fast scheint es uns, als habe die Natur sich bei der Gat-
tung Parus damit begnügt, eine mechanische Aufgabe zu lösen,
und darüber die individuelle Ausbildung des Geistes verabsäumt.
Mir fällt es heute recht schwer, die Bilder der vielen Sumpf-
und Blaumeisen (P. palustris und P. coeruleus), die ich im Laufe
der Jahre verpflegte, klar und scharf auseinander zu halten.
Sicher waren sie alle liebenswürdige, begabte Vögelchen, aber
trotzdem glichen sie nur zu oft in allen Lebensregungen ein-
ander fast gänzlich. Ich glaube, wenn man die drei Blaumeisen,
200 Fritz Braun:
die z. Z. in meiner Danziger Wohnung umherfliegen, in meiner
Abwesenheit durch andere ersetzt hätte, ich würde die Verän-
derung nur bei einer wahrgenommen haben, die in Folge körper-
licher Schwäche die kühnen Flugmanöver der andern nicht mit-
machen kann. Wie hier, waren auch in anderen Fällen die
Unterschiede zwischen den einzelnen Meisen mehr körperlicher
und mechanischer als geistiger Natur, sodass ich wie gesagt, die
Meisen dem Spielraum ihrer individuellen Charakterbildung nach
nicht aussergewöhnlich hoch schätzen kann.
Immerhin stehen die Meisen ihrer individuellen Ausbildung
nach hoch, hoch über den Ammern (Zmberizidae), die uns nicht
nur körperlich, sondern auch geistig als rechte Dutzendware der
Natur erscheinen. Hatte ich ein Halbdutzend Grauammern (Zmb.
miliaria) beisammen, so hätte ich oft nicht für ein Königreich
zu sagen vermocht, dieses sei die Grauammer a, jenes b, jenes
c, so haarscharf glichen die Tiere sich in ihrem Äussern und in
ihrem Naturell, denn die stets vorhandenen Unterschiede in der
Brustzeichnung der Männchen sind für ein blödes Meuschenauge
doch zumeist zu geringfügig, um einen sicheren Anhalt zur Un-
terscheidung zu bieten, zumal dann, wenn man etwa gleichaltrige
Tiere vor sich hat. Nicht ganz so schlimm, wie bei E. miliaria,
aber arg genug ist die Sache bei der Goldammer (E. citrinella),
der Gartenammer (E. hortulana) und den anderen Species.
Es verhält sich mit ihnen etwa ebenso wie mit den nordi-
schen Vögeln. Auch die Ammern sind aus ziemlich gleichförmigen,
elementaren Verhältnissen hervorgegangen, ihr Nahrungserwerb
erheischt weder grossen Kraftaufwand noch grosse Klugheit, so
bleiben denn die Ammern, was sie von jeher waren, blöde Kost-
gänger an einer reich besetzten Tafel. Daran liegt es auch
wohl, dass die Ammern so wenig Liebhaber finden. Auch der
Liebhaber strebt unbewusst nach den charakteristischen, auffälligen
und aufdringlichen Erscheinungen des tierischen Lebens, und
in dieser Hinsicht vermögen ihm die Ammern allerdings nur wenig
zu bieten, so dass sie nach wie vor mehr den Forscher als den
Liebhaber interessieren werden.
Die Lerchen (Alaudidae), stehen, was den Spielraum ihres
Temperaments angeht, zwischen Finken und Ammern etwa mitten
inne, nur die Heidelerche (Al. arborea) gehört eher zu Piepern
und anderen Insektenfressern als zu ihren langweiligeren Ver-
wandten. Auch bei den Lerchen trägt die einförmige Lebens-
Über Weite und Spielraum des Temperaments der Sperlingsvögel. 201
weise wohl die Schuld daran, dass die Tiere trotz hoher Begabung
im einzelnen (Gesang) im allgemeinen doch recht schematisch
blieben.
Über die Drosseln (Turdidae) wage ich kein bestimmtes
Urteil zu fällen, da ich sie nur im Einzelkäfig beobachtete, dessen
enger Raum auch auf ihr Individuell lähmend einwirken musste.
Ein Vogel in Einzelhaft hat zumeist so wenig Gelegenheit, sich
gemütlich zu äussern (thut er’s gegen den Menschen, so ist er
schon zahm, d. h. anormal), dass für unsere Fragen eigentlich
nur Beobachtungen im Freileben, in der Vogelstube und in
grossen Flugkäfigen in Frage kommen sollten.
Besser als bei den Drosselun bin ich beim Star (Sturnus
vulgaris) daran, der von jeher mein Liebling war, den ich daher
auch im Verkehr mit seinesgleichen, in Einzelhaft wie im Ge-
sellschaftskäfig, studieren konnte. Ich trage keine Bedenken, dem
metallisch schillernden Starmatz seine Stelle direkt neben dem
Haussperling anzuweisen. — Wie kommen hier doch die Plebejer
so hoch zu stehen! Jeder Star, den ich pflegte, war ein Indivi-
duum, das mich an diesen oder jenen Typus erinnerte, ohne
doch gänzlich in ihm aufzugehen. Auch im Freien sind die Stare
ja vielseitige Geschöpfe, wohl zu Hause in den rauschenden
Kronen der Laubbäume, auf dem roten Dach der Scheuer, den
breitscholligen Äckern und im knarrenden, knackenden Rohrwald.
Da kann es uns auch nicht Wunder nehmen, dass die hochbe-
gabten Vögel geistig ungemein verschieden sind. Bei jedem Stare,
den mir der Zufall ins Haus führte, den ich einige Tage beob-
achten konnte, begriff ich bald, dass mir die Natur hier in einer
anderen Bildung entgegentrat, und durfte nicht, wie mein deutscher
Lehrer von dazumal bei der Abgabe der missratenen Schüler-
aufsätze, unwillig dazu brummen: „Schema F.“ Selbst das phleg-
matische Temperament fand ich, so seltsam es auch erscheinen
mag, unter den regsamen Gesellen vertreten. Noch jetzt kenne
ich einen würdevollen Starenpatriarchen, den ich vor meiner
Abreise aus Danzig an meinen jungen Freund, einen der vielen,
die ich zu wütenden Ornithologen machte, verschenken musste.
Vertrauen und Argwohn, Gutmütigkeit und scheelste Selbstsucht,
quarrender Eigensinn und stille Fügsamkeit, sie alle wohnen in
der Brust der Stare und lehren uns, dass hier die Art kein
ewig sich wiederholendes Einerlei darstellt, sondern eine Fülle
wechselvoller Eigenschaften umschliesst.
Journ, £, Om. XLIX. Jahrg, April 1901, 14
202 Fritz Braun:
Die überaus verschiedenen Arten der andern Insektenfresser,
die nur schwer mit kurzen Worten zu Schildern sind, wollen wir
zu Gunsten der Klarheit und Übersichtlichkeit unserer Skizze
heute lieber nicht behandeln, genügen doch schon die angeführten
Arten, um unsere Aufmerksamkeit auf mancherlei interessante
Zusammenhänge zu lenken.
Am lehrreichsten für uns ist sicher die Gruppe der Finken,
wo wir beim Zeisig und Stieglitz den weitesten Spielraum des
Temperaments vorfanden. Eigentümlicher Weise sind diese species
auch körperlich am meisten verschieden, so dass man fast in Ver-
suchung gerät — der andere Ornithologen schon längst unter-
lagen — sie in eine ganze Reihe von species zu teilen.
Wie der Körper strebt hier auch der Geist zu neuen Formen,
in unendlichen Wechselbeziehungen bringt das Verschiedene
Verschiedenes hervor, so dass wir alierdings nur mit nebligem,
verschleierten Blick in die Zukunft zu schauen glauben, wo neue
Geschöpfe neuen Zielen zustreben, während andere Arten im
Schema versteinerten, in der Fülle verkamen.
Tritt eine Art aus einförmigen Lebenslagen in wechselvollere
Umgebungen, muss sie sich an Garten und Hain, Busch, Wald
und Feld gewöhnen, stellen sich ihr beim Nahrungserwerb immer
mannigfaltigere, mechanische Aufgaben, so strebt sie ihnen zu
entsprechen, und die Individuen thun — je nach ihrer Anlage
— mehr oder minder dazu, diese Aufgaben zu lösen. So ent-
wirrt sich die grosse Masse in einen lockeren Schwarm inkon-
gruenter Geschöpfe und in weiterem, immer weiterem Spiel-
raum bewegen sich Körper und Geist der vorwärts ringenden
Art, bis dauernde, sichere Verhältnisse wieder einen Teil der
Geschöpfe absondernd umhüllen und dieser in steter Umgebung
selbst wieder zur Ruhe und Stetigkeit gelangen kann.
II. Unterschiede nach Geschleeht und Alter.
Bisher haben wir das Temperament der einzelnen Arten
betrachtet, ohne des grossen Einflusses zu gedenken, den Alter
und Geschlecht auf die Gestaltung des Temperaments ausüben
müssen.
Sicher stehen alle Regungen des Geistes und Temperaments
mit dem Geschlechtsleben in innigstem Zusammenhang. Mit dem
geschlechtlichen Reifeprozess geht die Ausbildung und Vertiefung
Unterschiede nach Geschlecht und Alter. 203
des Temperaments Hand in Hand. Nur das geschlechtsreife Ge-
schöpf ist nach der geistigen Seite reif und in sich geschlossen.
Da die jährliche Periode des Geschlechtslebens bei den meisten
Vogelarten unserer Region zeitlich umgrenzt ist, so werden wir
die auffälligsten, wesentlichsten Regungen namentlich des männ-
lichen Temperaments erst in dieser Zeit und in ihr allein wahr-
nehmen können.
Im allgemeinen hat man wohl recht, wenn man dem Männchen
der Passerinen ein aktiveres, mehr cholerisches Temperament
zuschreibt. Zumeist kann man das weibliche Temperament getrost
aus dem des Männchens ableiten, indem man auf alle jene schroffen,
kriegerischen, gewaltthätigen Eigenschaften verzichtet, die hier wie
anderswo in der tierischen Schöpfung Wesen und Eigenart des
Mannes, Inbegriff der virtus bilden.
Aber dennoch muss man sich hüten, in diesen Folgerungen
zu weit zu gehen. Viele Arten der Passerinen sind vor allem,
sind fast ausschliesslich mechanische Probleme, darauf eingestellt,
durch ganz spezifische Bewegungen die schwer erreichbare Nahrung
zu gewinnen, Stunde um Stunde den Kampf ums Dasein weiter-
zuführen. Da wird denn oft der geschlechtliche Unterschied
im Temperament unter gleichen Bewegungen — die dem Nahrungs-
erwerbe dienen sollen — verschwinden oder wenigstens den
blöden Sinnen des menschlichen Beobachters weniger fühlbar
werden.
Es ist dem Menschen nur selten vergönnt, das innere Leben-
des Tieres zu durchschauen; wir sehen das, „was vor Augen ist,“
wir sehen Bewegungen, müssen von Bewegungen auf Stimmungen
von körperlichen Bewegungen auf geistige Regungen schliessen.
Gilt’es nun, von den Bewegungen der Passerinen auf ihr
geistiges Leben, ihr Temperament zu folgern, so wird es wohl
unerlässlich sein, Zweck und Wesen der wichtigsten, spezifischen
Bewegungen dieser Arten ganz kurz zu beleuchten.
Am wichtigsten wird es für uns sein, die Gruppe der Be-
wegungen, die dem Nahrungserwerb dienen, von jenen andern
scharf zu sondern, welche die geschlechtliche Zuchtwahl, den
Kampf der fortpflanzungslustigen Männchen unterstützen und
fördern sollen. Jene letzteren werden selbstverständlich nur den
Männchen eigen sein, einen Ausfluss des männlichen Tempera-
ments darstellen, während die zuerst genannten von allen Art-
genossen ausgeübt werden müssen, denn Nahrung heischt jeder Mund.
14*
204 Fritz Braun:
Recht interessant sind hier z. B. die dem Beobachter be-
sonders auffälligen Bewegungen des Schwanzes bei ruhenden
oder wenigstens nicht heftig erregten Sperlingsvögeln. Wendet
man dieser scheinbar so geringfügigen, in Wirklichkeit recht
wichtigen Frage längere Zeit seine Aufmerksamkeit zu, so wird
man finden, dass die grösste Beweglichkeit des Schwanzes bei
jenen Arten der Sperlingsvögel zu finden ist, die grösstenteils
oder ausschliesslich von Insekten leben. Unter diesen finden wir
die höchste Ausbildung wieder bei jenen species, die zumeist
auf dem Boden leben.
Jedenfalls stehen jene auffälligen Bewegungen des Körper-
fortsatzes in engstem Zusammenhang mit den andern Einrichtungen
des Körpers, mit der Mechanik von Gang und Flug; doch finde
ich merkwürdigerweise in der ornithologischen Litteratur einen
Nebenzweck völlig vernachlässigt, dem sie ebenfalls dienen, den
Zweck des Nahrungserwerbes. Durch die zuckenden oder fort-
während auf und piedergehenden Schwanzfedern wird ein, zarten
Insekten recht merkbarer Luftzug erzeugt, durch den huschenden
Schatten wird manches Kerf veranlasst, sich zu regen, zu zeigen,
seinen Platz zu verändern.
Der Meise, die ihre Insekteneier aus der Baumrinde klaubt,
wäre damit nicht gedient, der Zeisig, der sich in den schwan-
kenden Zweiglein der Birken einnestelt, um ihre Samenkörner
zu zehnten, wäre mit einer solchen Einrichtung ihres Schwanzes
kaum gedient, für die erdständigen Insektenfresser liegen die
Dinge ganz anders.
Der Erfolg des eigentümlichen Werkzeuges, das manche
Arten in den stets beweglichen Schwanzfedern besitzen, muss
um so grösser sein, da, wie jederman weiss, Anthi, Alaudae u.
a. m. selten längere Strecken geradeaus schreiten, sondern sich
mehr im Zickzack auf dem Boden bewegen, kommen und gehen,
hierhin und dorthin sich wenden. Da wird denn der Nutzen
jener Bewegungen bei vielen species durchaus nicht gering sein,
jedenfalls möchte ich die — wennschon etwas bei den Haaren
herbeigezogene — Gelegenheit nicht versäumen, um auf diese
Frage hinzuweisen.
Doch genug davon, mögen diese Bewegungen dem Nahrungs-
erwerbe dienen, mögen sie rein mechanische Zwecke haben,
mögen sie, was das wahrscheinlichste ist, beiden dienen, jeden-
falls sind sie für das Leben von Männchen und Weibchen in
Unterschiede nach Geschlecht und Alter. 205
gleich hohem Grade wichtig, können sie bei keinem Geschlecht,
in keinem Alter ohne Gefahr für Leib und Leben verkümmern.
Bei manchen species, die eine ganz besondere Art der Er-
nährung haben, nehmen nun diese mechanischen und nahrung-
schaffenden Bewegungen einen so grossen Teil der Körperkraft,
einen so grossen Teil der Lebenszeit in Anspruch, dass die
Ausbildung männlicher Eigenheiten, spezifisch männlicher Bewe-
gungen dadurch wesentlich beeinträchtigt wird, beide Geschlechter
gleichermassen neben einander herleben, höchstens ein auffälliger
Balzflug sich in der Zeit höchster geschlechtlicher Erregung
geltend macht. Man braucht nur an die Curvirostrae zu erinnern,
um jedem klar zu machen, worauf der Sinn unserer Worte zielt.
Diese mechanischen, nahrungschaffenden Bewegungen werden,
ihrem Wesen, ihrer Aufgabe zu Folge, während des ganzen Jahres
stattfinden, jene anderen, die dem geschlechtlichen Leben eignen,
nur solange, als die geschlechtliche Erregung anhält, d. h. nur
in der Brunstperiode und während dieser Zeit wieder in jenen
Augenblicken, die nicht dem Nahrungserwerbe, sondern minnig-
lichen Gedanken gewidmet sind.
So unterscheidet sich z. B. jenes Schanzwippen und Schwanz-
wiegen der Anthi, Motacillae, u. a. m. sehr wesentlich von den
entsprechenden Bewegungen mancher Finkenvögel, die dem
Schmettern des Gesanges, dem Sträuben der Kopffedern beigesellt
sind und zumeist sogleich verschwinden, sobald das minnigliche
Lied verstummt, sobald der knurrende Magen seine gemeineren
Rechte geltend macht.
Wie schon gesagt, ist das Temperament der einzelnen Ge-
schlechter zur Zeit der Brunst durch die grösste Kluft getrennt.
Doch nicht bei allen Arten zeigt diese einen gleich grossen
Wert. Bei jenen species, die schon ohnehin geistig und körper-
lich recht verschiedene Geschlechter aufweisen, verändern sich
diese zur Brunstzeit noch mehr, bei jenen, deren Geschlechter
sich sonst fast gleich sind, bleiben auch während der Brutzeit
Männchen und Weibchen einander recht ähnlich. Jene Arten
befinden sich in der Entwickelung, sollen zu einer Zeit zeugen,
da die Geschlechter recht verschieden sind, um den Nachkommen
einen grossen Variationsspielraum zu bieten, diese bleiben, was
sie sind, auf dass ihre Kinder ihnen gleich werden.
Das Temperament des jungen Vogels ist zumeist nur sehr
wenig nach Geschlechtern verschieden, geistig und körperlich
206 Fritz Braun:
sind die Nachkommen der Art zumeist noch recht ähnlich, neutral,
um den prächtigen Ausdruck Altums zu gebrauchen, doch ist der
geistige Abstand von Jung und Alt bei manchen Arten sehr gross,
bei anderen sehr gering. —
Um wieder bei den Finkenvögeln zu beginnen, zeigt Frin-
gilla coelebs zwischen Mann und Weib recht merkliche Unter-
schiede, die namentlich zur Brunstzeit eine bedeutende Grösse
erreichen. Ähnlich liegen die Dinge beim quäkenden Fringilla
montifringilla, doch machen diese Unterschiede dem Beobachter
nicht allzuviel Freude, weil die Geschlechtsgenossen einander
hier und da recht ähnlich sehen.
Nicht allzugross sind die Unterschiede bei Fringslla canna-
bina und Fringilla flavirostris, doch sind sie auch abgesehen von
der Brunstzeit immerhin bedeutend genug. Der Pfleger kann
daher Männchen und Weibchen auch nach dem Temperament
ganz gut unterscheiden, da die letzteren in der Gefangenschaft
zumeist viel teilnahmsloser und phlegmatischer sind. Man kann
also auch bei diesen Arten einen Unterschied im Temperament
der Geschlechter bei einiger Aufmerksamkeit wohl feststellen.
Gross und deutlich ist die Kluft zumeist bei Fringilla
carduelis. Dem hurtigen, eleganten und kecken Männchen gegen-
über sind die Weibchen von weicherem und etwas schlafferem
Naturell, sodass man auch bei recht geringen, körperlichen Unter-
schieden die weiblichen Stieglitze schon an dem „ewig weiblichen“
in ihrem Gebaren zu erkennen vermag, vorausgesetzt natürlich,
dass die Art dem Beobachter völlig vertraut ist.
Sehr, sehr gross sind die geschlechtlichen Unterschiede im
Temperament bei Fringilla spinus, wo der Unkundige auch nach
der gemütlichen Seite in den Geschlechtern fast verschiedene
Arten erblicken möchte. Im allgemeinen sind auch hier die
Weibchen viel weicher und ein gut Teil phlegmatischer als die
Männchen, wie schon ihr Gezwitscher, dass man beinahe Gesang
nennen könnte, weicherer Natur ist, entsprechen doch pfeifende
und zwitschernde Laute dem rätschenden Getön der männlichen
Sänger. Immerhin giebt es auch unter den weiblichen Zeisigen
mitunter hässliche Zänker. Während jedoch die männlichen
Störenfriede ihren Unwillen gar oft auch gegen Genossen anderer
Arten kehren, zanken die Weibchen hier wie bei anderen species
vornehmlich mit den Artgenossen und zwar zumeist mit Männchen.
Es ist bei den Vögeln beinahe Regel zu nennen, dass die
Unterschiede nach Geschlecht und Alter. 207
Männchen unter dem Pantoffel stehen und der besseren Hälfte
beim Futtertrog, beim Badewasser und anderswo den Vortritt
lassen. Es scheint fast der Natur des Männchens, das doch zu-
meist für den Kampf mit männlichen Artgenossen bestimmt ist,
innerlich zu widerstreben, die artgleichen Weibchen zu befehden,
wenn man auch bei manchen species, wie Fringilla montifringilla,
namentlich im engen Käfig Ausnahmen erleben kann. Auffällig
oft nähern sich die Zeisigmännchen nach langer Gefangenschaft
dem Temperament der Weibchen, wohl wieder ein Zeichen, dass
lange geschlechtliche Abstinenz bei guter Nahrung das Tempera-
ment der Vögel verdirbt. Auch bei Fr. cannabina und carduelis
habe ich diese Wahrnehmung gemacht, doch nicht so oft, so auf-
fällig wie grade bei spinus.
Bei der Farbenveränderung in der Gefangenschaft, wie sie
bei den curvirostrae, bei cannabina, linaria — ich kann wohl
sagen — gesetzmässig eintritt, wird dieser Grund sicher wohl
die Hauptrolle spielen, wenn man auch wiederholt gefunden hat,
dass die verfärbten Vögel potent waren. Die Liebhaber nannten
sie dann natürlich gleich völlig potent — was kommt es
Leuten viel auf ein Wort an, aber potent und potent ist doch
wohl immer noch zweierlei.
Sahen wir also schon früher, dass die Unterschiede im
Temperament der einzelnen Zeisige sehr gross sind, so werden
wir in dieser Erkenntnis noch gefördert, wenn wir Männchen und
Weibchen miteinander vergleichen. Als besonders intelligentes
Geschöpf scheint der Zeisig auch besonders viel Zeit zu gebrauchen,
ehe er geistig nach der Seite des Temperaments sich entwickelt,
wenigstens waren die Jungvögel, die ich im Sommer erbielt, den
Alten geistig sehr unähnlich, wild und urteilslos und rasten sich
zumeist zu Schanden, während andere Finkenvögel gleichen
Alters sich dumpf und stumpf in ihr Schicksal fügten.
Wie unähnlich Fringilla linaria dem schwarzköpfigen Vetterist,
haben wir früher betont. Bei dieser Artsind Männchen und Weibchen
dem Temperament nach nur durch jedesmaligen Vergleich zu
unterscheiden, schwerlich aber könnte man durch Beobachtung der
gemütlichen Äusserungen feststellen, ob ein einzelnes Exemplar
Männchen oder Weibchen ist. Wenn ich trotzdem von dem
mörderischen fehdelustigen Weibchen berichtete, das Herrn Ober-
lehrer Ibarth so viel zu schaffen machte, so war das eben ein
Monstrum, eine Ausnahme, die die Regel nur bestätigen kann.
208 Fritz Braun:
Viel geringer als bei spin«us sind meinen Erfahrungen zufolge
die geschlechtlichen Unterschiede im Temperament von Fringilla
serinus, doch will ich meiner Meinung hier nicht allzuviel Wert
beimessen. Die Bewegungen des Girlitzes sind von denen anderer
Finken bei Mann und Weib sehr verschieden, sodass der Beobachter
durch das artlich besondere gefesselt, gewissermassen geblendet
wird und zu den kleineren Eigenheiten der Geschlechter — der
auffällige, zeitlich gebundene Balzflug interessiert uns hier wenig
— nicht mehr durchzudringen vermag.
Passer domesticus hielt ich stets nur in männlichen Exemplaren,
vermag also über den geschlechtlichen Unterschied ihres Tempera-
ments so gut wie garnichts anzugeben. Da ich jedoch einmal
bei dieser Species angelangt bin, kann ich es mir nicht ver-
sagen, eine Bemerkung einzuschalten, die allerdings mit unserm
Thema nichts zu thun hat.
Vor einiger Zeit erhielt ich einen in der Gefangenschaft
aufgezogenen, jungen P. domesticus, der das Gezwitscher eines
weiblichen Stieglitzes nachahmte und diese Gewohnheit auch bei
mir während mehrerer Monate -beibehielt, bis er durch die .
Menge anderer Töne, die von allen Seiten auf ihn eindrangen,
von der in der Jugend erlernten Kunst abgelenkt wurde. Ich
berichtete über diesen Vogel, der sich z. Z. leider in Folge eines
gelungenen Fluchtversuches wieder der goldenen Freiheit erfreut,
s. Z. unter meinem Namen in „Natur und Haus“ und in der
„Gefiederten Welt“. Trotzdem las ich dieser Tage in dem
neuesten Bande des neuen Naumann die inhaltsschweren Worte?):
„dass junge Haussperlinge, neben andere Singvögel gehängt, die
Gesänge dieser nachahmen lernen, ist eine leere Sage.“ Ich
danke dem Herrn Redakteur dieses Abschnittes von Herzen für
seine gute Meinung, nach der mir die Laute eines Stieglitzes
fremd blieben, trotzdem ich im Laufe der Zeit mindestens fünfzig
dieser Vögel Monate und Jahre hindurch verpflegte.
Fringilla chloris, des Kernbeissers entfernter Vetter, weist
eigentlich grössere, geschlechtliche Unterschiede auf, als man
nach dem wenig intelligenten Äussern des Vogels erwarten sollte.
Allerdings lässt die lang ausgedehnte Brut- und Brunstperiode
dieser Species die Unterschiede wohl grösser erscheinen, als sie
!) Naumann Neue Ausgabe III. p. 364.
Unterschiede nach Geschlecht und Alter. 209
unter neutralen Verhältnissen sein würden, doch wird nur ein
ungeübter Beobachter sie völlig leugnen können.
Da wir von den Jungen des Zeisigs schon oben gesprochen,
ist von denen der übrigen Finkenvögel nicht mehr viel zu sagen.
Nur bei Fr. carduelis unterscheiden sich die Jungen recht auf-
fällig von den erwachsenen Männchen, da sie im ersten Sommer
noch lange nicht die klirrenden, straffen Ritter sind, wie zur
Zeit der Geschlechtsreife, sondern uns als echte Kinder weicher
und matter anmuten. Bei Fr. coelebs, montifringilla (sehr selten
zugänglich) und cannabına wird man in dieser Hinsicht nicht
viel Entdeckungen machen, bei Fringilla serinus scheinen die
Dinge ähnlich zu liegen wie bei Fringilla carduelis, doch da ich
nur drei oder vier junge Vögel besessen, möchte ich hier mit
einem abschliessenden Urteil noch zurückhalten.
Überraschend gering sind die gemütlichen Unterschiede der
Geschlechter bei Coccothraustes vulgaris, Pyrrhula europaea und
den Loxiae. In der ersten Zeit meiner Praxis habe ich wieder-
holt weibliche Kernbeisser längere Zeit für männliche angesehen,
weil sie in ihrem Wesen so garnichts hatten, was sie von männ-
lichen unterschieden hätte. Dompfaffen-Pfleger und -Lehrer von
Beruf werden wahrscheinlich auch bei dieser Art von geschlecht-
lichen Unterschieden des geistigen Lebens zu berichten wissen,
wer jedoch diese Species neben andern Arten pflegt, wird bald
zu der Überzeugung gelangen, dass dieser Unterschied ungemein
geringfügig ist.
Bei manchen Emberizidae, ich kenne dieVerhältnisse praktisch
nur bei cifrinella, schoeniclus und miliaria, sind die Unterschiede
zwischen Mann und Weib, Jung und Alt recht beträchtlich. Die
jungen E_ citrinella erschienen mir stets viel weicher, schmieg-
samer, elastischer als die Alten, sodass mancher Jungvogel mich
im Herbst fast an die weiche Elastizität der Pieper erinnerte.
Über die bez. Verhältnisse bei Alauda und Anthus vermag
ich keinen Aufschluss zu geben, mir fehlt hier wie bei andern
guten Sängern das Material. In altem Irrtum befangen, hielt
ich nur männliche Exemplare in der Gefangenschaft und lernte
dadurch nur sie genauer kennen, ein Verfahren, bei dem die
Wissenschaft von der Art natürlich gering und lückenhaft bleiben
muss. Verirrte sich aber wirklich einmal, wie bei Lusciola rube-
cula, manchen Piepern und Lerchen, ein Weibchen in meine Hände,
so war es eben nur eins, nur ein Individuum, von dem rück-
210 Fr. Braun: Unterschiede nach Geschlecht u. Alter. Ernst Hartert:
sichtslos auf die Art zu schliessen ein sehr vermessenes Unter-
nehmen ist. Deshalb muss ich mich begnügen, Versprechen für
künftig zumachen, unsichere Wechsel im Menschenleben. Vielleicht
wenden auch andere diesen Fragen ihre Aufmerksamkeit zu,
interessant sind sie genug, echte Fragen des Lebens an das Leben.
Über die Bedeutung der Kleinsehmidt’schen Formenkreise.
Von Ernst Hartert.
In einem Vortrage in Berlin, im Oktober 1899, der unter
der Überschrift „Arten oder Formenkreise‘“ im Journal für
Ornithologie 1900 pp. 134—349 abgedruckt ist, macht Freund
Kleinschmidt den Vorschlag, wir sollten uns „frei machen von
den Vorurteilen des Artbegriffes“ und anstatt von „Arten“
und „Unterarten“ in Zukunft von „Formenkreisen“ sprechen.
Wenn wir den Verfasser recht verstehen, so will er alle einander
geographisch vertretenden Formen in einen Formenkreis ver-
einigen, gleichviel, ob man sie sonst verschiedenen Unterarten,
Arten oder gar Gattungen zuteilte. Für die Formenkreise will
er neue Namen einführen, die aber aus schon bestehenden
Gattungs- oder Artnamen gebildet sein sollen, sodass sie letzteren
zum Verwechseln ähnlich sehen. Von den Artnamen unterscheiden
sich diese neuen Namen (und sind nach des Verfassers Ansicht
„als neue Namen gekennzeichnet‘) durch den grossen Anfangs-
buchstaben. „Der Systematiker braucht nicht mehr seine beste Zeit
damit zu vergeuden, dass er einem alten Speciesnamen nachspürt.“
Gewiss wird Niemand, der das ernste wissenschaftliche
Streben Kleinschmidt’s und seine ornithologischen Leistungen
kennt, diese Vorschläge als „jugendliche Reformbestrebungen be-
lächeln,“ wie er zu befürchten scheint, auch wird ihm Niemand
„den Vorwurf machen, er wolle Neuerungen einführen“, denn
die Einführung einer nützlichen Neuerung verdient keinen Vor-
wurf, sondern Lob. Es genügt auch nicht, einfach zu äussern,
dass man nicht mit dem Autor dieser Ideen einverstanden ist,
und seine Auseinandersetzungeu verdienen mehr, als eine kurze
„Abfertigung“ in Form eines Referates, wie sie ihnen in den
Orn. Monatsber. 1900 p. 108 zu Teil geworden ist, aber man
darf und muss doch als Ornithologe solche Gedanken prüfen, schon
um sich selbst darüber klar zu werden, ob man ihnen folgen soll
Über die Bedeutung der Kleiuschmidt’schen Formenkreise. 211
oder nicht, und man darf und soll auch seine Ansicht darüber
äussern, selbst wenn sie nicht ganz mit der des Verfassers über-
einstimmt.
Zunächst fragen wir uns unwilikürlich, warum wir den Art-
begriff aufgeben sollen? Von einem solchen Aufgeben kann nur
dann die Rede sein, wenn dieser Begriff nicht in der Natur be-
steht. Thatsächlich aber besteht die Art nicht als „Begriff,“
sondern als unumstössliche Thatsache in der Natur bei allen
höheren Tierklassen, Insekten und anderen. Die von Kleinschmidt
angeführte Thatsache des Bestehens von einander „zum Ver-
wechseln nahestehenden“ und in denselben Ländern lebenden
Formen, wie Galerida cristata mit ihren Subspecies und Galerida
theklae mit ihren Subspecies, oder wie Parus palustris und sali-
carius, Acrocephalus streperus und palustris u. a. m. beweist, wie
tief eingewurzelt die Artunterschiede heute sind, und dass eine
grosse Kluft diese Formen trennt, die daher durchaus verschie-
dener Natur sind und so behandelt werden müssen. Diese in
der Jetztzeit bestehenden Arten bilden in zahlreichen geogra-
phischen Gebieten mehr oder minder verschiedene Formen, die
meistens selbst der Unkundige leicht als zur selben Art gehörig,
auch wenn leicht unterscheidbar, erkennt. Solche geographische
Variationen hat man recht passend als Unterarten bezeichnet, und
als eine Ergänzung der binären Nomenklatur mit
trinären Namen belegt. Dies überaus praktische System hat bis-
her nicht nur den meisten Ornithologen genügt, sondern auch zu
einer,bedeutenden Vertiefung und Neubelebung des systematischen
zoologischen, zumal ornithologischen Studiums geführt. Schwierig
ist es allerdings in gewissen Fällen, zumal bei unserm heutigen,
‘einseitigen Balgstudium, das die Grundlage der Ornithologie bildet,
obwohl es uns nur die getrocknete, äussere Hülle der Objekte
vorführt, zu entscheiden, ob ein mutmasslicher geographischer
Vertreter!) als Unterart einer verwandten Form oder als getrennte
Art zu behandeln ist. Das zu entscheiden, ist oft schwer für
uns und wir müssen oft durch anatomische, biologische, nido-
logische und andere Studien unterstützt werden, um solche Frage
zu lösen. Auch dann wird es gelegentlich vorläufig noch dem
Ermessen Einzelner überlassen bleiben, ob eine Form als Art
1) Wenn nicht sehr umfangreiche Sammlungen vorliegen, ist es
nicht immer leicht, zu wissen, ob gewisse Formen wirklich geographische
Vertreter sind oder auch zusammen vorkommen.
212 Ernst Hartert:
oder Unterart betrachtet wir. Es mag dies aber zum Teil
daran liegen, dass in einigen Fällen die Unterschiede zwischen
Art und Unterart, wie wir es nennen, thatsächlich nicht scharf
in der Natur entwickelt sind. Kleinschmidt’s Vorschläge würden
einen Fortschritt in der Forschung bedeuten, wenn sie solche
Zweifel beseitigen könnten. Sie thun dies aber keineswegs,
sondern stürzen uns in eine Masse von Netzen von Formen, die
deshalb zusammengeflochten sind, weil sie einander geographisch
vertreten. Dies wenigstens muss man aus Kleinschmidt’s Artikel
verstehen. Die Betrachtung geographischer Vertreter lediglich
vom Verbreitungsstandpunkte aus aber ist nicht neu, nur nannte
man sie früher „vikariierende Formen,‘ ohne damit von vornherein
auszusprechen, ob es Arten oder Unterarten seien. Eine solche
Betrachtung ist augenscheinlich die „Formenkreistheorie,“ nur
dass statt des Ausdrucks „vikariierende Formen“ der hierzu gar-
nicht verwendbare Name der „Formenkreise“ benutzt wurde.
Ich sage „nicht verwendbar,“ weil die Bezeichnung „Formen-
kreis“ eine alte ist, aber meist für irgend eine Formengruppe
von grösserem oder kleinerem Unfange angewandt wurde, ohne
etwas Bestimmtes zu bezeichnen. Sie wurde ebensowohl für alle
Wirbeltiere, als auch beispielsweise nur etwa für die dunkel-
köpfigen Unterarten der gelben Bachstelzen, im Gegensatz zu den
hellköpfigen, verwandt. In solcher unbestimmten Weise wurde
der Ausdruck im allgemeinen gebraucht, und auch ich wandte
ihn oft an (vergl. Journ. f. Orn. 1900 p. 130). In ganz ähnlicher
Weise wie Kleinschmidt haben ihn jedoch viele Botaniker und
Molluskenforscher, wie Böttger, Kobelt, Ad. Schmidt u. a. gebraucht.
Die Bezeichnung kann nun aber nicht mit einer ganz beschränkten
Bedeutung auf einen neuen Begriff übertragen werden. Aber
auch der ganze Begriff der Kleinschmidt’schen Formenkreise (im
Sinne des Erfinders) ist — abgesehen von der unstatthaften
Benennung — in der Natur nicht immer nachweisbar; denn die
geographische Vertretung kann nur in gewissen Fällen, nicht
aber durch das gesamte Tier- und Pflanzenreich hin für die
Verwandtschaft der Formen ausschlaggebend sein. Die geogra-
phischen Vertreter werden sich mit den Subspecies decken und
somit einem weitergefassten Artbegriff entsprechen, oder ihr
Zusammenfassen ist nicht statthaft. Ebensowohl wie die
Unterarten einer Art sich geographisch vertreten, können sich
auch grundverschiedene Arten, ja selbst gute, tiefbegründete
VE
Über die Bedeutung der Kleinschmidt’schen Formenkreise. 213
sogenannte Gattungen und sogar Familien und Ordnungen geo-
graphisch vertreten. Greifen wir nochmals zurück auf das Bei-
spiel der beiden Haubenlerchenarten, Galerida theklae und cristata.
Wir wissen jetzt, dass diese einander nicht vertreten, sondern
„gute Arten“ sind. Es besteht also zwischen ihnen ein bedeutend
grösserer Unterschied, als zwischen den Unterarten von @. theklae
und zwischen denen von @. ceristata, denn sonst könnten sie sich
nicht getrennt erhalten, während alle die Unterarten infolge
ihrer verschiedenen Verbreitung getrennt bleiben und, wie wir
kühnlich annehmen dürfen, sich zum Teil vermischen und inein-
ander übergehen würden, wenn sie alle zusammen vorkommen
und die örtlichen Einwirkungen aufhören könnten, während @.
theklae und G. cristata trotz gleicher Lokalität und Verbreitung
getrennt bleiben. Wie nun, wenn (wie ich das früher glaubte)
G. theklae und @. cristata einander geographisch vertreten
würden? Wir würden sie dann vermutlich als Unterarten an-
sehen, während sie doch, trotz grösster Ähnlichkeit, ganz ge-
trennten Formenkreisen angehören.
Die nach unsern augenblicklichen Ientnissen entschieden
richtigere Auffassung von der Verwandtschaft der Haubenlerchen-
formen konnte nur durch ein eingehendes Studium der Merkmale
und Verbreitung dieser Formen erlangt werden. Durch das
Kleinschmidtsche Formenkreisschema würde in diesem Falle
unsere Auffassung in keiner Weise geändert, also auch nicht ver-
bessert werden, es könnte aber leicht dazu führen, Formen, die
durch weite Klüfte getrennt sind, mit solchen, die einander ausser-
ordentlich nahe stehen und nicht scharf zu determinieren sind,
in der gleichen Weise zubehandeln, gerade wie das die schranken-
lose Artmacherei früher that und oft noch heute thut. Dem
entgegen trägt die moderne Zusammenfassung von Unterarten
in eine Formengruppe, die wir von jeher Art nannten und so
weiter nennen werden, viel dazu bei, einen Begriff davon zu
geben, ob die Formen näher verwandt oder weiter getrennt sind,
auch wenn die Methode noch unvollkommen ist und in vielen
Fällen noch ungenau und unrichtig vorgegangen wird.
Es ist von übereifrigen und systematisch oberflächlichen
Darwinisten oft behauptet worden, dass es in der Natur weder
Gattungen noch Arten, sondern nur Individuen gäbe. Ein grösserer
Irrtum ist nie ausgesprochen worden. Freilich sind die Gattun-
gen nur von den Zoologen gemacht und die Natur kennt den
214 Ernst Hartert:
Begriff der Gattung nicht, wie jeder leicht nachweisen kann, aber
wir bedürfen der Gattungen, um in der Masse der Formen durch-
zufinden, wir müssen gruppieren und benennen, um den Apparat
zu handhaben, um einander zu verstehen! Vollkommen
recht hat Kleinschmidt, wenn er eine Verminderung der Gattungs-
namen für nötig hält, denn leider gehen viele von uns Ornitho-
logen in der Gattungszersplitterung zu weit, und zwar (meines
Erachtens) deshalb, weil wir oft vergessen, dass die Gattungen
nur zur Erleichterung des Studiums gemacht werden. Es ist
aber die Berechtigung von Kleinschmidt’s Forderung schon viel-
fach anerkannt. Schon 1857 schrieb Hartlaub, der hochbetagte
Veteran der afrikanischen Ornithologie: „Die schrankenlose Ver-
vielfältigung der genera, ein wuchernder Parasit auf dem Blüten
und Früchte zugleich tragendem Baume der modernen Ornitho-
logie, läuft meinen Ansichten schnurstracks zuwider.“ Dieser
vortreffliche Ausspruch hat zwar nicht die nötige Beachtung ge-
funden, aber gerade jetzt wieder sind manche Genossen bestrebt,
der „schrankenlosen Vervielfältigung der Gattungen“ entgegenzu-
arbeiten — indessen ist das nicht so leicht und erfordert sehr
eingehende Studien (vergl. u. a. J. f£ O. 1900 pp. 355, 356).
Das richtige Mass, d. h. das, was für das Studium am vorteil-
haftesten ist und zugleich den natürlichen Verhältnissen der
Tiere am meisten entspricht, zu finden, ist sehr schwer, wie sich
Jeder überzeugen wird, der einmal eine ganze Familie kritisch
durcharbeitet!
Ganz anders ist es mit den Arten in der Natur. Das
jetzige Bestehen derselben wegzuleugnen, ist ein fruchtloses
Beginnen. Der ganze Zustand der heutigen Tierwelt bedingt das
Bestehen getrennter Arten — ohne diese Thatsache wäre die
Tierwelt der Jetztzeit eine Unmöglichkeit — wie die der ein-
zelnen Arten entstanden ist, ist eine ganz andere Frage, und es
ändert nichts an der bestehenden Thatsache des Status der Arten,
wann und wie sie aus gemeinsamen Vorfahren oder gar ausein-
ander entstanden sind. Ich behaupte daher, dass die heutige
Nomenklatur den bestehenden Verhältnissen Rechnung trägt.
Kleinschmidt sagt, es sei in ihrem „Artensystem“ kein
Raum für die feinsten Unterschiede, und „die Subspecies wachsen
ins Unendliche“ Er hat ja völlig Recht, dass die Zahl der
Subspecies immer wächst, aber sein neues System ändert daran
garnichts! Bei ihm würden eben die „Formen“ seiner „Formen-
Über die Bedeutung der Kleinschmidt’schen Formenkreise. 215
kreise ins Unendliche wachsen, was ja doch ganz dasselbe wäre!
Einen Vorteil bringt also sein System auch hier nicht. Ich
kann auch absolut keine Vereinfachung, sondern nur eine schwere
Neubelastung der Nomenklatur in seiner Theorie erblicken. Die
Verminderung der Genera kann man ganz ebensogut mit der
alten Nomenklatur als mit seiner neuen herbeiführen. Der Autor
erklärt die neuen Formenkreisnamen für nötig aus folgenden
Gründen: |
I. Der Speciesbegriff sei zu eng. — Darauf antworte ich, dass
wir ihn weiter fassen können und als Ergänzung die Unterarten ein-
geführt haben. Kleinschmidt fügt hinzu ‚denn der Begriff Formen-
kreis geht weit über den Begriff Species hinaus‘‘,woraufich entgegne,
dass er dann etwas künstliches ist, (wie die Gattung!) und daher
nicht die „natürliche‘‘ Art ersetzen kann und darf.
II. Subgenus und Formenkreis sei nicht gleichzusetzen,
„denn oft gehörten Tiere, die sich zum Verwechseln nahe stehen,
verschiedenen Formenkreisen an.‘ — Ich entgegne, dass dieser
Thatsache durch die Trennung der Art und Unterart mit bi- und
trinärer Nomenklatur in gleichem Masse Rechnung getragen wird.
Ill. Wir brauchten feststehende Bezeichnungen, denn die
Nomenklatur schwankte oft wegen ungenügender Arbeit der
alten Autoren. — Hierauf ist zu entgegnen, dass man durch
sorgfältiges Arbeiten allmählich eine feststehende Nomenklatur zu
schaffen bemüht ist, und dass das Uebel einzelner schwankender
Namen doch unendlich viel kleiner ist, als die Einführung zahl-
loser neuer Namen, die — was noch schlimmer ist! — den alten
so zum Verwechseln ähnlich sehen, dass der klarste Kopf aus
dem Chaos nicht mehr würde herausfinden können. Wer kann
aus tausenden von Namen wie Alauda cristata, Alauda galerita
und Galerita eristata das rechte herausfinden, wer kann zwischen
zahllosen Namen wie Alauda Thekla und tiheklae unterscheiden,
wer den Unterschied der Art Alauda arvensis und des Formen-
kreises Alauda Arvensis erkennen, wenn er nicht die Schrift
vor sich hat, und das grosse A bemerkt? Wie kann solch eine
Schreibweise allgemeine Anerkennung finden, da sich die allge-
meine Kleinschreibung der Artnamen noch nicht einmal durch-
gehend eingebürgert hat?
Ich kann also, trotz langen Erwägens ohne Vorurteil gegen
die neue Theorie, zu keinem andern Resultate kommen als dem,
dass die von Kleinschmidt an genanntem Orte vorgeschlagene
216 Ernst Hartert:
„Formenkreistheorie“ keinerlei Vorteil vor der Subspeciesein-
teilung hat, in ihrer Nomenklatur verfehlt ist und den natürlichen
Verhältnissen keineswegs besser Rechnung trägt als unsere
immer allgemeiner werdende Einteilung in Species und Sub-
species. Die letztere ist vielmehr berufen „auch dem Forscher,
der nicht unser Steckenpferd reitet, verständlich zu sein, und
ihm kurz und klar die Resultate unserer Arbeit an die Hand
zu geben.‘
Trotz dieser Überzeugung glaube ich, dass die Klein-
schmidt’sche Theorie einer thatsächlichen von ihm klar erkannten
Notwendigkeit entsprungen ist, die nur noch von wenigen Orni-
thologen in ihrer ganzen Bedeutung erfasst wird, nämlich der
Erkenntnis, dass der Artbegriff noch immer zu altväterlich pe-
dantisch, und zu eng gefasst wird, oder mit andern Worten,
dass in fast zahllosen Fällen eine Menge der sogenannten Arten
als Unterarten zu einer Art, oder sagen wir zu einem Formen-
kreise, vereinigt werden müssen. Dieser Gedanke ist allerdings
schon uralt. Aus ihm entsprang die Polemik eines Gloger und
J. H. Blasius gegen die Brehm’schen Subspecies, die freilich
nicht das waren, was wir heute so nennen. Aus ihm entspraug
Vieles in Radde’s Ornis Caucasica, das von andern Ornithologen
nicht angenommen wird, aus ihm die zusammenfassende Behand-
lung so vieler Formen in Gadow’s vielgetadelten Bänden im
„Catalogue of Birds“. Alle diese Männer gingen von ganz ver-
nünftigen und richtigen Grundideen aus, aber die meisten von
ihnen sahen nicht ein, dass die Wissenschaft fordert, dass man
auch beachtet und unterscheidet, was nicht artlich getrennt
werden kann. Es war immer die alte unselige Frage, ob Art
oder nicht! Das Wort, dass man eine Form nicht anerkennen
dürfe, weil sie mit einer andern durch „Uebergänge verbunden“
sei, oder weil „die Unterschiede zu gering“ seien, ist tausendfach
ausgesprochen worden. Heute ist das anders! Wir unterscheiden
eben — und Kleinschmidt ist gerade darin mutig vorwärts ge-
gangen — die subtilen geographischen Formen, auch wenn es
Individuen giebt, die sich nicht sicher mit unsern subspecifischen
Namen titulieren lassen, auch ohne dass wir sie „Species‘ nennen,
als „Subspecies“. Es ist also unsere heutige Auffassung nicht
die der alten ornithologischen Kämpfer beider Heere, und unsere
Debatten unterscheiden sich wesentlich von denen vor 50 Jahren,
obwohl bei der Jubelfeier der D. O. G. in Leipzig gesagt wurde,
Über die Bedeutung der Kleinschmidt’schen Formenkreise. 217
dass sie sich um denselben Kernpunkt drehten. Unsere Auffas-
sung ist aber auch nicht die des alten Brehm, denn er rechnete
weder mit der indivuellen Variation, noch mit der geographischen
Verbreitung. So kam es, dass er selbst in den Fällen, wo er
mit seinem unglaublich geübten, scharfen Blicke Formen erkannte,
die wir heute allgemein wieder anerkennen, oft falsch bestimmte,
indem er mit seinen guten neuen Formen ähnliche Individuen
vereinigte, sodass solch wunderbare Verbreitungen wie „Nubien
und Renthendorf‘“ entstanden.
Was wir nun wollen, und in diesem Kernpunkte stimmen
Kleinschmidt und ich sicherlich überein wie kaum zwei andere
Ornithologen, ist: vereinigen und trennen zu gleicher
Zeit, beidesmehralsvorher: vereinigen nämlich zu Species,
trennen in Subspecies. In wie weitgehender Weise das geschehen
kann, kommt auf den einzelnen Fall an. Um dies zu thun aber,
brauchen wir wohl nicht das „Formenkreisschema,“ auch nicht
als ein Uebergangsstadium, einzuführen. Ich hoffe bald an ver-
schiedenen Beispielen zeigen zu können, und habe schon der-
‚gleichen Versuche des öfteren gemacht und veröffentlicht, dass dazu
unsere trinäre Nomenklatur sehr geeignet ist. Dies aber ist es,
was mit Kleinschmidt „hundert andre gleichzeitig fühlen.“ Ich
bin überzeugt, dass Kleinschmidt’s Anregung trotz seines meiner
Meinung nach verfehlten Vorschlages die Augen Vieler öffnen
wird und einen heilsamen Einfluss auf die Arbeiten Mancher
haben wird, also keineswegs verdienstlos ist.
Da ich einmal bei Besprechung jener Arbeit bin, möchte
ich noch einige mehr nebensächliche darin erwähnte Punkte be-
sprechen.
Der Verfasser sagt, die Ornithologie brauchte dann nicht
mehr alten Speciesnamen nachzuspüren. Es leuchtet mir nicht
ein, wieso das durch sein Schema berührt und überflüssig ge-
macht wird, es sei denn, dass er die neuen Namen willkürlich
bilden will. Er schlägt auch vor, den „alten Zopf“ des jeweiligen
Einklammerns und Nichteinklammerns des Autornamens zu be-
seitigen und einfach alle Autornamen einzuklammern. Es ist
darauf zu entgegnen, dass es dann doch besser wäre, den Autor
garnicht einzuklammern, wie es Viele thun, da doch immer eine
Klammer eine Belastung ist, die ohne Grund nie da sein sollte.
Es ist aber nicht schwer, seit der „Catalogue of Birds“ und die
neue „Handlist“ und ähnliche Werke, sowie Verzeichnisse, an
Journ. f£, Orn. XLIX, Jahrg. Januar 1901. 15
218 Ernst Hartert:
die man sich halten kann, fast allen Ländern vorliegen,
bei Monographien und dergl. den „alten Zopf‘ beizubehalten,
der doch auch viel Bequemes an sich hat, während es ja jedem
Schriftsteller bei andern Arbeiten unbenommen bleibt, die
Klammern, oder noch besser den Autor überhaupt, fort-
zulassen. Es wäre, nach K. Jordans Vorschlag im allgemeinen
überhaupt nutzbringender, namentlich seit Bestehen der Jah-
resberichte, das Jahr der ersten Publication statt des Autors
zuzufügen, um sofort die betreffende Bücherstelle zu finden. !)
Herr Kleinschmidt erwähnt auch die von Palaeontologen kon-
struierten „Formenreihen“ von Molluskenschalen. Solche lassen
sich allerdings mit der grössten Wahrscheinlichkeit phylogenetischer
Richtigkeit aufstellen, was dagegen von den „Formenketten“
lebender Formen der Herren Sarasin nicht gesagt werden kann.
Während bei den Fossilen aus den sie bergenden Schichten ihr
Alter und ihre Reihenfolge hervorgeht, kennen wir den wahren
Zusammenhang der heutigen Formen nicht, und gerade die
Steinheimer Planorben zeigen, dass die nach der äusseren Ge-
stalt gebildeten Reihen nicht immer phylogenetisch sind, da die
ältesten und neuesten Schichten einander sehr ähnliche Formen
bergen, während der Kulminationspunkt in der Mitte liegt.?)
Was die Kawraiskysche Klassification der Lachse betrifft,
so scheinen mir diese Entdeckungen nicht so sehr wunderbares
zu enthalten, denn wir wissen, wie sehr die Lachs- und Forellen-
arten zur Bildung lokaler Formen hinneigen, sodass sogar die
verschiedenen Lochs und Seen in Schottland verschiedene Formen
beherbergen, die nur die alte starre Artsystematik für mehr als
Subspecies ansehen kann, und die Kawraiskyschen Entdeckungen
können keinem „trennenden und splitternden Systematiker“ un-
angenehm sein, da sie sich treffllich in das Subspecies-Schema
einfügen, ohne dass wir zu ihrem Verständnisse einer neuen
Systematik bedürfen.
Nachschrift.
Obiger Artikel wurde im Spätherbst 1900 geschrieben.
Seitdem ist nun Herr Kleinschmidt’s hochinteressanter und wert-
1) S. Ann. Mus. Civ. Genova XXXVIII p. 624.
2) Vergl. Sitzungsber. Ges. Nat. Freunde Berlin 1899 p. 206.
Über die Bedeutung der Kleinschmidt’schen Formenkreise. 219
voller Artikel: „Der Formenkreis Falco Hierofalco und die
Stellung des ungarischen Würgfalken in demselben“ in der
„Aquila“ erschienen, der zum ersten Male die l’ormenkreistheorie
des Verfassers praktisch anwendet. Ich nenne die Arbeit nicht
etwa aus schriftstellerischer Höflichkeit hochinteressant und
wertvoll, sondern mit vollster Ueberzeugung, denn sie that das,
woran man sich in der Ornithologie (und vielleicht noch mehr
beim systematischen Studium anderer Tierklassen als der Vögel)
bisher nur selten und schüchtern oder ungeschickt gewagt hat:
nämlich sie wendet die seit Darwin in der Theorie Allgemein-
gut gewordene Entwicklungslehre auf das praktische System an.
Dass ich in dieser Nutzanwendung völlig mit dem Autor über-
einstimme, zeigen meine eben erscheinenden Arbeiten (meist ge-
meinsam mit Dr. Rothschild, teils mit Herrn Kleinschmidt ver-
fasst,) in den Novitates Zoologicae.
Allein ich kann nur wiederholen, was ich oben auseinander-
gesetzt habe: Die neue Form der Nomenklatur kann ich nicht
billigen. Nicht etwa, weil ich Neuerungen abhold bin — im
‚Gegenteil begrüsse ich jede Neuerung mit eifrigster Freude,
sofern sie einen Fortschritt bedeutet, denn die Wissenschaft muss
fortschreiten, wenn sie nicht zurückgehen soll. Stillstand be-
deuted Rückschritt. Indessen sehe ich nur neue Beunruhigung
in diesem System, neue nomenklatorische Kämpfe ohne Not, eine
unnötige Ueberbürdung der Namen. Wenn es, wie Kleinschmidt
sagt, derselbe Falk ist, der hoch im Norden im weissen Schnee-
gefieder der eisigen Kälte trotzt, kleiner und dunkler in Farbe
in Skandinaviens Gebirgen haust, im braunen Kleide die russischen
Steppen durcheilt, lebhaftere Farben an den Küsten der blauen
Adria trägt, blass und zart im Gefieder den Saum der Sahara
bewohnt, bunter die südafrikanischen Gefilde, und wiederum
brauner von den Minarets der Taj Mahal berabschaut, wo er
als Falco juggur bekannt ist, so ist kein Grund vorhanden, warum
wir nicht eingestehen sollen, dass alle diese Falken, ungeachtet
der „specifischen“ Namen die sie erhalten haben, als Unterarten
zu einer Art zu rechnen sind. Wir brauchen nur kühn vorzu-
gehen und den von den Systematikern pedantisch eng gefassten
und verhunzten Artbegriff naturgemässer, umfassender, im Lichte
der Wahrheit der Entwicklungslehre zu betrachten. Mit der
Einführung eines neuen Begriffes, dem des „Formenkreises“
(siehe oben), und einer Unzahl neuer, grossgeschriebener, aus
15*
320 F. Henriei:
brachliegenden Bezeichnungen ausgewählter Namen für solche
Formenkreise wird unsre Erkenntnis nur verdunkelt, unsre
Kühnheit bemäntelt! Wenn wir den ältesten sicheren Namen
einer dieser Falkenformen feststellen und ihn für den „Formen-
kreis“, d. h. die Art im naturgemässeren, weiteren Sinne an-
wenden, alle andern Subspecies in trinärer Nomenklatur damit
vereinen, so vereinfachen wir den Namenapparat und erreichen
wissenschaftlich ganz dasselbe. Auch bei Kleinschmidt’s Methode
kommen wir dahin, etwa zwei Drittel aller Vögel trinär zu be-
nennen, wie es sich gehört. Die binäre Nomenklatur verschwindet
nicht, aber sie wird ergänzt durch die trinäre, und jeder ein-
sichtige Forscher wird bald zugeben müssen, dass die Zahl der
lokalen trinär zu benennenden Unterarten grösser sein muss als
die der starren, nur binär zu benennenden einzelnen Arten.
Was verstehen wir unter logischer Naturbeschreibung?
Von Dr. F. Henrici.
(Vergl. dazu Fritz Braun, die deutschen Meisen, ein Versuch
logischer Naturbeschreibung. Orn. Monatsberichte 1900 S. 129 ff.)
Der Verfasser des angeführten Artikels geht mit der or-
nithologischen Wissenschaft, so wie sie bis dato betrieben ist,
scharf ins Gericht. Die bisherige Naturbeschreibung genügt ihm
nicht, er verlangt nach einer Naturerklärung. In den bio-
logischen Kapiteln von Brehms Tierleben (dieses ist doch wohl
zweifellos gemeint!) findet er nur „Worte, aber keine Spur einer
klaren durchsichtigen Gedankenarbeit eines logisch geschulten
Verstandes.“ Wie Färbung und Fortpflanzung, Lebensweise,
Verbreitung und Kopfzahl einer bestimmten Vogelart von
einander abhängen, — „die Kausalität des tierischen Lebens,“
— das vermisst Braun bei allen Schriftstellern. Er meint,
Männer wie Altum hätten sich dem zwar genähert, aber dies
Ziel zu erreichen, sei auch ihnen nicht vergönnt gewesen.
Braun macht darauf einen Versuch — wie er sagt, — in
welcher Weise er die von ihm gerügten Mängel zu beseitigen
gedenkt, und zeigt an einem praktischen Beispiel, den deutschen
Meisen, wie der ornithologische Schriftsteller Leben und Weben
einer Vogelgruppe darstellen soll.
Was verstehen wir unter logischer Naturbeschreibung? 221
Wenngleich Braun seine Arbeit nur für einen Versuch aus-
giebt und Irrtümer für nicht ausgeschlossen hält, so gewinnt
man nach den von ihm gemachten einleitenden Bemerkungen
doch die Ansicht, dass er das hohe Ziel, welches die Ornithologie
erstreben muss, und welches — nach Brauns Ansicht — Männer
wie Brehm und Andere garnicht erkannt haben, welches ferner
ein Altum, der sich demselben beträchtlich genähert, auch noch
nicht erlangt hat, — nunmehr erkannt und erreicht oder doch
nahezu erreicht zu haben vermeint.
Ich meine aber, eine solche Auffassung von der Lage der
Dinge dem Leser suggerieren zu wollen, ist ebenso anspruchs-
voll wie auch als misslungen zu betrachten.
Die Ornithologie ist seit jeher durchaus nicht — wie Braun
meint — immer dieselbe geblieben. Abgesehen davon, — in
diesem Punkte sind wir einer Meinung — dass die Wissenschaft
stets fortgeschritten ist, und besonders in neuerer Zeit sehr viele
Beobachtungen in unserer Vogelwelt gesammelt sind, so dass wir
vom Thun und Treiben unserer deutschen Vogelarten schon
meist ein ziemlich klares Bild haben, unterscheidet sich die
neuere Naturbeschreibung insofern wesentlich von der älteren,
dass man nicht alles irgendwie Mitgeteilte und irgendwo in
Erfahrung Gebrachte leichthin kombiniert, sondern nur eigene
Beobachtungen und solche anderer einwandsfreier Personen und
die daraus als unzweifelhaft ergebenden Folgerungen in einem
Werke zusammenstellt. Zu grosse Irrtümer und fälschlich ge-
zogene Schlüsse haben diese Vorsicht erheischt. Im Allgemeinen
lässt sich daher wohl der Satz aufstellen, dass, je älter ein
naturwissenschaftliches Werk ist, es um so mehr Irrtümer ent-
hält. Diese gründen sich, wie schon angedeutet, teilweise auf
leichtfertig mitgeteilte Beobachtungen von Leuten, denen es mehr
darauf ankam, Aufsehen zu erregen als die einfache, dem Sen-
sationsbedürfnis oft nicht Rechnung tragende Wahrheit zu sagen,
teilweise aber auf eigene Reflexionen, die nun infolge des ersten
Umstandes um so irriger ausfallen mussten und deshalb nahezu,
wenn nicht völlig, wertlos waren. Allerlei Legenden und Mythen
fanden Platz, und daran knüpft der Verfasser wieder seine Be-
trachtungen und sucht nach Erklärungen für die mitgeteilten
Vorgänge, dabei seiner Phantasie den weitesten Spielraum lassend.
Ein Blick in irgend ein altes naturwissenschaftliches Werk wird
jeden hiervon überzeugen.
222 F. Henriei:
Deshalb ist die neuere Zeit nicht nur hoch zu schätzen, weil es
dem unermüdlichen Fleisse und Forschungstriebe von Männern
wie Brehm, Naumann, Altum u. A. und noch vieler unter den
Lebenden weilenden gelungen ist, mannigfache ungeheuer wichtige
Beobachtungen in der Natur zu machen, die uns allerdings
vieles vom Leben und Weben der Vögel erklären, sondern
besonders auch deshalb, weil man immer kritischer zu Werke
geht und immer mehr dahin gelangt, nur die wirklichen,
authentisch feststehenden Beobachtungen mitzuteilen,
die allerdings dann, wenn sie in gehörigem Masse gemacht sind,
Schlussfolgerungen zulassen, weil sie eben durch die gemachten
Beobachtungen bewiesen werden.!)
So allein können wir m. E. allmählich zu der Erkenntnis
der Natur gelangen und Aufklärung über ihre oft geheimnis-
vollen Vorgänge erhalten. Ob es der Mensch aber jemals dahin
bringen wird, für Alles, was uns in der Natur entgegentritt,
auch die richtige Erklärung zu finden, — das wage ich nicht
zu entscheiden, jedenfalls ist die heutige Zeit noch lange nicht
so weit, über alles, was sie erlebt, eine richtige Erklärung
abzugeben.
Wir sollten uns daher, wie gesagt, freuen, dass man in den
modernen ornithologischen Lehrbüchern immer mehr nur einer
Beschreibung der nachgewiesenen Natarvorgänge huldigt und sich,
wenn sie sich nicht aus denselben zweifellos ergeben, aller
Erklärungen enthält, die nur allzu leicht dahin neigen, mehr die
Früchte einer reichen Phantasie zu sein als dass sie der Wirklich-
keit entsprechen. Zum mindesten aber muss verlangt werden, dass
man solche sog. Erklärungen, die auf reinen Hypothesen beruhen,
als Vermutungen kennzeichnet, sie aber nicht auf gleiche Stufe
stellt mit unzweifelhaften, allseitig anerkannten Thatsachen.
Denn anderenfalls kann ein solcher — selbstverständlich optima
fide — falsch gezogener Schluss, der sich ja nun in nichts mehr
von den wirklichen Thatsachen unterscheidet, wieder weitere
Trugschlüsse zeitigen, sodass das Übel immer grösser wird, und
die logische Naturbeschreibung — im Sinne Brauns — wird
der Ursprung einer Reihe unrichtig erklärter Vorgänge.
2) Ein hervorragendes Beispiel hierfür aus neuester Zeit bildet das
Werk Dr. E. Rey’s, Die Eier der Vögel Mitteleuropas.
- Was verstehen wir unter logischer Naturbeschreibung? 223
Dahin würden wir aber kommen, wenn man dem Vorschlage
Brauns und seinem Beispiele folgen würde. Finden lassen sich
irgendwelche Erklärungen für uns in der Natur entgegentretende
Vorgänge in vielen Fällen zwar recht bald, es kommt jedoch
nur darauf an, ob sie auch richtig sind, d. h. ob sie zweifellos
der Wirklichkeit entsprechen. Viel schwieriger dagegen ist es,
solche Dinge, die sich nachträglich als unrichtig erwiesen haben,
wieder auszumerzen, wenn sie sich erst einmal eingeschlichen haben.
Von dem von Braun in seinem Beispiele angeführten „kausal
erklärten Thatsachen‘ lässt sich nun m. E. nicht so ohne Weiteres
sagen, dass sie zweifellos richtig sind. Wir sind eben noch
nicht so weit, dass wir uns alle Vorgänge in der Natur schon
jetzt richtig erklären können, wie Braun, der bei dem von ihm
durchgeführten Beispiele allerdings dazu in der Lage zu sein
scheint, wenngleich er am Anfang seines Aufsatzes zugiebt, dass
uns noch mancher alltägliche Vorgang im Vogelleben ein Rätsel
sei. Diesem Übelstande können wir aber nicht dadurch ab-
helfen, dass wir nun gewissermassen gewaltsam die uns entgegen-
tretenden Phänomene zu erklären suchen. Dadurch kommen wir
nicht weiter, sondern fallen in den Fehler zurück, der in alter
Zeit leider nur zu häufig gemacht wurde, den aber ein Naumann
und Brehm und besonders die neueste Zeit gerade möglichst zu
vermeiden sucht.
Ich will nur Einiges von dem „Versuch logischer Natur-
beschreibung‘ Brauns einer Untersuchung unterziehen.
Er schreibt (S. 132): „Die Färbung des Gefieders ist bei
den Paridae im wesentlichen durch zwei-Hauptzwecke bedingt.
Einmal gilt es, die kleinen und wehrhaften Tiere in möglichst
unaufiällige und unscheinbare Farben zu kleiden, andererseits
aber mussten die Arten, die sich zur Brutzeit scharf befehden,
mit Kontrast- d. h. Kampffarben bedeckt werden. Beide Farb-
kategorieen sind Schutzfarben, nur soll dieser Schutz in dem
ersten Falle dem ganzen Tier gegen allerlei Raubzeug gewährt
werden, während es in dem anderen Falle nur gilt, das ver-
letzbarste Organ des Kopfes, das Auge, gegen die Schnabel-
hiebe des gleichartigen Gegners zu schützen.“
Mir ist es offen gestanden neu, dass unsere deutschen
Meisen auch nur zum Teil in möglichst unauffällige und un-
scheinbare Farben gekleidet sind. Diese Vögel gehören im Gegen-
satz zu den meisten anderen deutschen Kleinvögeln zu den
224 F. Henriei:
prachtvoll und daher am auffallendsten gefärbten. Die Schwanz-
meise, die nach Brauns Ansicht am wenigsten Kampffarben (d. h.
Kontrastfarben) hat, erscheint mir mit ihrem weissen Kopf, ihrer
dunklen Oberseite und dem langen schwarzen, weiss eingefassten
Schwanz nicht einmal als die am wenigsten auffallend gefärbte
deutsche Meise, sondern ich möchte dafür die Sumpfmeise halten.
Aber auch diese mit ihren weissen Wangen und der samtschwarzen,
mit bläulichem Metallschimmer bedeckten Kopfplatte ist im Ver-
hältnis zu unseren anderen Kleinvögeln ein schön gefärbtes
Tier zu nennen, ganz abgesehen von der Kohlmeise, der Tannen-
meise und der Blaumeise. Wie man daher davon sprechen kann,
dass bei der Färbung des Gefieders unserer deutschen Meisen
einerseits der Hauptzweck gewesen sei, die Tierchen in möglichst
unauffällige und unscheinbare Farben zu kleiden, damit die-
selben eine Schutzfärbung (in dem von Braun zuerst angegebenen
Sinne: Schutz vor Raubwild u. s. w.) erhielten, ist mir wirklich
unerfindlich. Jedenfalls dürfte dann, wenn die Erklärung Brauns
richtig wäre, die Art der Färbung, wie sie thatsächlich besteht,
als völlig verfehlt zu betrachten sein. Bei dem Kapitel Schutz-
färbung (in diesem Sinne) konnte aus unserer Vogelwelt kaum
ein unglücklicheres Beispiel als die Meisen gewählt werden. Da
die Meisen thatsächlich Schutzfarben in dieser Richtung durch-
aus nicht haben, kann auch bei ihrer Färbung nicht der Zweck
massgebend gewesen sein, ihnen eine Schutzfärbung zu verleihen.
Braun steht auch mit sich selbst im direkten Widerspruch.
Er schreibt in einem Aufsatz: „Zur Färbung der deutschen
Sperlingsvögel,“!) in dem er die Sperlingsvögel inbezug auf ihre
mehr oder weniger hervorragende Färbung einteilt: In der
dritteu Klasse endlich werden wir jene Species vereinigen, die
infolge ihrer ganzen Lebensart oder wegen ihrer winterlichen
Thätigkeit im entblätterten Astwerk einer beständigen Deckung
entbehren. Unter dieser Species finden wir die schönsten
Vogelarten unseres Vaterlandes.“ ..... (Unter anderen zählt
Braun hier auch die Meisen auf.)
und S. 36: Bei den ungeschützten Arten, die einer starken
Lichtwirkung ausgesetzt sind, finden wir die schönsten Schmuck-
und Kontrastfarben. ... . In besonders hoher Vollendung finden
!) s. Orn. Monatsberichte 1900, S. 35 u. 36.
Was verstehen wir unter logischer Naturbeschreibung? 225
wir solche Zeichnungen bei den Paridae, Motacillidae, Laniidee,
Sazxicolae u. a. m.“
Ausserdem führt Braun (8. 133 unten) unter den Feinden
der Meisen in zweiter Linie den Sperber auf, dem dieselben
häufig wegen ihrer geringen Flugfähigkeit zum Opfer fielen.
Ich glaube, dass ebenso die auffallende Färbung der Meisen ein
gutes Stück mit dazu beiträgt, den Feind auf sie aufmerksam
zu machen. Jedenfalls bekundet auch Braun durch Anführung
dieser Thatsache, dass es mit der Schutzfärbung der Meisen doch
wohl nicht so sehr viel auf sich hat.
Was nun aber den zweiten von Braun für die Färbung der
Meisen angegebenen Grund angeht, so erscheint mir derselbe
nicht minder haltlos als der erste.
Die Gedanken, die Braun hinsichtlich der Färbung der
Vögel in Beziehung auf die geschlechtliche Zuchtwahl uns mit-
geteilt hat,!) bilden doch zunächst nur rein theoretisch aufge-
stellte Hypothesen, die vorläufig noch durchaus unbewiesen sind,
die auch mehr als einen Zweifel aufkommen lassen, also für
wissenschaftliche Naturbeschreibung, wie sie in einem syste-
matischen Lehrbuch Platz finden soll, einen praktischen Wert
doch wohl höchstens insofern haben, als man ihrer erwähnen
könnte mit dem Hinweise, dass es sich eben um Hypothesen
handelt. Keinesfalls aber dart man m. E., wie Braun es in seinem
Versuche thut, eine solche Darstellung geben, als ob alles klipp
und klar wäre.
Um auf die Sache selbst zu kommen, muss ich mit wenigen
Worten auf den Aufsatz Brauns: „Zur geschlechtlichen Zucht-
wahl der Sperlingsvögel‘“ eingehen.) Er stellt dort den Satz
auf, dass” die Färbung (ausser Gesang und Hochzeitstanz) einen
grossen Einfluss auf die geschlechtliche Zuchtwahl der Vögel
ausübe, und zwar dass die Kontrastfarben (um solche handelt es
- sich bei den Meisen) auf die Rivalen desselben Geschlechts
berechnet seien. Er schreibt dann weiter (S. 296): „Wo nicht
weithin hörbar, sind die Tierchen (nämlich die Meisen; auch
hier benutzt Braun diese als Beispiel) zur Paarungszeit, da sie
sich unbesonnener als sonst exponieren, wenigstens weithin
sichtbar. Ihre leuchtenden Farben [sic! vergl. dazu die im
kritisierten Artikel aufgestellte Behauptung: Schutzfärbung im
1) s. Journal für Ornithologie 1899, S. 293 ff.
226 FF. Henriei:
ersten Sinne] rufen die Nebenbuhler herbei und dienen dann
in dem Streit um den Besitz der Gattin zugleich als Kampf-
mittel.“
leider teilt uns Braun nicht mit, in welcher Weise solch
ein Streit, in dem die Farben Kampfmittel sind, ausgefochten
wird. Ich kann mir davon auch keine rechte Vorstellung machen,
zumal nicht etwa das Weibchen dem ihm am schönsten dünkenden
Männchen die Hand reichen soll, sondern die Kontrastfarben
nur auf die Rivalen desselben Geschlechts berechnet sein sollen.
Die Kontrastfarben -— es handelt sich hier insbesondere
um den Augenstreifen — sollen aber auch zugleich Schutzfarben
sein, allerdings in ganz anderer Weise wie in der vorhin statt-
gehabten Erörterung: sie sollen nämlich das Auge gegen Schnabel-
hiebe des gleichartigen Gegners schützen. Wie Braun sich die
Sache gedacht hat, geht am besten aus seinen eigenen Worten
hervor:!) „Bewegt man eine Fläche, auf der zwei verschieden-
farbige Bänder nebeneinander herlaufen, hin und her, so ver-
schwinden für die Gesichtsempfindung des Beschauers die
Grenzen der Farben und es entsteht eine gemischte Farbe,
in der man keinerlei Einzelheiten unterscheiden kann. Kämpfen
also zwei so gezeichnete Individuen mit einander, so wird diese
Farbenanordnung einen sehr. wichtigen Schutz für die Augen
der Kämpfer bilden, und die Gefahr, dass dieselben der Ziel-
punkt feindlicher Stösse werden, sehr wesentlich verringern.“
Bei dieser Ausführung müssen wir uns nun fragen: Wenn
zwei Meisen auf einander einhacken, gerät da wirklich der Kopf
in eine derartig schnelle Bewegung, dass der Augenstreifen und
mit ihm das Auge in der Gesamtfläche der Wange sozusagen
verschwindet? Hat es die Meise bei derartigen Kämpfen über-
haupt gerade auf das Auge des Gegners abgesehen? Ferner,
geniessen nicht — wenn man die Ilypothese als richtig annimmt
— beide Kämpfer in gleicher Weise den Vorteil der Schutz- °
färbung? Es handelt sich doch um Rivalen desselben Ge-
schlechts von gleicher Art, und da lässt sich doch wohl
kaum annehmen, dass die Augenstreifen individuell verschieden
sind, also für die gedachte Kampfesweise geeigneter oder unge-
eisneter sein sollen. Selbst wenn man aber dies noch annehmen
sollte, so würde bei der angenommenen überaus schnellen Be-
1) 5. Journal für Ornithologie 1899, 8. 297.
Was verstehen wir unter logischer Naturboschreibung? 227
wegung ein Unterschied wohl nicht ins Gewicht fallen. Die
Verteidigunsmittel würden in diesem Punkte also gleich sein und
A ist also so gut vor B geschützt bezw. nicht geschützt wie
B vor A.
Und wie steht es dabei nun mit der gesamten übrigen
Färbung des Vogels, die bei dieser Erklärung ja ganz ausser
Acht gelassen ist, denn hier handelt es sich im Wesentlichen
doch nur um den Augenstreifen, höchstens noch um die übrige
Färbung des Kopfes?
Ich halte diese ganze Lehre Brauns für derartig gesucht
und gekünstelt, dass sie, wenn sich in Zukunft nicht noch weitere
Argumente für ihre Richtigkeit beibringen lassen, durchaus
keinen Anspruch auf eine logische Brklärung für die vorhandenen
Thatsachen machen kann.
Deshalb ist es auch zu verurteilen, solche überaus gewagten
Krklärungen für uns in der Natur entgegentretende Erscheinungen
ohne Bedenken in ein systematisches logisches Lehrbuch hinein-
tragen zu wollen.
Aber auch noch manche andere „kausal erklärte That-
sachen“ in dem gegebenen Beispiel geben zu Bedenken Ver-
anlassung,
Ich will noch auf einige hinweisen, Braun schreibt (8. 132):
„So könuen denn die Meisen neben anderen Arten zum Be-
weise dafür dienen, dass Nahrungsbedürfnisse den winterlichen
Zug veranlassen.“
Wenn auch die Nahrungsfrage inbezug auf den Zug viel-
leicht eine wichtige Rolle spielt, so ist das Nahrungsbedürfnis
der Vögel doch gewiss keineswegs die alleinige Veranlassung.
Man deuke nur an die häufig gemachte Beobachtung, dass die
Mauersegler stets zu derselben Zeit abziehen, ganz gleich, ob hier
das herrlichste heisse Wetter wie vor ihrer Abreise oft noch
wochenlang nachher anhält. Die Nahrungsverhältnisse haben
sich da gewiss in keiner Weise geändert. Ebenso ist es mit den
Störchen, die gegen Ende August uns bereits verlassen und ge-
wiss noch ein bis zwei Monate lang vollauf Nahrung in unseren
Breiten finden würden. Solcher Beispiele giebt es noch viele,
Die über dieses Thema von Dr. Deichler gemachten Ausführungen, t)
1) 8. Journal fur Ornithologie 1900, 8. 106 ff.
228 F. Henriei:
die m. E. die Ansicht Brauns völlig widerlegt haben, scheinen
diesen nicht überzeugt zu haben.
Sodann weiter (S. 132): „Da ihre geringe Grösse der Wärme-
erhaltung recht hinderlich ist, sind die Meisen zumeist Höhlen-
brüter und Höhlenschläfer.“
Vorder- und Nachsatz sind gewiss an sich unstreitbar
richtig, aber die Kausalität, die Braun bei anderen ornithologischen
Schriftstellern vermisst, möchte ich auch hier wieder wie an
noch vielen anderen Stellen in den Ausführungen Brauns ver-
mieden sehen. Könnten nicht die jungen Meisen ebenso wie
Zeisige, Stieglitze, Hänflinge und viele andere vor den etwa ein-
tretenden Unbilden der Witterung durch ihre Eltern geschützt
werden, wenn die Meisen Freinister wären?
Würden aber die Meisen, die doch harte Winter bei uns
durchhalten, und in denen — selbst nach Brauns Ansicht —
der Rauhfrost und der damit verbundene Nahrungsmangel,
nicht aber die Kälte ihr Hauptfeind ist, nicht auch als
Freinister zu jener Jahreszeit, in der sie zur Brut zu schreiten
pflegen, die Temperatur bei uns ertragen? — Fraglos!
Es dürfte noch manches von den Ausführungen Brauns in
seinem „Versuch logischer Naturbeschreibung“ zu einer Kritik
Veranlassung geben, doch ich glaube, dass das Angeführte ge-
nügen wird, um zu beweisen, dass Braun in seiner bisher in der
Naturbeschreibung vermissten und nun von ihm vorgeschlagenen
Naturerklärung etwas über das Ziel hinausgeschossen hat. Ob
die Naturbeschreibung in der Art und Weise, wie Braun sie
wünscht, logischer genannt werden kann als die, bei welcher er
ein logisches Durchdringen des Stoffes vermisst, das zu entscheiden,
überlasse ich dem Leser.
Ich erkenne den Wert solcher anregender Betrachtungen,
wie sie Braun geboten hat, an sich durchaus an, denn es ist
sicherlich für die Wissenschaft von Nutzen, dass Vorgänge in
der Natur, die wir noch nicht zu erklären vormögen, einer Unter-
suchung unterzogen werden. Indessen gehören aber solche noch
zu keinem Abschlusse gediehenen Betrachtungen, die teilweise
nicht nur unbewiesen sind, sondern sogar eine Widerlegung zu-
lassen, durchaus nicht in ein Lehrbuch, (beispielsweise in eine
Naturgeschichte der deutschen Vögel), wie Braun es in seinem
Aufsatze verlangt. Dagegen sind in den Fachzeitschriften solche
zur erneuten Beobachtung und zum Suchen nach dem wahren
Was verstehen wir unter logischer Naturbeschreibung? 229
Zweck der Naturvorgänge anregende Aufsätze dem Leser will-
kommen.
Wenn aus dem von Braun angegebenen Grunde, dass eine
Naturerklärung in mancher Hinsicht vermisst wird, der Eine
oder Andere der ornithologischen Wissenschaft fernnleibt, so mag
er ruhig ausserhalb ihrer Hallen stehen und sich einer anderen
Wissenschaft, beispielsweise der Mathematik zuwenden, in der
jeder Satz sich auf einen andern aufbaut, und wo er vielleicht in der
für jeden Satz vorhandenen Erklärung seine Befriedigung finden
dürfte. Beobachten wir nur fleissig in dem grossen Reiche der
Natur nach Art unserer berühmten Lehrmeister, so werden wir
immer mehr in die Geheimnisse derselben eindringen und ihr
Wesen verstehen lernen. Dann wird uns auch der Stoff weniger
spröde erscheinen und der Zweck ihrer Einrichtungen wird uns
mehr und mehr verständlich werden.
Das Wesen einer logischen Naturbeschreibung kann nicht
darauf beruhen, für jeden Vorgang in der Natur irgend eine
Erklärung herbeizuschaffen, die heute eben doch nur noch allzu
. oft unzureichend und widerspruchsvoll ausfallen muss. Logische
Naturbeschreibung kann u. E. nur darin bestehen, dass abgesehen
von einer klaren und richtigen Anordnung des Stoffes die uns
in der Natur entgegentretenden Phänomene erklärt werden, so-
weit wir dazu fähig sind, und zwar müssen diesen Erklärungen
foigerichtig gezogene Schlüsse zu Grunde liegen, die das Er-
gebnis langjähriger und immer wieder von neuem gemachter
Beobachtungen sind, und die als völlig einwandsfrei uns voll-
kommen zu überzeugen vermögen.
250
Ein Beitrag zur Ornis Süd-Arabiens.
Von Dr. L. v. Lorenz und ©. E. Hellmayr.
Diese Arbeit beruht auf einer Sendung von Vogelbälgen
aus einer Gegend des südlichen Arabiens, die in ornithologischer
Beziehung nahezu ganz unbekannt war. Wir verdanken die
kleine, aber interessante Collection Mr. G. W. Bury, der im
Auftrage der „Südarabischen Commission“ der kais. Akademie
der Wissenschaften vom November 1899 bis Februar 1900 zum
Zwecke der Aufsuchung altarabischer Inschriften eine Expedition
nach Bayhän!) unternommen hatte, auf welcher aber auch
einige zoologische Objecte und unter diesen die genannten ge-
sammelt wurden. Durch die Freundlichkeit des Herrn Prof. D.
H. Müller gelangten dieselben in das Wiener Hofmuseum.
Ausser sechs von uns für neu gehaltenen Arten enthält
die Sendung noch eine Anzahl Formen, die bisher für das süd-
liche Arabien noch nicht nachgewiesen waren. Wir haben die in
der letzten Arbeit OÖ. Grants (VII) noch nicht erwähnten Arten
durch einen Stern kenntlich gemacht. Schliesslich ist es uns
eine angenehme Pflicht, sowohl Herrn Prof. Reichenow, der die
Prüfung der neuen und zweifelhaften Arten in liebenswürdiger
Weise übernahm, als auch Herrn Prof. Müller, der sich um die
Transscription und Übersetzung der in Mr. Burys Sammelnotizen
enthaltenen arabischen Namen mit freundlicher Bereitwilligkeit
bemühte, unsern verbindlichsten Dank auszusprechen. Die unter
Anführungszeichen gesetzten Bemerkungen in englischer Sprache
stammen von Mr. Bury. Die durch Herrn Prof. Müller erhaltenen
Zusätze haben wir durch eckige Klammern gekennzeichnet.
Es ist vielleicht nicht ohne Interesse, alle auf unser Gebiet
bezüglichen Litteraturangaben der Arbeit vorauszuschicken:
I. Yerbury, On the birds of Aden and the Neighbourhood in:
Ibis 1886, p. 11 ff.
II. Barnes, On the birds of Aden in: Ibis 1896, p. 57 und 165.
1lI. Yerbury, Further notes on the Birds of Aden in: Ibis 1896.
p=1s:
IV. Hawker, List of a small collection of birds, made in the
Vieinity of Lahej in: Ibis 1898. p. 374.
V. Grant, Oedicnemus dodsoni n. sp. in: Bull. Br. Orn. Cl.
v. 66. Nov. 1899.
1) Bayhän ist eine Landschaft im nordwestlichen Hadramaut.
Ein Beitrag zur Ornis Süd-Arabiens. 231
VI. Grant, Telephonus percivali n. sp. in: Bull. Br. Orn. Cl. v.
69, Febr. 1900.
VII. Grant, On the birds of Southern Arabia in: Nov. Zool.
1900, p. 243 und p. 591.
VIII. Grant, Rhynchostruthus perciwali n. sp. in: Bull. Br. Orn.
Cl. v. 75, Nov. 1900.
IX. Lorenz und Hellmayr, Einige neue Arten aus Süd-Arabien
in: Orn. Monber. 1991, p. 30.
X. Lorenz und Hellmayr, Noch einige neue Arten aus Süd-
Arabien in: Orn Monber. 1901, p. 38.
Amydrus hadramauticus (Lz. u. Hellm.)
Pilorhinus hadramauticus Lorenz und Hellmayr in: Orn.
Monber. 1900, v. 9. p. 30.
No. 108.1) a. $ Yeshbum, 17. Jan. (Typus).
„68 b.@ Yeshbum 26. Dec.
Dieser Star steht, wie wir nachträglich sahen, dem Amydrus
iristrami Sh. noch näher als dem A. cgffer L., besitzt wie dieser
die einfarbig zimmtbraunen Schwingen, doch ist die Färbung
besonders auf der Innenfahye lebhafter und mehr rötlich. Hand-
decken einfarbig schway,, ohne jedes Zimmtbraun. Auch der
Glanz der Oberseite, intensiver und mehr violett. Schwanz
merklich länger. ‚:
& 2. 140, G/ 112, t. 29, r. 26 mm.
© ähnlich- dem von A. tristrami aber durch die einfarbig dunk-
len Handdecl;en verschieden. a. sm. 135, c. 106, t. 29, r. 25 mm.
Wir können uns nicht entschliessen, die Genera Amydrus,
Hageops4jy, Pilorhinus und Pyrrhocheira von einander zu sondern,
denn de Unterschied, dass bei dem einen die Nasenlöcher be-
deckt, spei dem andern aber frei sind, vermag gegenüber dem
sonstioen, übereinstimmenden Bau und Färbungscharakter wohl
kaum in Betracht zu kommen. Wir fassen daher alle in diese
G&nera gehörigen Arten unter dem ältesten Namen Amydrus
Cab. zusammen.
+
ö Bisher war noch kein Star für das südliche Arabien nach-
gewiesen. „Found only in W. — Yeshbum, but one seen on
former journey near Ansäb. — Diet: in the stomach were quan-
tities of small flat seeds, also three Scarabeidae.“
1) Die Nummern beziehen sich auf Mr. Burys Sammelliste.
232 L. v. Lorenz und E. C. Hellmayr:
[,,tayr al-’ Atab‘ = Atab-Vögel; atab ist ein Baum, vielleicht
Ficus indica. Nach Bury heisst er auch: „Skwwa“. — D. H. Müller.]
Aedemosyne orientalis Lz. u. Hellm.
Aedemosyne orientalis Lorenz und Hellmayr in: Orn. Monber.
1902 9702739.
Wir haben schon in der angezogenen Mitteilung darauf
hingewiesen, dass die Vögel Nordostafrikas und Arabiens ver-
schieden sind von denen aus Westafrika, auf welche allein der
Name A. cantans (Gm.) zu beschränken wäre. Herr Prof.
Reichenow, dem unsere Vögel zur Ansicht vorlagen, bestätigte
nach Untersuchung des reichen Materials im Berliner Museum
diese Verschiedenheit.
Der Vollständigkeit halber führen wir die Charaktere der
beiden Arten hier nochmals an:
A. calans (Gm.): Ohrgegend und Halsseiten gelbrötlich,
Kinn, Kehle und Körperseiten blass rostgelb.
A. orientalis nob. Ohrgegöntl und Halsseiten mehr bräunlich,
ganze Unterseite weisslich, ohne rossfarbigen Anflug.
Zu erwähnen wäre noch, dass die "Bänderung der Oberseite
nach Osten zu deutlicher wird, und liesse. sich vielleicht die
abyssinische Form von der arabischen trennen; doch da nach
Prof. Reichenows Mitteilung die Bänderung sehr zu variieren
scheint, sei vorläufig davon Abstand genommen.
95. a. ad. Yeshbum, 7. Jan.
96. b. ad. Yeshbum, 7. Jan.
Grants A. cantans (VII, p. 246) bezieht, sich wohl ben auf
unsere Östliche Form, welche aber vielleicht nur subspecifischen
Rang verdient, da Übergänge zur westlichen wahrscheinlie! ger
funden werden dürften.
%
Hyphantornis galbula (Rüpp.)
83. a. @ Yeshbum, 2. Jan.
105. b. @ Yeshbum, 8. Jan.
„General, very common on the littoral belt. — Diet: Grain
and various seeds. |[-- Name: „isfir“ —= gelb.]. Its yellow tinge
gains it this title. It is only however in the male bird that this
colour is conspicuous.“
Ein Beitrag zur Ornis Süd-Arabiens. 233
*Hyphantornis intermedius Rüpp. (?)
90. a. d juv. Yeshbum, 6. Jan. a. sm. 72, c. 58 mm.
Nach Prof. Reichenow vielleicht Junger oder Wintervogel dieser
Art, welche für Arabien allerdings noch nicht nachgewiesen war.
*Passer domesticus buryi subsp. n.
46. a. $ Yeshbum, Dec.
61. b. 3 Yeshbum, 24. Dec. (Typus).
52. c. 2 Yeshbum, 21. Dec.
Die bisherigen Arbeiten über Arabien führen alle einfach
P. domesticus an, wir haben uns aber durch Vergleich einer
hübschen Reihe von Sperlingen aus verschiedenen Gegenden über-
zeugt, dass unsere Vögel einer besonderen Form angehören.
Bekanntlich werden die Farben des P. domesticus nach Osten
hin immer heller und die bisher bekannte extremste, d. h. hellste
Form wurde von Jardine und Selby als besondere Art unter dem
Namen P. indicus gesondert. Dieser Rang gebürt ihr nun keines-
wegs, sie stellt vielmehr bloss eine geographische Rasse oder
_ Unterart dar. Wie unsere Exemplare zeigen, sind die indischen
Stücke aber nicht die hellsten; der arabische Sperling übertrifft
sie hierin ganz auffallend. Von P. indicus unterscheidet sich
unsere Form dadurch, dass der kastänienbraune Augenbrauen-
streifen nicht sichtbar ist, d. h. die braune Färbung beschränkt
sich auf die basale Hälfte der Federn, während die Endteile grau
wie der Kopf sind, und das Braun nicht zum Vorschein kommen
lassen!). Ferner ist der Kopf bei P. indicus aschgrau, bei dem
arabischen Vertreter dagegen fahlisabell?2); der Rücken hat die
charakteristische Zeichnung wie bei P. domesticus, ist aber viel
heller und lebbafter im Colorit, die braunen Federn des Nackens
und Oberrückens haben breite isabellgelbe Säume; die Mitte des
Rückens ist bunt, schwarz und braun gestreift. Bürzel und Schwanz-
decken nicht graulich wie bei Passer indicus, sondern fahlisabell
wie der Kopf. Die Brustseiten, bei P. indicus grau, hier fast
weiss, wie der Unterkörper, überhaupt viel reiner ist. Auch mit
dem persischen Sperling, der vielleicht gleichfalls einen beson-
deren Namen verdiente, hat unsere Form einige Ähnlichkeit, da
1) Dies mag vielleicht bloss im Winterkleide der Fall sein.
2) Da nur die Wurzel der Federn hellgrau, die Endhälfte dagegen
blassisabell.
Journ, f, Orn. XLIX, Jahrg. April 1901. 16
234 Dr. L. v. Lorenz und C. E. Hellmayr:
auch bei diesem die Superciliarstreifen nicht oder weniger sicht-
bar hervortreten, doch ist er, abgesehen von der bedeutenderen
Schwanzlänge, auch viel dunkler und hierin dem europäischen P.
domesticus ähnlicher. Mit dem nordostafrikanischen Sperling hat
unsere Form nichts zu thun, jener schliesst sich eng an den
Europäer an.
Auch das 8 ist entsprechend blass, sandfarbig, oben im
Ganzen isabellgrau, über den Augen entspringt ein rein isabell-
brauner Streifen, der gegen den Nacken hinzieht, hinter den Augen
entspringt ein grauer Streif, der mit dem anderen parallel nach
hinten zieht; Rückenmitte isabell und schwarzbraun gestreift;
Unterseite im Ganzen sehr hell drap, auf dem Kinn und auf dem
Bauche in fast reines Weiss übergehend.
Wir widmen diese hübsche Form Mr. Bury.
. sm. 75, c. 62 mm.
. sm. 75, c. 58 mm. (Typus).
. sm. 68, c. 56 mm.
„General.“ — [Arabisch: „Yäbari.“]
RSS
Fu)
* Serinus uropygialis (Licht.) Heugl.
80. a. juv. Yeshbum, 30. Dec.
Von dem Typus derselben (aus Arabien) im Berliner Museum
weicht nach Reichenow unser Exemplar durch den dunklen
Schnabel und die gelbbräunlichen, statt grüngelblichen, mittleren
Öberschwanzdecken ab.
„Only met with in W.-Yeshbum.“ Grant führt diese Art -
nicht an.
*PRhynchostruthus pereivali Grant.
R. percivali Grant in: Bull. Brit. Orn. Cl. v. 75, November 1900.
69. a. & Yeshbum, 26. Dec.
74. b. $ Yeshbum, 30. Dec.
82. c. d Yeshbum, 2. Jan.
R. percivali scheint in der Mitte zwischen R. socotranus
Scl. & Hartl. und AR. louisae Lort Phil. aus dem Somalilande zu
stehen, soweit wir aus den Abbildungen schliessen können. (P.
Zool. Soc. 1881, t. 72 und Ibis 1898, t. 8.) Bei R. socotranus ist
der ganze Oberkopf dunkel, bei R. lowisae hingegen der Scheitel
kaum dunkler als der Rücken, bei der arabischen Art endlich
Ein Beitrag zur Ornis Süd-Arabiens. 235
ein Stirnband schwarz, der übrige Oberkopf braun, aber ganz
verschieden von der Rückenfärbung.
Das Vorkommen dieses Genus in Arabien spricht für die
engen Beziehungen dieses Landstriches zu Afrika. — Eine ge-
nauere Beschreibung der schönen Art ist vielleicht nicht uner-
wünscht. |
g.ad. Ein breites schwarzes Band rings um den Schnabel, das
sich also über Stirn, Zügel, vordere Wangengegend und Kinn er-
streckt und sich von dem letzteren noch etwas gegen die Kehle
hin fortsetzt. Ohr- und hintere Wangengegend weiss, Oberkopf
drap, Kehle etwas mehr rötlich, beide durch ein schmales, drap-
farbiges Band verbunden, das den weissen Wangenfleck nach
hinten begrenzt. Rücken bräunlichgrau, die untere Partie und
Oberschwanzdecken aschgrau. Kleine Flügeldecken schwärzlich,
an der Spitze grünlichgelb, die grössern schwarz, mit einem
grossen, hochgelben Fleck an der Spitze. Schwingen schwärzlich,
die innern mit breiten, hochgelben Aussensäumen, die auf den
letzten Armschwingen an der Spitze in Weiss übergehen. Ter-
tiärschwingen weisslich eingefasst. Brust und Seiten grau, Bauch-
mitte und Unterschwanzdecken reinweiss. Schwanzfedern schwärz-
lich, aussen mit breiten, gelben Säumen eingefasst, die um die
Spitze wieder in Weiss übergehen.
Da. sm. 90,.c. 56, t. 15, r. 15 mm.
DiEa. sm. 92, c. 59, t. 16, r. 16 mm.
B)2a. sm. 92, c. 58, t. 15, r. 15 mm.
„Only met with in W.-Yeshbum, where it is fairly common.
— Diet: Seeds, grain and the berries of the ‚Salah'-cactus.‘
[Arabischer Name: „tayr as-säleh‘ = Salah-Vögel; „Säleh‘“
== ein cactusähnlicher Strauch (vielleicht Euphorbie)].
* Pringillaria tahapisi capistrata Cab.
72. a. ad. Yeshbum, 27. Dec.
101. b. $ Yeshbum, 8. Jan.
Mr. Grant führt bloss F. striolata (Lcht.) für Arabien an;
unsere beiden Exemplare gehören jedoch, wie die Vergleichung
ınit dem Typus von F. capistrata (Cab.) ergab, zu dieser Form,
welche sich von F. tahapisi tahapisi durch den Mangel der
kastanienbraunen Schwingensäume sofort unterscheidet.
„Only seen near Sa’id, very rare. Seeds and grain in
stomach.“ [? „bahwi“ See-Vogel].
16*
236 Dr. L. v. Lorenz und C. E. Hellmayr:
Ammomanes deserti saturatus Grant.
Ammomanes saturatus subsp. n. Grant in: Nov. Zool. v.
7. 1900, p. 249.
100a. a. $ Yeshbum, 8. Jan.
Diese Form, erst kürzlich von Grant beschrieben, kenn-
zeichnet sich hinlänglich durch den grauen (aber nicht dunkelgrauen)
Ton des Rückens sowie durch das intensive Isabell des Unter-
rückens und der Schwanzdecken.
In unserm Exemplar sind ausserdem die dunklen Flecken
auf der Brust deutlicher.
a..5m. 96; €. 644°. 21,07. 11mm.
‚„West-Yeshbum. Local. Seeds and small winged insects
in stomach.“
Galerida cristata subsp.
7. a. 8, Shukra, Dec.
Hartert (Nov. Zool. 1900, p. 248) fasst die südarabische
Haubenlerche als vermutlich besondere Form auf, ohne ihr aber
einen Namen zu geben, weil ihm bloss mausernde Vögel vorlagen.
Unser Exemplar, in ziemlich frischem Herbstgefieder, stimmt
mit @. cristata magna Hume nahezu überein, doch ist letztere
etwas grösser und noch etwas mehr sandfarbig.
a. sm. 102, c. 68 mm (Arabien).
a. sm. 107, c. 68 mm (Aschahabad).
Motacilla alba L.
103. a. d Yeshbum, 8. Januar.
„General in well-watered country. Diet: small insects and
seeds.“ |[Arabischer Name „Fissiyah.‘“]
*Anthus campestris (L.).
84. a. d, Yeshbun, 2. Jan.
Das Exemplar stimmt mit einem von Dr. Krüper erhaltenen
aus Smyrna vollkommen überein, nur die Fleckung der Oberseite
ist etwas undeutlicher.
„Found at Yeshbum. Local. — Diet: Green stuff and gravel
found in stomach.“.
*Zosterops arabs Lz. und Hellm.
Z. arabs Lorenz und Hellmayr in: Orn. Monber. 1901, p. 31.
50. a. ad. Yeshbum, 20. Dez.
97. b. ad. Yeshbum, 7. Jan. (Typus).
Ein Beitrag zur Ornis Süd-Arabiens. 237
Bisher war noch keine Art dieser Familie für Süd-Arabien
nachgewiesen, und es ist gewiss interessant, dass hier eine be-
sondere Form vorkommt, während Abyssinien und Socotra eine
andere gemeinsam ist.
Steht der Z. abyssinica sehr nahe, ist aber kleiner, ober-
seits grauer, Kehle blasser, besonders das Kinn weiss, und das
Gelb der Kehle weniger ausgedehnt. Stirn grünlichgrau wie der
Scheitel, Zügel weisslich statt gelb.
a. sm. 55, c. 35, t. 15. r. 11—12 mm.
„Only seen in W.-Yeshbum. — Diet: small insects living
in the bark of trees.“
„Lokalname: „Saulah“!) a sudden attack or rush and well
describes the quick agile movements of these little birds and
also those of Serinus uropygialis, the true ‚Saulah‘ which flits
about W.-Yeshbum in small flocks from tree to tree at a be-
wildering pace. These latter only seem to frequent the “ulüb 2)
. and their powerful bills make no difficulty of cracking the stones
of the düm or fruit of the “lb to get at the kernels of which
they are extremely fond.“
*Nectarinia nvuelleri Lz. und Hellm.
Nectarinia muelleri Lorenz u. Hellm. Orn. Monber. 1901, 38.
97a. a. d Yeshbum, 8. Jan. (Typus).
104. b—-c. @ Yeshbum, 8. Jan.
Diese Art ist Herrn Prof. D. H. Müller gewidmet, der
die Sammlung veranlasste und unsere Arbeit durch die Erklärung
der arabischen Lokalnamen bereicherte.
g ad. Ähnlich N. metallica Lcht., aber Kopf, Rücken und
Kehle dunkelstahlgrün statt bronzegrün, Unterseite viel heller,
das Gelb auf die Brust beschränkt. Unterrücken violett, in
scharfem Kontrast zu den rein stahlblauen Oberschwanzdecken,
welche bei N. melallica violett gleich dem Unterrücken sind.
Säume der Schwanzfedern mehr grünlich anstatt biäulich.
© ad. Vorderhals gleich der übrigen Unterseite blass-
schwefelgelb, Oberseite viel grauer als N. metallica 9.
„General, but more frequently found on the littoral belt
than at higher altitudes.“ — Grant erwähnt N. metallica Leht.
1) heftiger Angriff. 2) “lb, pl. “ulüb, grosser Baum, Zizyphus
spina christi Willd. (Rhamnus nabeca var. rectus Forsk.)
238 Dr. L. v. Lorenz und C. E. Hellmayr:
Cinnyris habessinica (Hempr. und Ehrbg.).
55. a. d ad. Yeshbum, 22. Dez.
b. 3 ad. (Etiquette fehlt.)
36. c. ©. Wtaikah, 7. Dez.
gg stimmen mit ©. habessinica überein, bloss Rücken und
Mantel mehr bronzegrün.
Das von Mr. Bury als © bezeichnete Stück dürfte ein im
Übergang vom Jugend- zum Alterskleid befindliches $ sein,
worauf die an der Basis metallisch glänzenden Kehlfedern hin-
weisen.
„Widely distributed, prefers well wooded country. — Diet:
Honey from various flowers and minute insects.“
„Lokalname: ‚„tayr al-musäs“ (= Musäs Vogel, „musäs“
eine Pflanze) from root mss —= that which is sucked or sipped.
The tayr al-musäs is a bright crimson flower in shape not unlike
honey-suckle, which grows as a parasitic creeper on the mimosa.“
Cinnyris osea Bp.
71. a. ©. Yeshbum, 27. Dez.
b. 2. (Etiquette fehlt.)
88. c. J ad. Yeshbum, 6. Jan.
„Distribution and diet as in nr. 36 (C. habessinica).“
"Lanius buryi Lz. und Hellm.
Lanius buryi Lorenz und Hellmayr in: Orn. Monatsber.
1901, p. 39.
77. a. d Yeshbum, 30. Dez. (Typus), a. sm. 107, c. 105, t. 22,
Tr. 17. mm.
Über diesen vermutlich neuen Würger können wir nichts
weiter mitteilen, als dass er nach unserer und Prof. Reichenows
Untersuchung mit L. algeriensis und L. fallax nicht übereinstimmt.
Von letzterem unterscheidet ihn die einfarbig bläulichgraue Unter-
seite, die grössere Ausdehnung des Weiss an den Armschwingen
und geringere Grösse; ersterer ist oben viel dunkler und hat
bedeutend längeren Schwanz. Mit L. lahtora besitzt er auch
einige Ähnlichkeit, weicht aber von ihm durch die gleich dem Rücken
aschgrauen Oberschwanzdecken ab. O. Grant erwähnt L. fallax.
„General, very common on the littoral belt. Large winged
soft-bodied insects found in gullet.“
Ein Beitrag zur Ornis Süd-Arabiens. 239
Ob die grauen Würger von der Küste mit unserem Z. buryi
aus Yeshbum identisch sind, muss vorläufig unentschieden bleiben.
[Arabischer Name: „seh at-tuyür“ — der Scheik der Vögel.]
Lanius nubicus Lcht.
63. a. d Yeshbum, 24. Dez.
70. b. @ Yeshbum, 26. Dez.
99. c. 2 Yeshbum, 7. Jan.
„Only in West-Yeshbum. In stomach ants and small winged-
insects.‘
(Arabischer Name wie bei dem vorigen.)
Lanius isabellinus Ehrbg.
9. a—b. Jg Shukra, Nov. 27.
„Littoral belt, rare. Diet: Ants, small beeties and in fact
most of the smaller insects.“
| „This bird avoids thickly wooded country and frequents
. sandy wastes when there is sufficient bush and scrub, probably
in order to command a good field of view. The same may be
said of the great gray shrike, which is so common on the littoral
belt, where this bird may be seen perched motionless for hours
on a small mimosa-bush under a blazing sun, watching for vagrant
insecets, — the only representative of bird-life that is visible in
such a country at such an hour. All the shrikes that J have met
with up-country have this pecularity viz laboured flight for long
distances but rapid darting movements when they swoop upon
their prey.“
z Sylvia sylvia (L.).
21. a. d Plateau nächst „Bei Sunbahr“, 3. Dez.
„Range: Littoral belt.“
Monticola eyanus (L.).
53. a. $ Yeshbum, 21. Dez.
81. db. @ Yeshbum, 31. Dez.
„Only met with on Mankau, plateau at Yeshbum. — Diet:
ants and small soft-bodied insects.“
[Arabischer Name: „tayr garib“ = seltsamer Vogel. Der
Informant mag vielleicht selbst den Namen nicht gewusst haben. ]
240 Dr. L. v. Lorenz und C. E. Hellmayr:
*Buticilla rufiventris (Vieill.).
59. a. $ Yeshbum, 23. Dez.
58. b. © Yeshbum, 23. Dez.
73. c. d ad. Yeshbum, 29. Dez.
87. d.@ (? 3 imm.) Yeshbum, 4. Jan.
100. e. juv. Yeshbum, 11. Dez.
Dies sind die ersten Belegexemplare einer Autscilla-Art aus
dem südlichen Arabien. Sowohl Barnes als Yerbury erwähnen
einer solchen, ohne aber eines Stückes habhaft geworden zu sein;
der letztere schreibt: „it will, however, in probability be found
to be R. phoenicurus or ER. mesoleuca.“ Unsere Bälge gehören
jedoch zu keiner dieser beiden Arten, und die Exemplare a, b, c
sind zweifellos R. rufiventris. Wir möchten jedoch hervorheben,
dass No. 59 in Färbung und Grösse mehr mit einem Original-
exemplare Severtzows aus Centralasien übereinstimmt, No. 73
dagegen mit zwei Jg ad. von Tibet und Kashmir (R. phoeni-
curoides Moore). Allerdings ist die Variation gerade bei den
Rotschwänzen ziemlich bedeutend, und es sind Übergänge von
R. phoenicurus zu R. rufiventris keineswegs selten (wie unser
reiches Vergleichsmaterial beweist), weshalb man auch die beiden
„Arten‘‘ richtiger als Subspecies auffassen sollte. No. 87 und
100 tragen noch das Jugendkleid, und könnten allenfalls auch
zu einer anderen Form gehören.
„Widely distributed, not uncommon near Aden. — Diet:
Ants and larvae. Several large camel-ticks in stomach.“
*Turdus atrigularis Temm.
85. a. @ Yeshbum, 4. Jan.
Dies ist der erste Nachweis einer Drossel für das südliche
Arabien.
„Only in West-Yeshbum, very rare; only met with in
wet weather. — Diet: Caterpillars and various soft-bodied
larvae.‘
Sascicola deserti Temm.
91. a. d ad. Yeshbum, 7. Jan.
„General, but more common on littoral belt. — Diet:
Varied seeds and small insects.“
Ein Beitrag zur Ornis Süd-Arabiens. 241
Sascteola pleschanka (Lepech.).
102. a. g juv. (?) Yeshbum, 8. Jan.
Fraglich, ob zu dieser Art gehörig.
„W.-Yeshbum. Local. Small lizard in its gullet.“
Sasxieola lugens lugentoides Seeb.
5l. a. g Yeshbum, 24. Dec. a. 85, c. 58 mm.
98. b. 9 Yeshbum, 7. Jan. a. 85, c. 56 mm.
107. c. d Yeshbum, 9. Jan.
Drei prachtvolle Jg dieser seltenen Form in Mr. Burys
Sendung. — Wir wollen bei dieser Gelegenheit bemerken, dass
der von Seebohm angegebene Charakter: „mehr mit Grau ver-
mischte Kopfplatte“ nicht sehr verlässlich ist (weil bloss
Alterscharakter), dagegen scheint uns das beste Diagnostikon
gegenüber der 5. lugens lugens Leht. in der Färbung der
Schwanzfedern gelegen zu sein. Bei dieser Form zeigen die
äusseren Steuerfedern knapp vor der Spitze einen kleinen, auf
beiden Fahnen gleichweit ausgedehnten, schwarzen Fleck, bei
8. lugentoides hingegen setzt sich der überhaupt schon breitere
Fleck auf der Aussenfahne als breiter Saum bis auf die basale
Hälfte der Feder fort.
„Only met with in West-Yeshbum. — Diet: large ants and
the smaller beetles.‘“
[Arabische Bezeichnung: „tayr al-ramäd“ (Aschvogel) oder
„bä ramäd“ (Vater der Asche)].
Myrmecoeichla melanura (Temn.).
62. a. d Yeshbum, 24. Dez.
„General. — Diet: Ants and small winged insects.“
*Pyenonotus reichenowi Lz. und Hellm.
P. reichenowi Lorenz und Hellmayr in: Orn. Monber. 1901,
p. 30.
86. a. © Yeshbum, 4. Jan. (Typus). a. 87, c. 82, t. 22, r. 16 mm.
92. b. @ Yeshbum, 7. Jan. a. 88, C. 84, t. 21, r. 17 mm.
Diese neue Art steht P. zanthopygus (Hempr. und Ehr.)
nahe, unterscheidet sich aber auf dem ersten Blick durch ge-
ringere Grösse und durch geringere Ausdehnung der schwarzen
Färbung auf Kopf und Hals. Auch ist die Oberseite mehr grau
gegenüber der erwähnten Art. Während bei dieser der ganze
242 Dr. L. v. Lorenz und C. E. Hellmayr:
Oberkopf und noch ein Teil des Vordernackens schwarz er-
scheinen, beschränkt sich diese Färbung bei P. reichenowi auf
Vorderkopf und Scheitel. Ferner sind hier bloss Kinn und
Kehle schwarz und scharf gegen die Brust abgesetzt, welche bei
P. xzanthopygus in ihrem vorderen Teile ebenso wie die Hals-
seiten dunkelbraun ist und einen mehr allmählichen Übergang
zur Bauchfärbung vermittelt. Brust heller bräunlichgrau, Mitte
des Unterkörpers mehr weisslich.
„General in well-wooded distriets. — Diet: the fruit of the
“lb (Zizyphus spina christi), but not the kernels.
Occurs in great numbers at Yeshbum, where it plays havoc
with the „düm‘ crop.“
[Arabische Bezeichnung: „Ya‘gari“.]
Grant erwähnt P. zanthopygus.
COotile obsoleta (Cab.).
40. a. $ Mehfid-Plateau, 11. Dez.
„Very rare; have not seen any specimen elsewhere. — Diet:
Mosquitoes and other small winged insects.“
Centropus supereciliosus (Hempr. und Ehr.).
a—b. 92 „Littoral; rare“.
*Merops muscatensis Sharpe.
48. a. d Yeshbum, 20. Dez.
Ogilvie Grant führt in seiner Arbeit (Nov. Zool. 1900, 259)
M. cyanophrys aus Lahej und Shaik- Othman an. Unser Exem-
plar gehört jedoch zur nordöstlichen Art, die wohl schwerlich
mehr als eine gut unterscheidbare, geographische Rasse oder
Subspezies darstellt. Der Unterkörper zeigt den für die Sharpe-
sche Form charakteristischen, hellblauen Anflug.
a. sm. 90, c. 105, t. 13, r. 34 mm.
Diese Art war bisher nur von Maskat bekannt, und scheint
unser Stück das erste in einer kontinentalen Sammlung zu sein.
„General, but most plentiful along the littoral belt. —
Diet: chiefly ticks and other parasites which infest cattle, also
small winged insects.“
[Arabischer Name: „tayr-al-bagar“, Rindervogel, wohl weil
er dem Vieh die Insekten absucht.‘]
Ein Beitrag zur Ornis Süd-Arabiens. 243
Merops albicollis Vieill.
a. g imm.
Merops persicus Pall.
5a. a. g Shukra.
5b. b. $ Shukra.
„Littoral belt, very common at Shukra. Very gregarious,
but capricious as to localities, so that although occasionally met
with in great numbers, at other times not a single specimen.
Personally J have not met with them north of the littoral belt.
The derivation of its name was explained in my last report. —
Diet: Winged high-Aying insects, especially bees.“
[Arabische Bezeichnung: „Ba-sayni“ — Vater eines Tellers.]
Lophoceros nasutus (L.).
a. d, bei Yeshbum.
„Common.“
Halcyon semicaerulea (Forsk.).
a. d, Bayhän. „General“.
Bubo miilesi Sharpe.
a. ©, Duthinah, Sommer 1900.
Das Exemplar in Mr. Burys Collection bestätigt die von
Sharpe hervorgehobenen Unterschiede gegenüber den verwandten
Formen. Der gelbliche Ton der Unterseite kennzeichnet sie
hinlänglich.
Falco barbarus L.
a. ©, Bayhän. „Littoral.“
a. ad. Bayhän.
Milvus aegyptius (Gm.).
a. ©, Yeshbum.
Dafila acuta (L.).
33. a. d, W.-Laikah, 7. Dez.
„Pools in lower reaches of W. Laikah. Very local, have
only met with it in these spots. — This bird is quite a different
duck to that found in the wädies of the Abdali country, which
is much smaller and of a russet brown colour.“
[Arabische Bezeichnung: „Batteh“ = Ente.]
244 Dr. L. v. Lorenz und C. E. Hellmayr:
*Cursorius gallicus (L.)
8. a. d, Shukra, 27. Nov. |
Das erste Belegexemplar aus dem südlichen Arabien,
weicht in keinem wesentlichen Punkte von Stücken aus andern
Gegenden ab.
„Very rare, inhabits sandy scrub: only one specimen seen.“
Aegialitis alexandrina (L.)
6. a. d, Shukra.
„Littoral belt and marshy spots in lower Aulaki. — Diet:
probably small aquatic insects.“*
„A common bird in the gardens of Sheik Othman among
the irrigation runnels.“
4egialitis dubia (Scop.)
32. a. d, Laikah, 7. Dec.
Totanus calidris (L.)
39. a. d, Shukra, December.
„Coast line and tidal estuaries near Shukra. — Diet: Chiefly
marine surface insects.“
Vinago waalia (Gm.)
47. a. 2 ad. Yeshbum, 20. Dec.
49. b. g ad. Yeshbum, 20. Dec.
„Pupil black, iris indigo, outer ball pale pink, bill dark
grey, feet pink, toes dark indigo.“
„General, but only found in well-wooded spots Diet: Chiefly
fruit, particularly that of, „ilb“ [Zizyphus spina christi].*
[Arabischer Name: „Nafridj“ = geschwätzig.]
Turtur senegalensis (L.)
a. 5, Bayhän.
„Generally distributed.“
*Oolumba livia schimperi Bp.
10. a. @ Shukra, 26. April.
54. b. $ Yeshbum, 22. Dec.
Diese Art ist neu für Süd-Arabien; Grant führt C. lwvia
intermedia Strickl. an.
Ein Beitrag zur Ornis Süd-Arabiens. 245
„General throughout S.-Arabia. — Diet: Grain and various
seeds.‘
[Arabischer Name: „Aylah“].
Oena capensis (L.)
75. a. d, Ansäb, 30. Dec.
„Ansäb and neighbourhood. Generally in the vicinity of
wells.“
[Arabischer Name: „Zamzah“].
Caccabis melanocephala (Rüpp.)
44. a. d, El Aräb, 14. Dec.
„General, Prefers hilly country, but is round at no great
altitude.“
[Arabischer Name: „Yaqüb“].
Ammoperdix heyi (Temm).
34. a. 2, Wtaikah, 7. Dec.
Kennzeichnet sich durch den mehr isabellfarbigen Ton der
Oberseite als zu dieser Art gehörig.
Ä „Mountain distriets of Dathinah and Lower Aulaki. Rare
and confined to particular localities.“
„Localname „gatäh“ = that which runs with short steps
and describes this bird exactly.“ [,gata“ = kleine Schritte machen].
Nach Prof. Müller wird dieser Vogel vielfach von den ara-
bischen Dichtern beschrieben.
Die vorstehende Liste enthält 16 bisher für Arabien noch
nicht bekannte Formen; die Zahl der nunmehr für das Land
nachgewiesenen Arten beläuft sich auf 211, einschliesslich Pra-
tincola hemprichi Ehrb. und Lanius assimilis Brm.!), die in der
Arbeit Grants ausgeblieben sind.
1) P. Matschie, J. f. Ornith. 1893, 8. 112, über einige von
O0. Neumann bei Aden gesammelte Vögel.
246
Beobachtungen aus der Ornis Mecklenburgs im Jahre 1900.
Von ©. Wüstnei.
Die hier gegebenen Beobachtungen aus dem Jahre 1900
sollen eine Fortsetzung der im Jahrgang 1900 S. 314 bis 349
für das Jahr 1899 veröffentlichten Aufzeichnungen sein, sie sind
hauptsächlich im westlichen Mecklenburg und an der Ostseeküste
sesammelt.
Motacilla alba L. Weisse Bachstelze.
Ein Pärchen hatte sein Nest in den Rumpf eines Segelkutters
gebaut, der öftere Fahrten auf einer etwa 18 km langen Strecke
zwischen der Insel Poel und Wismar zu machen hatte. Das Paar
liess sich durch diese Fahrten nicht stören und brachte seine
Brut glücklich auf.
Regulus ignicapillus (Brehm, Tem.). Feuerköpfiges Goldhähnchen.
Hat auch in diesem Sommer wieder an der früher bezeichneten
Stelle (S. 316 im Journal 1900) im Buchholze bei Schwerin gebrütet.
Bombyeilla garrulus (L.). Seidenschwanz.
Wurde auch im Herbst 1900, hauptsächlich im November,
in verschiedenen Teilen des Landes beobachtet und auch gefangen.
Lanius excubitor major Pall. Grosser Würger.
Wenn diejenigen Vögel dieser Art, welche auf den Flügeln
nur einen einfachen weissen Spiegel besitzen, bei denen also das
Weiss auf den Armschwingen fehlt, zu der östlichen Form L.
excubitor major gehören, so kommt diese Form wenigstens in
den Herbst- und Wintermonaten gar nicht so selten vor, so
wurde am 17. Okt. ein Männchen bei Lübtheen, am 20. Nov.
ebenfalls ein Männchen bei Grevismühlen erlegt. Auch aus
früherer Zeit sind mir mehrere derartige Ex. bekannt, von denen
ich jedoch nicht mehr die Zeit des Erlegens ermitteln konnte.
Ferner kam aus der Provinz Hannover (Elbegegend) Syamalla
ein solcher L. major am 22. Okt. nach hier.
Bei dem am 17./X. bei Lübtheen erlegten Männchen waren
die beiden äussersten Schwingen ohne Weiss, dann folgten 8
Schwingen mit Weiss, während ein früher bei Schwerin erlegtes
Ex. der gewöhnlichen Form 15 Schwingen mit Weiss hatte, welche
dann ein doppeltes weisses Schild darstellten.
Beobachtungen aus der Ornis Mecklenburgs im Jahre 1900. 247
Alauda arvensis L. Feldlerche.
Auf dem langen Werder bei Poel, wo zwischen den Möven,
Seeschwalben und verschiedenen Sumpfvögeln auch die Feldlerche
häufig brütet, wurden 4 Eier mit 4 Eiern der Tringa alpina zu-
sammen in einem Nest gefunden. Wer von beiden Vögeln der
Erbauer des Nestes war, ist jedoch nicht ermittelt worden.
Pyrrhula europaea Vieill.e Dompfaff.
Ein Paar hielt sich den ganzen Sommer hindurch in einem
kleinen Fichtenbestande des Schelfwerdergehölzes in der Nähe
von Schwerin auf und hat dort jedenfalls gebrütet.
Siurnus vulgaris L. Star.
Der Star hat sich in letzter Zeit durch die Brutkästen sehr
vermehrt, in ungeheuren, jeder Schätzung spottenden Schwärmen
versammelt er sich im Frühjahr und Herbst an den Ufern des
Schweriner Sees und zwar seit vielen Jahren immer an denselben
Stellen, um daselbst im Rohr zu übernachten. Leider entzieht
er manchem Höhlenbrüter die Nistgelegenheit, da er schon
zeitig im Frühjahr nicht nur die Brutkästen, sondern auch alle
möglichen anderen Höhlen mit Beschlag belegt. Selbst die
Sperlinge vertreibt er aus ihren Nistkästen, die sie jahrelang un-
gestört im Besitz hatten. Ergötzlich war es zu sehen, wie sich
die Starenfamilie in einer solchen engen Proletarierwohnung be-
helfen musste, nur mit Mühe konnte sich das Weibchen durch die
enge Oefinung hineinzwengen, und deutlich konnte man wahr-
nehmen, als die Jungen heranwuchsen, wie sich die Verlegen-
heiten mehrten, jedem sein Recht zukommen zu lassen.
-
Oorvus corax L. Rabe.
Ein verendeter Rabe wurde hier zum Ausstopfen einge-
. liefert, welcher 35 Jahre in der Gefangenschaft zugebracht hatte.
Nucifraga caryocatactes macrorhynchu Brehm. Tannenhäher.
Wie im übrigen Deutschland, so war in diesem Jahre der
Zug des schmalschnäbligen Tannenhähers auch in Mecklenburg
ein sehr starker, weit stärker als im Vorjahre; es sind hier wohl
an 100 Ex. allein zum Ausstopfen eingeliefert worden, auch setzte
der Zug früher ein, während im Vorjahre die ersten im Oktober
erbeutet wurden, erhielt ich in diesem Jahre den ersten am 22.
248 C. Wüstnei:
August aus hiesiger Umgegend. Die meisten kamen im Oktober
und November und einzelne noch bis Ende Dezember.
Alcedo ispida L. Eisvogel.
Auf der im Jahrgang 1900 S. 320 erwähnten Stelle hatte
der Eisvogel wieder wie im Vorjahre seine Brutröhre inmitten
des Schelfwerdergehölzes weit ab vom Wasser angelegt. Das
Nest, welches Eier enthielt, wurde gefunden, ist aber leider zer-
stört worden.
Coracias garrula L. Mandelkrähe.
Die Mandelkrähe scheint nicht nur in letzter Zeit, sondern
auch schon früher im westlichen Mecklenburg, namentlich in der
Schweriner Umgegend, recht. selten gewesen zu sein, denn schon
in den fünfziger Jahren wurde sie durch v. Preen sowohl bei
den Brutvögeln wie auch bei: den Durchzugsvögeln der hiesigen
Umgegend nicht mit aufgeführt. (Naumannia Jahrgang 1858).
Um so auffallender war es mir, als ich am 12. August d. J. ein
im Wittenfördener Forste, eine Meile westlich von Schwerin, er-
legtes Ex. zugeschickt erhielt.
Haliaötus albieilla (L.). Seeadler.
Fast den ganzen Winter hindurch hielten sich drei See-
adler auf dem Schweriner See auf, die zu beobachten ich wieder-
holt Gelegenheit hatte. Ungefähr in der Mitte des südlichen
Teils vom See, jedoch noch über Büchsenschussweite von der
nächsten Insel entfernt, liegt auf einer flachen Stelle der soge-
nannte „grosse Stein‘, ein mächtiger erratischer Block, der etwa
1 Meter aus dem Wasser hervorragt und einige Quadratmeter
Oberfläche hat. Dieser Felsen, der eine weite Umschau zulässt,
wird gern von allerhand Seevögeln als Standquartier benutzt und
auch den Seeadlern diente er zur Warte, da eine unbemerkte
Annäherung unmöglich ist, und von hier aus ihre Raubzüge auf
Wassergeflügel und Fische am leichtesten auszuführen waren.
Während der Monate Januar bis März, als der See zumeist mit
Eis belegt war, hielten sich in einiger Entfernung von dieser
Stelle unzählige nordische Tauchenten und Zappen auf, welche
so lange wie möglich eine grosse Fläche vom Eise offen hielten,
um hier durch Tauchen notdürftige Nahrung zu suchen. Diese
Entenscharen, welche sich vom Ufer aus als langer, dunkler
Beobachtungen aus der Ornis Mecklenburgs im Jahre 1900. 249
Streif auf der Eisfläche markierten, bildeten hauptsächlich den
Zielpunkt für die Jagden der Seeadler. Merkwürdig war, wie
sich mit der Zeit ein gewisses Nützlichkeitsverhältnis zwischen
den beiden Teilen ausbildete, denn die Enten, die nur hier ihr
Dasein fristen konnten, waren schon aus Not an diese Stelle ge-
bunden und jede einzelne mochte unter Tausenden sich auch
ziemlich sicher fühlen und es für einen kaum möglichen Zufall
halten, dass sie gerade zum Opfer ausersehen sein würde. Da-
her kam .es auch, dass die Entenscharen sich in der Nähe dieser
drei grossen Räuber ganz ruhig verhielten und sich willig in das
Schicksal ergaben, Nutzherde für dieselben zu sein, denn selbst
wenn die Adler aufflogen und ihre Kreise zogen, kam kaum
eine Bewegung in die Masse, während die Adler wiederum für
gewöhnlich die Enten in Ruhe liessen. Nur wenn ein Adler
näher kam in der Absicht, sich eine Ente zu holen, wurde ein
Geplätscher bemerkbar, Enten und Zappen legen dann den
Kopf auf den Rücken, den Schnabel nach oben und halten den
Räuber scharf im Auge. Der speciell verfolgte Vogel sucht sich
durch Tauchen zu retten, wird aber beim Emporkommen schliesslich
ergriffen und der Adler fliegt mit seiner Beute der Warte zu.
Beim Kreisen im Sonnenschein konnte man deutlich sehen, dass
auch alte Weisschwänze dazwischen waren, während fast alle in
Mecklenburg erlegten Vögel das Jugendkleid trugen. Dies mag
also wohl auf die grössere Vertrauensseligkeit der Jugend zu-
rückzuführen sein.
Es waren auch noch Schmarotzer vorhanden, welche ihren
- Vorteil von diesen Seeräubern zu ziehen wussten, denn die Eis-
fläche, welche ihre Felsenwarte umgab, war gewöhnlich von einer
grösseren Anzahl Krähen umlagert, welche die Reste der Mahl-
zeiten revidierten. Erhob sich einer der Gewaltigen, so folgte ihm
gewöhnlich eine Anzahl Krähen krächzend nach, ohne dass er
sich viel aus diesen Neckereien zu machen schien. Ende
März verschwanden die drei Adler, ohne dass einer von ihnen
erlegt werden konnte, jedoch wurden in anderen Teilen Mecklen-
burgs mehrere Seeadler geschossen, einer sogar noch im Sommer,
am 16. Juli in Mecklenburg-Strelitz, also tief im Binnenlande.
Auch gegen Schluss des Jahres wurden mehrere Ex. erlegt, auch
fanden sich in den Herbstmonaten die Seeadler wieder auf dem
Schweriner See ein. Ein Ex., welches ganz das dunkle Jugend-
kleid trug, im Schwanz war wenig Weiss bemerkbar, hatte trotz-
Journ, f. Orn. XLIX. Jahrg. April 1901. 17
250 C. Wüstnei:
dem einen hochgelben Schnabel, bei einem anderen Ex. waren
sowohl der Schnabel wie auch die Wachshaut hornfarben, während
die meisten einen hornfarbenen Schnabel und eine gelbe Wachs-
haut haben.
Auf den Lewitzwiesen, auf denen viele Saatgänse über-
wintern, hielten sich auch gleichzeitig mehrere Seeadler auf, von
denen einer in einer Schlagfalle gefangen wurde, und auf Poel
wurden bei einer Beute z. B. bei einer geschlagenen Gans öfter
5 bis 6Seeadler gleichzeitig gesehen, die sich um diese Beute stritten.
Archibuteo lagopus (Brünn). Rauhfussbussard.
Aus einer älteren Sammlung erhielt ich ein Raubvogelei mit
der Bezeichnung ‚Duteo lagopus Laage. Da Laage im nord-
östlichen Mecklenburg liegt, so ist es immerhin möglich, dass der
Rauhfussbussard hier einmal sein Brutgeschäft betrieben haben
mag, da derselbe im benachbarten Vorpommern schon brütend.
konstatiert wurde. Der Rauhfussbussard ist bei den Jägern viel
besser bekannt als der Wespenbussard, es kann daher sein, dass
die Bestimmung des Eies nach Erlegung des Vogels erfolgt ist.
Was das Ei selbst anbetrifft, so hat dasselbe sehr rundliche Form
mit den Massen 52:45 mm, und ist auf weisslichem Grunde mit
vielen kleinen unregelmässigen Flecken über und über besäet,
ausserdem umgeben einige grosse Flecken das stumpfe Ende
kranzartig. Die Farbe der Flecke ist nicht wie bei anderen
Bussardeiern rotbraun oder lehmfarbig, sondern olivenbraun, die
Schale ist glanzlos. Es weicht daher von dem allgemeinen Typus
der BDuteo vulgaris- Eier etwas ab, doch wage ich es nicht,
lagopus-Eier sicher zu unterscheiden, obgleich ich von Schlüter
bezogene besitze.
Milvus korschun (Gm.). Schwarzbrauner Milan.
Ich erhielt ein Gelege von 3 Eiern aus hiesiger Umgegend
mit den Massen 55 : 42; 56 : 43; 54 : 40 mm; sie waren also
von einer etwas länglichen Form. Die Eier hatten eine grau-
weisse Grundfarbe, zwei derselben waren schmutzig lehmgelb ge-
wölkt, ohne dass diese Farbe markante Flecken bildete, und nur
das eine Ex. hatte am stumpfen Ende die charakteristischen
dunkelbraunen Klexe und Schnörkel.
Beobachtungen aus der Ornis Mecklenburgs im Jahre 1900. 251
Falco peregrinus Tunst. Wanderfalke.
Wurde recht häufig erlegt, ein Weibchen im Jugendkleid,
welches hier aus Schleswig einging, es war bei Eckernförde er-
legt worden, hatte blaue Fänge, war im übrigen einem anderen
jungen Weibchen, welches gleichzeitig in der Rostocker Gegend
geschossen wurde, ganz gleich gefärbt, nur dass bei letzterem
die Fänge grünlichgelb waren. Die Ausmessungen waren eben-
falls dieselben. Wenn dieser Vergleich nicht zufällig vorhanden
war, hätte ich fast an F. lanarius glauben mögen, da immer nur
diesem blaue Fänge zugeschrieben werden. Ein ausgefärbtes
Männchen wurde in der Nähe der Stadt tot aufgefunden, welches
sich an den Telegraphendrähten verletzt hatte. Das bereits
früher erwähnte Paar im Buchholze hatte in diesem Sommer 3
Junge aufgebracht, von denen eins erlegt wurde; das Paar stellte
sich schon am 3. März beim Horste ein. Aus der Grabower
Gegend erhielt ich ein Ei mit den Massen 49 : 40 mm.
Falco subbuteo L. Lerchenfalke.
Ein Lerchenfalke wurde am 13. August vom Präparator
Knuth mit einer Uferschwalbe (Coiyle riparia) in den Fängen
über den Schweriner See fliegend, vom Boot aus erlegt. Der
Falke wurde von einem Schwarm Möven schreiend verfolgt.
Falco aesalon Tunst. Zwergfalke.
Wurde einige Male zum Ausstopfen eingeliefert, als Selten-
heit auch ein ausgefärbtes Männchen, welches in der ersten Hälfte
des September bei Wismar erlegt wurde. Es ist dies das zweite
mir bekannte in Mecklenburg erlegte derartige Männchen, das
erstere hefindet sich in der v. Preen’schen Sammlung und wurde
am 29. Nov. 58 bei Lübtheen geschossen.
Circus aeruginosus (L.). Rohrweihe.
Ich erhielt ein Gelege von 3 Eiern vom Ramper Moor im
Schweriner See mit den Massen 48 : 39; 47:39 mm. Es be-
fanden sich doıt in nicht zu grosser Entfernung 3 Horste. Auf
einer Stelle daselbst am Ufer des Sees zwischen ausgefressenen
Eierschalen von Enten, Zappen und Steissfüssen fand ich auch
solche von der Rohr- und Kornweihe. Diese Eierräuber erleiden
demnach auch dasselbe Schicksal, welches sie anderen Vögeln so
oft bereiten.
17*
2352 GC. Wüstnei:
Asio aceipitrinus “(Pall.) Sumpfohreule.
Ein Ex. wurde am 13. Mai, also während der Brutzeit, bei
Teterow in einer Schlagfalle gefangen, sie mag also dort wohl
gebrütet haben. Aus früherer Zeit sind Nestfunde aus jener Gegend
schon bekannt.
Glaucidium passerinum (L.) Sperlingseule.
Von Dr. Häse Grabow wurde mir ein kleines Eulenei zur
Bestimmung vorgelegt, welches seiner Kleinheit wegen entweder
zu Gl. passerinum gehören oder ein sogenanntes Sparei einer
anderen kleinen Eule sein muss. Dasselbe ist in der Umgegend
von Grabow in einer Baumböhlung gefunden, aus welcher eine
kleine Eule herausflog. Das betreffende Ei, von dem nur leider
das eine sich vorfand, misst 25 : 20 mm und ist nach Ansehen
und Korn unzweifelhaft ein Eulenei. Da die Eier von passerinum
mit 30:25 mm angegeben sind, so wäre es selbst für diese kleinste
aller Eulen noch zu klein, wenn nicht doch Eier von dieser
Grösse vorkommen sollten, denn soviel mir bekannt ist, sind
sichere Eiergelege der Sperlingseule überhaupt sehr selten, auch
dürften nach der Grösse des Vogels, der nur Sperlingsgrösse hat.
Eier mit den Massen 30 : 25 nicht recht wahrscheinlich sein,
Eine Klarstellung und Beschreibung echter Eier in diesem Blatte
wäre sehr erwünscht. In Mecklenburg ist diese Eule bisher als
Brutvogel noch nicht bemerkt, im übrigen nur einmal in früherer
Zeit erlegt worden.
Numenius arquatus (L.) Grosser Brachvogel.
Ich erhielt aus der Grabower Gegend ein Gelege von 4
Eiern, von denen das eine sehr rundlich oval war, ganz ohne die
übliche Kreiselform.
Limosa aegocephala (L.) Schwarzschwänzige Uferschnepfe.
Am 24. April beobachtete ich zwei Ex., wohl ein zusammen-
gehöriges Paar am Ufer des Schweriner Sees und zwar in der-
selben Gegend, in welcher im vorigen Jahre in den ersten Tagen
des Mai aus einer Schar von 6 Stück ein Vogel erlegt wurde,
welchen ich damals erhielt. Auch auf Poel wurde im Frühjahre
ein Ex. beobachtet.
Die im vorigen Jahre durch Clodius auf den Lewitzwiesen auf-
gefundenen Brutplätze, haben wir gemeinschaftlich am 9. u. 10. Mai,
*
Beobachtungen aus der Ornis Mecklenbur.s im Jahre 1900. 253
und ich später am 10. Juni besucht, um womöglich auch Nester
und Eier dieser Art zu finden. Wenn uns dies nun auf den sehr
weitläufigen nassen Wiesen auch nicht gelungen ist, so habe
auch ich mich davon überzeugt, dass diese Schnepfe hier un-
zweifelhaft brütet, da wohl an 10 Paar beobachtet wurden, die
uns mit Jämmerlichem Geschrei umflogen. Aus letzterem konnten
wir nun allerdings nicht die von Naumann angegebenen Silben
„djodjo“ oder „lodjo“ entnehmen, auch nicht das anderweit ver-
merkte „gretav, gretav“, sondern die Töne schienen mehr kiebitz-
artig zu sein, etwa wie „kih, kihwih“, dem sich eine Art Gelächter
wie „te he he he“ anschloss. Diese Vögel geben ein ausgezeich-
netes Flugbild, die nach hinten gestreckten langen Füsse, die
den Schwanz, der zeitweise fächerförmig ausgebreitet wird, weit
überragen, der lange Schnabel, die rötliche Farbe mit dem deut-
lich bemerkbaren weissen Spiegel in den Flügeln, dies Alles
giebt ein markantes Bild, das mit demjenigen irgend eines an-
deren Schnepfenvogels nicht zu verwechseln ist.
Ich kann nicht umhin, hier eines merkwürdigen Zusammen-
treffens zu gedenken. Von dem Suchen nach Limosennestern
soeben zurückgehrt in das einsame Gast- und Schleusenhaus,
welches inmitten dieser weiten, fast bis an den Horizont reichen-
den Wiesenflächen gelegen ist, wurde mir durch den Wirt die
Ankunft noch eines Ornithologen triumphierend angezeigt. Meine
Überraschung war natürlich gross, verwandelte sich aber in freu-
diges Erstaunen, als dieser Ornithologe sich als ein eifriges Mit-
glied unserer Gesellschaft darstellte und zwar als der mir dem
Namen nach schon längst rühmlichst bekannte Herr Dr. Parrot
aus München. Man wird dieses Erstaunen begreifen können,
wenn man weiss, dass in dieser Weltabgeschiedenheit wochenlang
nur Leute, die mit der Heuernte zu thun haben, oder Forstleute
aus den benachbarten Lewitzwaldungen anzutreffen sind. Trotz
einiger Zweifel musste ich annehmen, dass die ornithologischen
Schätze der Lewitz den eifrigen Forscher aus dem fernen Süden
des deutschen Reiches bewogen hatten, hierber zu kommen, es
hatte aber diesmal einen anderen Grund. Alsbald wurde natür-
lich die Fauna der Lewitz besprochen, einiges war schon bekannt
und auf der Wagenfahrt nach hier bemerkt worden, dann kam
ich mit meinem Trumpf: „Limosa als Brutvogel und zwar ganz
in der Nähe.“ Nach dem Mittagsmahl ging es trotz der grossen
Hitze sofort hinaus, ich konnte meiner Sache vermeintlich ganz
254 C. Wüstnei:
sicher sein, denn mehrmals und zuletzt ein Paar Stunden vorher
hatte ich auf der genau vermerkten Stelle mehrere Paare in
ihrem Treiben beobachtet. Aber wie das Fatum auch seine
Launen hat, namentlich wenn man etwas gar zu intensiv wünscht,
diesmal liess es uns im Stich, und soweit wir auch horchten und
blickten, keine Limosa liess sich hören und sehen, bis die Zeit
um war, und wir unverrichteter Sache zurückkehren mussten.
Die Vögel mussten sich bei der grossen Hitze wohl allzufest
ihrem Mittagsschlafe überlassen haben. Ich hoffe, Herr Dr. Parrot
wird trotz dieses Missgeschickes mir und Herrn Pastor Clodius
doch Glauben schenken, denn gegen Abend als ich wieder allein
dort war, waren mehrere Paare wieder zur Stelle, ferner hoffen
wir später noch Nest und Eier zu finden, um den Beweis nach-
träglich zu liefern.
Totanus fuscus (L.) Dunkler Wasserläufer.
Ich erhielt mehrfach Erleste von Poel, so am 11. Mai ein
Ex. im Übergangskleid, am 28. Juni ein ausgefärbtes sehr dunkles
Ex., anscheinend ein Männchen und am 15. August einen Vogel
im Jugendkleid. Die beiden letzterwähnten Vögel befanden sich
unter Scharen von Numenius arquatus. Auffallend ist das Er-
scheinen des einen alten Vogels in der letzten Hälfte des Juni,
derselbe wurde am 26. VI. erlegt. Hier kann man zweifelhaft
sein, ob man es mit einem Vogel zu thun hatte, der sich als
einer der letzten noch auf dem Frühjahrszuge befand, oder was
wohl wahrscheinlicher ist, dass es sich um ein ausnahmsweise
frühes Erscheinen eines Herbstzüglers handelt, der nicht zum
Brüten gelangte und aus seinem Wohngebiete, wahrscheinlich
Lappland, sich so früh auf die Reise gemacht hatte.
Totanus littoreus (L.) Grünfüssiger Wasserläufer.
Ich erhielt am 19. Sept. einen Vogel im Jugendkleid von
Poel. Während 7. fuscus oft kleine Gesellschaften bildet, zieht
T. hittoreus meist einzeln.
Machetes pugnax (L.) Kampfhahn.
Während der Kampfläufer im Binnenlande meist überall
seltener geworden ist, ist er auf den Lewitzwiesen noch ein recht
häufiger Brutvogel, wir fanden am 9. Mai daselbst auf einer
Tageswanderung in der Nähe des Eldeflusses wohl ein halbes
Beobachtungen aus der Ornis Mecklenburgs im Jahre 1900. 255
Dutzend Kampfplätze, die alle mit S—-10 kämpfenden Männchen
besetzt waren. Unter den verschiedenfarbigsten Kleidern that
sich ein Männchen besonders hervor, das auf dem ganzen Körper,
einschliesslich des Kragens aus einiger Entfernung ganz weiss
erchien, nur die nackten Stellen am Vorderkopf und Auge waren
hell fleischfarben.
Tringa maritima Brünn. See-Strandläufer.
Nach einer Beschreibung, die ich von diesem an unserer
Küste seltenen Strandläufer meinem alten Strandjäger auf Poel
lieferte, wurde mir erklärt, dass dieser Vogel einzeln in den
Wintermonaten vorkomme und auch bereits in kleinen Gesell-
schaften bis zu 5 Stück auf steinigen Stellen der Poel gegenüber-
liegenden langen Landzunge „Kieler Ort‘ der Halbinsel Wustrow
gesehen worden sei, wenn auch nicht alle Jahre. Auf meine Be-
stellung, mir bei erster Gelegenheit einen solchen Vogel zu
schiessen, erhielt ich am 5. III. 1900 richtig ein Ex. im Winter-
kleid zugesandt. Dieser Vogel lieferte mir den Beweis, dass
- jener praktische Vogelkenner, ein einfacher Fischer, auch auf
seltene Erscheinungen acht giebt und dieselben zu unterscheiden
weiss, ohne ein Buch in Händen gehabt zu haben, und seine An-
gaben, soweit eine genaue Verständigung über die Art möglich
ist, zuverlässig sind.
Trinya alpina L. Alpenstrandläufer.
Trotz des ziemlich strengen Winters 1899/1900 haben 5
bis 6 Vögel dieser Art auf Poel durchgewintert.
Scolopax rusticola L. Waldschnepfe.
Am 18. Okt. wurde eine Waldschnepfe in hiesiger Stadt
lebendig ergriffen, welche sich mit einem gebrochenen Fusse in
einen Taubenschlag geflüchtet hatte. Wahrscheinlich war die
Beschädigung durch Anfliegen an einen Telegraphendraht hervor-
gerufen. Das Ex. war sehr wohlbeleibt.
Grus communis Bechst. Kranich.
Am il. Okt. vorm. 81/), Uhr flog eine Kranichschar von
etwa 60 Stück über die Stadt Schwerin nach Südwesten zu. In
den folgenden Tagen wurden noch mehrfach Kranichzüge bemerkt,
auch auf den einsamen Feldern auf der Ostseite des Schweriner
256 C. Wüstnei:
See rasteten grösserere Scharen. Ferner hat sich der Kranich
in den letzten Jahren als Brutvogel wieder in hiesiger Gegend
angesiedelt, so am Nordende des Schweriner Sees, wo er sowohl
von mir, wie auch von anderen während des Sommers beobachtet
wurde. Aus dem südöstlichen Mecklenburg erhielt ich ein Ei,
welches zwar nicht aus dem letzten Jahre stammt, aber wegen
seiner Grösse, 102: 66 mm, bemerkenswert war und fast einem
Schwanenei gleichkommt. Auf den Lewitzwiesen wurde vor zwei
Jahren ein Nest mit zwei Eiern gefunden, das sich merkwürder-
weise ganz frei auf der Wiese befand.
Oedienemus scolopax (Gm.) Triel.
Mitte April wurde ein Fx. in der Nähe von Parchim bei
Spornitz, und Mitte Oktober wurden 2 Ex. bei Neustadt erlegt.
Charadrius morinellus L. Mornellregenpfeifer.
Ich erhielt einen Balg dieses Vogels, der im Oktober 1899
auf dem langen Werder bei Poel erlegt war.
Charadrius alexandrinus L. Seeregenpfeifer.
Ein Vogel im Jugendkleid wurde Mitte August bei Bolten-
hagen erlegt und dürfte an unserer Küste wohl ausgebrütet sein.
Es ist dies insofern bemerkenswert, als Nester in den letzten
Dezennien nicht gefunden sind.
Anser ferus Brünn. Graugans.
Ich erhielt ein Ei, welches Ende April freiliegend auf den
Lewitzwiesen gefunden wurde und zwar auf einer Stelle, wo
kurz vorher eine Herde Wildgänse sich aufgehalten hatte.
Von den auf der Ostsee mausernden Gänsen wurden zwei
Vögel im flugunfähigen Zustande durch Fischer ergriffen und auf
dem Hofe bei zahmen Gänsen gefüttert. Dieselben wurden bald
ganz zahm, gingen mit auf den Dorfteich und nahmen das Futter
aus der Hand. Wenn Scharen wilder Gänse sich hören liessen,
gingen sie davon und besuchten deren Versammlungen auf den
nahe gelegenen Feldern. Da ihnen die Flügel gelähmt waren,
so mussten sie zurückbleiben, wenn ihre Kameraden weiterzogen.
Die eine dieser Gänse ist bei einer solchen Gelegenheit zu
Schaden gekommen, man fand ihre Reste am Strande, wahr-
scheinlich war sie von einem Seeadler. verzehrt.
Beobachtungen aus der Ornis Mecklenburgs im Jahre 1900. 257
Auf dem nördlichen Teile des Schweriner Sees versammelten
sich in diesem Sommer Wildgänse in grösserer Anzahl als ge-
wöhnlich, es müssen sich wohl die Brutgänse mit ihren Jungen
auch von den benachbarten Seen hier eingefunden haben, sie
waren während des Monats August in verschiedenen Scharen
beobachtet, auch noch später. Ich sah am 29. August 3 Züge
innerhalb einer Viertelstunde vom See zu Felde ziehen, die zu-
sammen etwa 200 Stück ausmachten. Im ersten Zuge befanden
sich 11 Stück, im zweiten zählte ich 90 Stück und der dritte
war mindestens von derselben Stärke. Auch hier hatten sich die
Gänse trotz der kurzen Flugstrecke, wenigstens in den beiden
grossen Zügen, in ungleichschenklige Winkelzüge geordnet, sie
liessen sich aber bald nach Passieren des Ufers auf die Felder nieder.
Cygnus olor (Gm.) Höckerschwan.
Konnte in diesem Jahre feststellen, das auch auf dem un-
mittelbar an der Ostsee in der Nähe des Bastorfer Leuchtturmes
belegenen Riedensee schon seit vielen Jahren ein Paar des wilden
Höckerschwanes brütet. Das Paar duldet jedoch kein zweites
Paar auf dem nur kleinen Gewässer. Auf dem Schweriner See
hielt sich eine Schar von 20 Stück während der eisfreien Periode
eine Zeit lang auf. Ein bei Bützow im April erlegtes Männchen
hatte eine Länge von 1,65 m, eine Flugbreite von 2,50 m und
ein Gewicht von 23 Pfund.
Uygnus musicus Bchst. Singschwan.
War an der Küste nicht selten, ist dort mehrfach erlegt,
auch im Binnenlande, z. B. auf dem Krakower See, Ich bin über-
zeugt, dass auch der Zwergschwan, ©. bewickii, an unserer Küste
sich zeigt, wenn dies auch noch nicht endgültig festgestellt
worden ist. Die Pöler Jäger berichten, dass zuweilen zwischen
den Scharen sehr kleine Ex. sich befinden, die sie des Schiessens
nicht wert hielten, da sie ihnen kaum grösser wie eine Gans
erschienen seien. Dies erscheint um so wahrscheinlicher, als der
Zwergschwan bereits in Vorpommern erlegt wurde. So kam noch
am 19. Okt. v. J. ein Ex. von Rügen zum Ausstopfen nach hier,
welches mir vorgelegen hat und genau die Artkennzeichen bei
Naumann aufwies, das Gelbe war noch 2 cm vom Nasenloch
entfernt. Die Länge war 1,22 m, die Breite 2 m bei einem
Gewicht von nur 11 Pfund, also noch nicht die Hälfte des oben
erwähnten Höckerschwanes.
258 GC. Wüstnei:
Tadorna damiatica (Hasselq.) Brandente.
Von der Brandente wurden Ende Mai auf einem Eisenbahn-
damm in der Gegend von Wismar sieben Dunenjunge ergriffen,
welche dem Präparator Knuth hierselbst zugeschickt wurden.
Bei der Aufzucht gingen 3 Stück ein, während 4 zur Zeit noch
wohlgemut und so zahm wie Hausenten sind.
Mareca penelope (L.) Pfeifente.
Die Pfeifente, die auf den bei Schwerin belegenen Seen
während der Zugzeit sich äusserst selten zeigt, war auf dem
diesjährigen Herbstzuge merkwürdigerweise recht häufig. Ende
September und October wurden mehrfach Ex. im ausgefärbten
wie im Jugendkleide hier in der niheren und weiteren Umgebung
erlegt, welche mir vorgelegen haben. Am 17. X. beobachtete
ich eine Schar von etwa 40 Stück auf dem Pinnower See. Die
Schar befand sich zum grössten Teile weidend am Ufer.
Anas boschas L. Märzente.
Trotz des zeitweise recht strengen Frostes überwinterten
eine grosse Anzahl Märzenten, und ganze Scharen hielten sich
während der strengen Kälte auf‘ dem Eise des nahe bei der
Stadt belegenen Burgsees auf, um auf den offenen Stellen der
Strömungen notdürftig ihr Leben zu fristen. Sie wussten sich
aber dadurch zu helfen, dass sie die hier ebenfalls überwinternden
Reiherenten und schwarzen Wasserhühner für sich arbeiten liessen
und sich deren Tauchkünste zu Nutzen machten, welche ihnen
von der Natur leider nicht verliehen sind. Sobald ein solcher
Vogel wieder auftauchte warteten schon die Enten und nahmen
die Beute ohue Weiteres für sich in Anspruch, wenn es nicht
gelang dieselbe rechtzeitig hinunterzuschlucken. Auch kamen
die Enten von allen Seiten herbei, wenn ein Blässhuhn ein
grösseres Beutestück auf das Eis brachte um es hier zu zerstückeln,
und meistens musste es den Enten überlassen werden. Die März-
enten verschmähten in dieser harten Zeit auch anderes schwer-
verdauliches Futter nicht. So konnte man sie allabendlich bei
Beginn der Dunkelheit scharenweise unter den Eichen des hie-
sigen Schlossgartens antreffen, um hier die Eichelmast aufzu-
lesen. Präparator Knuth fand ebenfalls wiederholt ganz ver-
schluckte Eicheln im Kropfe der Märzente.
ae Pa
Beobachtungen aus der Ornis Mecklenburgs im Jahre 1900. 259
Anas strepera L. Mittelente.
Da mir seit Decennien von einem Vorkommnisse der Mittel-
ente bei Schwerin nichts bekannt ist, so möchte ich erwähnen,
dass ich am 9. Oct. ein Weibchen zugeschickt erhielt, welches
etwa 4 km nördlich von Schwerin am Ziegelsee erlegt wurde.
Länge 0,49 m, Breite 0,82 m.
Spatula elypeata (L.) Löffelente.
Wie schon erwähnt, ist diese Ente bei Schwerin äusserst
selten, es war mir daher auffallend, als ich sie auf den etwa 20
km südlich gelegenen Lewitzwiesen antraf, auch ist sie daselbst
ein gar nicht seltener Brutvogel. Auch diese Ente scheint zu-
weilen auf Kopfweiden zu brüten, ich fand ein Nest auf einer
solchen, welches ein Ei enthielt, das bei den Massen 52 : 36 mm
wohl nur der Löfielente zugehören konnte.
Fuligula eristata (Leach) Reiherente.
Auch in diesem Jahre am 17. Juni fand ich ein Nest dieser
Ente mit 9 leicht bebrüteten Eiern. Das Weibchen befand sich
auf dem Neste, ging dann auf den See und wurde dort mit dem
Fernrohr genau erkannt. Das Nest stand unmittelbar am Ufer
auf einer Insel des Pinnower Sees zwischen Schilfgräsern, jedoch
noch auf trockenem Boden. Die Eier glichen den früher be-
schriebenen.
Fuligula ferina (L.) Tafelente.
Auf der vorhin erwähnten Insel fand ich am 27. Mai ausser
mehreren andern mit 8 bis 9 Eiern, ein Nest der Tafelente, welches
die grosse Anzahl von 15 Eiern enthielt, am 17. Juni ebendaselbst
eine grössere Anzahl Nester, von denen eins 13 Eier enthielt.
Bisher waren 11 Stück das Maximum, welches ich gefunden habe.
Alle diese Nester befanden sich im Grase der Wiese, die meisten
zwischen den Nestern von Larus ridibundus und Sterna hirundo.
Fuligula rufina (Pall.) Kolbenente.
Am 15. Januar 1900 erhielt Steenbock in Rostock ein schönes
Männchen der Kolbenente von Warnemünde. Es ist nicht anzu-
nehmen, dass diese Ente im Winter aus dem südlichen Russland hier-
her gekommen ist, vielmehr glaube ich bestimmt, dass dieselbe von
dem einige Meilen südlich gelegenen Krakower See stammt, der
um diese Zeit zugefroren war, und diese Ente hier das nächste
260 C. Wüstnei:
offene Wasser gefunden hat. Es bestätigt dies meine frühere Ver-
mutung, dass F. rufina auch jetzt noch auf dem Krakower See
heimisch ist und dort brütet.
Clangula glaucion L. Schellente.
Durch die Gefälligkeit des Herrn Jagdjunker von Strahlen-
dorf zu Mirow bin ich in den Stand gesetzt, über das Brüten
der Scheilente im südlichen Teil des Grossherzogtums Mecklen-
burg Strelitz und zwar aus neuerer Zeit einige interessante An-
gaben zu machen. Auch erhielt ich zwei Eier dieser Ente aus
der Feldberger Gegend zugeschickt, welche ganz den grünlich
blauen Farbenton zeigten wie die aus dem Norden bezogenen
Eier. Die Eier sind von ovaler Form, das eine an beiden Enden
von ziemlich stumpfer Abrundung mit den Massen 60:45,
58:44 mm. Die Schale hat etwas Glanz und der bläuliche
Farbenton ist bei dem einen Ei etwas trüber wie bei dem anderen.
Der obengenannte Herr schreibt mir über die gemachten
Beobachtungen wie folgt: „Während meiner zehnjährigen forst-
lichen Thätigkeit in dem prachtvoll zwischen Seen und Buchen-
wäldern gelegenen Landstädtchen Feldberg hatte ich ausgiebige
Gelegenheit, die Schellenten zu beobachten, sie zeigten sich, so-
wie das Eis von den Seen geschmolzen war, in grösseren Zügen
auf dem Wasser, dann wenn die alten Buchen anfıngen sich mit
frischem Grün zu schmücken, paarweise im Walde, wobei sich
das Männchen im glänzend weissen Hochzeitskleide und dem
klingelnden Flug mit unglaublicher Schnelligkeit durch die frisch-
belaubten Zweige hindurch fand. Die Gelege in meiner Sammlung
fand ich am 3. und 8. Mai, andere jedoch bereits Ende April,
und Mitte Mai sah man bereits die jungen Züge auf den kleinen
Waldteichen umhertauchen ; auch haben meine Förster mehrfach
gesehen, dass die Mutter ein Junges im Schnabel aus dem Nest
auf die Erde beförderte. Das Nest habe ich nur in alten Buchen,
Eichen und Aspen gefunden, meistens hoch oben im Wipfel, wo
der Sturm die Krone oder einen Ast vom Baume herunter-
gebrochen hatte; doch fand ich auch andere Nester in Mannshöhe
in einem alten Schwarzspecht- oder Eichhorn-Neste, dessen Eingang
durch Verwitterung etwas erweitert war. Auf dem Baummulm
lag eine ungeheure Schicht weicher, weisser Daunen, welche die
Leute leider zu finden wissen und ebenso nutzen wie im hohen
Beobachtungen aus der Ornis Mecklenburgs im Jahre 1900. 261
Norden die der Eiderenten. Die Nester werden, da die alten hohlen
Bäume leider immer seltener werden, mehrfach wieder bezogen.
Auch hier in einem Buchenrevier der Oberförsterei Mirow scheint
die Schellente zu nisten, da sie hier ebenfalls häufig ist, doch
erlaubte mir meine Zeit bisher noch nicht, mich mit ihr zu
beschäftigen.“
Hierzu bemerke ich, dass im Grossherzogtum Mecklenburg-
Schwerin seit langer Zeit nichts Sicheres über das Brüten der
Schellente beobachtet ist, obgleich ich es in der Schweriner Um-
gegend vermute, die bezüglichen Beobachtungen habe ich in
diesem Journal Jahrgang 1899 Seite 147 veröffentlicht.
Somateria mollissima (L.) Eiderente.
Seit vielen Jahren ist mir diese Ente von Poel nicht zu
Gesicht gekommen, im December d. J. wurden jedoch eine grössere
Anzahl von den Fischern daselbst in den Netzen gefangen. Aus-
gefärbte Männchen habe ich nicht dazwischen gefunden.
Oedemia fusca (L.) Sammetente.
Diese Ente, eigentlich nur Seevogel, hatte ich bisher noch
nicht auf den Landseen angetroffen, erst in diesem Jahre be-
merkte ich 3 Exp., lauter Weibchen, die sich während des Monats
November auf dem Schweriner See’ in der Nähe der Stadt auf-
hielten. Ich nehme wenigstens an, dass diese 3 oft bemerkten
Enten immer dieselben Vögel waren. Bei Poel wurde sie, ebenso
wie nigra, besonders häufig gefangen, auch fand ich oft die
Männchen im Prachtkleide dazwischen.
-
Mergus serrator L. Mittlerer Säger.
Dieser Vogel sitzt sehr fest auf dem Neste, ich konnte das
Weibchen mehrfach aus nächster Nähe bei zurückgebogenen
Zweigen des das Nest schützenden Busches längere Zeit beob-
achten, ohne dass es davonflog, sodass ich die Anzahl der Eier
nicht feststellen konnte. Diese Eigenschaft machte sich ein
Pöler Fischer zu Nutze, der einem brütenden Weibchen für einen
Teil der eigenen Eier Hausenteneier zum Ausbrüten ins Nest
legte. Die jungen Enten kamen aus, wurden rechtzeitig abgefasst
und auf dem Hofe des Fischers weiter gefüttert. Im October
d. J. stellte er sich in grosser Anzahl auf dem Schweriner See
ein, ich beobachtete Scharen bis zu 100 Stück. Bei so grosser
262 C. Wüstnei:
Anzahl war es interessant, ihre Fischjagden zu beobachten. Wie
auf Commando taucht die ganze Schar gleichzeitig unter und
erscheint auch ziemlich gleichzeitig auf einer anderen Stelle
wieder auf der Oberfläche, ein Teil der Schar mit der Beute
im Schnabel. Gewöhnlich war die Zeit, die vom Untertauchen
bis zum Wiederauftauchen verstrich, nicht ganz eine Minute.
Mergus merganser L. Grosser Säger.
Der Gänsesäger war in den ersten Wintermonaten des Jahres
1900 auf den eisfreien Stellen des Schweriner Sees in starken
Gesellschaften vertreten, in einer Schar zählte ich am 28. Januar
sogar über 100 Stück, und da sich in dieser Herde mehr Männchen
als Weibchen befanden, so gewährte dieselbe einen überaus
prächtigen Anblick. Auch die einjährigen, noch nicht ausgefärbten
Männchen waren schon in der Ferne an ihrer bedeutenden Grösse
sowie an der Rosafarbe des Unterkörpers zu erkennen,
Sterna macrura Naum. Küstenseeschwalbe.
Um sichere Aufschlüsse über die Artverschiedenheit zwischen
den auf dem Schweriner See und den nur wenige Meilen nördlich
auf dem langen Werder bei Poel-brütenden Seeschwalben zu er-
halten, wurden von beiden Arten einige Vögel erlegt. Der Ver-
gleich ergab unzweifelhaft für die Seeküste 81. macrura, für den
Schweriner See 82. hirundo. Die erstere hatte genau die von
Naumann angegebenen Artkennzeichen: Den weniger schlankeren
Schnabel ohne schwarze Spitze, die mehr dunkelrote Farbe von
Schnabel und Füssen, den schmaleren dunklen Streif an der Innen-
fahne der ersten Schwungfeder und den um etwa 3 cm tiefer
gegabelten Schwanz, während die auf dem Schweriner See er-
legten Ex. die richtigen Farben und Verhältnisse der 8%. hirundo
aufweisen.
Sterna caspia Pall. Raubseeschwalbe.
Dem vorjährigen Berichte habe ich hinzuzufügen, dass dieser
Vogel sich während des Frühjahrszuges wiederum bei Poel zeigte,
am 22ten April beobachtete ich ein Ex. gemeinschaftlich mit
dem früheren Beobachter über den langen Werder fliegend,
welches auch seine krächzende Stimme hören liess. Auf weiteres
Forschen konnte ich nicht ermitteln, dass die Raubseeschwalbe
in frühern Jahren je bemerkt wurde.
Beobachtungen aus der Ornis Mecklenburgs im Jahre 1900. 263
Larus canus L. Sturmmöve.
Die Sturmmöve hat in diesem Sommer mehrfach auf den
in der See beziehungsweise in den Binnengewässern liegenden
grossen Steinen genistet, wahrscheinlich weil ihr auf dem langen
Werder die Eier oft geraubt werden. Sie sucht sich hierzu
solche Steine aus, bei denen der Wellenschlag die Nester nicht
gefährden kann, und sind letztere etwas grösser und fester gebaut
wie auf dem Lande, damit die Eier eine sichere Unterlage haben.
Wie bei Mergus serrator hat ein Pöler Fischer auch diese
Möve als Bruthenne verwertet und von ihr Hühnereier ausbrüten
lassen. Die Möve hat die von ihren eigenen in der Farbe so
sehr abweichenden Eier sofort angenommen und genau in 21
Tagen ausgebrütet.
Urinator arcticus (L.) Polartaucher.
Ein schönes Ex. im Hochzeitskleide ging hier zum Aus-
stopfen ein, dasselbe war Ende Mai in der Nähe des Seebades
Boltenhagen von Fischern erlegt worden.
Uria grylie (L.) Gryllumme.
Am 11. August und 25. Sept. wurden bei Poel Exemplare
gefangen und mir zugeschickt, welche noch nicht ganz ausge-
wachsen waren und noch ein ziemlich rauhes Aussehen von dem
noch nicht ganz abgelegten Dunenkleide hatten. Die Länge be-
trägt 30 cm die Breite 54 cm: Wahrscheinlich waren diese Vögel
von ihrem nächstgelegenen Brutplatze, der Insel Bornholm, so
frühzeitig nach hier verschlagen worden.
-
Fratercula arctica (L.) Papageitaucher.
Als neu für die mecklenburgische Fauna ist dieser Vogel
nachzutragen. In der kleinen Sammlung des Doberaner Gym-
pasiums wurde ein Ex. aufgefunden, welches vor mehreren Jahren
am Doberaner Seestrand von einem Fischer gefangen wurde.
Nachschrift. Aus andern ÖOstseeländern Sind ausser den
oben bereits erwähnten beiden Vögeln : Falco peregrinus mit blauen
Füssen von Eckernförde und Oggnus bewickii von Rügen, von
bemerkenswerten Vögeln nach hier gelangt:
264 C.Wüstnei: Beobachtungen aus der Ornis Mecklenburgs im Jahre 1900.
Aguila chrysaötus (L.). Ein starkes Weibchen von 0,90 m
Länge und 2,10 m Flugweite im Nov. 1900 bei Greifswald erlegt,
mit braungeflecktem Oberkörper und weisslichen Flügelbinden.
Aquila clanga Pall. Ein Weibchen im Jugendkleid in der
ersten Hälfte des Novembers in Ostpreussen erlegt. Gegen die
hiesigen Schreiadler ist dieser Vogel ein grosses starkes Tier von
0,72 m Länge und 1,75 m Breite, er hatte jedoch als junger
Vogel etwas schwächere Fänge und Schnabel als die beiden
früher beschriebenen in Mecklenburg erlegten Schelladler, welche
ich nach diesem Vergleich auch bezüglich ihrer Färbung jetzt
umsomehr als ältere Vögel ansprechen möchte, da ihnen die
dem Jugendkleide charakteristische rostgelbe Fleckung der Ober-
flügel fehlte, sondern die Fleckung des Oberkörpers nur aus
einigen schmutzigweissen Schaft- und Spitzenflecken bestand, die
wenig hervortraten. Die Hauptfärbung des jungen Vogels ist ein
sehr dunkles Schwarzbraun, namentlich fehlt dem Kopf jede
Zeichnung, auch fehlt der Nackenfleck. Die Schulter- und Flügel-
deckfedern sind mit vielen rostgelben Schaftflecken geziert, auf
den grossen Deckfedern finden sich grosse rostgelbe Lanzett- .
und Spitzenflecke, welche 2 sehr ausgeprägte Flügelbinden dar-
stellen. Der Schwanz ist ungebändert, die untern Schwanzfedern
weisslich mit Rostgelb überflogen. Erwähnenswert möchte auch
die Erlegungszeit im November sein, da der hiesige Schreiadler
nur Sommervogel ist.
Nyctala tengmalmi (Gm.). Ein Ex. des Rauhfusskauzes kam
aus Zingst in Vorpommern nach hier.
Schwerin, den 30. Januar 1901.
265
Einige Bemerkungen über die Verbreitung und Systematik
der Kasuare.
Von Paul Matschie.
The Honorable Walter Rothschild hat in den Trans-
actions of the Zoological Society of London, vol. XV. Theil 5,
December 1900, p. 190—248, Taf. XXII—XLI eine monographische
Bearbeitung der Kasuare veröffentlicht, welche einen grossen
Fortschritt in der Kenntnis dieser schwierigen Gattung bedeutet.
Rothschild glaubt, dass man drei verschiedene Gruppen
unterscheiden muss: 1. die typischen Kasuare, 2. die Einlapp-
Kasuare, 3. die Mooruks.
Bei den ersteren ist der Helm hinten zusammengedrückt
und es sind zwei Hautlappen am Halse vorhanden; bei den Ein-
lapp-Kasuaren ist der Helm hinten abgeflacht und am Halse
befindet sich nur ein Hautlappen; die Mooruks endlich haben
ebenfalls einen hinten abgeflachten Helm und am Halse keine
Hautlappen.
Pycraft hat (l. c. p. 275—276) nachgewiesen, dass diese
drei Gruppen auch in der Gestalt des Sternum erhebliche Unter-
schiede zeigen.
Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass noch ein
anderes Merkmal für diese Trennung spricht.
Die Zweilapp-Kasuare und die lappenlosen Kasuare haben
zwischen dem Ohr und dem Schnabel einen wenig auffallenden,
kleinen Hautwulst, alte Einlapp-Kasuare besitzen dagegen an
dieser Stelle eine, vom Ohr schief nach unten verlaufende, wul-
stige, in der unteren Hälfte ovale Karunkel, die vor der Mitte
etwas eingeschnürt ist.
Unter den Zweilapp-Kasuaren unterscheidet Rothschild
zwei Arten: ©. bicarunculatus und casuarius, teilt aber diese
letztere in 7 Subspecies. Ich halte ©. böicarunculatus für eine
geographische Abart von ©. casuarius, ebenso wie Ü. australis,
©. sclateri und die übrigen als solche aufzufassen sind. Dass
©. bicarunculatus durch seine weit von einander getrennten Hals-
lappen von ©. casuarius leichter zu unterscheiden ist als vielleicht
violicollis, giebt ihm noch nicht die Berechtigung für den Species-
Rang.
Wir werden niemals im Stande sein, die natürliche Verwandt-
schaft durch die Nomenclatur auszudrücken, wohl aber können wir
Journ, £. Orn. XLIX, Jahrg. April 1901. 18
266 Paul Matschie:
gleich berechtigte Individuen-Kreise durch eine gleichmässige
Benennung kennzeichnen.
Der Zweilapp-Kasuar lebt in Non On auf den Aru-
Inseln und Ceram und ist wahrscheinlich über das gesamte Neu-
Guinea verbreitet, da man ihn aus dem äussersten Nordwesten
und dem äussersten Südosten kennt. Es sind mehrere gut zu
unterscheidende Formen dieser Kasuare beschrieben worden, von
denen jede ein gesondertes Gebiet bewohnt. Man darf also wohl
annehmen, dass in jeder faunistischen Provinz des Verbreitungs-
gebietes eine durch besondere Merkmale ausgezeichnete Abart
des Zweilapp-Kasuars lebt. Alle verdienen aber eine gleich-
mässige Benennung; entweder bezeichne man sie alle ternär als
Abarten von Casuarius casuarius oder man führe für die drei
Gruppen der Kasuare, die Zweilapp-Kasuare, die Einlapp-Kasuare
und die lappenlosen Kasuare je einen Untergattungsnamen ein
und benenne alle Abarten binär.
Der Queensland-Kasuar ist leicht kenntlich durch seine
sehr langen und in ihrer ganzen Länge getrennten Hals-
lappen, durch den im rechten Winkel zur Basis aufsteigenden,
vorn gewölbten Helm, durch die dunkelblauen nackten Seiten
des Oberhalses und durch den am Vorderrande violett gesäumten
Hinterhals. Drei Exemplare dieser prächtigen, grossen Abart
leben augenblicklich im Berliner ZoologischenGarten. ©. australis
kommt im nördlichen Queensland vor.
Bei ©. beccarit und C. sclateri sind die Halslappen an der
Basis breit verwachsen. Der Helm des C. beccarii von Wokam,
der nördlichsten Aru-Insel ist hinten gewölbt, während er bei
©. sclateri von Südost-Neu-Guinea hinten gerade oder ausgehöhlt
ist. Bei ©. beccarii ist der untere Teil der nackten Hinterhalsbinde
in der vorderen Hälfte blau, in der hinteren Hälfte rot gefärbt,
bei U. sclateri nur im vorderen Drittel blau, in dem übrigen
Verlaufe rot gefärbt.
Rothschild hält ©. Zrecarunculatus für eine Ausartung von
©. saWwadori. Ich bin nicht davon überzeugt, dass beide zu
einer und derselben Abart gehören. Der von Salvadori auf Tafel
I. Fig. 5 (Mem. R. Accad. Scienze Torino, 2. ser. XXXIV) ab-
gebildete Ü. salvadorii hat einen sehr hohen, hinten rechtwinklig
über der Basis aufsteigenden Helm, Rothschild’s Abbildung auf
Taf. XXIV zeigt einen Kasuar, dessen Helm hinten gewölbt auf-
steigt. C. salvadorii hat 2 getrennte Halslappen, auf Rothschild’s
Bemerkungen über Verbreitung und Systematik der Kasuare. 267
Tafel befindet sich zwischen den beiden Lappen ein kleinerer,
dritter.
C. salvadorii ist von Warbusi im Norden der Geelvinck-Bai
beschrieben worden, C©. tricarunculatus aber von Wandammen
im Süden derselben Bai.
Ich schlage vor, beide Formen zunächst noch nicht zu ver-
einigen, solange ihre Übereinstimmung nicht sicher nachge-
wiesen ist.
Der Helm des Ceram Kasuars, C. casuarius, steigt hinten
rechtwinklig zur Basis auf; die roten nackten Stellen des Hinter-
halses sind vorn sehr schmal blau gerandet.
Bei C. violicollis ist die Hinterkante des Helmes gewölbt
und der untere Teil der nackten Halsgegend ist nur hinten
schmal rot eingefasst.
Bei C. intensus steigt die Hinterkante des Helmes fast recht-
winklig zur Basis auf, ist aber etwas ausgehöhlt; der untere
Teil der nackten Halsseiten ist blau.
Das Vaterland von O. veolicollis ist nicht genau bekannt; Roth-
schild glaubt, dass er auf Terangan, der südlichsten Aru-Insel
zu Hause ist. Zwei jüngere Kasuare des Berliner Zoologischen
Gartens scheinen dieser Abart anzugehören.
Für CO. intensus ist kein sicherer Fundort nachgewiesen.
Rothschild nimmt in der Gruppe der Einlapp-Kasuare
zwei Arten an, O©. philipi und ©. unappendiculatus, und beschreibt
von letzterer vier Abarten.
Die Einlapp-Kasuare sind bis jetzt nur aus Nord-Neu-Guinea
nördlich vom centralen Gebirgszuge bekannt geworden.
Meiner Ansicht nach empfiehlt es sich, alle Einlapp-Kasuare
als Abarten einer einzigen Form zu benennen, da sie sich offen-
bar geographisch ersetzen.
C. rufotinctus Rothschild kann ich nicht von ©. aurantiacus
Rothschild unterscheiden. Das jetzt im Berliner Zoologischen
Museum aufbewahrte Original-Exemplar der letzteren Abart hatte,
wie eine sofort nach seinem Tode angefertigte Farbenskizze
beweist, den Vorderhals blau. Es sah also später wesentlich
anders aus, als es Keulemans’ Tafel darstellt. Die Gestalt des
Helmes scheint bei rufotinctus auch dieselbe zu sein, wie bei
aurantiacus; beide haben einen sehr niedrigen Helm. Jedenfalls
ist eine Gegenüberstellung der Unterschiede beider Formen sehr
erwünscht.
18*
2368 Paul Matschie:
Der von Rothschild als (©. wunappendiculatus auf
Tafel XXIX und XXX abgebildete Kasuar stimmt mit Blyth’s
Original Beschreibung von (©. unappendiculatus nicht überein;
denn Blyth erwähnt, dass „the cheeks and throat are smalt blue“
und sagt nichts von einer gelben Binde über das Hinterhaupt.
Dagegen entspricht Salvadori’s Abbildung (Taf. II, Fig. 6)
der Blyth’schen Beschreibung. Auch Casuarius kaupi Rosenberg
gehört wohl zu ©. unappendiculatus Blyth.
Bei Rothschild’s Exemplar ist die Schnabelfirste kürzer als
die Entfernung vom Vorderrande des Auges bis zum Vorder-
rande des Helmes an der Schnabelfirste; nur das Kinn und die
Karunkeln sind blau; über den Hinterkopf verläuft eine gelbe
Binde und die gelbe Halsfärbung erstreckt sich nach oben bis
dicht an das Ohr.
Bei dem von Salvadori abgebildeten Individuum ist die
Schnabelfirste länger als die Entfernung vom Vorderrande des
Auges bis zum Vorderrande des Helmes an der Schnabelfirste;
das Kinn und der obere Teil des Halses sind ebenso wie die
Hals- und Kopfseiten, der Hinterhals und der Hinterkopf blau;
auf dem Hinterkopf ist eine gelbe Binde nicht vorhanden und
die gelbe Halsfärbung reicht nach oben nicht bis an die Kopf-
seiten heran. ;
Ferner steigt bei Rothschild’s Kasuar die Vorderkante des
Helmes fast rechtwinklig über die Helmbasis auf und die Helm-
spitze befindet sich weit vor dem Auge, während sie bei Salvadori’s
Exemplar in spitzem Winkel so nach hinten sich erhebt, dass die
Spitze des Helms dicht über dem Vorderrande des Auges liegt.
Ich halte den von Rothschild abgebildeten Vogel für ver-
schieden von ©. unappendiculatus Blyth und nenne ihn Casuarius
rothschildi Mtsch.
Im Berliner Zoologischen Garten lebt ein jüngerer Vogel,
welcher dieser Abart angehört und als Original-Exemplar anzu-
sehen ist.
©. philipi hat ebenfalls einen kurzen Schnabel und keine
gelbe Hinterhalsbinde; durch den einfarbig blauen Vorderhals
ist er leicht kenntlich.
Bei ©. occipitalis reicht die gelbe Halsfärbung nicht bis zur
Ohrgegend, eine gelbe Hinterhauptsbinde ist vorhanden; der
Helm ist hoch und bildet ein spitzwinkliges Dreieck von der
Seite gesehen.
Bemerkungen über Verbreitung und Systematik der Kasuare. 269
C. unappendiculatus ist aus dem äussersten Nordwesten
von Neu-Guinea bekannt, von Salwatti, Tangion-Ram und Sorong-
Das Vaterland von ©. rothschildi kenne ich nicht.
C. occipitalis ist in Jobi zu Hause, CO. aurantiacus in
Deutsch-Neu-Guinea.
Die dritte Gruppe der Kasuare, die lappenlosen Kasuare,
umfasst nach Rothschild 4 Arten ©. papuanus, ©. picticollis,
©. benneiti und Ü. loriae; die ersten drei sind in je 2 Subspecies
beschrieben.
C. papuanus und Ü. edwardsi haben einen roten Hinterhals.
Bei ©. edwardsi befindet sich ein roter Fleck dicht unter und
hinter dem Schnabelwinkel. CO. papuanus ist von Andai, Amber-
baki und Dorei, ©. edwardsi von Dorei bekannt. Ob beide sich
von einander trennen lassen, wird erst durch Untersuchung
weiteren Materials entschieden werden können.
Rote Halsseiten haben (©. picticollis und CO. hecki. Bei picti-
collis ist am Vorderhalse und zuweilen auch am Kinn eine rote
Färbung vorhanden. Ü. hecki hat einen roten Fleck hinter dem
Schnabelwinkel, der übrigens von Rothschild nicht erwähnt wird.
Der Helm ist bei ©. picticollis oben rechtwinklig, bei C.
hecki stumpfwinklig.
©. picticollis lebt an der Discovery Bai in Süd-Neu-Guinea,
©. hecki in Deutsch-Neu-Guinea. (. bennetti von Neu-Pommern
hat die nackten Halsseiten tief purpurfarbig. CO. maculatus ist ihm
sehr ähnlich, hat aber auf dem Vorderhalse einen roten Fleck.
©. loriae ist durch den roten Vorderhals leicht kenntlich und
würde, selbst wenn sich O©. picticollis in ähnlicher Weise aus-
färbte, durch den niedrigen, aber nicht spitzwinkligen, sondern
rechtwinkligen Helm und die längere Schnabelfirste sich unter-
scheiden.
Die lappenlosen Kasuare scheinen über ganz Neu-Guinea
verbreitet zu sein.
270
Vogelwarte Rossitten
der
Deutschen Ornithologischen 6esellsehaft.
Nachdem durch Frlass des Königlichen Ministeriums der
geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten vom 18.
Dezember 1900 und uuter Beteiligung des Königlichen Minis-
teriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten der Deutschen
Ornithologischen Gesellschaft geeignete Mittel zur Verfügung ge-
stellt sind, hat die Gesellschaft die Einrichtung einer ornitho-
logischen Beobachtungsstation in Rossitten auf der kurischen
Nehrung beschlossen und folgende Satzungen und Geschäftsord-
nung für die Station aufgestellt:
I. Satzungen.
Sk
Die Station führt den Namen „Vogelwarte Rossitten der
Deutschen Ornithologischen Gesellschaft.“
822.
Zweck der Vogelwarte ist:
1. Beobachtung des Vogelzuges, wobei insonderheit zu berück-
sichtigen ist:
a. Zugzeit der einzelnen Arten (Jahres- und Tageszeit),
v. Richtung der Wanderzüge.
c. Stärke der einzelnen Wanderscharen und Anordnung der
Züge,
d. Sonderung der Vogelarten innerhalb der Wanderscharen
nach Geschlecht und Alter,
e. Wind- und Wetterverhältnisse während, vor und nach
der Zugzeit und Einflüsse derselben auf das Wandern,
f. Höhe des Wanderfluges,
g. Schnelligkeit des Wanderfluges und Geschwindigkeit des
Vogelfluges überhaupt,
h. Rasten der Wanderscharen und Rückflug,
i. Herkunft der Vögel.
2. Beobachtung der Lebensweise der Vögel und ihrer Ab-
hängigkeit von der Nahrung. Unterschiede in der Lebens-
weise der Brut-, Strich- und Zugvögel.
3. Untersuchungen über Mauser und Verfärbung. Alters- und
Jahreskleider der Vögel, Zeit und Art ihrer Entstehung.
Vogelwarte Rossitten. 271
4. Untersuchungen über den wirtschaftlichen Wert der Vögel
und zwar:
a. Nahrung der Vögel zu verschiedenen Zeiten und an ver-
schiedenen Orten,
b. Nutzen und Schaden, der sich aus der Nahrungsweise
der einzelnen Vogelarten für Land- und Forstwirtschaft,
Gartenbau und Fischerei ergiebt,
c. Verbreitung von Pflanzen und niederen Tieren durch Vögel.
5. Untersuchungen über zweckgemässen Vogelschutz und zwar:
a. Erhaltung und Vermehrung des Vogellebens durch An-
pflanzungen und Aufhängen von Nistkästen.
b. Versuche mit Winterfütterung zur Erhaltung des Vogel-
lebens, insonderheit auch zur Erhaltung des Jagdgeflügels.
c. Massnahmen zur Erzielung gesetzlicher Bestimmungen
zum Schutze der Vogelwelt.
6. Einrichtung einer Sammlung der auf der Nehrung und in
nächster Umgebung vorkommenden Vögel auf der Vogel-
warte Rossitten.
7. Beschaffung von Untersuchungsmaterial für die wissenschaft-
lichen Staatsinstitute.
8. Bei den unter 2, 4 und 7 genannten Aufgaben soll die
Thätigkeit der Vogelwarte sich nicht auf die Vögel beschränken,
sondern auch auf andere Tierklassen erstrecken.
9. Verbreitung der Kenntnis des heimatlichen Vogellebens im
allgemeinen und des wirtschaftlichen Wertes der Vögel im
besonderen durch Wort und Schrift.
ges:
Die Vogelwarte Rossitten untersteht einer Verwaltung, die
sich aus dem jeweiligen Vorstande der Deutschen Ornithologi-
schen Gesellschaft, aus 3 vom Vorstande zu wählenden Mitgliedern
der Gesellschaft, unter denen ein Jurist sein soll, und aus je
einem Vertreter der Königlichen Ministerien der geistlichen, Unter-
richts- und Medizinal-Angelegenheiten und für Landwirtschaft,
Domänen und Forsten zusammensetzt.
84.
Die ornithologischen Ergebnisse der Vogelwarte Rossitten
werden im Organ der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft,
Journal für Ornithologie, veröffentlicht.
272 Vogelwarte Rossitten.
85.
Die Ausführung der in den Satzungen enthaltenen Aufgaben
wird durch eine Geschäftsordnung geregelt.
S 6.
Änderungen und Erweiterungen der Satzungen bleiben der
Verwaltung jederzeit vorbehalten.
Die Verwaltung der Vogelwarte besteht zur Zeit aus fol-
genden Herren:
Professor Dr. R. Blasius, Braunschweig, Präsident
Herman Schalow, Berlin, Vice-Präsident Vortanı
Professor Dr. Reichenow, Berlin, Generalsekretär der
ABRS -. * Deutschen
P. Matschie, Kustos am Königl. Museum für f ke
Naturk. in Berlin Stellvertret. Sekretär | Ornitholog.
Gesellschaft.
Öberpostsekretär C.Deditius, Berlin, Kassenführer )
Regierungsrat Professor Dr. G. Rörig, Berlin Beigeordnete
Rechtsanwalt und Notar P. Kollibay, Neisse Mitglieder
Dr. A. Jacobi, Berlin | der Gesellschaft.
Ein Vertreter des Königl. Ministeriums der Geistlichen, Unter-
richts- und Medizinal-Angelegenheiten (Ernennung noch
ausstehend).
Ein Vertreter des Königl. Ministeriums für Landwirtschaft, Do-
mänen und Forsten UEnUuUE noch ausstehend).
Mit der Leitung der Vogelwarte ist Herr J. Thienemann
betraut worden.
II. Geschäftsordnung.
Sk
Der Leiter der Vogelwarte übernimmt auf Grund eines
Vertrages die Ausführung der in den Satzungen ausgesprochenen
Aufgaben.
Sa
Am Schlusse eines jeden Kalenderjahres hat der Leiter der
Vogelwarte einen Verwaltungsbericht und einen wissenschaftlichen
Jahresbericht zu liefern und der Verwaltung bis spätestens zum
3l. Januar des folgenden Jahres einzusenden. Die Berichte
werden im Journal für Ornithologie veröffentlicht. Auch soll der
Leiter der Vogelwarte über Beobachtungen und Untersuchungen,
Vogelwarte Rossitten. 273
deren schnelle Veröffentlichung zur Wahrung des Zeitvorrechtes
oder, um die allgemeine Aufmerksamkeit auf ein Vorkommnis
zu lenken, wünschenswert ist, während des Kalenderjahres Be-
richte einschicken, für deren schleunige Bekanntmachung durch
Zeitschriften oder Flugblätter die Verwaltung Sorge tragen wird.
83.
Die sonstige litterarische Thätigkeit des Leiters der Vogel-
warte ist insoweit unbeschränkt, als dadurch die amtlichen Be-
richte nicht beeinträchtigt werden.
84.
Zur Verfolgung aller unter $ 2 der „Satzungen“ genannten
Aufgaben der Vogelwarte Rossitten ist die Kraft eines Einzelnen
selbstverständlich nicht ausreichend, vielmehr soll mit der Anstalt
ein Mittelpunkt für die genannten Bestrebungen geschaffen werden.
Es wird Aufgabe des Leiters der Anstalt sein, für die verschie-
denen Zwecke und Ziele Mitarbeiter in allen Teilen Deutschlands
(Flachland, Mittel- und Hochgebirge) zu werben, die dann ge-
wonnenen Einzelbeobachtungen und Ergebnisse aber einheitlich
zu verarbeiten oder für deren Bearbeitung durch geeignete Fach-
leute Sorge zu tragen.
Die Vogelwarte wird zur Förderung ihrer Zwecke u. a.
auch mit den Wetterwarten auf Zugspitze, Schneekoppe und
Brocken, mit den Leuchtturmwächtern und ‚den Vereinen für
Luftschiffahrt in Verbindung treten.
274 Bericht über die Dezembersitzung 1900.
Bitte an alle Ornithologen.
Nachdem die Vogelwarte Rossitten in Thätigkeit getreten
ist, richten wir an alle Fachgenossen und Freunde der deutschen
Vogelkunde die Bitte, zur Begründung einer ornithologischen
Bibliothek, die sich für die Arbeiten in der Station als dringend
nötig erweist, hilfreiche Hand zu bieten. In Hinblick auf die zu
lösenden Aufgaben wird es sich in erster Reihe um die Be-
schaffung von Büchern über die Vögel Deutschlands und alsdann
um solche über die Vögel des gesamten europäisch-sibirischen
Gebietes handeln. Erwünscht sind ferner Arbeiten über den Zug
der Vögel, über Lebensweise und ähnliches. Wertvolle Schriften
sind uns bereits zur Verfügung gestellt worden. Wir bitten
die Verfasser ornithologischer Arbeiten, der Vogelwarte ihre Ver-
öffentlichungen, seien diese nun in Buchform erschienen oder in
Sonderabzügen vorhanden, gütigst überweisen zu wollen. Ebenso
wird um Überlassung fremder Arbeiten, die doppelt im Be-
sitze des Einzelnen sind, freundlichst gebeten. Die Sendungen
sind an den Leiter der Vogeiwarte, Herrn J. Thienemann,
Rossitten, Kurische Nehrung, zu richten. Ein Verzeichnis der
Eingänge und der Geber wird s. Z. in dem Jahresbericht der
Station gegeben werden. Im voraus sei aber allen Spendern für
ihre gütigen Zuwendungen von der Verwaltung der Vogelwarte
der herzlichste Dank an dieser Stelle bereits ausgesprochen.
Der Vorstand der Deutschen Ornithologischen Gresellschaft,
Deutsche Ornithologische Gesellschaft.
Bericht über die Dezembersitzung I900.
Verhandelt Berlin, Montag, den 3. Dezember 1900, Abends
8 Uhr im Bibliothekzimmer des Architekten - Vereinshauses
Wilhelmstr. 92. 11.
Anwesend die Herren Reichenow, Schalow, Deditius,
Grunack, Thiele, Kosegarten, Haase, Matschie, von
Lucanus, Jacobi und Pascal.
Vorsitzender: Herr Schalow. Schriftf.: Herr Matschie.
Vor dem Eintritt in die Tagesordnung teilt der Vor-
sitzende mit, dass Herr Generalleutnant z. D. Excellenz Nernst,
seit 1890 Mitglied unserer Gesellschaft, gestorben ist.
Bericht über die Dezember-Sitzung 1900. 275
Die Anwesenden ehren das Andenken an den Heimgegangenen
durch Erheben von den Sitzen.
Herr Reichenow bespricht nunmehr die erschienenen
und eingesandten Schriften.
Auch die Herren Matschie und Schalow Iegen einige in-
teressante ornithologische Arbeiten vor und weisen auf den In-
halt derselben hin.
Herr Deditius giebt einen ausführlichen Bericht über die
Arbeit von V.Häcker: Der Gesang der Vögel, seine anatomischen
und biologischen Grundlagen.
Herr Reichenow verliest einen Brief unseres Mitgliedes
Baron von Erlanger über die Ergebnisse seiner Forschungen
in Abessinien und legt alsdann drei Entenvögel vor, die Herr
Dr. Bartels von Jaluit eingesendet hat. Der hieran sich
knüpfende Bericht über eine Vogelzugstrasse vom nordwestlichen
Nordamerika nach Polynesien über die Marshallinseln ist bereits
in den Orn. Monatsb. 1901 S. 17 veröffentlicht.
Herr von Lucanus legt eine Amsel mit partiellem Albi-
nismus vor. Der Vogel zeigt folgende Färbung:
Kopf, Hals, Rücken, obere Schwanzdecken weiss, Bauch
weiss gefleckt. Flügel und Schwanz schwarzbraun, Kehle und Ober-
brust rotbraun. Diese Teilehaben aber die Farbe des Amselweibchens;
der Schnabel dagegen ist wie beim Amselmännchen orangegelb
gefärbt, nur die Spitze graubraun. Füsse orangegelb. Durch
Section ist festgestellt, dass der Vogel weiblichen Geschlechts ist.
Der Vogel zeigt daher partiellen Albinismus in Verbindung mit
Hahnenfedriekeit in Bezug auf die Schnabelfärbung. Farbe der
Iris dunkelbraun, nicht rot wie bei eigentlichen Albinos. Die
erlegte albinotische Amsel hielt sich zusammen mit 3 normal
sefärbten Vögeln auf und zeichnete sich vor diesen durch besonders
vorsichtiges, scheues Wesen aus. Es erweckte den Eindruck, als
ob der Vogel sich bewusst war, infolge seiner abnormen, auf-
fallenden Färbung einer grösseren Gefahr ausgesetzt zu sein.
An derselben Stelle, wo diese Amsel erlegt war, zeigte sich
später wieder eine mit weiss gesprenkeltem Gefieder.
Über diesen merkwürdigen Vogel erhebt sich eine lebhafte
Unterhaltung, an welcher namentlich die Herren Matschie,
Schalow, Reichenow, Pascal und Kosegarten sich
beteiligen.
276 Bericht über die Januarsitzung 1901.
Herr Pascal sieht in dem häufigen Auftreten albinotischer
Exemplare bei Amseln den Einfluss der veränderten Lebensweise.
Herr Schalow macht darauf aufmerksam, dass in einzelnen
Monaten, namentlich im September, innerhalb Berlins keine Amsel
zu sehen ist.
Herr Reichenow vermutet, dass sie zu dieser Zeit sich von
Beeren ernähren und darum weitere Ausflüge machen.
Herr Kosegarten berichtet über einen weiss vermauserten
Sprosser.
Herr Jacobi spricht über einen Erpel, der an der Moabiter
Brücke in Berlin sich auf dem Kanal aufhält: „Seit zwei Wintern
beobachte ich unter den halbzahmen Stockenten, die sich auf dem
Spreelaufe innerhalb der Stadt Berlin aufhalten, an der Lessing-
brücke in Moabit einen Erpel, der ein sehr abweichendes, aber
regelmässig und schön gezeichnetes Federkleid trägt. Die
Schulter- und Tragefedern oder Weichen sind nämlich nicht von
dem gewöhnlichen Grau mit zarter Wässerung, sondern schön
kastanienbraun mit rostfarbener Beimischung, also von der Farbe
des Kropfes und der Öberbrust. Auch Unterseite und Bürzel
zeigen einen abweichenden, weit dunkleren Ton. Obwohl die
Vermutung nahe läge, dass dieser Vogel seine abweichende
Färbung einer Blutmischung mit irgend einer Hausentenrasse
verdanke, ist er doch nach Grösse, Bau und Stimme ein echter
Märzerpel — übrigens ein kräftiges, munteres Tier, dass bei den
üblichen Beissereien um Futterbrocken seinen Mann steht. Ob-
wohl der Erpel im Frühjahr und Herbst mit einer Ente gepaart
gesehen wurde, konnte irgend eine ähnelnde Nachkommenschaft
nicht beobachtet werden.“
Herr Schalow legt zum Schluss Photographien vom inter-
nationalen Ornithologen-Congress in Paris vor.
Matschie.
Bericht über die Januarsitzung 1901.
Verhandelt Berlin, am Montag, den 7. Januar 1901, Abends
8 Uhr im Bibliothekzimmer des Architekten - Vereinshauses,
Wilhelmstrasse 92. Il.
Anwesend die Herren Reichenow, Grunack, von
Treskow, Deditius, Pascal, Heck, Jacobi, von Lu-
canus, Gottschlag, Kosegarten, Schalow, Matschie
und Sokolowsky.
Bericht über die Januarsitzung 1901. 277
Von auswärtigen Mitgliedern Herr von Quistorp-Crenzow.
Als Gast Herr von Kügelgen.
Vorsitzender: Herr Reichenow. Schriftf.: Herr Matschie.
Herr Reichenow bespricht eine grössere Anzahl von
Arbeiten, die im vergangenen Monate hier eingelaufen sind und
hebt besonders einige Untersuchungen Hartert’s über neue
geographische Formen europäischer Vögel hervor.
Herr von Quistorp erwähnt hierzu, dass in Pommern 2
Ardea purpurea geschossen worden sind.
Herr Jacobi weist auf das Brutvorkommen von Tichodroma
im sächsischen Erzgebirge bei den Schrammsteinen hin.
Die Herren von Quistorp und Reichenow machen einige
Mitteilungen über das Auftreten des Mauerläufers in der Ortler-
. Gruppe, bei Trafoi, in Graubünden und am Soemmering.
Herr Matschie spricht die Vermutung aus, dass die von
Herrn Hartert beschriebenen Formen nicht gleichwertig sind und
dass einige von ihnen als Standortsvarietäten, andere aber als
geographische Abarten gedeutet werden müssen. Letztere sind
‘ durch gut bestimmte Merkmale constant zu unterscheiden; Über-
gänge zwischen ihnen giebt es nicht; jedes Individuum, welches
Charaktere zweier geographischen Abarten vereinigt, ist als
Bastard anzusehen und kann nur in den Grenzgegenden zwischen
den Gebieten beider vorkommen.
Standortsvarietäten nennt er Abänderungen, welche in mess-
baren Zeiträumen durch klimatische und Nahrungseinflüsse her-
vorgerufen sind und in allen Übergängen von der Stammform
zur fertigen Varietät auftreten; sie fallen sofort wieder in die
Stammform zurück, sobald die äusseren Einflüsse sich entsprechend
geändert haben. Laubholz- und Nadelholzformen gehören hier-
her, ebenso Wald- und Feldformen einer und derselben geo-
graphischen Abart.
Herr Jacobi glaubt, dass diese Ansicht vielleicht durch
die Thatsache eine Bestätigung erfährt, dass im Mischwalde auch
eine Mischform der Certhia auftrete.
Herr von Quistorp macht auf die Verschiedenheiten
zwischen den sogenannten Eulenköpfen und den Dornschnepfen
aufmerksam und glaubt, dass nur die Eulenköpfe in Pommern
brüten, während die Dornschnepfen weiter nach Norden ziehen.
Herr Reichenow hält diese beiden Formen der Schnepfe
für geographische Abarten.
278 Bericht über die Januarsitzung 1901.
Herr von Kügelgen zeigt vor und bespricht eine von ihm
gemachte Skizze, die den im hiesigen Zoologischen Garten lebenden
Paradiesvogel in verschiedenen Balzstellungen darstellt.
Der Vogel singt eifrig, schlägt mit den Flügeln, biegt den
Kopf weit nach vorn und unten, klappt den Schwanz abwärts
und kippt die weit gespreizten Prachtfedern nach vorn über,
während die Flügel halb ausgebreitet nach unten hängen. Die
starren geraden Schmuckfedern sind dabei nach oben gerichtet.
Herr Jacobi erwähnt, dass die Herren Stoll und Zeh-
fuss diese Balzstellung ebenfalls im hiesigen Zoologischen Garten
beobachtet haben.
Ferner zeigt Herr von Kügelgen Skizzen eines Auer-
hahns in der Balz vor, der dabei den Kopf nach oben gerichtet hält.
Herr von Quistorp giebt zu, dass diese Stellung ge-
legentlich vorkomme, dass aber der Auerhahn in voller Balz ge-
wöhnlich den Kopf senke.
Über diese Frage kommt es zu einer längeren Discussion,
an welcher die Herren von Lucanus, Heck, von Quistorp
und v. Kügelgen sich beteiligen.
Es ergiebt sich hieraus die Wahrscheinlichkeit, dass beide
Stellungen vom balzenden Auerhahn angenommen werden je nach
der Örtlichkeit.
Herr Reichenow berichtet nunmehr über die Einrichtung
der von der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft geplanten
Biologischen Station in Rossitten und giebt bekannt, dass die
Staatsregierung das Unternehmen durch Bewilligungeiner grösseren
Geldsumme zu unterstützen geneigt Sei. Der Vorstand hat be-
reits in Verbindung mit einigen hierzu herangezogenen Mitgliedern
die Satzungen und Instruktionen für den Leiter der in Aussicht
genommenen Vogelwarte ausgearbeitet. Diese werden an die
Mitglieder verteilt mit der Bitte, irgendwelche nützliche Ab-
änderungen derselben dem Vorstande vorzuschlagen.
Herr von Quistorp weist auf den Peenemünder Haken an
der Nordwestspitze von Usedom gegenüber von Ruden hin und
empfiehlt diese von Zug- und Wintervögeln in grossen Scharen
aufgesuchte Stelle als besonders geeigneten Platz für eine
Beobachtungsstation.
Herr Reichenow knüpft hieran eine Besprechung der-
jenigen Beschlüsse, welche die diesjährige Hauptversammlung
Bericht über die Februarsitzung 1901. 279
der Gesellschaft in Leipzig über den Schutz der Vogelwelt ge-
fasst hat.
Über die Zweckmässigkeit eines Antrages an die Reichs-
regierung erhebt sich eine rege Debatte, an welcher die Herren
von Quistorp, Heck, Reichenow, Kosegarten, von
Lucanus und Jacobi sich beteiligen.
Der Vorstand wird die nötigen Schritte thun.
Matschie.,
Bericht über die Februarsitzung.
Verhandelt Berlin, Montag, den 4. Februar 1901, Abends
8 Uhr im Architekten-Vereinshause, Wilhelmstr. 9211.
Anwesend die Herren: Reichenow, Grunack, von Tres-
kow, Pascal, Deditius, Haase, Heck, von Lucanus, Mat-
schie und Sokolowsky.
Von auswärtigen Mitgliedern: Herr von Quistorp-Crenzow.
Als Gast nahm Teil: Herr Schüll.
Vorsitzender: Herr Reichenow. Schriftf.: Herr Matschie.
Zunächst wird (der Bericht über die Januar-Sitzung ver-
lesen. Herr von Quistorp wendet sich gegen eine falsche
Auffassung seiner Bemerkungen. Der Auerhahn nehme beim
Balzen nicht je nach dem Standort der Hennen eine verschiedene
Stellung ein, sondern er balze in der Frühe, wenn noch keine
Hennen zugegen Seien, und stehe erst bei Tagesanbruch vom
Baume ab, um sich zu den Hennen zu gesellen.
Herr Reichenow wendet sich gegen die von Herrn Mat-
schie vorgetragene Unterscheidung von Standorts- und geogra-
phischen Varietäten und ist der Ansicht, dass in der Natur auch
Übergangsformen vorkummen, welche nicht als Bastarde anzu-
sprechen sind.
Die zwischen beiden Herren sich entspinnende Debatte
führt nicht zu einer Einigung.
Hierauf wird das Protokoll mit einer kleinen Änderung
angenommen.
Die Herren Reichenow und Matschie legen nunmehr
eine Anzahl von neu erschienenen Schriften vor und besprechen
diese.
Alsdann erhält Herr Sokolowsky das Wort zu einem
Referat über die mit prächtigen Tafeln geschmückte Arbeit von
280 Bericht über die Februar-Sitzung 1901.
The Honorable Walter Rothschild: A Monograph of the
Genus Casuarius, welche in den Transactions of the Zoological
Society of London, vol. XV, Part V, Dezember 1900 erschienen ist.
Graf Tommaso Salvadori hat in seiner Monografia del Genere
Casuarius Briss. (Mem. Accad. Sc. Torino, 2. ser, Tome XXXIV
p. 174 ff.) die Kasuare in 2 Gruppen eingeteilt und zwar nach der
Form des Helmes: Er unterscheidet Formen mit seitlich zu-
sammengedrücktem Helm und solche mit dreiseitig pyramiden-
förmigem Helm. Innerhalb dieser Abteilungen unterscheidet
er die einzelnen Arten nach der Zahl der Halslappen. Er führt
10 Arten auf. Rothschild gelangt zu einem ganz anderen Er-
sebnis. Nach ihm zerfallen die Kasuare in drei Gruppen, die
er nach der Form des Helmes, sowie nach dem Vorhandensein,
der Zahl und dem Fehlen der Halslappen kennzeichnet.
In der I. Gruppe finden sich Formen mit seitlich zu-
sammengedrücktem Helm, sowie mit zwei Halslappen.
Sie umfasst nur 2 Spezies, deren eine aber in 7 Subspezies
zerfällt.
Die II. Gruppe zeigt den Helm hinten eingedrückt und
umfasst nur einlappige Formen. Sie enthält ebenfalls 2 Arten,
die eine von diesen aber 4 Subspezies und eine Varietät, von
welchen eine, ©. uniappendiculatus rufotinctus, neu beschrieben
wird, und eine Varietät O©. occipialis laglaizü.
Die IlI. Gruppe zeigt die Form des Helmes. wie bei der
vorigen; Halslappen fehlen gänzlich. Sie umfasst vier Arten, 3
von diesen treten in 2 Subspezies auf, eine von den letzteren
ist neu, Ü©. bennetti maculatus. Mithin unterscheidet Rothschild
8 Arten mit 20 Formen und eine Varietät.
Rothschild konnte zu seinen Untersuchungen ein ziemlich
umfangreiches Material benutzen, es stand eine beträchtliche
Zahl von lebenden Vögeln und Bälgen zur Verfügung.
Die alten Vögel sind schwarz, die Jungen braun, die eben
ausgeschlüpften dagegen längsstreifig. Die Eier, 6—8 an der
Zahl, sind, wenn frisch, hellgrün gefärbt, sobald sie dem Lichte
ausgesetzt werden, erhalten sie zuerst eine bläuliche, sodann
eine graue und zuletzt eine gelbliche Farbe. Nur die Männchen
brüten. Rothschild weist darauf hin, dass Herr Schalow den
Versuch machte, auf Grund der Farbe und Beschaffenheit die
Eier der verschiedenen Arten zu kennzeichnen, hält aber diesen
Bericht über die Februar-Sitzung 1901. 281
Versuch für verfehlt, da nach ihm die Farbe der Eier sowie die
Beschaffenheit der Schale bei allen Formen die gleiche ist.
Im Gegensatz zu den Straussen, die Steppen und Wüsten-
bewohner sind, leben die Kasuare in Wäldern. Ihre Nahrung
scheint aus pflanzlichen Stoffen und Früchten zu bestehen, doch
werden sie auch gelegentlich Insekten und andere kleine Tiere,
die ihnen gerade in den Weg laufen, zu sich nehmen. Gleich
den Straussen nehmen sie auch geringe Quantitäten von Sand
und Steinen zur Beförderung der Verdauung auf. Die Kasuare
sind Tagtiere, welche die Nacht durch schlafen. Die Stimme
der Kasuare ist ein sonderbares Gemisch von Schnarchen, Grunzen
und Bellen, gewöhnlich nicht sehr laut, bei den einzelnen Arten
verschieden.
Ihr Temperament ist sehr kampfsüchtig, die Geschlechter
vertragen sich ausser der Brutzeit sehr schlecht. Ausnahmen
hiervon sind sehr selten.
Es scheint, dass deutsche Schiffer im Jahre 1596 zuerst
mit den Kasuaren bekannt wurden, wenigstens verlautet nichts,
dass die Portugiesen, die den ostindischen Archipel lange vorher
besuchten, Kenntnis von den Tieren hatten. 21/, Jahrhundert
lang kannte man nur eine einzige Form, bis im Jahre 1854
Thomas Wall eine neue Form vom Cape York brachte, es ist
dies ©. c. australis. 1857 beschrieb Gould eine Form aus Neu-
pommern, 1860 Blyth 2 neue Spezies, während die Zahl der
heute bekannten Formen 20 beträgt.
In der I. Gruppe ändern Spezies und Subspezies ausser-
ordentlich in Höhe und Form des Helmes ab. Es ergeben sich
daher oft grössere Verschiedenheiten zwischen den Vögeln einer
Subspezies als zwischen zwei Subspezies. Auch lässt sich häufig
die Thatsache nachweisen, dass die Männchen derselben Sub-
spezies einen höheren und mehr aufgerichteten Helm tragen als
die Weibchen.
Nach Rotbschild besteht kein Zweifel, dass gewisse Unter-
schiede in der Helmform zwischen Subspezies und Spezies vor-
handen sind, doch darf nach ihm nicht zuviel Gewicht darauf
gelegt werden, da die verschiedene Form des Helmes erstens auf
individueller Variation beruht, zweitens auf geschlechtlicher,
drittens auf Altersunterschieden, namentlich unter dem Einfluss
der Gefangenschaft.
Journ. f, Orn. XLIX, Jahrg. April 1901. 19
282 Bericht über die Februar-Sitzung 1901.
Der Autor sah junge Tiere mit noch braunem Federkleide,
aber ausserordentlich hohem Helm, aber auch alte mit schwarzem
Federkleide fast ohne jegliche Spur eines Helmes. Der Autor
giebt eine ausführliche systematische Schilderung der einzelnen
Spezies und Subspezies und berücksichtigt namentlich auch die
Jugendformen in verschiedenen Altersstufen.
Im Berliner zoologischen Garten befinden sich zur Zeit
10 Exemplare von Kasuaren, darunter drei prächtig ausgefärbte
©. c. australis, ferner gehören zwei junge Vögel wahrscheinlich
der Abart ©. ec violicollis an, ein junges, noch nicht ausgefärbtes
Tier ist O. unappendiculatus aurantiacus. Ausserdem sind einige
junge ©. pieticollis hecki vorhanden.
Dem Werke sind zwei Karten angefügt, worauf die Ver-
breitung der einzelnen Arten sehr anschaulich dargestellt wird.
Herr Matschie ergänzte diesen Bericht durch einige zoo-
geographische und systematische Bemerkungen, welche gesondert
zum Abdruck im Journal gekommen sind.
Herr Reichenow machte darauf aufmerksam, dass die
Kasuare sumpfige Gegenden lieben und hob die gewaltige Kraft
dieser Vögel hervor.
Alsdann hielt Herr Reichenow einen Vortrag über die Ver-
breitung und Systematik der Schwalben Afrikas und beschrieb
eine neue Abart: Hirundo neumanni: Zwischen H. semirufa und
gordoni stehend, von der Grösse der ersteren, aber unterseits
heller, mehr wie H. gordons gefärbt; Unterseite vom Kropfe bis
zum Steiss hell rotbraun, aber etwas dunkler als bei H. gordons,
Kehle und Unterschwanzdecken wesentlich heller als die übrige
Unterseite und wenig mehr ins Rotfarbene ziehend als die
isabellgelben Unterflügeldecken. Flügel 123, Schwanz 155 mm.
Vom Massailande.
Herr Grunack erwähnt, dass Girtanner über einen in
Tirol erlegten Kondor berichtet hat. Nach der Meinung der
Anwesenden ist dem dortigen Auftreten dieser Art kein beson-
derer Wert beizumessen, da man es offenbar mit einem Exemplar
zu thun habe, welches aus einer Menagerie oder von einem
Schiffe entflohen sei.
Herr Pascal machte auf die gelungene Einbürgerung
schottischer Lagopus in der Hohen Fenn aufmerksam.
Bericht über die März-Sitzung 1901. 288
Herr von Quistorp teilte hierzu mit, dass auch in der
Lüneburger Heide durch Graf Berg Schneehühner ausgesetzt sind.
Matschie.
Bericht über die Märzsitzung.
Verhandelt Berlin, Montag den 4. März 1901, Abends
8 Uhr im Architekten-Vereinshause, Wilhelmstr. 92, II,
Anwesend die Herren: Schalow, Reichenow, Dedi-
tius, Grunack, Ehmcke, Kosegarten, von Treskow,
Freese, Pascal, Haase, Matschie, von Lucanus, Soko-
lowsky und Jacobi.
Von auswärtigen Mitgliedern: Herr von Quistorp-Crenzow.
Als Gäste die Herren: Staudinger, von Kügelgen und
von Loebenstein.
Vorsitzender: Herr Schalow. Schriftf.: Herr Matschie.
Der Bericht über die Februar -Sitzung wird verlesen und
. angenommen.
Herr von Quistorp bemerkt hierzu, dass die in einzelnen
Teilen Deutschlands mit Erfolg ausgesetzten Schneehühner durch
ein Schongesetz geschützt werden sollen.
Herr Matschie teilt mit, dass der bekannte Dr. Wurm in
der Deutschen Jäger-Zeitung vorgeschlagen hat, in diesem Ge-
setzentwurfe die Worte: Grouse und „schottische“ zu streichen,
weil auch andere Schneehühner sich zur Einbürgerung in Deutsch-
land eigneten.
Herr Reichenow hält dieses nicht für zweckmässig, da die
-ostpreussischen Schneehühner Bewohner von Tiefmooren seien
und auf Hochmooren kaum fortkommen werden.
Herr von Quistorp macht darauf aufmerksam, dass der
Bestand dieser Vögel in der Eifel schon weit über Tausend Stück
hinausgehe.
Herr Reichenow bringt zur Kenntnis der Anwesenden,
dass die Vogelwarte in Rossitten nunmehr in Thätigkeit ge-
treten sei.
Mit der Wetterwarte auf der Zugspitze ist eine nähere
Verbindung angeknüpft worden. In bereitwilliger Weise ist die
meteorologische Centralstation in München den Wünschen der
Gesellschaft entgegengekommen. Auch die übrigen deutschen
19*
284 Bericht über die März-Sitzung 1901.
Wetterwarten sollen auf die Wichtigkeit ornithologischer Zug-
beobachtungen aufmerksam gemacht werden.
Herr von Lucanus berichtet über seine Thätigkeit im
Interesse der Erforschung des Vogelzuges. Es ist ihm gelungen,
das Kommando der Luftschiffer-Abteilung für die Sache zu in-
teressieren. In die Instruktionen der Luftschiffer ist eine Auf-
forderung zur Berichterstattung über die während der Fahrt
beobachteten Vögel aufgenommen worden.
Herr von Lucanns wird versuchen, auch die Münchener
Luftschiffer-Abteilung für die Behandlung dieser wichtigen Fragen
zu gewinnen.
Der Vorsitzende dankt dem Redner für seine erfolgreichen
Bemühungen.
Die Herren Reichenow, Schalow und Matschie be-
sprechen die neu erschienenen und eingesandten Schriften.
Herr Matschie geht u. a. näher auf die Arbeit von Klein-
schmidt: Der Formenkreis Falco Hierofalco und die Stellung
des ungarischen Würgfalken in demselben ein. Eine sorgfältige
Untersuchung geographischer Abarten sei mit Freude zu begrüssen.
llerr Kleinschmidt betont wiederholt die grosse Wichtigkeit,
welche die Vergleichung von Vögeln ein und desselben Formen-
kreises aus verschiedenen Tiergebieten habe. Die von dem Ver-
fasser angewendete Nomenklatur könne Referent jedoch nicht als
Verbesserung betrachten, sondern fürchte, dass nur Verwirrung
durch sie geschaffen werde. Ferner vermisse er eine übersichtliche
Zusammenstellung der einzelnen Abarten nebeneinander und eine
genauere Abgrenzung ihrer Brutgebiete.
Herr Ehmcke erwähnt, dass auch bei Carduelis und Alauda
geographische Varietäten auftreten, ein Stieglitz aus dem Altai
sehe wesentlich anders aus als ein solcher aus Siebenbürgen.
Herr von Loebenstein spricht über einen alten, von ihm
erlegten ausgefärbten Birkhahn, an dessen Halse eine Stelle die
lärbung des Hennengefieders trug.
Ilerr Schalow entsinnt sich eines ähnlichen Falles, der
seiner Zeit durch Pleske bekannt gemacht worden ist.
Herr Reichenow hält derartige Fälle von unvollendeter
Mauser für pathologisch ; das Gefieder werde an solchen krank-
haft veränderten Stellen nicht gewechselt.
Bericht über die März-Sitzung 1901. 285
Herr Staudinger legt einige interessante Kupferstiche
von afrikanischen Vögeln aus einem alten Werke von Bosman
aus dem Jahre 1714 vor.
Herr Sokolowsky hält einen Vortrag über die in dem
Reisewerke von Chun: „Aus den Tiefen des Weltmeers“ enthaltenen
ornithologischen Beobachtungen.
Herr Reichenow erwähnt, dass die ornithologische Aus-
beute der Deutschen Tiefsee - Expedition sehr bedeutend sei.
Dr. Vanhoeffen, der Biologe der Expedition, hat ein genaues
Tagebuch geführt, welches im Journal zum Abdruck gelangen
wird. Die von Herrn Sokolowsky zusammengestellten Mitteilungen
sollen ebenfalls zur Veröffentlichung gelangen.
Herr Reichenow beschrieb sodann einige afrikanische
Fliegenfänger: Tehitrea melanura: Kopf und Hals glänzend
schwarz; Unterkörper und Unterschwanzdecken schiefergrau;
Rücken- und Schulterfedern an der Wurzel grau, am Ende rot-
braun; Öberschwanzdecken grauschwarz mit einigem Glanz;
Schwanz schwarz; kleinste Flügeldecken glänzend schwarz, die
mittleren und grösseren mattschwarz mit weissen Saum oder
weisser Aussenfahne; Schwingen schwarz, die innern mit weissem
Aussensaum; Unterflügeldecken grau, mit weiss gemischt. Fl.
83, Schw. 200 mm. Von Emin am Duki gesammelt. — Tehitrea
ignea: Der T. nigriceps sehr ähnlich, aber die Oberkopffedern
länger, das Körpergefieder feuerrotbraun; Schwanzfedern düster-
grau, rotbraun verwaschen. Von Schütt in Angola gesammelt,
— Diaphorophyia hormophora: $ von D. castanea durch weisses
Nackenband unterschieden, @ nicht unterschieden. Liberia bis Togo.
— Ferner stellt Herr Reichenow zwei neue Gattungen auf:
Empidornis für Muscicapa semipartita Rüpp. und Myopornis für
Bradyornis böhmi Rehw.
Herr Staudinger empfiehlt die an der Küste Deutsch-Süd-
west-Afrikas vorhandenen Guanogebiete der ornithologischen
Durchforschung.
Herr Reichenow spricht über die Schnelligkeit des Vogel-
fluges und die Höhe, in welcher der Zug ausgeführt wird.
Herr Matschie glaubt, dass die Wärme der Sonnenstrahlen
bei Erwägungen über die Möglichkeit des Aufenthaltes der Vögel
in grossen Höhen sehr in Betracht gezogen werden müsse. Die
Fahrten der Registrierballons haben den Nachweis gebracht, dass
286 Bericht über die Märzsitzung 1901.
jeder Körper dort in viel grösserem Masse erwärmt werde als
dicht über der Erde.
Über die Annahme eines Orientierungssinnes bei Vögeln
erhebt sich eine längere Diskussion, an welcher sich die Herren
Reichenow, Schalow, von Lucanus und Matschie be-
teiligen.
Herr von Lucanas teilt eine sehr wertvolle Beobachtung
des Herrn von Siegsfeld über den Einfluss der Wolken-
schichten auf ziehende Vögel mit. In der Höhe von 2400 Metern
sah Herr von Siegsfeld über einer dichten Wolkenschicht einen
Vogel, welcher offenbar jede Orientierung verloren hatte und
sich auf dem Ballon niederliess. Sobald der Ballon die Wolken-
schicht nach unten durchflogen hatte, verliess der Vogel seinen
Platz, um angesichts der Erde eine bestimmte Richtung einzu-
schlagen. Die Vögel vermeiden es jedenfalls, durch Wolken zu
fliegen, weil sie dann den Anblick der Erde verlieren.
Herr von Quistorp teilte mit, dass auf Rügen bei hellem
Wetter keine Schnepfen einfallen, bei bedecktem Himmel aber
viele sich zeigen. Auch hier scheine es, als ob die Schnepfen
über die erste Wolkenschicht nicht hinausgehen.
Herr von Lacanus wird Vögel verschiedener Art aus
grosser Höhe vom Ballon fliegen lassen, um Beobachtungen
über den Flug zu machen.
Herr Reichenow legt zwei von Herrn Hocke einge-
sendete Krähenfüsse vor, welche Wucherungen aufweisen.
Herr von Quistorp berichtet über eine Anser segelum
mit 26 Steuerfedern, welche im Besitze des Herrn Sass in An-
klam sich befindet.
Herr Reichenow erwähnt, dass die Zahl der Steuerfedern
bei den Gänsen wechsele. i
Matschie.
Dem Herausgeber zugesandte Schriften.
The Auk. A Quarterly Journal of Ornithology. Vol. XVII.
No-21. 21902
Aquila. Zeitschrift für Ornithologie. VIH. No. 1—2. 1901.
Bulletin of the British Ornithologists’ Club LXXVI—LXXVI
Nov. 1900 bis Februar 1901.
The Ibis. A Quarterly Journal of Ornithology. (8.). I. No.1. 1901.
Zu
Dem Herausgeber zugesandte Schriften. 287
Örnithologisches Jahrbuch. Organ für das palaearktische Faunen-
gebiet. Herausgegeben von Victor Ritter von Tschusi zu
Schmidhoffen. XI. Jahrg. 1900 Heft 6 und XIL 1901
keit l.
ÖOrnithologische Monatsschrift d. Deutsch. Ver. z. Schutze der
Vogelwelt. No. 3. 1901.
L. B. Bishop, Results of a Biological Reconnaissance of the
Yukon River Region. (North American Fauna No. 19: U. S.
Dep. of Agric. Div. of Biol. Survey. Washington 1900).
R. Blasius, Dr. Gustav Hartlaub. — Dunenkleider entenartiger
Vögel. — Wanderzug des schlankschnäbeligen Tannenhähers.
(Abdruck aus: Zeitschr. f. Orn. und Geflügelzucht. No.1. 1901).
W.Brewster, An undescribed Clapper Rail from Georgia and
East Florida. (Abdruck aus: Proc. New England Zool. Club
121899).
W. Cooke, Further Notes on the Birds of Colorado: The Agri-
culture Experiment Station of the Agric. College of Colorado.
Bulletin 56. 1900.
K. Eckstein, Beiträge zur Nahrungsmittellehre der Vögel.
(Aus dem Walde XVII. No. 43. 1900).
D. G. Elliot, In Memorian: Elliott Coues. (Abdruck aus: The
Auk XVII. No. 1. 1901).
O. Finsch, Meine Beobachtungen über Fregattvögel (Fregata
aquila). (Abdruck aus: Monatsschr. D. Ver. z. Schutze der
Vogelw. XXV. No. 11. 1900).
L. Fischer, Ornithologische Beobachtungen 1897—99. (Mitt.
Badisch. Zool. Ver. No. 2—7. 1900).
C. E. Hellmayr, Einige Bemerkungen über die Graumeisen.
(Abdruck aus: Ornith. Jahrbuch XI. Heft 5—6. 1900).
F. Henrici, Besuche auf dem Karraschsee in Westpreussen.
(Abdruck aus: Mntschr. D. Ver. z. Schutze d. Vogelw. XXVI.
No. 4).
G. Janda, Der Rötelfalke (Tinnunculus naumanni Fleisch.) in
Süd-Mähren. (Abdruck aus: Ornith. Jahrb. XI. Heft 4—5.
1900).
O0. Kleinschmidt, Der Formenkreis Falco Herofalco und die
Stellung der Ungarischen Würgfalken in demselben. (Ab-
druck aus: Aquila VIIL. No. 1—2. 1901).
T. Kormos, Utazäs Tuniszon ät. Irta Bärö Erlanger Käroly.
Budapest 1901.
288 Dem Herausgeber zugesandte Schriften.
Madaräsz Gyula, Magyarorszäg Madarai. A Hazai Madärviläg
Megismere-Senek Vezerfonala. IV.— VI. Füzet. Budapest
1900— 1901.
G. Martorelli, Nota ornitologica sopra l’Ardeola idae (Hart!l.)
e cenno sul dicroismo di varii Ardeidi. (Abdruck aus: Atti
Soc. Ital. sc. nat. XXXIX. 1900).
C. H. Merriam, Results of a Biological Survey of Mount Shasta,
California. Birds. (North American Fauna. No. 16. U.S.
Dep. of Agric. Div. of Biol. Survey, Washington 1899).
T. Salvadori, Uccelli della Guinea Portoghese raccolti da Leo-
nardo Fea. (Abdruck aus: Ann. Mus. Civ. Genova (2.) XX.
1901).
H. Schalow, Rede zur Fünfzigjahrfeier der Deutschen Ornitho-
logischen Gesellschaft in der Festsitzung am 6. Oktober 1900
in Leipzig gehalten. (Abdruck aus: Journ. f. Ornith. Januar-
heft 1901).
R. W. Shufeldt, On the Osteology of the Striges (Strigidae
and Dubonidae). (Abdruck aus: Proc. Amer. Philos. Soc.
XXXIX. No. 164).
R. W. Shufeldt, On the Osteology of the Woodpeckers. (Ab-
druck aus: Proc. Amer. Philos. Soc. XXXIX. No. 164).
R. W. Shufeldt. On the Systematik Position of the Sand-
Grouse (Pterocles; Syrrhaptes). (Abdruck aus: American
Naturalist XXXV. No. 409. 1901).
L. Stejneger, On the Wheatears (Sazxicola) occuring in North
America. (Abdruck aus: Proc. Un. St. Nat. Mus. XXI.
1901. 8. 473-481).
V. v. Tschusi, Neuere Nachrichten über den Bartgeier (Gypa-
etus barbatus) in Tirol. (Abdruck aus: Ornith. Jahrbuch
XI 5. 6. Hit. 1900).
V. v. Tschusi, Sibirische Tannenheher auf der Wanderung.
(Abdruck aus: Ornith. Jahrbuch XI. Heft 5—6. 1900).
V. v. Tsehusi, Ornithologische Notizen. (Abdruck aus: Ornith.
Jahrb. XI. Heft 5-6. 1900.
Druck von Otto Dornblüth in Bernburg.
JOURNAL
ORNITHOLOGIE.
Neunundv\vierzigster Jahrgang.
No. 3. Juli 1901.
Weitere Betrachtungen über die Beweise Gätkes für die
Höhe!) und Schnelligkeit des Wanderfluges der Vögel.
Von F, Helm.
(I. Teil im Octoberheft 1900 derselben Zeitschrift.)
Wie schon aus der an meinen in Leipzig gehaltenen Vor-
trag sich anschliessenden Debatte zu ersehen war, konnten that-
sächliche Gegenbeweise für die von mir aufgestellte Behauptung,
Gätke habe sich bei der Bestimmung über Höhe und Schnelligkeit
des Wanderfluges bei dem rotsternigen Blaukehlchen geirrt,
nicht erbracht werden, denn Aussprüche wie: „Die Vögel fliegen
aber ungeheuer schnell“ oder „Die Vögel zeigen mitunter eine
ungeahnte Schnelligkeit!“ müssen, wenn sie Geltung erlangen
sollen, durch Thatsachen belegt sein. Von einer Seite wurde
auch der Einwand erhoben: „Wer weiss, ob das richtige rot-
sternige Blaukehlcher gewesen sind, die man überall beobachtet
hat.“ Mit demselben Recht kann man natürlich diesen Einwand
den Gätkeschen Behauptungen gegenüberstellen. Von einer
andern Seite wurde schliesslich noch darauf hingewiesen, dass
„die ungeheuere Schnelligkeit des Fluges mancher Vogelarten
auf gewaltige Strömungen in den oberen Luftschichten zurück-
zuführen sei.“ Nun, wie es in den „oberen Luftschichten“ aus-
sieht, hat zwar bis heute noch kein menschliches Auge wahr-
nehmen können, aber dank der internationalen Luftballonfahrten
sind wir wenigstens einigermassen darüber orientiert, wie die Luft-
schichten bis zu ca. 10,000 m beschaffen sind, also ungefähr
1) Durch ein Verseher meinerseits wurde im I. Teile hinter Höhe
weggelassen „und Schnelligkeit“. D. Verf.
Journ. f. Orn. XLIX, Jahrg. Juli 1901. 20
°
290 F. Helm:
die Strecken, in denen Gätke die Vögel mit reissender Schnelle ihre
Reise zurücklegen lässt und unter anderm das rotsternige Blau-
kehlchen in der Secunde 90 m weit sich fortbewegt. Professor Her-
gesell hat kürzlich in Petermanns Mitteilungen, Jahrg. 1900 unter
dem Titel: „Die Temperatur der freien Atmosphäre“ die diesbezüg-
lichen Ergebnisse von 30 internationalen Ballonfahrten veröffentlicht
und überdies in der Meteorologischen Zeitschrift 1899, XII, 1900
Iu.Ilüber die Ergebnisse dieser Fahrten überhaupt Bericht erstattet.
Weil wir nun gerade durch die sich auf diese Weise ergebenden
Thatsachen einen Einblick in die Temperaturverhältnisse der hier
in Frage kommenden Luftschichten erhalten, was für die Beur-
teilung des Vogelzuges jedenfalls mit ausschlaggebend ist, seien
im folgenden die Hauptresultate Hergesells kurz skizziert. Bevor
ich aber dies thue, will ich noch einige meine veröffentlichte
Zusammenstellung über das Auftreten des rotsternigen Blaukehl-
chens ergänzende Beobachtungen anführen, welche ich gelegentlich
der für andere Zwecke vorgenommenen Litteraturstudien auffand.
Aus dem Südharz liegt folgende Mitteilung vor:
In dem Jahresbericht und den Abhandlungen des Natur-
wissenschaftl. Vereins in Magdeburg für 1898—1900, S. 53 sagt
L. v. Minnigerode vom Tundrablaukehlchen: „Früheste Ankunft
25. März 1853; Ankunft: Ende März regelmässig. Abzug: Anf. Sept.“
Steiermark.
Aus Mariahof berichtet der Nachfolger von Bl. Hanf, A.
Schaffer: „6/V 1881, 1/1V 1882 beobachtet“. (Ornith. Jahrb.
1900, 8. 152.)
Über Böhmen,
Schwalbe 1889, S. 186 — 137, sagt Schier: „Kommt im günstigen
Frühjahr schon in den letzten Tagen des März an, gewöhnlich
jedoch erst anf. April, zieht im September fort; ist viel seltener
als Luscinia vera; im Taborer und Piseker Kreis wird von ihm
fast gar keine Erwähnung gemacht; in den andern Kreisen sind
zusammen etwa 100 Plätze bekannt, an welchen 1—2 Paare nisten.“
Aus dem Elbethal im deutsch-böhmischen Mittelgebirge
berichtet Peiter (Journal f. Ornith. 1900, S. 383): „Das rotsternige
Blaukehlchen findet sich auf dem Frühjahrszuge in starken
Flügen im Elbethale ein, nistet jedoch nach meiner Feststellung
Höhe und Schnelligkeit des Wanderfluges 291
nicht daselbst. Wahrscheinlich war das Vögelchen zur Zeit, als
der Mensch den Strom noch nicht in dem Masse beherrschte
wie heute, wo es noch keine Correcturen des Flusslaufes, keinen
so regen Dampfschiff- und Uferverkehr gab, ein nicht seltener
Brutvogel hier, denn alljährlich kann man beobachten,
dass viele Vögel im Elbethal ihre Liebeslieder verstummen lassen
und verschwinden, wenn der Flussverkehr reger wird. Seltener
wird das rotsternige Blaukehlchen im Herbste gesehen, entweder
zieht es einzeln oder sind ihm die Uferflecken noch zu belebt.
Sein liebster Aufenthalt sind die Weidengebüsche, worin man
auch schon hie und da ein Nest angetroffen. Dasselbe ist schwer
auffindbar, da es gewöhnlich zwischen dem Wurzelwerk der
Stöcke versteckt. Bei der Verborgenheit seiner Lebens-
weise wird es wahrscheinlich für viel seltener ge-
halten, alses wirklich ist. Dazuist das Vögelchen noch
ungemein scheu und verlässt sogleich seinen Standort,
um im Gebüsch zu verschwinden, wenn man sich ihm
nähern will. Am leichtesten lässt sich auch sein Vorkommen
an seinem wohlklingenden, durch kurze Pausen unterbrochenen
Gesange feststellen, den es, begleitet von leichtem Flügel- und
Schwanzwippen und Schnabelwetzen, gewöhnlich auf der Spitze
einer starken Weidenrute sehr oft des Tages hören lässt.“
In Holland wurden nach Albarda rotst. Blaukehlchen
gefangen:
1885 den 20. Mai 1 Weibchen bei s’Gravenhage.
1891 den 10. Mai 1 Männchen bei Loosduinen. A. bemerkt
bei dieser Gelegenheit, ‘dies sei das 3. Mal gewesen, dass
man diese Art in Holland angetroffen habe, nämlich das erste
Mal am 20. Mai 1885 ein Weibchen, wie oben angegeben, das
2. Mal am 18. Mai 1890 bei Wassenaar ein junges Männchen.
(Tidschrift der Nederlandsche Dierkund. Ver.)
Gelegentlich der Debatte, welche sich an meinen Vortrag
in Leipzig anschloss, wurde es auch als sehr notwendig bezeichnet,
genaue Beobachtungen über die Schnelligkeit des Vogelfluges
anzustellen. Das ist natürlich viel leichter gesagt als gethan,
lässt sich aber unter Umständen bewerkstelligen. Wie? Das
werde ich vielleicht später näher an dieser Stelle erörtern, da
ich selbst diesem Gegenstande meine besondere Aufmerksamkeit
zugewendet und dies auch in Zukunft fortzusetzen gedenke.
20*
292 F. Helm:
Es liegen aber auch schon einige genaue einwandfreie An-
gaben darüber vor, welche ich nur anführen will.
Schon im 1872er Jahrgang der Blätter für Geflügel-
zucht (S. 169) wurde folgender Versuch veröffentlicht:
„Ein Mann in Antwerpen fing eine Schwalbe, die an einem
Dachsimse nistete, verschnitt ihr eine Schwanzfeder und liess sie
nach Gent bringen, um sie dort zu einer bestimmten Zeit fliegen
zu lassen. 121/, Minute nach dem Ausfliegen in Gent
kam sie in Antwerpen bei ihrem Neste an. Sie hatte
also 1 Wegstunde (5 km) in 1 Minute zurückgelegt.“
In der Naturwissenschaftlichen Wochenschrift 1896,
S. 419 wird über folgenden in „Ciel et Terre“ veröffentlichten
Versuch referiert:
„Einer Sendung Brieftauben, welche von Antwerpen nach
Compiegne a. d. Oise geschickt wurden, gab man eine in Ant-
werpen nistende Schwalbe bei, welche durch Farbe kenntlich
gemacht war. Die Schwalbe wurde in Compiegne gleichzeitig
mit den Tauben am 17. Mai 7.15 a. m. losgelassen, und sofort
nahm sie die Richtung nach N, während die Tauben erst
mehrere Bogen beschrieben, um sich über die Richtung zu orien-
tieren. Schon 8.23 a.m: kam die Schwalbe in Antwerpen
an und suchte sofort ihr Nest auf. Die ersten Tauben
trafen erst 11.30 a. m. in ihrer Heimat ein. Die Schwalbe
hatte also den Weg zwischen Compiegne und Antwerpen, eine
Strecke von 236 km, in 1 Stunde und 8 Minuten zurückgelegt,
das macht auf 1 Stunde 207 km, oder auf die Secunde 58 m.
Die Tauben hatten nur eine Schnelligkeit von 57 km pro
Stunde oder 15 m in 1 Secunde. Daraus ergiebt sich, dass
die Schwalbe kaum !/, Tage braucht, um ihre Reise von
Belgien bis nach Nordafrika zurückzulegen.“
Über die Geschwindigkeit der Brieftauben macht Ziegler-
Freiburg in den „Zoologischen Jahrbüchern“ folgende Angaben
auf Grund eigener Untersuchungen:
„Der Wind, welcher in der Richtung des Fluges des Vogels
geht, ist dem Fluge des Vogels am günstigsten, und es addiert
sich die Windgeschwindigkeit zu der Eigengeschwindigkeit des
Vogels. Bei Gegenwind ist die Windgeschwindigkeit von der
Eigengeschwindigkeit des Vogels zu subtrahieren.
Bei Flügen auf grosse Entfernungen (100 bis 600 km)
beträgt die durchschnittliche Eigengeschwindigkeit der
Be.
Höhe und Schnelligkeit der Wanderfluges. 293
besten Brieftaube nicht mehr als etwa 1100 bis 1150 m per
Minute (diejenige der Schwalben ist mehr als 3 mal so gross).
Bei günstigem Winde erreichen gute Brieftauben je nach der
Stärke des Windes Geschwindigkeiten von 1300 bis
1600, selten 1600 bis 1950 min der Minute.
Bei ungünstigem Winde wird der Flug verzögert und
erreicht dann bei den besten Tauben je nach der Stärke
des Windes500bi1s800 m inder Minute oder weniger.
Gewitter, Regen, Nebel und niedrig stehende Bewölkung
des Himmels können die Tauben in ihrer Orientierung hemmen
und ebenfalls ein schlechteres Resultat des Fluges zur Folge
haben. Die Brieftauben steigen nieht zu sehr grossen Höhen
auf; sie benützen die grossen Windgeschwindigkeiten nicht,
welche in den Luftschichten von über 2000 m Höhe häufig
bestehen.
Es ist anzunehmen, dass die Brieftauben bei Flügen in
Deutschland nicht viel höher als in der Höhe der
Spitzen der deutschen Mittelgebirge (1000 — 1500) fliegen;
wahrscheinlich nehmen sie ihren Flug oft niedriger, namentlich
bei Gegenwind.‘ Was das Orientierungsvermögen der Brieftauben
anlangt, so ist Ziegler der Ansicht, „dass dasselbe allein auf dem
Gedächtnis beruht und dass die Annahme eines geheimnisvollen
Richtungssinnes der Tiere unnötig ist.“ Es seien bei dieser
Gelegenheit auch gleich noch einige andere Ansichten über die
Art und Weise der Orientierung der Brieftaube auf ihrem Fluge
angeführt. Ede Cyon sagt (Revue scientifique 1900, S. 353 u. f.):
„Die Orientierung der Taube auf weite Entfernung ist eine zu-
sammengesetzte Erscheinung, bei welcher die Sinnesempfin-
dung der Netzhaut des Auges und der Nasenschleim-
häute, vielleicht auch die Schleimhäute der Hirnhöhle
eine wichtige Rolle spielen, dazu kommt noch ein ausserordent-
lich starkes Ortserinnerungsvermögen. Die halbkreis-
förmigen Kanäle des Labyrinths spielen dabei nur eine
Hilfsrolle, indem sie dem Tiere gestatten, die nötigen, schnellen
und wechselnden Bewegungen auszuführen. (Wie schon Cuvier
zeigte, besitzen alle Tiere, die einer besonderen schnellen Bewegung
fähig sind, wie Brieftauben, Fledermäuse, Hasen, Kaninchen, Anti-
lopen, Hirsche etc. ein ausserordentlich entwickeltes Labyrinth).“
Prof. Wilhelm Förster, welcher in der Naturwissenschaftl.
Wochenschrift 1900 S. 395 und folg. die Ansicht Cyons las,
294 F. Helm:
schickte darauf der Redaktion dieser Zeitschrift das nachfolgende
Elaborat: „Ich war verwundert, von den uralten Wahrnehmungen
über die Orientierungsgabe der Tauben, Raben etc. keinerlei
Erwähnung zu finden. Aus der Geschichte der Schiffahrt und der
Geographie ist doch längst bekannt, dass solche Vögel, die der
Flug in grosse Höhen führt, die Pfadfinder der ältesten Schiffahrt,
aber auch bei den Fahrten der Wikinger nach America hinüber
sewesen sind, und zwar auf Grund des ausserordentlich weiten‘
Umblicks, den sie in so grossen Höhen geniessen, und der Ver-
wertung dieses Umblicks durch ihren sehr scharfen Gesichtssinn
und ihr ausgezeichnetes Ortsgedächtnis. Es ist erwiesen, dass
der Condor bis in Höhen von 10 km und die Tauben und Raben
auch bis in Höhen von nahezu 9 km emporsteigen können. Von
dort aus haben sie ein Gesichtsfeld, dessen Durchmesser nahezu
700 km beträgt, und entfernte Berge, deren Spitzen selber
einen Umkreis von einigen 100 km. Durchmesser beherrschen,
vermögen solche Vögel in jenen Höhen bis zu Abständen (Halb-
messern des Gesichtsfeldes) von etwa 500 km zu erkennen. In
solchen Höhen ist ja auch die Lichtfortpflanzung viel ungetrübter,
und darunter liegende Wolkenschichten vereinfachen sogar die
Orientierung nach den darüber hinausragenden fernen Bergen,
die wie dunkle Inseln aus dem lichten Wolkenmeer emporkommen.
Es kann doch eigentlich nicht der geringste Zweifel
bestehen, dassin Umblicken solcher Art, die, wie
sesagt, schon vor vielen, vielen Jahrtausenden von
der Schiffahrt verwertet wordensind, dieLösung der
Rätselder Orientierung von Wandervögeln im wesent-
lichen gegeben ist.“ (Naturw. Wochenschrift 1900, S. 331.)
In dem Archiv für Post und Telegraphie 1882, S. 282
findet sich ein Artikel über die „Verwendung der Brief-
tauben zur Sicherung der Küstenfahrt“.
Unter anderem wird darin folgendes gesagt: „Seit 1876 sind
an der Nordseeküste durch die preussische Regierung Versuche
angestellt worden, um die Leuchtschiffe mit dem Festlande und
den Lotsenstationen durch Brieftauben zu verbinden. Trotz an-
fänglicher Misserfolge ist man doch wirklich zu günstigen Re-
sultaten gekommen, wozu allerdings grosse Ausdauer nötig war,
denn die im Binnenlande gezüchteten Tauben eignen
sich für den Flug in der Seeluft nicht, sie sind zu
schwach und ermatten bald. Daher fielen die in der
Höhe und Schnelligkeit des Wanderfluges. 295
ersten Zeit angestellten Versuche nichts weniger als
ermutigend aus. So wurde 1877 in der Nähe von Borkum
ein Probefliegen von der See aus veranstaltet. Man liess unge-
fähr 1 Seemeile vom Lande entfernt einen ganzen Taubenschwarm
auf, welcher seine Richtung auch sofort auf den Leuchtturm
nahm und wohlbehalten anlangte. Dagegen hatte der wenige
Tage später aus einer Entfernung von 7 Seemeilen unternommene
Versuch einen schlechten Erfolg: von 30 Tauben, die aufgelassen,
kamen, obschon der grösste Teil die Richtung auf den Borkumer
Leuchtturm eingeschlagen, nur 8 Stück im dortigen Taubenschlage
an, die übrigen sind wahrscheinlich im Wasser umgekommen
(da auf den benachbarten Inseln sich keine zeigten). Die Tauben
waren aus Belgien, Antwerpen, bezogen und an die Seeluft nicht
von Jugend auf gewöhnt.
Im August 1887 veranstaltete man ein Probefliegen an der
Eidermündung mit solchen Tauben, die an der Seeküste selbst
gezüchtet oder durch mehrjährigen Aufenthalt an Klima und
Seetouren gewöhnt waren: „Die Tauben wurden vom äusseren
Feuerschiff, also 36 Seemeilen von Tönning entfernt, abgelassen
und während beim 1.Versuche vor 4 Jahren eine 7 Meilen betragende
Entfernung nur von wenigen Tauben zurückgelegt wurde, kamen
jetzt sämtliche 36 Tauben glücklich an. Die besten Flieger
hatten die 36 Meilen (Seemeilen) in 30 Minuten zurückgelegt.“
Daran möge sich eine erst ganz vor kurzem in einer Tages-
zeitung gefundene Notiz, welche sich auf einen ähnlichen Zweck
bezieht, schliessen. Dieselbe lautet: „Mitte nächsten Monats (d. i.
des März) soll die atlantische Taubenpost, die im vorigen Jahre
auf einigen transatlantischen Dampfern eingerichtet wurde, aber
am 1. November eingestellt werden musste, wieder in Thätigkeit
gesetzt werden. Sie hat sich sehr gut bewährt. Von den
36 Tauben, die im vorigen Sommer von den Dampfern aufgelassen
wurden, sind nur 2 nicht auf ihrem Schlage eingetroffen. Man
hat einige mehr als 300 Meilen von der französischen Küste
aufgelassen, und eine legte die Strecke von 324 englischen
Meilen in 9 Stunden zurück. Die Schläge der Taubenpost
befinden sich in Rennes und Cherbourg. Die nach Amerika aus-
laufenden Dampfer senden die Tauben nach Rennes, die nach
Europa heimkehrenden nach Cherbourg.“
Später fand ich dann in einer hiesigen Zeitung noch über
diesen Gegenstand folgendes ;
296 F. Helm: -
„Diese Taubenpost wurde von dem Direktor der Compagnie
transatlantique auf den nach New York fahrenden Dampfern
am 1. April 1899 eingerichtet, ergab von Anfang an günstige
Resultate und erzielte im Laufe des Jahres 1900 wirkliche Erfolge.
Vom 15. März bis 31. December 1900 wurde in Le Havre jede
Woche eine Anzahl Brieftauben eingeschifft. Von 36 Ausflügen
glückten 34, und nur 2 mal erreichte keine Taube den Schlag,
sodass die Depeschen verloren gingen. Der von den Tauben
zurückgelegte Weg schwankte zwischen 120 und 130 Seemeilen.
Besonders bemerkenswert war ein Flug, der am 29. Juli 1900
auf der „Iouraine“ veranstaltet wurde. Die Tauben verliessen
den Dampfer um 5 Uhr morgens, und die erste langte am Schlage
um 2 Uhr nachmittags an. Sie hatte in 9 Stunden 324 Seemeilen
zurückgelegt. Nicht weniger hervorragend war ein am 9. Sept.
auf der „Lorraine“ stattgehabter Flug. Die Tauben wurden um
5 Uhr früh aufgelassen und erreichten den Schlag am Abend
desselben Tages, nachdem sie einen Weg von 350 Seemeilen
oder 650 km zurückgelegt. Demgegenüber ist eine Behauptung
interessant, die im Jahre 1877 in St. Nazaire nach Ablauf einer
1 Jahr dauernden Periode von Brieftaubenversuchen aufgestellt
wurde Man kam damals zu dem Schlusse, die Brieftauben
verlören 50 Seemeilen vom Lande ihr Orientierungsvermögen.
Von 261 Tauben der Kompagnie kehrten im Jahre 1900 nur 153,
also 56°/, zurück. Die Zahl der von den Passagieren beförderten
und bezahlten Brieftaubendepeschen betrug 190 während des
Jahres 1900.“
Schliesslich sei auch noch eine Beobachtung über die
Schnelligkeit fliegender Enten angeführt: „Clayton und Fergusson
entdeckten einen Zug .‚Enten‘“ in einer Höhe von 292 m, die
Flugschnelligkeit derselben war 76,4 km pro Stunde (!/, der
Fluggeschwindigkeit der Schwalbe). Die Enten flogen von SO
nach NW, während von Norden ein leichter Wind von 3 km
pro Stunde wehte.“ (Naturwissensch. Wochenschrift 1897, 8. 164).
Schon gelegentlich meines Vortrages in Leipzig habe ich
darauf hingewiesen, dass bei der Bestimmung, wieweit ein Vogel
vom Beobachter entfernt sei, man sich sehr täuschen könne,
wenn man dies mit dem Ohr und Auge allein thun wollte; von
einer Seite wurde ja überdies gelegentlich der Debatte über
diesen Gegenstand darauf aufmerksam gemacht, dass G. auf die
Frage, wie er so grosse Höhen abschätze, die Antwort schuldig
Höhe und Schnelligkeit des Wanderfluges. 297
blieb. Doch ich will jetzt nicht auf die Beweisführung Gätkes
eingehen, sondern nur die Frage kurz erörtern: „Welche Tempe-
ratur herrscht in grossen Höhen ?“
Wir sind, wie schon eingangs betont, dank der in letzter
Zeit angestellten internationalen Ballonfahrten heute wenigstens
einigermassen darüber orientiert; im folgenden seien nur einige
der Angaben angeführt, welche Hergesell aus den Ergebnissen
von 30 Ballonfahrten in Petermanns Mitteilungen 1900, V.
S. 150 u. ff. veröffentlicht.
Die nachstehende Tabelle auf Seite 298 veranschaulicht
die Temperaturverteilung nach Höhenschichten von 500 zu 500 m.
Zu diesen Angaben macht Hergesell folgende Bemerkungen:
Die Tabellen — in der Originalabhandlung sind deren noch
viel mehr als von mir citiertt — enthalten sämtliche mir zur
Verfügung stehende Fahrten von Registrierballons, bei welchen
ein und dasselbe Instrumentarium zur Verwendung gelangte;
dadurch hat man es mit durchaus homogenem Beobach-
tungsmaterial zu thun.
Es wurden nur diejenigen Fahrten bearbeitet, bei welchen
der Thermometerköper frei dem ventilierenden Luftstrom ausge-
setzt war. Im ganzen wurden 30 Fahrten, die in ver-
schiedenen Jahreszeiten und von verschiedenen Stellen
des Kontinentes ausgeführt wurden, benutzt.“ Was
beweisen nun diese Tabellen? Nach Hergesell: „Dass die At-
mosphäre in allen Niveaus bis zu 10000 m hinauf einer
äusserst wechselnden Temperierung unterworfen ist.
Nicht nur die unteren Schichten zeigen je nach der Jahreszeit
und Wetterlage ein bedeutendes Schwanken der Temperaturzahlen,
auch in-den höchsten Schichten ist ein beständiger Wechsel der
Wärmeverhältnisse vorhanden.“ Die folgenden Angaben von H.
mögen das eben Gesagte näher erläutern:
In dem Niveau von 5000 m betrug am 26/X 1895
die höchste Temperatur —6°
„ tiefste ss — 45° (in St. Petersburg),
demnach fand sich in dieser Höhe eine absolute Temperatur-
schwankung von 39°;
in dem Niveau von 7000 m belief sich
die höchste Temperatur auf —17,5°
„tiefste a 59%
demnach beträgt hier die absolute Schwankung 41,5°;
"Pyey 'yeusayu] "Al
"qsı9j94 'Sasseiıjg '3qs19}9g Zınasseng
"Myeg "uolreugajug I]
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(dl iR 88— _ = — - ge IC L°— 0086
68— ge — gE— (0.1) Ge er (ee) 1e- 8 2— 000°6
Ve de = g7— = = 66 =., Cy= 17 0088
18 — Ge 63— (89—) Se 81— er— LE — 8— e— 0008
Mo 08-—- = — Te — 68— Go 0 07— 00€
do 1L3— — (77—) ie 17 — 70— 82 - 9— 9E— 000%
1° 7° — 61— 09-- 70— 07 — 6°— 1Ie—- 2- gge— 0089
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#+ ge— + °- + 8I+ Dr = 000°1
HI + c0— 0 — — 6 014 = 008
cı+ + Ir 00 0°c+ 0 + 8m = 0
2681 "2/23 L68T 'G/EL 2681 'Z/8T 9681 ’8/C Y6SLT'E/EZ C6SLT’01/9g SUCH
Höhe und Schnelligkeit des Wanderfluges. 299
im Niveau von 10,000 m war
die Maximaltemperatur —36°,
die, Minimal a —83°,
sodass also hiersogareineSchwankungvon47°sichergiebt.
Durch diese und ähnliche Betrachtungen kam H. dann zu
der nachstehenden Folgerung:
„Die Atmosphäre zeigt demgemäss in allen Höhenlagen bis
zu 10000 Temperaturschwankungen, die innerhalb eines 3jährigen
Zeitraumes in sämtlichen Niveaus den Betrag von 40° erreicht
oder überschritten haben.“ Ob diese grossen Temperaturschwan-
kungen, die in den höchsten uns erreichbaren Schichten auftreten,
an einen gewissen regelmässigen Gang gebunden sind oder ob
sie regellos verlaufen, ist nach H. schwierig zu entscheiden; die
Wahrscheinlichkeit spricht aber für die Existenz eines jährlichen
Ganges.“ Zu ähnlichen Resultaten wie H. kam auch der franzö-
sische Meteorolog Teisserence de Bort, welcher in nicht ganz
15 Monaten in kurzen Zwischenräumen 90 Registrierballons
ausgesendet, die fast ausnahmslos wieder gefunden wurden. Nach
ihm scheinen in den oberen Regionen
die höchsten Temperaturen am Ende des Sommers,
„ tiefsten “ gegen Ende des Winters
einzutreten, jedoch wird die regelmässige Erscheinung durch
plötzliche Temperaturschwankungen oft gestört.
Cleveland Abbe (in Washington) machte den Versuch, auf
Grund der de Bortschen Resultate, diemittleren Monatstem-
peraturen der freien Atmosphäre abzuleiten. Von den
so erhaltenen Ergebnissen seien nur die daraus sich ergebenden
Jahresmittel angeführt:
Jährlicher Gang der Temperatur in der freien Atmosphäre
in verschiedenen Höhen:
Winter Frühling Sommer Herbst
10,000 m — 529 — 590! — 45° — 52°
7,000 „, — 300 so — 990 — 290
5,000 „, — 20° — 20 — 9 — 13°
3,095 „, — 180 uns 9 2,50
(Sonnenblick)
Wir erkennen daraus, dass über 5000 m das Temperatur-
minimum thatsächlich im Frühlingeintritt, während
das Maximum der Temperatur im Spätsommer sich
einstellt. Die Schicht in der Höhe von 5000 m stellt gewisser-
300 F. Helm:
massen den Übergang zu den Bodenschichten dar, wo, wie
der Sonnenblick zeigt, das Temperaturminimum schon im
Winter vorhanden.“
Auch Hergesell benutzte seine Tabellen, um durch Mittel-
bildung im gewissen Sinne Normalzahlen für die Tempera-
turverteilung in der freien Atmosphäre abzuleiten.
Die folgende Tabelle enthält die so ermittelten Zahlen unter
„Hergesell“.
Temperatur der freien Atmosphäre nach
Höhe Hergesell Teisserence d. B. Glaisher
m (Cleveland Abbe)
0 8 9 +8
1000 44 +5 |
2000 0 0) —6
3000 —7 —4 —11
4000 —135 —)I — 16
5000 —18 —16 —19
6000 —26 —21 (21) —22
7000 —33 —29 —24
8000 —40 —58 —26
9000 .—48 . —42 _
10,000 —54 —5l —
Aus verschiedenen Gründen, auf welche näher einzugehen
aber für unsere Zwecke nicht nötig ist, glaubt H., dass die von
ihm gegebenen Zahlenreihen die mittleren Temperaturver-
hältnisse über Europa mit nicht allzugrossen Abwei-
chungen darstellen.
Die Tabellen H.s enthalten nun aber nicht nur die zeitlich
aufeinander folgenden Ballonfahrten, sondern auch die
verschiedenen Simultanfahrten, d.h. Auffahrten, die zur
selben Stunde von mehreren Punkten Europas aus unternommen
wurden (sie bringen also die Temperaturverteilung in
der Atmosphäre im selben Zeitpunkt in verschie-
denen Höhenin einer mehr oder weniger grossen
Ausdehnung zur Anschauung.
„Wir erkennen aus den einzelnen Fahrten, so fährt H. dann
fort, dass die Beweglichkeit, welche die Temperatur in allen
Höhenlagen in zeitlicher Beziehung besitzt, auch in örtlicher
Hinsicht existiert. Zu derselben Stunde können auch in
den höchsten von uns erreichten Schichten nur einige
Höhe und Schnelligkeit des Wanderfluges. 301
100 km voneinander entfernt Temperaturen vorhanden
sein, die sich um mehr als 30° bis 40° voneinander unter-
scheiden. Die Simultanfahrten vom 13. Mai 1897, 24. März
1899 und 3. Oct. 1899 ergaben bis zu den höchsten Schichten
hinauf Temperaturdifferenzen, die nach früheren Anschau-
ungen in diesen Höhen einfach für unmöglich gehalten
wurden. Z. B.:
am 13. Mai 1897 herrschte in 5000 m Höhe im W. des
Kontinentes eine Temperatur, die um 20° tiefer lag als im
selben Niveau im NO über Petersburg;
am 24. März 1899 flutete über Finnland in 10000 m Höhe
eine Luftschicht, welche die tiefste Temperatur von — 90° auf-
wies, während in Italien und auf der Balkanhalbiusel
inderselben Höhe nur die Temperatur von — 50° herrschte.“
An diese Betrachtungen anschliessend, giebt dann Hergesell
noch einige Resultate, welche sich auf den Luftdruck und die
Temperaturverteilung beziehen. Hieraus nur soviel: „Am wärmsten
waren die Luftmengen (der Cyklone) am 3. Oktober 1899, wo
auch in 10000 m Höhe — 70° nirgends überschritten wurde.
Weit tiefere Temperaturen lieferten die Fahrten am 13. Mai 1897
und am 24. März 1899. Am 13. Mai befanden sich über
Deutschland Luftmengen in Höhen von 10,000 m,
deren Temperatur auf — 80° gesunken war, und am
24. März kühlte sich die Atmosphäre über Finnland in
derselben Höhenschicht sogar auf — 90° ab.“
Es ist heute nicht meine Absicht, wieder näher auf Gätkes
Behauptungen betreffs der Schnelligkeit und Höhe des Wander-
fluges unserer Vögel einzugehen, aber es würde jedenfalls von
allgemeinem Interesse sein, wenn diejenigen Herren, welche Ver-
teidiger der Gätkeschen Behauptungen sind, ihre Ansichten darüber
Äusserten, wie 'beispielsweise die am 13. Mai 1897 Deutschland in
einer Höhe von ungefähr 10000 m überfliegenden und in Helgo-
land dann einfallenden Vögel und speziell die rotsternigen
Blaukehlchen eine derartige Temperatur (von — 80%) ertragen
konnten, weshalb sieüberhaupt in derartigen Höhen wandern.
Als Erklärung für diese tiefen Temperaturen fügt Hergesell
folgendes hinzu: „Man wird nicht fehlgehen, wenn man dieses
Verhalten der Temperatur auf die mit den Jahreszeiten wech-
selnde Temperierung der polaren Luftmassen zurückführt;
die Frühjahrsauffahrten fanden in den mittlern und höchsten
302 F. Helm:
Höhen auf den Rückseiten und dem Zentrum der Luftwirbel noch
die eisige, durch keine Sonnenstrahlen und Konvektionsströme
erwärmte Luft des Polarwinters vor, während die Ballonfahrten im
Herbst auch in den höchsten Luftschichten noch die directen und
indirecten Einwirkungen des hohen Sommerstandes der Sonne
verzeichnen konnten. Diese Erklärung giebt auch eine nähere
Einsicht in den jährlichen Gang der Temperatur der höheren
Luftschichten über Europa. Das Minimum des Frühjahrs
ist auf die Einwirkung des Polarwinters zurückzu-
führen, während die hohen Temperaturen des Spät-
sommers den sommerlichen Luftströmungen aus dem
Süden ihr Dasein verdanken.“ Zum Schluss sei auf
folgende durch die Simultanfahrt am 13. Mai 1897 bestätigte
Thatsache hingewiesen: „Die Temperaturgegensätze haben sich
mit zunehmender Höhe nicht ausgeglichen, sondern in Gegen-
teil verstärkt. Im Meeresniveau betrug die Temperatur-
differenz zwischen Petersburg und Strassburg 123°, dieselbe
stieg in 5000 m Höhe auf 25°, in 7000 m auf 32°, in 10000 m
Höhe gar auf 37 “1!
Ich hoffe aus den vorstehenden Angaben wird ohne Zweifel
sich ergeben, dass die internationalen Ballonfahrten auch für die
praktische Ornithologie nicht bedeutungslos sein werden und wir
mit Hülfe derselben vielleicht endlich doch über den Verlauf des
Vogelzuges näheren Aufschluss erhalten können, denn ziehende
Vögel können doch wohl kaum den Luftschiffern entgehen, wenn
sie an dem Ballon vorbeifliegen. Es liegt gegenwärtig meines
Wissens allerdings nur eine derartige von einem Luftschiffer
herrührende Beobachtung vor. Dieselbe machte ein österreichischer
Offizier, der Oberleutnant Hinterstösser, Commandant der militä-
rischen Luftschiffer - Abteilung; sie ist veröffentlicht in der
Schwalbe, Jahrg. 1898/99, S. 144. Unser Gewährsmann berichtete,
dass er am 1. Februar einen Vogel, wahrscheinlich eine Larus
ridibundus, in einer Höhe von 800 m über einer Wolkenschicht
vom Ballon aus beobachtet habe. Nach ca. 5 Minuten tauchte
der Vogel in das Wolkenmeer hinab und verschwand. Gleich-
zeitig bemerkt aber an dieser Stelle der Berichterstatter, dass
er während seiner sonstigen zahlreichen Freifahrten seit 1890
niemals Vögel in höheren Regionen vom Ballon aus bemerkt
habe, und es jedenfalls auffallend sei, dass nicht mehr Anzeigen
von in höheren Regionen ziehenden Vögeln zur Wahrnehmung
Höhe und Schnelligkeit des Wanderfluges. 303
zu kommen pflegen. Erkundigungen bei andern Luft-
schiffern seien, wie er dann hinzufügt, bisher nur verneinend
beantwortet worden.
Weil nur für die hier in Frage kommende Angelegenheit
die von Hinterstösser angeführten Thatsachen, wie mir scheinen
will, von allergrösster Bedeutung sind, so erlaube ich mir der
Redaction dieser Zeitschrift folgende Vorschläge zu machen:
Es sind unsere deutschen Luftschiffer, welche wissenschaft-
liche Fahrten ausführen, also in erster Linie Berson, Gross, Her-
gesell etc. zu bitten, in dieser Zeitschrift darüber zu berichten:
1. ob sie jemals Vögel in grösseren und grossen Höhen
ziehend beobachtet haben;
a. welche Arten dies eventuell gewesen sein können,
b. ob die ziehenden Vögel mit dem Winde oder umgekehrt
geflogen sind,
c. mit welcher Schnelligkeit sie ihre Reise zurücklegten ;
2. a. welche Winde im Frühjahr und Herbst in den
höheren Regionen vorherrschen,
b. welche Geschwindigkeit dieselben haben;
3. ob man von grösseren und grossen Höhen aus in der
Regel die Erdoberfläche deutlich sehen kann oder ob die-
selben meist infolge Wolken, Dünste etc. unsichtbar ist.
4. Um darüber Klarheit zu erhalten, ob die Vögel überhaupt
sehr verdünnte Luft und sehr niedrige Temperaturen ohne
Beschwerden längere Zeit vertragen können, wäre es vielleicht
sehr angebracht, bei Hochfahrten solche, wie beispielsweise
rotsternige Blaukehlehen mitzunehmen.
304
Bericht über die bei der deutschen Tiefseeexpedition
beobachteten Vögel.
Von Dr. E. Vanhöffen, Kiel Zool. Institut.
(Hierzu eine Karte.)
Während der Fahrt der Valdivia, die den Atlantischen
Ocean von 62° N. Br. bis 58° S. Br. durchfuhr, dann der Eis-
kante des antarktischen Meeres vom 7. bis zum 63. Längengrad
folgte und schliesslich den indischen Ocean der Länge und Quere
nach durchmass, auch an selten von Zoologen besuchten Küsten
landete, schien es von Wert, tägliche Aufzeichnungen über das
Erscheinen der Vögel zu machen. Einer Aufforderung von Herrn
Professor Reichenow folgend, der die von uns mitgebrachten
Bälge bestimmte,!) erlaube ich mir diese Beobachtungen hier
mitzuteilen.
Den ersten grossartigen Eindruck von der reichen Vogel-
welt des Meeres erhielten wir am Nachmittag des 3. August 1898
bei der Annäherung an die schottische Küste, als wir am Ein-
gange zum Firth of Forth nahe am Bass Rock, der wichtigsten
Brutkolonie des Tölpels, Sula bassana, vorüberfuhren. Wie ein
gewaltiger Kasten mit niedriger dachförmiger Kuppe hebt sich
der allseitig steil abfallende Fels aus dem Meer. Nur an den
steilsten Abstürzen war unter dem grünen Dach, das kurzer Rasen
bedeckte, noch die dunkle Farbe des Gesteins erkennbar, im übri-
gen erschienen seine Seiten weiss von den in langen Reihen
auf allen Vorsprüngen dicht über einander sitzenden Vögeln.
Ein Schuss, der die Vögel nur erschrecken sollte, störte viele
Hunderte von ihnen auf, ohne dass ihre Reihen gelichtet er-
schienen. Die Tölpel beherrschen den Fels; neben ihnen wurden
nur in geringer Menge noch die beiden Lummen Uria grylle
und Uria lomvia sowie die dreizehige Möve Rissa tridactyla
bemerkt.
Als wir dann am 5. August längs der Ostküste Schottlands
nach Norden dampften, erschien ein Steinschmätzer, Sazxicola
oenanthe*, an Bord, und am 6., nachdem Foul Island passiert
war, zeigten sich die ersten Eissturmvögel oder Mallemucken,
Fulmarus glacialis, beim Schiff. Angesichts Far Öer und bei
1) Die Vögel, deren Bälge Herrn Professor Reichenow vorgelegen
haben, sind mit einem * bezeichnet.
Deutsche Tiefseeexpedition. 305
der Rundfahrt um Suderö wurden dunkle Lummen, Uria arra(?)
mit ihren Jungen angetroffen und Papageitaucher, Mormon fraier-
cula, die über die Wellen hüpfend, sich aus dem Bereich des
Schiffes zu retten suchten. Auch einige Kormorane, Phalacroco-
rax carbo, und die Mantelmöve, Larus marinus, liessen sich sehen
ausser den Eissturmvögeln, die dem Schiff folgten und in kleinen
Colonien die Steilwände der Ufer bewohnten. Auch am 9. und
10. August auf hoher See im Westen von Schottland begleiteten
uns Fulmare noch bis 55° N. Br., dann wurden sie nicht mehr
gesehen. Dafür fand sich nach stürmischer Nacht und bei un-
ruhiger See am 12. August westlich von Irland ein anderer
dunkler Sturmvogel ein, mit weisser Unterseite, den ich für einen
Puffinus hielt. Am 13. wurden mehrere Exemplare derselben
Art zwischen den noch hochgehenden Wellen hinschwebend
bemerkt.
Nachdem sich die See etwas beruhigt hatte, stellten sich
etwa unter 45° N. Br. die kleinen Sturmschwalben, Oceanites oce-
anicus, ein, die, abgesehen von unserem Aufenthalt bei den
Kanaren (vom 20.—23. August), täglich vom 15. bis zum 25. August,
bis 25° N. Br., beobachtet werden konnten.
Auf den Kanaren fielen bei der Fahrt von Orotava nach
Icod nur ein Raubvogel und im Hafen von Las Palmas grosse
Blaumöven, Larus glaucus (?), auf. Während wir dann an der
Westküste Afrikas in der Richtung von Kap Bojador nach Boa-
vista entlang fuhren, kamen mit einem Schwarm kleiner Nacht-
falter zahlreiche Landvögel an Bord. Ein am 24. August gefangener
Singvogel wurde provisorisch als Acrocephalus bestimmt und an
demselben Tage soll sich ein Wiedehopf gezeigt haben. Am 25.
wurden nur Petersvögel, Oceanites oceamicus*, gesehen, am 26.
aber waren wieder Landvögel vorhanden, unter denen wir eine
Hypolais zu erkennen glaubten. Die Zahl der Landvögel war
am 27. und 28. August besonders reich, nachdem am 26. der
Passat an der Grenze des Guineastroms eingesetzt und einen See-
sang von Stärke 6 erzeugt hatte. Mit Sicherheit konnte nur
Lanius senator* bestimmt werden; ausser ihm glaubten wir noch
die vorhererwähnten Acrocephalus und Hypolais zu erkennen,
ferner einen grossen Vogel, der an einen Kukuk oder kleinen
Raubvogel erinnerte, aber nicht genau beobachtet werden konnte.
Wie es schien, zogen alle diese Vögel mit uns den Kap Verde-
schen Inseln zu, die am 29. Morgens in Sicht kamen. Am
Journ, f. Orn. XLIX, Jahrg. Juli 1901. 21
306 Dr. E. Vanhöffen:
31. August zeigte sich im Süden dieser Inseln über einer Heerde
von Zahnwalen, ruhelos hin und her fliegend, ein: einsamer
dunkelbrauner Vogel mit weisser Unterseite, der mir ein Puffinus
zu sein schien. Auch am 12. August wurde dieselbe Art in
Gesellschaft von Delphinen bemerkt. Es sind weitere Beobach-
tungen darüber nötig, ob hier ein zufälliges oder ein regel-
mässiges Zusammentreffen vorliegt.
Auf der Fahrt von 10° N. Br. bis zum Äquator, parallel
der afrikanischen Küste, vom 2. bis 8. September, wurden keine
Vögel bemerkt; am 9. aber fielen bei etwa 1° N. Br. und 3° W.L,.,
an der Grenze zwischen Südäquatorialstrom und Guineastrom,
kleine Sturmschwalben, Oceanodroma eryptoleuca*, auf, die ich mit
ausgebreiteten Flügeln auf dem Wasser laufen sah. Am Abend
hörten wir wiederholt ihren Schrei: „Kerr kwi,“ wenn sie sich
den erleuchteten Fenstern näherten, oder um die Laternen am
Mast flatterten, und am 12. wurde einer dieser St. Petersvögel
gefangen, der durch die offenen Fenster in den Salon geflogen
kam. Sie begleiteten das Schiff noch einige Tage, wurden aber
am 13., als wir uns der Kamerunbucht näherten, nicht mehr
gesehen. Am 9. soll sich zum ersten Male ein Tropikvogel
Phaeton gezeigt haben. °
Vom 15. bis 25. September waren wir in Kamerun. Der
auffallendste Vogel ist dort Gypohieraw angolensis*, der Geieradler,
der häufig im Mangrovegebiet zu beobachten war, doch kamen
nur junge, noch nicht ausgefärbte Vögel zum Schuss. Ausser ihm
wurden dort noch Charadrius tenellus,* Barbatulu subsulphurea,*
Vidua principalis,* Spermestes poensis* und zwei Webervögel,
Ploceus nigerrimus* und Ploceus collarıs*, erlegt, die an den
Blättern der Ölpalmen ihre Nester aufhängen und das Material
für ihr Flechtwerk aus den zerzupften Fiederblättchen gewinnen.
Solche zerzausten Palmen mit Weberkolonieen fanden sich nicht
selten bei Victoria und an den Ufern des Wuri bei der Fahrt
nach Jambassi. Sonst wurden bei dieser Fahrt noch graue Papa-
geien, Eisvögel, Tauben, sogenannte „Wurivögel,“ wohl Wasser-
hühner mit langen, roten Beinen und schöne weisse Reiher
gesehen.
Zwischen Kamerun und der Kongomündung sahen wir
keine Vögel. Auf dem Kongo und an seinen von Mangrove
und Schilf bewachsenen Ufern zeigten sich schwalbenähnliche
Vögel, der Schattenvogel Scopus umbretta und Eisvögel, Ceryle
Deutsche Tiefseeexpedition. 307
rudis, die, in schnellem Fluge dicht über dem Wasser hin-
sehwebend, von einem Ufer zum andern eilten, ein grosser,
grauer Reiher, -ein storchartiger Vogel, vielleicht Mycteria sene-
galensis (?), der Schildrabe, Corvus scapulatus, mit weissem Brust-
ring und in der Nähe von Boma, ein grosser Flug Seeschwalben
Sterna sp. Erlegt wurden dort Gypohierex angolensis, der Geier-
adler, ebenso wie in Kamerun nur in jungen Exemplaren, die
sich hauptsächlich ‘von Krabben und Einsiedlerkrebsen zu
ernähren scheinen, Anhinga rufa der Schlangenhalsvogel, den
wir geschickt tauchen oder mit ausgebreiteten Flügeln am Ufer
sitzend sich Kühlung zufächeln sahen, und der zierliche Silber-
reiher, Ardea garzetta. Bei Boma bemerkten wir eine Nacht-
schwalbe (?), die aus dem dichten Savannengras geräuschlos auf-
flog, kleine, einem Rotschwänzchen ähnliche Singvögel und den
Schildraben, und bei Banana wurden Passer diffusus* und Turdus
bocagei® erbeutet. Am 5. Oktober morgens lichteten wir in
Banana die Anker, um in südlicher Richtung zur grossen Fisch-
bai zu dampfen. Bei dieser Fahrt wurden nur am 8. und 9. Oktober
kleine St. Petersvögel gesehen, die nicht mit Sicherheit bestimmt
werden konnten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass auch hier
diese Vögel die reiche Ansammlung pelagischer Tiere an einer
Stromgrenze ausbeuteten.
Am Tage darauf erreichten wir die grosse Fischbai,
die von völlig vegetationslosen Sanddünen umgeben ist. Sie gab
uns zum zweiten Male Gelegenheit, eine grossartige Vogelwelt
zu studieren und gleichzeitig die gewaltige Produktionskraft des
Meeres zu bewundern. Denn das Meer ernährt hier Tausende
grosser gefrässiger Vögel, von denen nicht wenige Arten hier
ihre Nordgrenze erreichen. Schon bei der Einfahrt in den
Hafen waren wir erstaunt, ähnliche Arten wie bei Schottland
und den Far Öer zu erkennen. Wir sehen dort den südlichen
Tölpel, Sula capensis*, senkrecht in’s Wasser herabstossend fischen,
Erst lässt sich der Vogel mit etwas ausgebreiteten Flügeln fallen,
dann legt er plötzlich die Flügel dicht an und saust wie ein
Pfeil in’s Wasser herab. Ferner sassen ganze Scharen dunkler
Kormorane, Phalacrocoraz capensis*, nebeneinander aufgereiht am
Strande, und in graziösem Fluge schwebten Seeschwalben und
die Sturmvögel, Puffinus und Procellaria aequinoctialis*, über
dem Wasser. Ein dritter Sturmvogel, die Kaptaube, Daption
capense, fiel dureh ihr buntes, schwarz und weiss geflecktes
21*
308 Dr. E. Vanhöffen:
Gefieder auf. Im innersten Teile der ausgedehnten Bucht
machten sich Flamingos, Phoenicopterus roseus, bemerkbar, die
in langen Reihen am Strande zu exercieren schienen, fischend
-im Wasser standen oder plötzlich auffliegend sich als rosenrote
Wolke erhoben, und Pinguine, Spheniscus demersus*, von denen
wir nur wenige, noch nicht völlig ausgewachsene Exemplare
bemerkten. Auf der flachen, die Bucht absperrenden Tigerhalb-
insel tummelten sich zahlreiche Strandläufer. Dort gelang es,
zwei Exemplare eines neuen Regenpfeifers, Oharadrius rufocinctus*,
neben dem bekannten Charadrius hiaticuld* zu erlegen und am
Ende der Bucht am Fusse hoher Dünen zeigten sich Schildraben,
Corvus scapulatus, die durch Reste getrockneter Fische angelockt
waren.
Als wir am 12. October die Fischbai verliessen, kamen wir
in stürmische See. Draussen erschienen am 13. wieder St. Peters-
vögel, die in der Bucht nicht bemerkt waren, ferner folgten
Daption capense, Procellaria aequinoctialis und der gelbschnäblige
Albatross, Thalassogeron chlororhynchus, der hier zum ersten
Male sich zeigte, dem Schif. Am 14. wurde nur noch dieser
und dazu zum ersten Male der grosse Albatross, Diomedea exu-
lans, von uns gesehen. Während dann vom 15.—17. Oktober alle
Vögel fehlten, gelang es am 18. einen grossen Albatross von 2,90 m
Flügelspannung mit schwarzen Flügelspitzen, grauem Anflug am
Halse, blaugrauen Füssen und gelblichem Schnabel zu angeln.
Auch Procellaria aeguwinoctialis erschien. Am 20. wurden Pro-
cellaria aeqwinoctialis und Diomedea exulans”, am 23. P. aequi-
noctialis und Daption capense beobachtet. Am 25. Oktober nä-
herten wir uns bereits dem Kaplande, doch war das Land noch
nicht in Sicht, als wir in einer Tiefe von etwa 3000 m. unsere
Netze auswarfen. Bei dem stillliegenden Schiff fand sich hier
eine grössere Anzahl von Vögeln ein, die sich mit Geschrei und
Gepiepse um die mit einer Angel ausgeworfenen Speckstückchen
stritten. Am eifrigsten war Procellaria aeqwinoctialis dabei, die
selbst den kleinen Albatrossen, Diomedea melanophrys, den Köder
wegzunehmen versuchten und die kleineren Kaptauben und
St. Petersvögel verdrängten. Die Albatrosse waren vorsichtiger.
Mit schnarrendem, wie „karr“ Klingendem Ruf schafften sie sich
Platz, doch fassten sie den Köder nur mit der Schnabelspitze
und liessen beim Anziehen der Angel los, während die braun-
schwarzen Procellarien mit grünlichem, schwarz gefllecktem Schnabel,
Deutsche Tiefseeexpedition. ‘309
schwärzlichen Füssen und weissem Kinn sich leicht fangen liessen.
Auch 2 Exemplare der Kaptauben wurden geangelt. Vor Kap-
stadt gesellten sich am 26. Oktober zu Procellaria aeguinoctialis
und Daption capense noch zahlreiche Mantelmöven, Larus domi-
nicanus, hinzu, die uns früher nicht begegnet waren. An dem-
selben Tage noch setzten wir unsere Fahrt nahe an der Süd-
küste Afrikas fort. Dort wurde am 27. zwischen dem Kap der
guten Hoffnung und Kap Agulhas nur Procellaria aequinoctialis,
am 28. in der Plettenberg-Bucht nur Diomedea exulans, am 29.
in der Francis Bai Larus dominicanus, Procellaria aeqguinoctialis,
Diomedea exulans, Daption capense und St. Petersvögel, wohl
Oceanites, und in der Algoa Bai bei Port Elisabeth am 31. Oktober
Larus dominicanus angetroffen.
Da wir uns bei der Rückfahrt von Port Elisabeth nach Kap-
stadt vom 1. bis 5. November etwas ferner vom Lande hielten,
um auch grössere Tiefen im Gebiet des Agulhas-Stroms zu
erforschen, so waren keine Dominikanermöven zu sehen. Es
zeigten sich nur die 3 Albatrossarten Diomedea exulans, D. me-
lanophrys* und Thalassogeron chlororhynchus. Besonderes Interesse
erreste am 1. November südlich von der Algoa Bai der erste
Riesensturmvogel, Ossöfraga gigantea, der sich furchtlos dicht beim
Schiff niederliess und durch einen Schuss erlegt wurde, da er
auf die ihm zugeworfene Angel nicht reagierte.
Im Hafen von Kapstadt wurden nur Dominikanermöven,
dann bei der Ausfahrt am 13. November Procellaria aequinoctialis,
Daption capense, Diomedea exulans und kleine Pinguine, Spheniscus
demersus, bemerkt.
Das reiche Vogelleben bildet ein Gegenstück zu den Vogel-
kolonien an den nordeuropäischen Küsten. Während in den
warmen Meeren von 50° N. Br. bis 15° S. B. nur St. Peters-
vögel, Puffinus und der Tropikvogel erschienen, finden wir die
nördlichen und südlichen kalten Gewässer von Tölpeln und Cor-
moranen belebt und anderen gefrässigen Fischern, da den Fulmarus
glacialis des Nordens die Procellaria aequinoctialis des Südens,
den Alken und Lummen die Pinguine und der Mantelmöve des
Nordens die Dominikanermöve des Südens entsprechen. Dass das
vogelarme Meeresgebiet so ungleich nördlich und südlich vom
Aequator verteilt ist, beruht auf dem weiten Vordringen des
Golfstroms, der die atlantische Küste Europas und des kalten
Benguelastroms, der die Westküste Südafrikas bespült.
310 Dr. E. Vanhöffen:
Als wir dann zur Autsuchung der Bouvet-Insel nach Süden
dampften, wurden vom 14. bis 16. November keine Vögel ge-
sehen. Am 17. aber beim Eintritt in die Westwindtrift er-
schienen wieder Vögel als Vorboten einer neuen Region. Bereits
am Morgen umkreisten uns viele Exemplare von Prion coeruleus,
eines kleinen, oben graublauen, unten weissen Sturmvogels mit
dunkler Schulterbinde, und mehrere kleine Albatrosse, Diomedea
melanophrys. Nur die letzteren kamen in die Nähe des Schiffes,
während die ersteren sich durch unser Fischen nicht in ihrem
heftigen Hin- und Herfliegen stören liessen. Am Tage darauf
wurden Diomedea exulans und D. melanophrys von folgenden
Abmessungen geangelt:
Schnabelspitze— Schwanzspitze.e Flügelspannung.
D. exulans 1,35 m 3,12 m.
D. melanophrys 0,95 m 2,14 m.
Der Schnabel von D. melanophrys war gelbgrün, vorn
dunkler bis rötlich braun, der Fuss bläulich fleischfarben. Ferner
zeigte sich ausser Prion coeruleus noch die letzte Procellaria
aequinoctialis. |
Besonders interessant in ornithologischer Hinsicht war der
19. November, der unserer Sammlung 3 neue Sturmvögel brachte:
Aestrelata mollis* und Priofinus cinereus”, die nur dieses einzige
Mal in je einem Exemplar beobachtet werden konnten, und einen
St. Petersvogel Oymodroma melanogaster*. Sonst begleiteten noch
ein Albatross, D. exulans, und mehrere Prion coeruleus das Schiff.
Nachdem dann am 20. das Barometer um 22 mm gefallen
war, erschien bei schwerer See und Windstärke 10 zum ersten
Male der braungraue Albatross, Phoebetria fuliginosa, der durch
die weissen Augenlider charakterisiert ist, und der erste ant-
arktische Pinguin, Pygoscelis antarctica. Am 21. zeigten sich
nach Südsturm bei noch sehr hoch gehenden Wellen wieder zahl-
reiche Vögel: Phoebetria fuliginosa, Prion coeruleus, Cymodroma
melanogaster, Priocella glacialoides, eine neue Erscheinung, und
Daption capense, die wir seit dem Tage unserer Abfahrt von
Kapstadt den 13. November nicht mehr gesehen hatten. Am
22. November bei verhältnismässig ruhiger See und auch am 23.,
als die See nach unruhiger Nacht, in der beigedreht werden
musste, noch recht hoch ging, wurden keine Vögel bemerkt.
Am 24. aber fanden sich ausser Daption capense und Phoebetria
fuliginosa zahlreiche Exemplare von Priocella glacialoides und
Deutsche Tiefseeexpedition. 311
eine Schar von Pinguinen ein, FPygoscelis antarctica, kenntlich
an der schmalen schwarzen Kehlbinde. Das Auftreten eines
Schwarmes dieser nicht fliegenden Vögel, die wie Delphine über
die Wellen hüpfen und mehr unter als über dem Wasser zu
schwimmen scheinen, wurde zusammen mit dem Erscheinen zahl-
reicher Kaptauben und Sturmvögel als Anzeichen nahen Landes
gedeutet. In der That kam am 25. Mittags, nachdem wir das
erste Eis passiert hatten, schon die Bouvet-Insel in Sicht,
die Kaptauben, Daption capense*, Priocella glacialoides*, Oymo-
droma melanogaster, FPrion coeruleus und Phoebetria fuliginosa
umschwirrten. Unter ihnen fielen als neue Ankömmlinge eine
weisse Eismöve, Pagodroma nivea, und die grosse Raubmöve,
Lestris antarctica” auf. Eine Landung auf der Insel war nicht
auszuführen. Am 28. wurden bereits mehrere Eismöven bemerkt
und am 29., als wir unseren Kurs im Süden der Bouvetinsel
fortsetzten, kamen zu den bereits an den vorhergehenden Tagen
bemerkten Arten wie Prion coeruleus*, Pagodroma, Pygoscelis
antarctica”, Daption, Phoebetria fuliginosa” und Priocella noch
Ossifraga gigantea*, der Riesensturmvogel, hinzu, der seit der
Agulhasbank gefehlt hatte, und ein neuer Sturmvogel Thalassoe-
ca antarctica, der ebenso sicher wie Pagodroma nivea die Nähe
des Eises verkündet. Mehrere Riesensturmvögel wurden auf einem
der Eisberge ruhend angetroffen.
Am 30. November erreichten wir den südlichsten Punkt im
Gebiet des atlantischen Oceans, da uns das Treibeis am weiteren
Vordringen hinderte Bis zur Eisgrenze begleitete uns nur
Pygoscelis antarctica, Fagodroma nivea und Thalassoeca ant-
arctica. Es lassen sich demnach im südlichsten Teil des atlantischen
Oceans’ auch 2 Gebiete unterscheiden, die durch die Vögel der
Westwindtrift, Oymodroma melanogaster, Prion coeruleus und
Phoebetria fuliginosa, und die Vögel der Eiskante Pygoscelis
antarctica, Pagodroma nivea und Thalassoeca antarctica charac-
terisiert werden können.
Dem Eise ausweichend nahmen wir unter 57° 8. Br. und
8°0. L. einen östlichen Kurs auf. Am 1. Dezember war das
Packeis verschwunden, nur einzelne Eisberge rauschten vorüber.
Zwischen ihnen fiel durch breiteren bläulichen Schnabel, dunkel
gesäumten Schwanz und mehr graues Gefieder eine neue Prion-
art auf, die als Prion desolatus* bestimmt werden konnte. Ferner
zeigten sich noch Prion coeruleus*, Ossifraga gigantea, Oymodro-
312 Dr. E. Vanhöffen:
ma melanogaster, Pagodroma nivea* und Thalassoeca antarctica.*
Am 2. Dezember wurde Sterna macrura* völlig erschöpft, aber
noch lebend, mit leerem Magen an Bord gefunden und
ein zweites Exemplar derselben Art in schnellem Fluge hoch
über dem Schiff hinziehend gesehen. Sonst erschienen, da wir
immer wieder in das Packeis hineinkamen, nur noch Pagodroma
und Thalassoeca.
Da wir uns nun, um vom Eise frei zu kommen, nach Norden
wandten und so eisfreies Wasser erreichten, in dem nur noch
einige Eisberge sichtbar blieben, zeigten sich am 3. wieder Prion
coeruleus und P. desolatus, Thalassoeca aniarctica und die Kap-
taube, die an den beiden letzten Tagen gefehlt hatte. Am 4.
Dezember stellte sich dazu noch Priocella glacialoides ein, und
Pygoscelis antarclica wurde nahe am Schiff vorbeischwimmend
und auf einem Eisberg ruhend bemerkt.
In der Nacht trafen wir wieder auf Eis. Am Morgen des
6. im eisfreien Meer folgten 9 Exemplare von Phoebetria fuligi-
nosa* ferner Prion coerulens und P. desolatus und Daption ca-
pense dem Schifi. Fünf Pinguine, Pygoscelis antarctica, die vor-
bei trieben, machten sich durch Rufe bemerkbar. Auch ein St.
Petersvogel wurde gesehen. Thalassoeca und Priocella, die am
Tage fehlten, erschienen am Abend und kündigten Eis an, das
sich in der Nacht denn auch einstelltee Am 6. begegneten wir
wieder einem Eisberg mit Pinguinen, und ausser zahlreichen
Taubensturmvögeln, Frion, wurden mehrere Albatrosse, Phoebetria,
und Kaptauben, sowie ein Riesensturmvogel und eine Priocella
glacialoides beobachtet. Da wir uns nun einer Gegend näherten,
in der das Eis weniger weit nach Norden vordringen sollte,
fuhren wir in südöstlicher Richtung, um weiter nach Süden zu
kommen. Bei ziemlich blauem ruhigen Meer zeigten sich am 7.
einige kleine Eisberge am Horizont und nur wenige Vögel.
Prion und Khoebetria waren sichtbar. Am 8. stellte sich wieder
eine grössere Anzahl von ihnen ein. Prion banksi*, ein vorher
bei der Expedition nicht beobachteter Taubensturmvogel, wurde
erlegt. Brion coeruleus und BR. desolatus umflogen in grösserer
Anzahl während des Fischens das Schiff. Während sie sonst, so
oft wir die Taubensturmvögel beobachtet hatten, stets in hastigem,
ruhelosem Fluge vorüber eilten, setzte sich hier einer derselben
für einen Moment aufs Wasser, um ein rotes Flickchen aufzu-
picken, das von einem unserer Netze herabfiel. Sonst fanden
Deutsche Tiefseeexpedition. 313
sich noch mehrere andere braune Albatrosse, von denen einer
einen helleren Rücken als die übrigen hatte, ein Exemplar von
Thalassoeca antarctica und ein St. Petersvogel, wohl Oceanites
oceanicus, bei uns ein.
Zu den genannten Arten gesellten sich am 9. noch Daption
capense, und nachmittags kamen mehrere Exemplare von Pago-
droma niveo und Thalassoeca antarctica hinzu. Bald darauf
erschienen schon einige Eisstücke und abends musste des Eises
wegen nach Norden gewendet werden. Am 10. wurden bei
ruhiger, eisfreier See eine Phoebetria, ein Oceanites und eine
Thalassoeca bemerkt. Am Abend aber kamen wir wieder in’s
Eis. Ausnahmsweise fehlten hier auch während der hellen Nacht
die beiden, sonst so charakteristischen Sturmvögel im Eise. Es
waren am 11. Dezember nur zwei Daption, eine Phoebetria, einige
Prion, ein Oceanites und in der Ferne ein anscheinend verirrter,
weisser Albatross, wohl Diomedea melanophrys, sichtbar. Am 12.
blieb uns nur Prion desolatus treu, die übrigen Vögel hielten
sich fern bei Schneetreiben und stürmischem Wetter. Am 13.
kamen Daption und Phoebetria hinzu, am 14. wurden nur wenige
Exemplare von Thalassoeca und am 15. Phoebetria fuliginosa
auf kleinen Eisbergen ruhend bemerkt.
Am südlichsten Punkt, den wir erreichten, bei 64° 14'
S. Br. und 53° 30° ©. L., 104 Seemeilen von der für Enderby-
Land angegebenen Position, gab es wieder eine neue Vögelver-
sammlung. Da wir des dichten Eises wegen umkehren mussten,
konnten Thalassoeca und Pagodroma nicht fehlen. Ausser ihnen
hatten sich Phoebetria, Priocella, Daption, Prion desolatus und
Oceanites oceanicus* eingefunden. Dieselbe Gesellschaft folgte
auch noch am 17. dem Schiff. Am 18. und 19. Dezember nahmen
wir Abschied von den Vögeln des äussersten Südens. Am 20.
erschien Diomedea melanophrys und am 21. traten bereits .Dio-
medea exulans, Thalassogeron chlororhynchus und Frocellaria
aequinoctialis auf. Am 22. Morgens wurde Sierna macrura” an
Bord gefangen. Ferner zeigte sich D. exulans, Phoebetria, Osst-
fraga, Procellaria aequinoctialis und Prion coeruleus und am
23. und 24. wurden D. exulans, P. aeqwinoctialis, Daption, Prion
coeruleus und Sterna macrura gesehen.
Obwohl wir während der Fahrt durch das antarktische
Meer an reiches Vogelleben gewöhnt waren, wurden wir doch
überrascht durch den Reichtum an Arten und Individuen und
314 ‘Dr. E. Vanhöffen:
durch die Harmlosigkeit und Furchtlosigkeit der Vögel auf den
Kerguelen, die wir am 25. Mittags erreichten. Mit dem Fern-
glas sahen wir schon im Vorbeifahren an der Küste der am
weitesten nach Osten vorspringenden Halbinsel brütende Albatrossse
und Pinguincolonien. Dann machten sich besonders die Comorane,
Phalacrocorax verrucosus*, bemerkbar, die einzeln oder in kleinen
Flügen mit lang vorgestrecktem Halse niedrig über das Schiff hin-
wegstreichend dem Lande zustrebten. In dichten Scharen
schwärmten vor der Einfahrt zum Gazellehafen Prion und Oceanites
über den flutenden Büscheln des Riesentangs Macrocystis zahlreiche
Kaptauben, Phoebetria, und die grosse Raubmöve, Lestris antarctica,
sowie einige Riesensturmvögel folgten dem Schiff. Bald nachdem
der Anker im Gazellehafen gefallen war, wurden die Pinguine,
die interessantesten gefiederten Bewohner der Insel, besucht. In
den Nischen zwischen schiefkantigen abgestürzten Blöcken, die
sich an steiler Wand aufgetürmt haben, hausten zahlreiche
Pärchen von Catarractes chrysocome, dem goldhaarigen Pinguin,
den wir schon vorher in langen Zügen durch die Wellen tauchen
gesehen hatten. Sie liessen sich im Bewachen ihrer grünlich-
weissen bis braungelben Eier durch die Besucher nicht stören,
steckten nur verwundert schnatternd die Köpfe zusammen. Ebenso
wenig kümmerten sich die weissen Scheidenschnäbel, Ohionis minor*,
um den Besuch, die frech herbeikamen, um Pinguineier zu rauben
und sich selbst mit den Händen fangen liessen. Erstaunt über
die fremden Eindringlinge zeigte sich die grosse Raubmöve, die
jedes von uns angelegte Depot untersuchte und kaum aufflog,
wenn man sie verjagen wollte. Wenig scheu war auch Sierna
virgata*, die zierliche Seeschwalbe der Kerguelen, und ein kleiner
St. Petersvogel, der an den Abhängen im Innern der Insel
schwalbenähnlich umherflog, was eigenartig berührte, da man ihn
sonst nur auf hoher See anzutreffen gewohnt ist. Unsicher
scheinen sich die kleinen Enten, Anas eatoni*, zu fühlen, die sich
an den meisten kleinen Seen und Tümpeln und an der Mündung
eines Baches zeigten. Nur ein Vogel war so scheu, dass es uns
nicht gelang, ihn zu erbeuten, Pelecanoides urinatrix. Kaum
waren wir ihnen auf Schussweite nahe, so erhoben sich die
kleinen schwarzen Vögel und suchten, im Fluge an die Teiste
oder Krabbentaucher erinnernd, das Weite. Es wurde allerdings
auch kein ernstlicher Versuch gemacht, sie zu verfolgen. Von
häufigeren Vögeln ist dann noch die Mantelmöve, Larus domins-
Deutsche Tiefseeexpedition. 315
canus*, zu erwähnen, die besonders auf kleinen, mit üppiger Vege-
tation bedeckten Inseln brütete, aber dort auch ihre Eier vor den
zudringlichen -Scheidenschnäbeln schützen musste. In grosser
Schar fanden sie sich mit Ossifraga giganten und den Raub-
möven bei den blutigen Körpern der erlegten und abgehäuteten
Seeelephanten ein. Besonders die Riesensturmvögel waren durch
ihre kräftigen Schnäbel geeignet, die Cadaver zu Öffnen, zu zer-
fleischen und für die kleinen Vögel zugänglich zu machen. Bald
hatten sie sich so voll gefressen, dass sie kaum noch zu fliegen
im Stande waren.
Nur in einem Exemplar wurde am Gazellehafen Pygoscelis „
forsteri, der Königspinguin angetroffen, der, als er sich verfolgt
sah, erst aufgerichtet, dann auf allen Vieren laufend, das Wasser
zu gewinnen suchte, während wir dort den nach seinem Geschrei
benannten Eselspinguin,“ Pygoscelis papua, in 2 Exemplaren er-
hielten. Im Weihnachtshafen, wo wir, kurz bevor wir die Insel
verliessen, am 29. Dezember, anlesten, wurden mehrere Königs-
und Eselspinguine lebend an Bord gebracht. Am 30. Dezember
erschienen bei stürmischem Wetter Diomedea melanophrys und
Procellaria aequwinoctialis beim Schiff und zum letzten Male
zeigtesich Prion coeruleus als letzter Vertreter derantarktischeVögel.
Wenn wir nun auf die Verteilung der antarktischen Vögel,
wie sie sich nach unsern Beobachtungen darstellte, zurückblicken,
so zeigt sich, dass Daption capense in dem von uns befahrenen
Gebiet die weiteste Verbreitung hat. Sie wurde im atlantischen
Ocean von der grossen Fischbei unter 16° S. Br. bis zum Cap,
dann wieder von 47° S. Br. bis zum Packeise im Süden und im
indischen Ocean von der Eiskante bis zu den Kerguelen ange-
troffen. Indessen hat es den Anschein, als ob die südafrikanische
Daptioncolonie keine direkte Verbindung mit der Bouvet-Insel
und dem südlichen Eise hat, da auf der ganzen Strecke vom
14—21 November Kaptauben fehiten. Sie scheinen demnach
keine besonders guten Flieger zu sein und sich meist nahe am
Lande oder am Eise zu halten, wo sie ausruhen können. Das
gilt in noch höherem Grade für Ossifraga gigantea, der ein
träger Vogel ist und am Cap, dann ganz nahe der Bouvet-Insel,
auf Eisbergen ruhend und bei den Kerguelen gefunden wurde.
Interessant ist ferner die Verbreitung der Prion-Arten. Sie
singen nach Norden nicht über das Gebiet der Westwindtrift
hinaus und verbreiteten sich bis zur Eiskante nach Süden und
316 Dr. E. Vanhöffen:
ebenso schien jene Strömung zur Zeit unserer Fahrt auch die Nord-
grenze für Phoebetria fuliginosa zu bilden. Ferner ergab sich, dass
Pygoscelis antarctica dem Gebiet der Bouvet-Insel angehört, da dieser
Pinguin, obwohl ihm Eisberge, die er ja als Transportmittel be-
nutzte, dazu Gelegenheit boten, sich nicht weiter als bis 27°O. L.
nach Osten von jener Insel entfernte, und dass die .Diomedea-
Arten und auch Procellaria aegquinoctialis unter 60° O. L. weit
tiefer nach Süden herabsteigen als unter 10° OÖ. L.. dass also
ihre südliche Verbreitungsgrenze auf einer schrägen Linie zwischen
46° S. Br. 10° O.L. und 59° S. Br. 65° O. L. verlief.
Im Norden der Kerguelen wurden bei der stürmischen Fahrt
nach St. Paul vom 21. Dezember bis 2. Januar keine Vögel be-
obachtet. Auf St. Paul und Neu Amsterdam trafen wir dann
am 3. und 4. Januar Colonien von Catarractes chrysocome *,
die Chun ausführlich schildert, und auf dem Meere fliegend Lestris
antarctica, Diomedea exulans und Thalassogeron chlororhynchus
an. Am 5. zeigte sich ausser den beiden Albatrossen noch Pro- _
cellaria aequinoctialis und am 6. fuhren wir an der Grenze der
Westwindtrift und der stromlosen Zone des südindischen Still-
tengürtels durch eine auf dem ruhigen Wasser sitzende Ver-
sammlung von Thalassogeron chlororhynchus*, so dass ich auf beiden
Seiten des Schiffes zusammen etwa 300 Vögel zählen konnte.
Einige Exemplare des gelbschnäbligen Albatross wurden am 7.
sesehen und ausser ihnen erschien noch eine einsame Procellaria
aequinoctialis. Nachdem uns am 8. kein Vogel zu Gesicht ge-
kommen war, zeigte sich am 9. Januar eine Procellaria aequi-
nochialis als letzter, am weitesten nach Norden vordringender
Repräsentant der reichen Vogelwelt der südlichen kalten und
gemässigten Zone. Von 290°—19° S. Br. durchfuhren wir vom
10.—14. Januar ein Gebiet, in dem alle Vögel fehlten. In ihm
traten die ersten Haifische, Boniten und fliegende Fische auf.
Im Süden der Kokos-Inseln wurde dann am 15. der erste
indische Tropikvogel Phaeton gesehen; am 16. erschienen zwei
und am 17., als wir ganz nahe bei den Kokosinseln fischten,
mehrere Tropikvögel beim Schiff, die in der Mittagsstunde zu
verschwinden pflegten, während sie am Morgen und Nachmittage
eifrig, gelegentlich dicht über dem Wasser hinstreichend, fischten.
Hier wurden auch mehrere Exemplare von Sula piscator* und
Fregata aguila hoch über dem Schiff ihre Kreise ziehend bemerkt.
Fregatte und Sula zeigten sich auch am 18. und 19. Januar,
Deutsche Tiefseeexpedition. 317
während vom 20.—22. Januar bis zu unserer Landung in Königin-
Emma-Hafen bei Padang alle Vögel vermisst wurden. An den
bewaldeten Höhen, die den vorzüglichen Hafen der Südwest-
küste Sumatras einschliessen, flog nicht selten ein ziemlich
grosser Raubvogel umher, der nicht genau erkannt werden
konnte. In Reisfeldern fielen Scharen weisser Reiher auf und
am Singkarah-See wurden Eisvögel, Halcyon chloris*, und Irena
crinigera® erlegt. Ferner sahen wir in geflochtenen Käfigen
Tauben und Wachteln und den sprechenden Beo, Eulabes religiosa ;
das war Alles, was von Vögeln bei unserem flüchtigen Besuch
in Padang zu beobachten war.
Als wir am 30. Januar den Hafen verlassen hatten, um
zwischen Sumatra und den Mentawei Inseln zu kreuzen, wurde
eine Feenseeschwalbe, Gygis candida, bemerkt. Dann liessen sich
keine Vögel blicken bis zum 7. Februar Abends, wo bei der un-
bewohnten Nicobareninsel Kandul eine grosse Schar sehr
kleiner Landvögel ganz niedrig über das Schiff hinweg dem Lande
zu zog. Sie kamen so plötzlich, dass keiner von ihnen erlegt
_ werden konnte. Auf der Fahrt von den Nicobaren nach Ceylon
wurde ein einzelner Tropikvogel gesehen, dann erschien vor
Ceylon am 13. ein Schwarm weisser Seeschwalben in der Ferne,
und in Colombo selbst zeigte sich ausser einem Raubvogel und
Seeschwalben, die über dem Colombosee schwebten,, grosse
Mengen der schönen schwarzen Glanzkrähe Corvus splendens,
die alle Gebüsche belebten und sich trotz des lebhaften Treibens
auf den Strassen sicher zu fühlen schienen.
Von Colombo steuerten wir dem Suadiva Atoll zu,
Unterwegs wurde am 17. Februar ein Tropikvogel beobachtet
der ganz ähnlich wie Sula auf seine Beute ins Wasser herab-
stiess und bei den Suadivainseln selbst flog Gygis candida in
grösserer Zahl dicht über dem Wasser. Am folgenden Tage
wurde bei der Landung noch ein Tropikvogel gesehen, eine bis-
her nicht bestimmbare Corvus-Art* und eine Seeschwalbe, Sierna
melanauchen*, erlegt. Im Süden dieser Inseln erschienen dann 2
Fregattvögel beim Schiff und am 22. nahe bei den Tschagos-
inseln trafen wir zum ersten Male Anous stolidus*, die dunklen
dummen Seeschwalben an, die in grossen Scharen dicht über dem
Wasser hin und her flogen und fischten. Wahrscheinlich verfolgten sie
die blauen Copepoden, Pontelliden, die dort in grosser Menge
‘ mit dem Oberflächennetz gefangen werden konnten.
318 Dr. E. Vanhöften:
Die Tölpelseeschwalben, Anous stolidus, nisteten zahlreich
auf den Kokospalmen von Diego-Garcia, wo wir am 23. Abends
eintrafen. Ausser ihnen wurde noch Anous tenuirostris und
Gygis candida* erbeutet, welche letztere sich schön von den
dunkelgrünen, die Häuser der Kolonien beschattenden Gallophyllum-
bäumen abhob. Von den bei Ebbe trockenen Corallenriffen er-
hielten wir Numenius phaeopus”, den Brachvogel, und Dromas ar-
deola*, einen kleinen Reiher, die beide ziemlich scheu waren.
Endlich gelang es uns dort auch, Foudia madagascariensis”,
einen kleinen roten Webervogel, und zwei neue Vogelarten zu
erlegen, die Reichenow als Homopelia chuni * und Butorides albo-
limbatus beschrieb. Die erstere, eine kleine Taube, wurde nur
in 2 Exemplaren in dem niedrigen Gebüsch bemerkt, das den
‘ Korallensand vom cultivierten, mit Kokospalmenbestandenen Lande
trennt. Sie war nicht scheu, suchte sich aber im Laub und
dichtem Geäst zu verstecken. Der kleine Reiher, Butorides al-
bolimbatus, schien von einer schräg über das Wasser der Lagune
herüberragenden Palme Umschau zu halten, als er überrascht
wurde. Ein zweites Exemplar wurde später auf dem Strandriff
erlegt, wo sich auch noch grössere graue Reiher zeigten, die aber
so scheu waren, dass wir nicht auf Schussweite herankommen
konnten.
Am 26. Februar nach der Abfahrt von Diego-Gareia kamen
2 Tropikvögel in Sicht. Nachdem dann am 27. alle Vögel aus-
geblieben waren, wurde am 28. eine Fregata ariel” erbeutet.
Am 1. und 2. März waren keine Vögel sichtbar, dann aber
verrieten am Nachmittag des 3. Sula und Sterna bereits die An-
näherung an die Seychellen. Am 4. wurden 2 Tropikvögel
geschossen, die nicht aufgefischt werden konnten.
Der Aufenthalt auf den Seychellen vom 5.—8. März gab
Gelegenheit, etwas von der interessanten Vogelwelt der Inseln
kennen zu lernen. Der auffallendste Vogel auf der Hauptinsel
Mah& ist Acridotheres tristis, der dort nicht einheimisch ist, sondern
eingeführt sein soll. Gleich beim ersten Spaziergange auf der
Insel sahen wir den schwarz und weiss gezeichneten Vogel auf
der Weide auf und zwischen Rindern unserem Star ähnlich sich
tummeln. Er wird von den Kreolen geschützt, die ihm den Namen
„Matin“ beigelegt haben, da er am Morgen mit wohlklingendem
Ruf die Langschläfer weckt. Als wir am Morgen des 6. März
einen Ausflug nach dem Urwalde am Mount Harrison unternahmen,
Deutsche Tiefseeexpedition. 319
hörten wir seinen Ruf von den hohen Bäumen in der Nähe der
Häuser. Beim Anstieg in das Gebiet, wo Zimmt, Gewürznelken
und Vanille angepflanzt sind, zeigte sich ein Zwergfalk, Hierax(?), auf
hohem kahlen Fels am Wege und Nectarinien flogen pfeilschnell
vorüber. Zuweilen hörte man auch den Gesang des roten
Webers. Im Walde verriet sich die Merle, Ixocincla crassirostris*,
durch lautes Geschrei. An bewaldeten Abhängen über tiefen
Thälern schwebten graziös in eleganten Wendungen die Pärchen
der Feenseeschwalbe, Gygis candida, und hoch oben an den steil
aufragenden höchsten Felsspitzen zogen die Tropikvögel schreiend
und einander jagend ihre Kreise. Beim Abstieg wurde auf dem
Wege am Boden sitzend eine kleine Taube, Geopelia siriata”, auf
Bäumen ein Webervogel, Foudia madagascariensis*, und ein Matin,
Acridotheres tristis*, für unsere Sammlung erlegt.
Am 8. März erhielten wir von der Insel Felicite zwei
Tropikvögel, Phaeton lepturus”, und eine Warzentaube, Alectroenas
pulcherrima”, und von Praslin mehrere Merlen und einen kleinen
Reiher, dessen Balg leider nicht präpariert wurde.
Als wir dann nördlich von den Amiranten der afrikanischen
Küste zusteuerten, wurden am 9. und 10. März Tropikvögel und
Fregatten, am 11. Fregatten und Tölpel, Sula cyanops (?), bemerkt.
Am 12. fehlten die Vögel; am 13. gelang es einen von mehreren
vorüberfliegenden Tölpeln zu schiessen, der als Sula cyanops*
bestimmt werden konnte. Am 14. schon in der Nähe von Dar
es Salam wurde ein Tropikvogel gesehen und eine Fregatte,
Fregata aquila, erlegt.
Am 15. März ankerten wir im Hafen von Dar es Salam,
über dem Raubvögel und eine dunkle Möve schwebten. Dort
wurden auf von Mangrove freiem Ebbestrand Tringa suburcuata*,
Tringoides hypoleuca* und Charadrius pecuarius erlegt und Brach-
vögel gesehen. Im Gebüsch erhielten wir Telephonus senegalus”
und Monticola saxatilis*. Sonst zeigten sich noch Geier und
Falken, Schildraben, Tauben, Schwalben und Webervögel. Dort
wurden die letzten Vögel geschossen.
Als wir dann längs der Somaliküste nach Aden fuhren,
zeigten sich am 22. März weisse mövenartige Vögel in der Ferne,
am 24. wurden schwarze Vögel mit mövenartigem Flug und eine
weissköpfige Fregatte gesehen. Dann waren erst wieder am
28. März 4 weisse Vögel (Tropikvögel?) fern sichtbar und am
29. stiess eine weisse, etwas graue Seeschwalbe (?) tauchend ins
320 Dr. E. Vanhöffen:
Wasser. Am 30. März erschien ein Tropikvogel und am 1. April
ein kleiner Landvogel in der Nähe des Schiffes.
Am 2. April bei Cap Guardafui und am 4., kurz bevor
wir Aden erreichten, wurden noch die letzten Tropikvögel be-
obachtet. In Aden galt die Tiefseeexpedition für beendet. Dort
zeigte sich der erste nordische Vogel, Larus fuscus oder L. marinus.
Von der schnellen Heimfahrt, bei der nicht mehr so genaue
Beobachtungen über Vögel gemacht werden konnten, möchte ich
noch erwähnen, dass wir etwa in der Mitte des roten Meeres am
9, einen Wiedehopf, Upupa epops, am 12. im Golf von Suez wieder
die dunkle Möve, am 16. angesichts von Kreta unter anderen
kleinen Landvögeln eine gelbe Bachstelze, am 17. vor der Strasse
von Messina Möven, einen Falk, Saxicola, zwei Schwalben und
eine Lerche antrafen und im Golf von Biscaya am 25. April
Larus tridactylus und den ersten Lummen begegneten.
Schon vorher wurde für den atlantischen Ocean auf den
Reichtum der kalten Meere an Arten und Individuen im Gegen-
satz zu den Meeren der Tropen hingewiesen. Noch auffälliger
tritt der Unterschied im indischen Ocean hervor. Dort waren
nur 5 Vogelgattungen für das Tropengebiet charakteristisch: der
Tropikvogel, die Fregätte, Sula, Anous und Gygis, die, abgesehen
von Anous nicht sehr zahlreich, meist in der Nähe des Landes
gefunden wurden. Während südlich am 45° S. Br. kaum ein
Tag verging, an dem nicht Vögel beim Schiff erschienen, zeigten sich
in den Tropen grosse Lücken, die noch grösser gewesen wären, wenn
nicht zahlreiche Inseln auf unserm Wege gelegen hätten. Denn selbst
Tropikvögel und Fregatte scheinen sich nur ausnahmsweise weit vom
Lande zu entfernen. Den wenigen Vögeln der Tropen bietet dasruhige
Meer auch in der Nähe der Küsten genügende Nahrung, die Vogel-
scharen der Antarktis dagegen sind zum Teil daraufangewiesen, weite
Strecken zu durchfliegen, und haben oft mit schweren Stürmen zu
kämpfen. Daher haben sich dort die ausdauerndsten Flieger heraus-
gebildet. Als solche sind Diomedea exulans und D. melanophrys,
Thalassogeron, Phoebetria, Procellaria, Pagodroma, Thalassoeca,
Priocella, Priofinus und die Prion-Arten zu nennen. Weniger gut
fliegen nach meiner Ansicht Daption capense und Oestrelata mollis,
diezwar nur in einem Exemplar beobachtet werden konnte, aber sich
in Körperform und Gebaren an die Kaptaube anschliesst. Elegante,
aber anscheinend wenig ausdauernde Flieger sind Fregatte, Sula
Tropikvögel und die Seeschwalben Sierna, Anous und Gygis, die
Deutsche Tiefseeexpedition. 321
sich in der Regel nicht so weit als jene vom Lande entfernen.
Zweimal wurde Sierna völlig erschöpft auf dem Schiff angetroffen
und Anous stolidus, die Tölpelseeschwalbe, hat den Namen „Döskopf“
von den Seeleuten zum Teil wohl erhalten, weil ihr Müdigkeit
und Hunger oft als Dummheit ausgelegt wurde, wenn sie sich
auf Schiffen mit der Hand fangen lies. Die langen spitzen
Flügel scheinen wohl zu schnellen Wendungen und zum Schweben
bei leichter Brise geeignet, aber nicht brauchbar, um bei Sturm
die Richtung zu halten. Nicht besonders gewandt erwies sich
Larus dominicanus, die sich auch nicht weit von der Küste
entfernt, und im Vergleich mit den vorigen müssen Ossifraga
gigantea, Phalacrocorax und Lestris als schwerfällig bezeichnet
werden. Entsprechend ihrer Beweglichkeit haben sich die Meeres-
vögel auch ihre Nahrung gewählt. Der Riesensturmvogel und
die Raubmöve mästen sich an Cadavern oder leben vom Raube,
der Kormoran taucht, um Küstenfische und andere Seetiere zu
erbeuten, die Möve nimmt mit den der Oberfläche sich nähernden
Fischen, mit Aas, dem Angespül der See und den bei Ebbe am
Strande zurückgebliebenen Tieren vorlieb. Die Seeschwalben
scheinen über der Oberfläche schwebend Copepoden und die ein-
zigen Insekten des Meeres (Halobates) zu jagen, werden aber
auch wohl andere niedere Tiere nicht verschmähen. Bei an-
dauernd stürmischem Wetter auf hoher See müssen sie wahrschein-
lich verhungern. Sula und Tropikvogel sind als echte Fischer, die auf
erspähte Beute herabstossen, bekannt. Die Fregatte zieht raubvogel-
artig in der Höhe ihre Kreise, streicht aber zuweilen auch niedrig
über dem Wasser hin. Wie sie fischt, habe ich nicht beobachten
können. Die Sturmvögel und Albatrosse endlich nähren sich von
lebenden oder toten an derOberfläche treibendenTieren. Trotz ihres
schnellen Fluges müssen sie gut Umschau halten, da wir im
Albatrossmagen selbst von wenig auffallenden Tieren grössere
Exemplare fanden, als wir mit unsern Netzen erbeuten konnten.
Diese Beobachtungen über Vorkommen und Lebensweise
der Vögel, die ich nach Aufzeichnungen in meinem Tagebuche
mitgeteilt habe, werde ich bei der Deutschen Südpolarexpedition
vervollständigen und erweitern, da wir auf anderen Wegen als
bei der Tiefseeexpedition nach Süden vordringen und von dort
zurückkehren werden. Vielleicht giebt mir auch die weitere Be-
obachtung der Vögel zu andern Jahreszeiten Gelegenheit, meine
Anschauungen über das Hinausfliegen der Vögel auf’s hohe Meer,
Journ, f, Orn,. XLIX, Jahrg. Juli 1901, 22
322 Dr. E. Vanhöffen: Deutsche Tiefseeexpedition.
das in manchen Fällen vom Brutgeschäft beeinflusst sein kann,
zu ändern. Jedenfalls hoffe ich nach der Rückkehr von der Süd-
polarexpedition einen ausführlichen Beitrag zur geographischen
Verbreitung der Meeresvögel insbesondere jener der südlichen
Breiten liefern zu können.
Zur Ornis des Thales der Drewenz
(im Weichbilde der Stadt Neumark i. Wpr.).
Von Fritz Braun.
Mag das Wanderleben eines westpreussischen Schulamts-
kandidaten auch manche Unannehmlichkeiten mit sich bringen,
der Freund der heimischen Ornis wird diese gern in den Kauf
nehmen, bringt ihm doch grade der unstäte Wandel eines
modernen Bildungsreisenden grosse, nicht zu unterschätzende
Vorteile. Vor anderen lernt er erkennen, dass unser Vaterland
auch auf kleinerem Raum durchaus kein einheitliches Gebiet ist,
dass dem Forscher in scheinbar recht ähnlichen Gegenden eine
gar verschiedene Ornis entgegentritt — eine beherzigenswerte
Warnung vor vorschnellem Verallgemeinern. Er begreift, wie
wenig damit gesagt ist, eine Vogelart kommt bis hier und dahin
vor, er sieht ein, dass die einzelnen Arten inmitten ihres Gebietes
hier diehter, dort dünner siedeln und grossen Landstrecken in-
mitten ihrer Verbreitungszone sogar völlig fehlen, ohne dass man
für ihr Verschwinden sogleich einen nahe liegenden Grund an-
führen könnte: Die Feststellung der verschiedenen Siedelungs-
dichte einer und derselben Art wird für die genaue Schilderung
ihrer Lebensweise, für die Aufklärung der geheimen Zusammen-
hänge zwischen dem Leben grade dieses Vogels mit der Boden-
form, der Vegetation und der Wirtschaftsgeographie oft viel, viel
wichtiger sein, als die zufällige Notierung eines vorschnellen
Pioniers, der über das Reich seiner Artgenossen hinausstrebte.
Wie angenehm wäre es für uns, wenn wir z. B. für Frin-
gilla serinus eine Karte seiner Siedelungen und seiner Siedelungs-
dichte besässen. Damit wäre für die kausale Erklärung seiner
Nordwanderung wohl die wichtigste Vorarbeit geleistet.
Durch solche Arbeiten kann wegen der Gründlichkeit, die
sie verlangen, auch nicht so leicht gesündigt werden, wie bei der
isolierten Angabe eines neuen Nistplatzes. In einem der letzten
Jahrgänge der „gefiederten Welt‘ las ich zu meinem Schrecken
Zur Ornis des Thales der Drewenz. 323
die Notiz, dass der Karmingimpel (Loxia erythrina) bei Zoppot
ein häufiger Brutvogel sei, wovon bei uns in Westpreussen kein
Mensch etwas weiss. Sicher ein Fall, wo ein fremder Badegast
erfuhr, dass dort irgendwann einmal brütende Karmingimpel
gefunden seien und nun schlankweg darauflos dekretierte: „Bei
‚Zoppot brütet Loxia erythrina.“ Der Deutsche im Reich, der
dann das Zeug liest, glaubt daraufhin wohl, bei uns dürfe man
nur in den Wald gehen, um dem Flötensange dieses nordischen
Gimpels zu lauschen. —
Im Folgenden wollen wir uns mit dem Thale der Drewenz
beschäftigen, dem Thale des südlichsten Nebenflusses, der auf
preussischer Erde der mächtigen Weichsel von rechts her zuströmt.
In diesem Thale liegt auch die Schulstadt Neumark, der
Sitz des preussischen Landratamts Löbau. Dieser Ort ist eine
charakteristische Passstadt. Wollte man das Thal der Drewenz
überschreiten, so bietet sich hier die letzte Gelegenheit, denn nord-
wärts treten die Hänge der Randberge weiter auseinander und
schauen auf breite, sumpfige Wiesen herab, die dem Wanderer
zur Zeit des Hochwassers und der Schneeschmelze unüberwind-
liche Hindernisse bereiten, und südwärts treffen wir tief-
gründiges Moor.
Durch Wiesen und Felder, Torfbrüche und Hopfenplantagen
und Kartoffeläcker strömt die Drewenz mit schmalem, tiefem,
strudelreichem Wasserlauf, von dem sich nur hier und da schmale
Altwasser abzweigen, in denen geiler Schachtelhalm, selten speer-
schäftiges Rohr emporstrebt. Je nach dem Gange der Serpen-
tinen ist das Ufer abwechselnd steil und flach, die Steilhänge
selten höher als vier bis fünf Fuss, der gelbe Strand nur selten
breiter als einen knappen Meter. Die Breite des ganzen Erosions-
thales, das der Fluss sich im Laufe der Jahrtausende schuf,
beträgt durchschnittlich 1100 m., Wege und Siedelungen folgen
zumeist rechts und links dem Hange der Randberge.
Ursprünglich bedeckte diese Höhen rauschender Wald. Aber
Schlag um Schlag fielen die Forsten der Axt zum Opfer. Wald
ist Geld und unausgegebenes Geld lässt den Enkel der Schlach-
zizen nicht schlafen. Jetzt sind die Höhen von Kaluga bis
Brattian kahl und öde. In den Schluchten kümmern zwar noch
hier und da kleine Bestände, aber nur die königliche Forst
Kosten sendet ihre Vorposten bis an das Ufer der Drewenz
herab.
22#
324 Fritz Braun:
Sogar die wenigen Bäume, die z. B. nördlich von Neumark
die Drewenz begleiten, dünnzweigige, sperrig belaubte Weiden
und Pappeln, sind nicht grade geeignet, gefiederte Bewohner
anzulocken. Zu alle dem sind auch die weidenbestandenen
Ufergelände, die bei grösseren Flüssen, z. B. der Weichsel, eine
Fülle insektenfressender Vögel beherbergen, an der Drewenz
nur Selten und klein.
Der durch Vernichtung der Wälder bewirkte Holzmangel
zwang den Bauern, auch die Einzelbäume und das Gesträuch
arg mitzunehmen, um Herdholz und Heizmaterial zu gewinnen.
So sehen wir denn an den Hütten der käthner oft Berge von
Kiefern und Weidengeäst aufgeschichtet, trägt fast jeder Baum
Spuren der unbarmherzigen Axt, die den misshandelten Bäumen
Zweig um Zweig geräubt, selbstverschuldeter Not gehorchend.
Dieser kargen, sonnenhellen Landschaft, reich an Sand und
Moor, arm an Fruchtbarkeit, Behagen und schattendem Baumwuchs
entspricht auch die Ornis. Jedoch müssen wir zugeben, dass diese
trotz der Einförmigkeit der Boden- und Vegetationsform eine
überaus reiche ist, dass der landfremde Ankömmling fast tagtäglich
durch eine neue Beobachtung angenehm enttäuscht wird, damit seine
Erwartungen steigert und sich in ihnen selten getäuscht findet.
Wandern wir auf sandigem Pfade längs der Höhe dahin,
so finden wir rechts und links die Vögel der Kultursteppe, der
Kultursteppe in ihrer sandigen, unfruchtbaren Form.
Auffallend war es mir, dass die verschiedenen Ammer-
arten, die weiter im Norden, in den Werdern der Weichsel
und ihren Grenzgebieten sich gegenseitig zu verdrängen scheinen,
hier friedlich mit- und nebeneinander hausen. Bei Kaluga
erschallten mir aus dem geräumigen Wipfel einer und derselben
Kopfweide die Lieder von Emberiza miliaria, E. citrinella und
hortulana entgegen und cifrinella und miliarıa fand ich recht
häufig beisammen.
Bei weitem am meisten findet man E. miliaria. Sie ist
der Charaktervogel des Thales. Auf jeder dritten Weide, auf
jeder boczemecka, wie der Pole die Bildstöckel am Kreuzweg
nennt, spinnt sie ihren Leiersang., Nahm ich das Tesching zur
Hand und stellte ich der unschönen Base des Goldammers mit
den Schroten nach, so war die Beute stets reichlich genug.
Selbst mitten im Felde, fernab von Strauch und Stein, wirkt
sie ihr eintöniges, ermüdendes Tongewebe.
Zur Ornis des Thales der Drewenz. 325
Wegen ihrer erstaunlichen Häufigkeit wäre diese Ammer
hier ganz geeignet, ein jagdbares Wild abzugeben. Bei ihrer
verhältnismässigen Grösse lohnt sie schon den Schrotschuss der
leichten Büchse. Eine Ausrottung der Art wäre kaum zu be-
fürchten, dagegen nur wünschenswert, dass in die durch Pulver
und Blei geschaffenen Lücken ihres Bestandes die schönfarbige
Goldammer, der hellstimmige Ortolan einrücken.
Sitzen die Grauammern hoch oben in den Weidenkronen,
so erkennt man sie — ganz abgesehen von der Färbung und
dem schrillen, unverkennbaren Getön — schon an der balan-
zierenden Haltung des Körpers, die den Schwanz selten zur
Ruhe kommen lässt. Ihre unmässig grossen Füsse sind nicht mehr
recht geeignet, dem unförmlichen Vogel auf dem schwankenden
Weidenästchen einen sicheren Sitz zu bereiten.
Nicht viel minder zahlreich als E. miliaria ist E. citrinella,
die hier wie anderswo sich von allen Ammern noch am ehesten
in das Waldleben findet. Ich fand sie mitten im Kosener Walde,
sofern nur eine mässig grosse Lichtung den Ausflug ins Feld
ermöglichte, und hörte sie mitten im Buchenwalde, 80—100 m.
vom Lichten entfernt, ihren Singsang leiern.
Emberiza hortulana findet man am ehesten an der Weissen-
burg-Neumark-Strasburger Chaussee; auch sie ist hier viel häufiger
als in der Danziger Gegend.
Neben den Ammern treiben die Lerchen ihr Wesen. Alau-
da ceristata stolziert selbst auf dem Schulhofe einher, um dicht
an der Thür nach einem verlorenen Brocken zu picken. Trotz
ihrer grossen Zahl sind die Reviere von Alauda arvensis auch
hier genau bestimmt, wie ich an einigen zerstreut siedelnden
Bodensängern feststellen konnte, die ich immer wieder an den-
selben Punkten fand.
Von Finkenarten findet man in der Nähe des Städtchens
Neumark, das mit seinen Gärten und Alleen ein Gebiet für sich
bildet, zumeist den Grünfinken (Fringilla chloris), der auf engem
Raum in Dutzenden von Paaren siedelt und uns überall mit
seinem Leiersange verfolgt. Bei dem stürmischen Wetter einiger
Maitage hörten wir nur das ewig wiederholte „Schwunsch‘“ ; offenbar
macht dieser Ruf dem Sänger dann weniger Mühe als die längeren,
klirrenden Strophen. Bei solcher Siedelungsdichte der Grün-
finken muss selbst die minnigliche Streitlust zurücktreten, teilen
drei, vier Männchen mitunter friedlich denselben Sitz,
326 Fritz Braun:
Häufig genug ist an dem gleichen Ort auch der Stieglitz
(Fringilla carduelis), den man oftmals von einem freien Zweig
der halbwüchsigen Gartenfichten, die der Grünfink fast ängstlich
meidet, seine kecke Weise zwitschern hört. Der Stieglitz ist der
schönste Schmuckvogel der Neumärker Gärten; der Hänfling
(Fringilla cannabina) streicht dagegen mehr in den Feldern
umher. Noch in der zweiten Maiwoche sah ich die schmucken
Vögel, Männchen und Weibchen in Flügen miteinander, ohne
Hader und Zank, gesellig das Land durchstreifen. Fbenso ver-
hielt sich auch der Stieglitz; noch am 16. Mai sah ich ihn in
Flügen von 4 bis 6 Köpfen, also noch nicht in paarweiser Ab-
sonderung.
Eine besondere Vorliebe hat der Hänfling für die Holzlager
der grossen Schneidemühlen, wo fast immer einige Hänflinge auf
den ragenden Holzstapeln ihre flötenden Strophen singen, trotz-
dem kein grüner Baum zwischen den leuchtenden Dielen wächst.
Der Buchfink (Fringilla coelebs) ist in dem baumarmen
Lande verhältnismässig selten und arm an Stimme, gänzlich
fehlen Zeisig (FPringilla spinus) und Girlitz (FPringilla serinus),
der Charaktervogel der Gärten im Norden Danzigs. Für den
Girlitz ist hier in der kahlen Kultursteppe kein Platz und die,
zumeist noch dazu recht jungen Gärten des Städtchens Neumark
sind doch eine gar zu bescheidene Oase in der baumlosen Wüste,
um von fernher heikle Ansiedler anzulocken. So wird wohl noch
manches Jahr vergehen, ehe sich hier der schwirrende Sang des
Girlitz in die Strophen der Grünlinge mischt.
Vielleicht wird ein weiteres Anwachsen der Linden an
unsern neuen Chausseen die Verbreitung der Girlitze befördern;
in der Danziger Gegend hat der gelbgrüne Fink eine entschiedene
Vorliebe für die Nachbarschaft alter, breitkroniger Linden und
ähnlicher Laubbäume, denen zu Liebe er sogar ..auf die Nähe des
Waldrandes verzichtet.
Auffällig ist im Drewenzthal das Fehlen von Star (Sturnus
vulgaris) und Elster (Corvus pica). Die einheimischen wollen
zwar des Fehlen des Stars bestreiten; da ich aber auf meinen
tagtäglichen Wanderungen auch keinen einzigen Starmatz erschaute,
der doch sonst nicht grade zu den schwer zu erspähenden Ge-
schöpfen zählt, blieb der Mangel immerhin auffällig genug, zumal
wenn man aus den Starendorado der Werder kommt. Beiläufig:
Wenn Friderich den Pirolpfiff ein Besitztum der Waldstare nennt,
Zur Ornis des Thales der Drewenz. 827
so irrt er; zu heuriger Osterzeit begleitete mich in dem wald-
armen Danziger Werder der Pirolpfiff der Starmätze von Dorf
zu Dorf.
Das Handwerk des Stars scheint hier ausschliesslich die
Nebelkrähe (Corvus cornix) zu üben, die mir durch ihr zutrau-
liches Wesen anfangs besonders auffiel.e. Lange Zeit lebte ich
des Glaubens, auf dem Gute Weidenau gäbe es zahme Krähen.
Bisher kannte ich nur das verschüchterte Krähenvolk in dem
Weichbild der Grossstädte, die in dem Menschen den Mörder
fürchten, und diese Neumärker Kinder liessen mich getrost bis
auf zwei, drei Schritt herankommen. Später erst wurde ich
darüber belehrt, dass ich im Irrtum befangen eine Erscheinung
als Ausnahme ansah, die hier die Regel bildet. Trotzdem sah .
ich die Nebelkrähen hier niemals zu so grossen Nistgesellschaften
vereinigt wie weiter nordwärts, an dem Hange der pommerelli-
schen Höhen.
Weil Dohle (Corvus monedula) und Elster fehlen und die
Saatkrähe (Corvus frugilegus) sich höchstens auf dem Strich und
der Wanderung erspähen lässt, so ist Corvus cornixz die einzige
Vertreterin der Rabenvögel.
Dem Star ist das Drewenzthal wahrscheinlich zu baumarm
und der Abhang der Randberge zu dürr. Zudem hat das treffliche
Vorbild des seligen Lenz, die Starmätze durch Nistkästen anzulocken,
bei den Neumärker Bürgern noch wenig Nachahmung gefunden.
Neben dem Hänfling treibt sich auf den Holzfeldern das
Blaukehlchen (Zusciola eyanecula) umher. Der schönbrüstige Vogel
scheint in unserem Gau recht innig an den Werken und dem
Besitz des Menschen zu hängen. Im Danziger Werder findet
man ihn viel seltener draussen in der Feldmark, in dem Weiden-
gesträuch der Grabenränder, als in der Nähe der Wirtschaftsge-
bäude, zumal der Strohstaken, die durch Umfang und Höhe von
dem Segen der Fruchtfelder Zeugnis geben.
Sein Verwandter, das Rotkehlchen (Lusciola rubecula) be-
wohnt nicht grade häufig das Unterholz der Neumärker Gärten,
nachbarlich gesellt dem hellstimmigen Spötter (Sylvia hypolais),
der Zaun- (Sylvia curruca) und Dorngrasmücke (Sylvia cinerea).
Auch das Schwarzplättchen (Sylvia atricapilla) fand ich auf dem
evangelischen Friedhof des Städtchens, dagegen nur äusserst
selten die graue Gartengrasmücke (Sylvia hortensis), was auch
wohl auf die Holzarmut der Gegend zurückgeführt werden muss.
328 Fritz Braun:
Sie alle findet man zumeist nur in Neumark selbst und in den
Gärten der grössten Güter.
Nur die Dorngrasmücke trifft man auch in den zerstreuten
Weidenbüschen der Drewenzniederung. Geht’s gut, so kann man
sie fünf, ja zehn Minuten lang auf ein bis zwei Meter Entfernung
betrachten. Anstatt vor dem Beobachter zu fliehen, spielt der
Vogel hier mit ihm Versteck und bleibt still und starr im
Gezweige sitzen. Oftmals ist es allerdings selbst in der gering-
sten Entfernung schwer, ihn zu entdecken, denn sein braungraues
Kleid trägt Schutzfarben, die mit der Umgebung wunderbar
übereinstimmen.
Über und zwischen diesen Laubbewohnern streifen die
Meisen durchs Gezweig, vor allem Parus maior und Parus palus-
iris in etwa gleicher Zahl. Von letzterer besucht ein Pärchen
wohl tagtäglich den Schulgarten. Ich erkenne die beiden daran,
dass dem schlanken Weibchen ein dicker, plustriger Gatte gesellt
ist; vielleicht bedingt eine chronische Krankheit die plumpe
Haltung des sonst so munteren Geschöpfs. Die beiden unzer-
trennlichen nisten wahrscheinlich auf einem dem Schulgarten
benachbarten Friedhof und treffen auf ihrem täglichen Streifzug
fast „pünktlich zur Sekunde“ in den Baumkronen des Schulhofes
ein. Blaumeisen (Parus coeruleus) sah ich bei Neumark so gut
wie garnicht, so dass ich fast ihr Fehlen feststellen könnte.
Neben den Sumpfmeisen besuchen auch Trauerfliegenfänger
(Muscicapa atricapilla) von Zeit zu Zeit den Schulgarten. Im
Tannengrün verborgen, konnte ich die weissbindigen Gesellen
aus nächster Nähe beobachten. Längere Zeit gingen sie dicht
vor meinen Augen ihrem rastlosen Gewerbe nach, bis sie mich
schliesslich doch bemerkten und dann erschreckt von dannen
stoben.
Den grauen Fliegenschnäpper (Muscicapa grisola), meinen
guten Bekannten von Danzig her, der im vorigen Jahre in
Gr. Walddorf hinter einer Dachrinne seine junge Brut aufzog,
bekam ich in unserem Schulgarten gleichfalls zu sehen. Zumeist
sehe ich das Pärchen auf der Nordostecke des Gymnasiums
sitzen, um von dort unter lebhaftem tschrie-tschrie seine typischen
Flugbogen zu beschreiben. Hoffen wir, dass es an dem gast-
lichen Hause auch die Wiege seiner Kinder erbaut.
Auf den Dächern und Schornsteinen der Stadthäuser, welche
dieselben Schwalbenarten wie anderswo umgaukeln, sieht man
Zur Ornis des Thales der Drewenz. 829
von Zeit zu Zeit das Hausrotschwänzchen (Lusciola titys) am
ehesten noch in der Nachbarschaft der geräumigen katholischen
Kirche. Seinem schönen Verwandten, dem Gartenrotschwänzchen
(Lusciola phoenicurus) begegnete ich am Weidenauer Gutsgarten.
Die weiten Wiesen zu beiden Seiten der Drewenz beherrschen
Wiesenpieper (Anthus pratensis), braunkehlige Wiesenschmätzer
(Pratincola rubetra) und Bachstelzen, die das Krautdickicht der
Altwasser schwanzwiegend absuchen. Neben Motacılla alba
findet sich auch Motacilla flava.
Die Wiesenschmätzer sind hier recht scheu und deshalb
schwer genau zu beobachten. In Folge ihres freien Sitzes sehen
sie den Wanderer schon von weitem ankommen und fliegen stets
ab, wenn der neugierige Störenfried noch etwa 25—30 Schritt
entfernt ist, sodass man selbst mit dem Opernglase wenig intime
Momente aus ihrem Leben belauschen kann. An manchen
Nachmittagen bin ich ihnen wohl eine kleine Weile über die Felder
nachgelaufen; immer wieder strich ich in denselben Zickzacklinien
durch ihr geräumiges Revier und immer wieder erlebte ich
denselben Misserfolg.
An dem Standort eines Pärchens von Motacilla flava wurde
ich wiederholt Zeuge eines absonderlichen Vorgangs. Von ferne,
jenseits der Häuser Neumarks, die allerdings nicht grade ein
Meer bilden, erschien leichten Fluges eine männliche Kuhstelze,
stürzte sich auf den harmlosen Artgenossen, der beschaulich im
Kraute einhertrippelte, und flog mit ihm zankend und beissend
empor, um dann eben wieder so schnurstracks, wie sie gekommen,
in der blauen Ferne zu verschwinden. Ankunft, Kampf und Abzug
machten einen eigentümlichen Eindruck, als läge dem Thun des
fremden Ankömmlings ein strategischer Plan zu Grunde.
In den Weiden am Flusse nistet der edelste Gast dieser
Fluren, der Sprosser (Lusciola philomela), der im heurigen Mai
wegen der kalten Witterung seinen Gesang leider recht lange
unterbrechen musste, und neben ihm erblickt man bisweilen auch
einen Neuntöter (Lanius collurio); Lamius senator fehlt dagegen.
Eher noch erblickte ich den Neuntöter in den Gesträuchen,
die an den verfallenen Mauern des alten Klosters Lonk empor-
wachsen. Wie die Dorngrasmücke zeigte auch der Dorndreher
eine grosse Abneigung dagegen, vor dem Beobachter auf die
baumlose Kultursteppe zu flüchten, sondern bemühte sich, in den
wenig geräumigen Sträuchern die nötige Deckung zu finden.
330 ritz Braun;
liinzelne der Sprosser, die an der Drewenz stehen, bringen
die Ihilipp-Philipp-Rufe recht schön zum Vortrag, beeinträchtigen
aber den schönen lindruck der markigen Töne gar sehr durch
unschöne, ich möchte fast sagen, zerknitterte Strophen, die an
Klangwirkung noch hinter dem Wettern einer Sumpfmeise zu-
rückstehen.
In «diesem Frühling hat der Sprosser hier böse Tage und
Nächte durchgemacht (am 11. Mai hatten wir Nachts 3 Zoll
Schnee). Am unangenehmsten schienen ihm klare Nächte mit
Ostwind zu sein, wo in Kolge der bedeutenden Wärmeabgabe
(durch Strahlung die Temperatur bis auf ea. 3% Kälte herabeing.
In solchen Nächten schwieg der Sprosser völlig, während ihn
gewöhnlicher, gleiehmässiger Landregen bei 4°— 5% Wärme kaum
im Gesange hinderte.
Mit dem gelben Spötter und den Grasmücken verhielt es sich
grade umgekehrt. Bei --1—2° Lufttemperatur, ruhiger Luft
und hellem Sonnenschein sass der gelbe Spötter unseres Schul-
gartens noch immer lustig auf einem sonnigen Zweige und knüpfte
Strophe an Strophe, während kaum fühlbarer Regen ihn sofort
verstummen machte, und den Grasmücken erging es ganz ähnlich,
An sonnenhellen Maitagen mit kalter Lufttemperatur ver-
liess die Grasmücken und Spötter sogleich ihre Lebenslust, wenn
(die Sonne sich zum Untergang neigte und ihre schrägen Strahlen
(die wärmende Kraft einbüssten. Alsdann sah man stets die eben
noch so fröhlichen Sänger durch’s Gesträuch hüpfen.
Von Wasservögeln sieht man am ehesten noch ein Paar
linten (Annas boschas), denn die Altwasser sind nicht geräumig
gsonug, um viele Gäste zu beherbergen. Den Strandläufern und
anderen mehr fehlt der gelbe, breite, sandige Flussstrand, während
den Möwen der Fluss zu schmal, die Flut zu trübe, strudel-
reich und verwirrt sein dürfte. Selbst die Rohrdrossel (Acroce-
phalus arundinaceus) findet in den Altwassern noch kein gast-
liches Heim; nur einen einzigen Teichsänger (Acrocephalus
saltearius) sah ich im Norden der Stadt. Da ich jedoch seine
klappernden Lieder schon seit mehreren Tagen nicht mehr gehört
habe, muss ich annehmen, dass auch ihm unser Städtehen nicht
behast hat und er anderswo zwecks Verheiratung seine Lieder
schirkt.
Das Getön der Rohrammer (Eimberiea schoenielus) schallte
mir an demselben Ort recht oft entgegen. Weil das Rohr hier
Zur Ornis dos Thalos dor Drowenz. 351
nur sehr spärlich ist, wurde der schöne Vogel zum Bewohner
der Weidengebüsche, von deren Zweigen er sein Liebeslied stammelt,
An seiner Sommerresidenz steht in nächster Nähe der Stadt
auch ein Pärchen Gallinula chloropus. Das sumpfige Altwasser
der Drewenz, auf dem die anmutigen "Teiehhühner siedeln, ist
nur recht klein. Trotzdem streichen sie bei drohender Gelahr
nicht ab, sondern bergen sich in den dichten Pllanzen des Sumples,
ohne sich durch Würfe mit Iördschollen aus ihrem Versteck
auftreiben zu lassen.
Die Ansiedelung der Rohrvögel wird noch dadurch erschwert,
dass die Käthner das schwankende Rohr, wo immer es sich ein-
fand, emsiglich schneiden, um mit den langen Schäften Stall und
Scheuer zu decken. Daher starren den Ankömmlingen im Lenz
nur die kurzen Stoppeln entgegen und die brütelustigen müssen
weiter wandern, gastlichere Stätten zu suchen,
Sogar der Storch ist bei Neumark nicht übermässig häufig,
Sein Nest schmückt allerdings als weithin sichtbares Wahrzeichen
einen zerbröckelten Wartturm der Stadtmauer, aber auch «dieses
Nest steht leer, und wenn der biedere Wächter der Nacht die
l"euerglocke zieht, scheuchen ihre gefürchteten Töne kein Dtorchen-
kind aus dem süssen Schlummer,
Besser als für das Rohrgevögel eignen sich die Uler der
Drewenz, die bald steil abfallen, bald sanft gewölbt sind, am
denen immer wieder und wieder Weidengebüsch mit weitüber-
hängenden Zweigen haftet, für Alcedo xspida, den Niegenden
Iidelstein unseres Vaterlandes. Kinmal sah ich ihn pfeilschnell
über das Feld fliegen und wurde von meinem Begleiter hastig,
auf „den Vogel ohne Schwanz mit dem dieken Bauch“ aufmerk-
sam gemacht. Im allgemeinen verlässt er jedoch nieht ohne Not
sein feuchtes Brutrevier,
in erfreulicher Anblick ist für den ostdeutschen Ornitho-
logen der schopftragende Wiedehopf (Upupa epops), den man bei
uns in der Danziger Gegend nur recht selten zu sehen bekommt,
Hier stolzierte er keck auf dem Lawn-tennis-Platz des Schul-
eartens umher, Allerdings erwies sich diese Vertraulichkeit des
Wiesenhüppers als wenig praktisch, denn ein Schrotschuss aus
der Flinte des Direktors machte seinem anrlchieen Dasein ein
schnelles Ende — jetzt ziert er die Sammlung der Schule.
Auch in der Umgegend des Städtchens begegnete ich dem weiss-
gefleckten Kukuksküster zu wiederholten Malen.
332 Fritz Braun:
Es giebt in Westpreussen wohl kaum einen zweiten Schul-
garten, der von so zahlreichen und so verschiedenen Vogelarten
besucht wird, wie der Schulgarten in Neumark. Auf den Bäumen
der südlichen Allee, die auf weite Felder hinausschaut, leiert
die Grauammer, spinnt der Hämmerling seinen Singsang. Auf
dem sandigen Lawn-tennis-Platz schreiten neben der Haubenlerche
schmucke Bachstelzen einher, zu denen sich bis vor kurzem wohl
gar der schmucke Wiedehopf gesellte.. Wenige Schritte davon
trillert der Grünfink, schlägt der Fdelfink, lockt der Stieglitz
mit. metallischem Ruf. Dicht daneben schlüpft das Rotkehlchen
schwanzwippend durch das dunkle Gezweig der übermannshohen
Fichten, die den Zaun beschatten. Im Geäst der Büsche und
Bäume singen Zaun- und Dorngrasmücken und der Spötter, der
Töne reichster, während Sumpf- und Kohlmeisen emsiglich jedes
Ästchen und jedes Astloch nach ihren mikroskopisch kleinen
Nahrungsteilchen absuchen. Ihre feinen Stimmchen werden aller-
dings gar leicht von den blöden Spatzen überschrieen, die hier
wie anderswo das letzte Wort behalten.
Die groben Schreier geniessen im Schulgarten Bürgerrecht,
weil man seitens des Lehrerkollegiums ihre Verdienste im Ver-
tilgen der Maikäfer, die hier bisweilen zur überaus lästigen Land-
plage werden, gebührlich, vielleicht über Gebühr preist. Jeden-
falls scheinen die Spatzen hier der Ansiedlung anderer Vögel
nur wenig zu schaden, da sie sich in dem geräumigen Hof- und
Gartenraum auf wenige Lieblingsplätze in der Nähe der Gebäude
beschränken und den übrigen Platz dem anderen Gefieder kampf-
los überlassen.
Im Herzen des Ornithologen regt sich beim Anblick dieses
prächtigen Schulgartens der stille Wunsch, alle Anstalten möchten
es so gut haben, dann würde der Nachwuchs unserer Zunft auch
vielleicht nicht gar so spärlich sein.
Durch regelmässige Beiträge aus kargem Taschengeld sind
die Schüler am Gedeihen der Anlagen interessiert, direktoriale
Verfehmungen etwaiger Nestzerstörer thun ein weiteres, und so
leben denn hier die zerstörungslustigen Menschenkinder und die
schutzbedürftige Brut der Vögel einträchtlich nebeneinander, wie
es sein kann und sein soll.
Der Wald von Kosten, der östlich von Brattian ins Drewenz-
thal hinabsteist, ist an Vögeln nicht arm. Im Unterholz nistet
überall das Rotkehlchen (Lusciola rubecula) und aus den Baum-
Zur Ornis des Thales der Drewenz. 333
kronen tönt uns das wohlbekannte Zilp-Zalp des Weidenlaubvogels
(Ficedula acredula) entgegen. Neben dem Finken (Fringilla
eoelebs) hüpft -geräuschlos der Fitis- und Schwirrlaubvogel (Frce-
dula trochilus und F. sibilatrix) durchs hohe Buchenstangenholz
und kreischend fliegt der Eichelhäher (Garrulus glandarius) vor
uns auf. In sonniger Lichtung singen die Grasmücken und auch
die verhallenden Töne des Baumpiepers (Anthus arboreus) dringen
an unser empfängliches Ohr. Die Drosselarten sind dieselben
wie sonst in der Provinz, über Zurdus piaris vermochte ich
wenig in Erfahrung zu bringen. Die Förster behaupteten, sie
niste in diesen Wäldern nie, doch pflege ich, durch Schaden ge-
witzigt, auf solche Aussagen nur wenig zu geben. An engbe-
buschtem Örtchen fehlt auch der Zaunkönig (Troglodytes parvulus)
nicht. Einer der kleinen Schelme musste an einem Hohlweg,
wo lockerer Sand unter der überhängenden Rasendecke fortge-
glitten war, über schier metertiefe Schlupfwinkel verfügen, denn
selbst der tastende Stock vermochte ihn nicht aus seiner Festung
zu verscheuchen.
Von Raubzeug sollen Sperber (Astur nisus) hier häufiger
sein als in der Nachbarschaft, wenigstens versicherte mir der
Förster in Kaszek, dass er allsommerlich mehrere dieser Räuber
erlest. Im allgemeinen sind aber meine Erfahrungen und Kennt-
nisse des hiesigen Raubzeuges so lückenhaft geblieben, dass ich
mit denselben besser nicht aufwarte.
Damit wäre die hiesige Ornis in grossen Zügen geschildert,
wie sie das Drewenzthal um Neumark herum, von Brattian bis
Kaluga, besiedelt. Vergleichen wir diese Ornis mit der des
Danziger Weichbildes, so fällt uns besonders auf.
1. Das Fehlen von Fringilla serinus.
2. Das fast gänzliche Fehlen von a) Sturnus vulgaris,
b) Corvus pica.
3. Das verhältnismässig häufige Vorkommen von
Upupa epops.
4. Die ungemein grosse Häufigkeit von Emberiza
miliaria und ihr vertrautes Zusammenleben mit
den andern Ammerarten.
Das sind verhältnismässig bescheidene Resultate. Wenn
man aber bedenkt, dass manche Meile durchwandert wurde, und
manche Stunde auf den feuchten Wiesen mir eintönig dahinschlich,
ehe sich ein mildherziger Vogel des Beobachters erbarmte, dann
3354 Fritz Braun: Zur Ornis des Thales der Drewenz.
wird man dieses bescheidene Resultat vielleicht nicht ganz ver-
achten. Wenn aus dem mit Ornithologen reicher gesegneten
Westen nur gediegenes Gold Gnade findet vor dem Auge des
Lesers, sollte man aus unserm armen Osten auch das grün-
spanige Kupfer nicht verachten.
Neumark, 22. V. 1900.
Eine weissliche Farbenvarietät der Märzente,
Anas boschas L.
Von ©. Wüstnei.
(Mit Abbildung).
Spielarten und Farbenvarietäten der wilden Enten im all-
gemeinen, sowie der Märzente im Besonderen, gehören bekannt-
lich zu den grössten Seltenheiten, sodass selbst Naumann kaum
etwas von solchen Abarten zu berichten weiss, er sagt, dass man,
abgesehen von den mit Hausenten gekreuzten Bastarden, unter
vielen Hunderten noch nicht eine mit einer ungewöhnlich
gefärbten Feder findet. Er spricht dann von einem auf weissem
Grunde isabellfarbig gefleckten Weibchen, welches er selbst
besass und von einer schwärzlichen Varietät eines Männchens
im Hochzeitskleide, welches im Brandenburgischen geschossen
sein soll und in Frisch’s Vögel als Anas boschas nigra auf
Tafel 193 abgebildet wurde. Das ist Alles, was Naumann weiss,
und auch mir war bisher anderweit von derartigen Spielarten
nichts bekannt geworden, ebenso wie mir seit vielen Jahren
unter den auf den Mecklenburgischen Seen beobachteten und
erlegt gesehenen Wildenten niemals eine auffallende Erscheinung
vorgekommen war, bis im Herbst vorigen Jahres eine helle Varie-
tät einer männlichen Märzente in hiesiger Umgegend beobachtet
wurde, welche mit einer grösseren Schar anderer Märzenten
überwinterte und hier von mir recht oft gesehen wurde. Dieser
Vogel wurde dann in den letzten Tagen des Februar 1901 auf
lem südlichen Teil des Schweriner Sees erlegt, gelangte in den
Besitz des Präparator Knuth, welcher ihn ausstopfte.
Diese Varietät lässt nicht etwa den Gedanken an eine
Verbastardierung mit einer weissen Hausente aufkommen, die
schlanke Gestalt, der ganze Habitus, die Grössenverhältnisse aller
Teile, ebenso das ganze scheue Wesen sprechen unzweifelhaft für
eine reine Wildente. Wie gewöhnlich versammelten sich auch im
Farbenvarietät der Märzente. 335
Herbst v. J. auf den Gewässern des hiesigen Schlossgartens eine
Anzahl Märzenten, welche hier überwintern und, wenn alles zu-
gefroren war, sich auf den benachbarten Burgsee begahen, welcher
durch den starken Strom eines hindurch fliessenden Kanals stets
einige offene Stellen behält. Auf diesem See versammelten sich
dann im Januar und Februar Gesellschaften von Märzenten bis
zu 100 Stück und zwar in der Mehrzahl Männchen, unter welchen
sich auch die helle Varietät befand und als solche sofort auffiel.
Zu diesen Scharen gesellten sich auch einige Reiherenten, Anas
fuligula, grosse und kleine Säger, Mergus merganser und albellus,
sowie eine sehr grosse Anzahl schwarzer Wasserhühner, Fulica
atra. Als nun bei der lange andauernden Kälte diesem grossen
Vogelschwarm die Nahrung knapp wurde, liessen sich zuerst die
Wasserhühner herbei, die ihnen von einer lebhaft begangenen
Brücke aus zugeworfene Nahrung anzunehmen, legten schliesslich
alle Scheu ab, sodass immer eine Schar von 60 bis 70 dieser
Vögel bei dieser Brücke versammelt war, welche die Passanten
anbettelten und das ihnen gespendete Futter unter Zanken und
Beissen wegschnappten. Sie erreichten hiedurch eine ausreichende
Durchfütterung, bis das schwindende Eis ihnen anderweiten Er-
werb gestattete.e Zu diesen Wasserhühnern an der Brücke
gesellten sich auch stets etwa ein Dutzend Märzenten, die sich
aus der grösseren Schar absonderten und ebenfalls das zu-
geworfene Futter annahmen, auch sie mischten sich in den
grossen, plätschernden Haufen, der um das hineingeworfene
Futter sich balgenden und beissenden Wasserhühner und legten
ebenfalls alle Scheu ab. Ich habe aber nicht gesehen, dass die
helle Spielart, die sich abseits in dem grösseren Haufen befand,
sich bis zu dieser Brücke, wie ihre Artgenossen, vorgewagt hätte.
Bei dieser Spielart fällt zunächst das Weiss des Rumpfes
auf, sodass man aus der Ferne gesehen auf den ersten Blick an
einen Bastard mit der Brandente Tadorna cornuta denken möchte,
doch schwindet dieser Gedanke bei näherer Besichtigung sofort,
da sich die bei der Märzente bekannten Schattierungen ziemlich
genau wiederholen. Das kastanienbraune Kropfschild ist etwas
heller als gewöhnlich, ist vielleicht auch etwas kleiner, der übrige
Unterkörper bis auf die schwarzen Unterschwanzdeckfedern bei-
nahe reinweiss, die bekannte Zeichnung der zarten Wellenlinien
ist nur angedeutet, auch nur bei näherer Besichtigung bemerkbar.
Der Oberkörper ist ebenfalls sehr hell, der Oberrücken und eine
3356 C. Wüstnei: Farbenvarietät der Märzente.
Mittellinie bis zum Bürzel rötlich grau, die kleinen Flügeldeck-
federn bis zum Spiegel ebenso, doch sehr hell, auch die grossen
Schwungfedern sind hellrötlichgrau mit weisslichen Kanten. Die
kleineren hinteren Schwungfedern und Schulterfedern sind weiss,
am Spiegel schwarz und rostrot gesäumt, dieser Saum mit Wellen-
zeichnung, die hier deutlicher hervortritt als auf der Unterseite.
Bürzel und Oberschwanzdeckfedern sind schwarzbraun oder schwärz-
lich. Interessant ist die Art und Weise, wie sich die Neigung
zum Albinismus auf die mit Metailschimmer versehenen Teile
seäussert hat. Der sonst grünschillernde Kopf hat eine düster-
braune dunkle Farbe erhalten, welche nur wenig Glanz zeigt,
ein grünlicher Schiller ist nicht vorhanden. Die beiden aufge-
rollten mittleren Schwanzfedernpaare haben eine ähnliche, beinahe
russschwarze Färbung ohne Glanz. Das sonst stahlblaue Spiegel-
feld hat ebenfalls eine sehr dunkle braune Färbung mit einem
leichten Schiller, der aber nicht ins Blaue, sondern ins Oliven-
grüne spielt, wenn man überhaupt hier von einem Farbentone
sprechen kann, denn in einiger Entfernung sieht das Spiegelfeld
fast ganz schwarz aus. Im übrigen ist die Einfassung des Spiegels
wie gewöhnlich schwarz und weiss, auch nach oben zu ist eine
schwarze Einfassung vorhanden. Hiernach ist bemerkenswert,
dass die metallglänzenden Teile eine weit dunklere Färbung er-
halten haben, als sie im gewöhnlichen Zustande besitzen, während
im übrigen Weiss vorherrscht. Halsring und Schwanz sind weiss.
Wenn nun auch diese Farbenzusammenstellung nicht die Schönheit
der gewöhnlichen Färbung aufweist, so macht doch das Ganze
einen recht angenehmen harmonischen Eindruck, wie aus der bei-
sefügten Abbildung zu ersehen ist.
337
Zur Erinnerung an Dr. Gustav Hartlaub.
Von Paul Leverkühn.,
Zur Rechtfertigung für den Umfang des folgenden Nach-
rufes möchte ich zunächst die Worte Richard Freiherrn von
König-Warthausen’s anführen, mit denen er seinen schönen
Nekrolog Th. v. Heuglin’s einleitet, und die auch auf Hartlaub
passen:
„Dem reicherfahrenen Naturforscher, dem langjährigen Mit-
arbeiter an unserm Journal für Ornithologie gebührt mit Recht
in diesen Blättern ein ausführlicher Lebensabriss zu ehrendem
Andenken!).“ Sodann berufe ich mich auf das klassische Wort
Buffon’s: Le style, c’est l’homme, für die zahlreichen Briefstellen,
welche ich einflechte. Besser als durch Paraphrasen über ihn
lernt man gerade Hartlaub in seinen Briefen kennen, deren viele
zu empfangen mehr als 15 Jahre lang ich den köstlichen Vor-
zug hatte. —
Karl Johann Gustav Hartlaub wurde am 8. November 1814
‘als Sohn des Senators Hartlaub und seiner Frau geb. Buch
geboren. Sein Vater, dessen Familie aus Schweinfurt in Franken
stammt, war „der Chef eines der ältesten und noch heute
bestehenden bremischen Handelshauses (Joh. Lange Sohn’s Witwe
& Cie.), der im höheren Lebensalter durch das Vertrauen seiner
Mitbürger in den Senat berufen wurde. Neben ihm wirkte ohne
Zweifel in anderer Weise erziehend und bildend auf die Ent-
wickelung des jungen Hartlaub seine kluge Mutter ein, eine
Frau, von ungewöhnlichen Geistesgaben, die noch in ihren
späteren Lebensjahren in ihrem gastlichen Hause von Zeit zu
Zeit einen Kreis wissenschaftlich gebildeter, künstlerisch an-
geregter Männer und Frauen um sich versammelte?).“ Er wuchs
in sehr günstigen Familienverhältnissen auf und widmete sich
nach abgeschlossener Vorbildung auf der Bremer Gelehrtenschule
von 1831 an dem Studium der Medizin und Naturwissenschaften
auf den Universitäten Bonn, Berlin und Göttingen. In diese, an
Anregungen und Eindrücken mannigfaltiger Art reiche Studien-
zeit fielen manche fröhliche Studentenwanderungen, darunter
1) J. f. 0. XXV. 1877. 35. Lev.
2) Nach Dr. Moritz Lindemann’s Nachruf in der Weser-Zeitung
(„Dresden, 25. XI. 1900“) No. 19414 v. 1. XII 1900. Abgedruckt in:
Orn. Monatsberichte IX, No. 1. Jan. 1901 p. 1—4. Lev.
Journ, f£, Orn, XLIX, Jahrg. Juli 1901. 23
338 Paul Leverkühn:
eine für damals ungewöhnliche, ja kühne, in die wilden Karpathen,
von deren reizvollen Eindrücken und bis zur Lomnitzer Spitze
ausgedehnten Ersteigungen er noch später oft mit Lust, ja mit
Begeisterung erzählte. Die Anregung dazu verdankte er dem
Geographen Karl Ritter und dem Zoologen Heinrich Lichtenstein,
deren eifriger ‘Schüler er in Berlin war. Über die gemeinsam
mit Graf Keyserling und J. H. Blasius unternommene Reise
erschien in einer Bremer Tageszeitung seinerzeit eine äusserst
anziehende Beschreibung, von der Hartlaub 1870 einen Neudruck
in Buchform erscheinen liess, zusammen mit der Schilderung
einer 1869 ausgeführten Italienfahrt. Er gab dem Buche den
Namen: „Bergauf und Bergab,“ womit die Phasen des Lebens
bezeichnet sein sollten. Eigentümlicherweise ist dieletzte Veröffent-
lichung, welche Hartlaub erlebte, der Neudruck!) der Karpathen-
reise, deren Zustandekommen auf allerlei Schwierigkeiten stiess.
Hören wir ihn selbst darüber:
„Ich schrieb Ihnen schon, dass die Aussicht, jemals in den
Besitz einiger Separata meines neu auferstandenen „Bergauf und
Bergab‘“ zu gelangen, für mich in immer unabsehbarere
Fernen gerückt erscheint. Es wäre indessen immerhin möglich,
dass Sie mir eine doch etwas bestimmtere Aussicht quoad tempus
eröffnen könnten... .. vergessen Sie nicht, dass an Ihnen die
moralische Verpflichtung hängen bleibt, ein Exemplar des Büch-
leins auf meinem Grabe zu deponieren, wenn nicht bald der
nötige Steam mit Hochdruck in die Angelegenheit kommt.“ —
(Juli 1900). Ä
„Was das Opusculum juvenile anbetrifft, so bin ich längst
auf dem Standpunkt der Lasciate ogni speranza angelangt. Mir
thut dabei nur das eine Leid, dass Sie soviel Mühe und frucht-
lose Schreibereien darum gehabt haben. Also, wie gesagt: es
hat nicht sollen sein. Trösten wir uns.“ — (21./VIlI. 1900).
1) Dritte Auflage besorgt von Paul Leverkühn. In: Jahrbuch des
ungarischen Karpathenvereines 1900, S. 88—134 und in ungarischer
Übersetzung gleichzeitig: S. 78—117. Vgl. auch ebenda 1899, S. 120,
1900, S. 155—156 und ungarisch 1899, S. 129, 1900, S. 136. —
Zu spät für den Druck teilte mir Dr. Hartlaub noch mit, (4/III. 1900),
dass es „uns damals gelang, das von dem alten verstorbenen Pastor
Maukoch hinterlassene Herbarium käuflich zu erwerben, was insofern von
einiger Bedeutung ist, als dieses Herbarium Wahlenberg bei Abfassung
seines Buches wesentlich von Nutzen gewesen ist. Was später daraus
geworden ist, weiss ich nicht.“ Lev.
Zur Erinnerung an Dr. Gustav Hartlaub. 339
„Mit dem quousque tandem hat’s doch nun unglaublicher-
weise ein Ende — also gestern 10 Exemplare des Jahrbuches
des ung. Karpathen-Vereins aus Iglö erhalten.‘ — (29./VII. 1900).
Nachdem er in Göttingen am 24. Juli 1838 zum Doctor
medicinae promoviert!) hatte, unternahm er Reisen nach Öster-
reich, den Niederlanden, Frankreich, England und Schottland,
studierte in Wien, Paris, London, Leyden und Edinburgh die
wissenschaftlichen Institute und knüpfte zahlreiche Verbindungen
an mit Männern der Wissenschaft, die für sein späteres Leben
von grosser Bedeutung blieben.?)
Über eine 1840 unternommene Excursion nach Ungarn ent-
halten folgende Briefstellen interessante Einzelnheiten:
„Ich habe Ihnen noch wenig erzählt von einer Reise, die
ich als Wiener Student nach Südungarn und Kroatien machte,
und an die ich, ein paar Einzelheiten abgesehen, mit grösstem
Vergnügen zurückdenke. Meiner Freundschaft mit den beiden
Söhnen J. Natterer’s verdankte ich es, dass ich mich einer wissen-
schaftlichen Expedition anschliessen durfte, die auf kaiserliche
Kosten gemacht wurde, und zu deren Aufgaben unter anderem
gehörte, näheres über die Lebensweise und die Fundstellen eines
merkwürdigen, in Löchern auf sumfigen Wiesen hausenden Fisches
(Oyprinodon Krameri) zu erkunden. Wir erwischten ihn glück-
jich am Balaton. Es war eine höchst vergnügliche Reise. Ich
schoss Museicapa parva, (die ich nach Bremen schickte) und
Lanius major am Plattensee, lebte eine Woche mit den gast-
freien Mönchen des Cistercienser Klosters Tihanyi (Komitat Zala),
die sich in der Fastenzeit gebratene Enten wohl schmecken
liessen, weil dieselben nach der in lateinischer Sprache während
der Coena vom Prior gegebenen und gleichsam rechtfertigenden
Erklärung „als Wasservögel sanguinem frigidum hätten.“ Uh!
Auf dieser Reise war es, wo wir in Pest den Direktor des Zool.
Museums Petenyi sehr nahe kennen lernten. Er bat schmeich-
lerisch, sich unserer Expedition als supernumerarius anschliessen
zu dürfen. Aber o weh! wir konnten uns nur zu bald von dem
perfiden Charakter unseres Reisegefährten überzeugen und
1) De hydrope acuta. Lev. )
2) Rudolf Blasius, Nachruf ir: Zeitschrift für Ornithologie. Stettin
XXV. No. 1. 1901. p. 1. Lev.
23%
340 Paul Leverkühn:
mussten uns glücklich schätzen, dass es gelang, ihn abzuschütteln.
Petenyi war ein unbequem disponierter Mensch von alberner
Empfindlichkeit und sehr anmasslich, mit dem wir uns schliess-
lich gründlich überwarfen. Das Wort bieder und zuverlässig
schien er nicht zu kennen. Ich hatte Gelegenheit dies zu erfahren.
[Es ist schwer, heute darüber zu urteilen, ob Hartlaub’s reichlich
scharfes Urteil über den grossen ungarischen Ornithologen nicht
über die Grenze der Objektivität hinausgeht. Aus der schönen
Herman’schen Biographie gewinnt man ein anderes und nur
vorteilhaftes Bild von ihm. Lev.]. Schöne Zeit war’s; ein un-
vergessliches Wandern in diesen hohen, wogenden Getreidefeldern,
wo es allerdings weder Kornblumen, noch Agrostenıma githago, da-
für aber eine dort nie fehlende hübsche Pflanze gab: Prisma-
tocarpus speculum Herit.“ (24./VII. 1891 und 5./XI. 1900).
Eine kurze Notiz über die gemeinsame Expedition giebt
Otto Herman in seiner Festschrift für den II. intern. orn. Con-
gress. „1840 besuchte Petenyi in Gesellschaft seines Freundes
Jakob Heckel, des Dr. Hartlaub und des jüngeren Natterer den
Balaton-See, wo fleissig gefischt wurde, und er die Biologie des
berühmten „Fogas“.— Lucioperca sandra — ins Reine brachte;
doch auch der Vogelwelt volle Aufmerksamkeit schenkte.t)“
Mit besonderem Behagen erzählte Hartlaub von dieser Reise
nach Ungarn, woher er allerdings auch manche weniger an-
genehme Erinnerung an die Menschen mitgenommen hatte:
„Ich kann mir denken, dass der Ausflug nach Ungarn
und der Besuch bei Tschusi Ihnen viel Genuss bereitet hat.
Nucifraga hat uns hier schon mehrmals in grossen Scharen
Besuch abgestattet; jedenfalls einer der merkwürdigsten Vögel.
In der freien Natur sah ich ihn nie.“ (18./IV. 1892).
Es ist schwer, eine Liste aller Ornithologen aufzustellen, mit
welchen Hartlaub in Verkehr stand. Innige Freundschaft verband
ihn mit Georg Robert Gray, Sclater und Alfred Newton, ferner
seien genannt Jardine, dessen Schwiegersohn Strickland, Shelley,
Seebohm, Tristram, Sharpe; aus den Vereinigten Staaten: Ridgway,
1) J. 8. v. Petönyi, der Begründer der wissenschaftlichen Ornitho-
logie in Ungarn 1799— 1855. Ein Lebensbild unter Mitwirkung von
Julius von Madaräsz, Stefan von Chernel und G6za v. Vastagh verfasst
von O0. H. Budapest 1891. p. 33. Lev.
Zur Erinnerung an Dr. Gustav Hartlaub. 341
Elliot, Lawrence, Baird, Allen, Cassin, Stejneger, Coues; die
Italiener: Antinori, Grafen Turati und Salvadori; der Portugiese:
Barboza du Bocage; die Reisenden: Priuz Max Wied, Rüppel,
Burmeister, v. Heuglin; die Besitzer grosser Sammlungen in
Deutschland: Heine sen. und Kirchhofl, sodann Reichenbach,
Cabanis, Peters, Reichenow, v. Droste, Altum, Nehrkorn, v. Pel-
zeln und viele andere.
„Mit Forbes habe ich viel persönlich verkehrt.“ — (10. III. 92).
Mit Sundevall und Reinhardt, mit Temminck und Schlegel und
Büttikofer stand er in Briefwechsel, stolz äusserte er, Naumann
persönlich gekannt zu haben, mit Finsch gab er zahlreiche
Arbeiten gemeinsam heraus und der Autorbezeichnung „Finsch
und Hartlaub“ begegnet man bei vielen Dutzenden von Arten.
An seinen Aufenthalt bei belgischen Forschern bewahrte er
angenehme Erinnerungen:
„Dass man in Belgien als Gelehrter guter Aufnahme sicher sein
kann, habe ich selbst zur Genüge wiederholt erfahren. Das höchste
an gastfreundlicher Liebenswürdigkeit leistete in dieser Beziehung
der Baron de Selys-Longchamps, der sich dem Bremer Museum
in ungewöhnlichem Masse verpflichtet fühlte, weil wir ihm eine
grössere Anzahl seltener, seiner Sammlung fehlender Orthopteren
geschenkt hatten. Den Gipfelpunkt meiner zoologischen Erinner-
ungen aus Belgien bilden indessen und bleiben die kolossalen,
aufrecht stehenden Saurier in Brüssel. Im übrigen kein Land,
wo so viel schlechte Elemente im Betriebe sind, als gerade
Belgien.‘ — (Juli 1900).
Die französischen Koryphaeen der klassischen Zeit waren
ihm persönlich bekannt gewesen: Charles Lucien Bonaparte,
Dubois, Milne-Edwards. Jules Verreaux benannte ihm zu Ehren
drei Arten. [,Jules Verreaux war im Punkte des Geographischen
nur sehr mässig beschlagen.“ (12. XI. 96.)] Mit Oustalet befand
er sich in Briefwechsel bis in sein letztes Lebensjahr. „Grüssen
Sie in Paris Oustalet von mir. Ich nehme lebhaft Anteil
an dem, was dort geschieht.“ (15. VI. 1900).
Ausser den erwähnten Studienreisen unternahm Hartlaub
1869 einen Ausflug nach Süditalien, als dessen schönes Resultat
der leider fast unzugängliche Aufsatz „Paestum‘ vorliegt; sein
Freund Professor Nicolaus Delius!) begleitete ihn. Man fuhr
!) Der bekannte Shakespeare-Editor. Lev.
342 Paul Leverkühn;
über Florenz nach Rom und Neapel. Sehr interessante Abende
wurden auf dem archäologischen Institute verlebt mit den
Professoren Herzen, Helwig und anderen. Ein zweites Mal
besuchte er 1878 mit seiner Tochter Italien, von Ravenna, Pisa,
Perugia wieder bis nach Neapel. In den späteren Lebensjahren
gingen die sommerlichen Erholungsreisen meist nach den deut-
schen und österreichischen Alpen, der Schweiz, dem Riesengebirge,
auch zum Taunus. 1887 besuchte er Ragaz und Arosa, 1890
Wildungen, 1891 Berchtesgaden, 1892 Schlangenbad und Herren-
alb, 1894 letzteren reizenden Ort in Württemberg zum zweiten
Mal. Die alpinen Formen fesselten besonders sein Interesse:
„Pyrrhocorax alpinus begegnete ich auf dem Turlo-Pass zwischen
Macugnaga und Alagna.“ (20. X. 88). „Ich habe selbst Ticho-
droma nur in der hohen Tatra gesehen, nie in der Schweiz.
Accentor alpinus belebt die Gipfel der Schneekoppe.“ (10. X. 88).
„Der Alpenfluevogel erinnerte mich an schöne Stunden mit Alfred
Brehm auf der Höhe der Schneekoppe. Auf der Schutzmauer,
die das Hotel umgiebt, also ganz nahe den Fenstern desselben,
sassen zutraulich und der Schonung sicher mehrere Accentor
alpıinus-Pärchen.— Der dieKrummholzgebiete des Riesengebirges
fast exclusive belebende Vogel ist Anthus aquaticus.“ (Anf. IX.
1900 Letzter Brief).
Wenn auch sein Hauptinteresse der exotischen Ornithologie
galt, so kannte er doch sehr wohl die einheimische, auf die er
auf seinen Reisen wie im Wohnsitze stets ein aufmerksames
Auge hatte. Allerdings veröffentlichte er nichts über Deutsch-
lands Vögel, wie Alfred Newton hervorhebt!),. „Otis tarda 3
adult bei Nienburg erlegt.“ — (11. VI. 93). „Gestern sah ich
zum ersten Mal in unseren Wallanilagen (Bremen) ein reizendes
Pärchen von Parus caudatus.“ (2. I. 97).
[Über seine Schrift der fast extineten Arten]:
„Es wird Ihnen auffallen (und vielleicht unangenehm auf-
fallen), dass beim Kapitel vom Vogelschutz das vaterländische
nur sehr unvollständig behandelt ist. Ja, aber da war une mer
a boire. — Das hätte zu weit geführt. Desto besser wird Ihnen
Italien gefallen.“ — (18. V. 95).
Als praktischer Arzt blieb Hartlaub seiner Vaterstadt treu
und fand viel Befriedigung in seinem Berufe, für welchen er stets
9) Diet. of birds Introduction. p. 39. (1896). Lev.
Zur Erinnerung an Dr. Gustav Hartlaub. 343
das regste Interesse bewahrte. Bis zum Jahre 1890 übte er
eine ziemlich umfangreiche Praxis aus und liess sich später von
seinem Freunde Dr. Stadler über interessante Fälle aus dem
städtischen Krankenhause und dessen chirurgischer Privatklinik
erzählen. Namentlich die Kinderpraxis machte ihm viel Ver-
gnügen, wie er überhaupt sehr kinderlieb war und von seinen
Enkeln geradezu schwärmerisch geliebt wurde.
Seine sehr früh erwachte Vorliebe für Ornithologie fand in
den reichen Sammlungen des Bremer Museums stets reichliche ’
Nahrung. Als 30 jähriger gab er ein systematisches Verzeichnis
der naturhistorischen Sammlung, Museum. Erste Abteilung.
Vögel (Bremen Schünemann 4°. IV, 126 p.) heraus. Von den
Original-Sendungen, die in seine Hände zur Bearbeitung gelangten,
schenkte er vieles dem Museum; nur in den letzten Jahren
glaubte er eine Verminderung des Interesses für Wirbeltiere
wahrzunehmen, was ihm schmerzlich war und ihn u. a. veran-
lasste, eine Emin-Pascha Sendung in den Besitz eines Fach-
ornithologen übergehen zu lassen.
„Schauinsland ist ein netter tüchtiger Mensch von viel
gutem Willen und mir sehr attachiert, [aber er ist eben alles
andere eher als ein Ornitholog! leider.] Ich muss ihm die Ge-
rechtigkeit widerfahren lassen, dass er mir zuliebe vieles Inter-
essante anschaffte und die sehr hohen Preise nicht scheut. So
aquirierte er die hochinteressanten Gattungen JIbsdorhynchus,
Picathartes, Podoces, Pityriasis, Argus grayi!! also sämtlich
Raritäten allerersten Ranges!“ — (30. X. 93.)
„Demnächst wird mit dem Überführen unserer Vogelsamm-
lung in den neuen Prachtbau der Anfang gemacht. Ein tüchtiges
Stück Arbeit. Bei dieser Gelegenheit habe ich es durchgesetzt,
dass noch einige Vögel unserer Sammlung, deren Erlöschen
bevorsteht, in hermetischen Glaskasten noch besonders conserviert
werden. Also z. B. Temenuchus cupido, Conurus carolinensis,
Turnagra crassirostris (Neuseeland) und Ooracopsis barkleyi von
der Seychelleninsel Praslin. Angekauft wurden kürzlich 2 nahezu
vollständige Dinornis-Scelette (D. crassus), der irische Cervus
megaceros, ein altes Gorillamännchen u. s. w. Auch eine Stein-
bock-Familie aus den Graji’schen Alpen, die scheusslich teuer
wars .1(27..X. 94:)
Ausser dem Bremer Museum lieferte ihm das Hamburger
und jenes des Maecens Cesar Goddeffroy vieles Material nament-
344 Paul Leverkühn:
lich aus Polynesien. Nach zahlreichen Einzel-Beiträgen zur Or-
nithologie Australiens folgte das zusammen mit Otto Finsch
herausgegebene stattliche Buch: Beitrag zur Ornithologie Central-
Polynesiens 1867. Daneben her gingen Untersuchungen über die
Ornis Afrikas, das in der Anfangszeit seiner Wirksamkeit noch
am meisten eine Terra incognita war. Wiederum mit Finsch
gemeinschaftlich gab er 1870 den Band Vögel in v. d. Decken’s
grossem Reisewerk heraus, nachdem er 1868 in Berlin!) mit
« Th. v. Heuglin und Cabanis den Plan dazu besprochen hatte.
Sein 1857 herausgekommenes „System der Ornithologie
Westafrikas“ nennt Reichenow?) bis auf den heutigen Tag das
vollständigste Werk, das wir über diesen Teil Aethiopiens besitzen.
Die Vorstudien dazu erschienen in Gymnasialprogrammen Ham-
burg’s 1850 und 1852. — An ihn, als an die erste Autorität auf
diesem Gebiete wandte sich Emin Pascha behufs wissenschaftlicher
Verwertung seiner reichen Sammlungen. In einer Anzahl. von
sehr wertvollen Beiträgen führte Hartlaub diese Aufgabe durch
und stand lange Jahre hindurch mit dem Reisenden in
Correspondenz. Folgende Briefstellen enthalten bemerkenswerte
Daten zu diesem Capitel seines Lebens:
„Das demnächst zu erwartende Buch von Vitu Hassan über
Emin Pascha scheint in hohem Grade der Beachtung wert.
Haben doch sowohl Casati wie Junker unsere Erwartungen
entschieden getäuscht. Durch beide sind wir über so manche
dunkle Seite bei Emin nicht klüger geworden. (11. VI. 93.)
„vom Mombottu-Reisemanuscript habe ich mir eine wort-
getreue Copie gemacht.®) (16. XI. 93.)
„Ich bin sehr zweifelhaft, ob das Emin M. S. sich überhaupt
zur Publication in toto eignet. Es würde sich dabei natürlich
um Noten handeln. Aber Noten schreiben zu Arten, die man
nicht selbst untersuchen konnte, oder die man nur mit so und
so viel Fragezeichen identificieren zu können meint, hat doch sein
sehr bedenkliches.‘“ (XII. 93.)
„Dass Emin Pascha so tragisch enden würde, stand zu er-
warten. Er hat das Schicksal herausgefordert. Die Journale
bringen das photographische Bild der kleinen Ferida, das unbe-
1) J. f. 0. 1877 p. 45.
2) Orn. Monatsberichte IX. 1901. 1.
8) Von diesem Manuscript veröffentlichte Dr. Reichenow verschie-
dene Abschnitte. Lev.
Zur Erinnerung an Dr. Gustav Hartlaub. 345
dingt viel mehr Züge von der Mutter als vom Vater aufzuweisen
hat.“ (30. X. 93.)
„Im eigentlichen Sinne des Wortes habe ich intim freund-
schaftlich die langen Jahre mit Emin Pascha verkehrt. Es
kann keinem Zweifel unterliegen, dass Emin mir irgend etwas
übel genommen hat, aber Gott weiss was? Es ist oder war nicht
meine Schuld, dass er ohne Mitteilungen von mir blieb. Wie
ich Ihnen schon mündlich mitteilte, habe ich 3 Briefe und 2
Sendungen (Packete!) von Brochuren und Drucksachen, die ich
an das Deutsche Generalconsulat in Zanzibar zur Weiter-
beförderung an Emin Pascha sandte, zurückerhalten mit der
Bezeichnung: Adressat im Innern nicht auffindbar!!!) Bezüglich
der wissenschaftlichen Verwertung der von Emin an mich
gelangten Sendungen glaube ich meine Pflicht gethan zu haben.
Mein vierter Beitrag zur Ornith. äquat: Afrika’s ist, glaube ich,
nie in seine Hände gekommen. Gut und geordnet und halbwegs
regelmässig blieb der Verkehr zwischen uns eigentlich nur, solange
die Dampferverbindung auf dem Nil (Chartum-Lad6) bestand.
Mit der Madisten-Empörung war das aber gründlich vorbei. —
Na, man erfährt so Manches. Mir bleibt jedenfalls eine herrliche
Lebenserinnerung aus diesem Verkehr. Sie fragen, warum ich
geschrieben hätte, Emin hätte das Schiksal herausgefordert.
Nun ich sollte meinen, Alles hätte seine Zeit und sein Mass.
Emin hatte für die Aufhellung innerafrikanischer Verhältnisse
das Mögliche gethan. Er war inzwischen auch älter geworden.
Kurz, ich begreife schwer oder garnicht, dass er nicht irgend
wie oder wo in ein ruhiges Fahrwasser einzulanden versucht hat.
Über so etwas können aber die Ansichten verschieden sein.
in Emin’s Leben spielt viel von dem mit, was Goethe das
Dämonische nennt, mit anderen Worten von dem, was Verstand
und Vernunft nicht auflösen können.“ (15. XI. 93.)
„Meine kleine Privatsammlung Emin Pascha’scher Vögel
(eigentlich nur Passeres) habe ich an Rothschild, dessen Museum
ja das reine Wunder sein muss, verkauft. Er bezahlte mir dafür
den hohen Preis von 160 L. (also 3200 M.) Ich that dies, weil
mir in meinem hohen Alter der Gedanke immer unerträglicher
wurde, dass nach meinem Tode über diese meine Lieblinge
1) Ebenso ergings auch mit anderen Sendungen an Emin. Vgl.
Schwalbe (Mitt. Orn. Ver. Wien.) XVIII 1894 p. 22. Lev.
346 Paul Leverkühn:
chaotische Verwirrung und Vernachlässigung hereinbrechen würde,
wenn sie den hiesigen städtischen Sammlungen einverleibt würden.“
(300. x. 930)
„Das intensive Vergnügen, welches mir aus der ersten
Hälfte meiner Bekanntschaft mit Emin erwuchs, beruhte darauf,
dass die Correspondenz mit ihm, der Verkehr in gesicherter,
ziemlich regelmässiger Weise stattfand via Cairo und Chartum.
Mit dem Vertauschen seines Aufenthaltes von Ladd nach Wadelai
änderte sich alles zum Schlechteren. An mich via Zanzibar ge-
schickte Kisten gingen verloren. Ich musste darauf verzichten,
auf dem Gebiete der Litteratur in Sachen Emin Paschas Allein-
herrscher zu sein, und die dann folgende Concurrenz war mir
wenig nach dem Sirn. — Ich bin überzeugt, dass Emin mit dem
Vorwurf gegen mich im Herzen gestorben ist, dass ich un-
dankbar gegen ihn gehandelt hätte. Aber was konnte ich
dafür, dass die Fahrt den Nil herauf ein sichereres Beförderungs-
mittel war als die Spitzbuben-Karawane von Zanzibar ins unbe-
kannte Innere, wo es sich kaum lohnte, den in seinen Bewegungen
so unstäten und so unberechenbaren Emin zu suchen. Für mich
ist der mir in psychologischer Hinsicht rätselhaft gebliebene
Emin ein mehr oder weniger überwundener Standpunkt ....
So eben die telegraphische Nachricht vom Tode seines Söhnchens
aus dritter Ehe. „La femme‘ hat auch bei Emin eine grosse
Rolle gespielt.!) Die kleine Ferida in Neisse schaudert, wenn
sie das Wort Afrika hört... . Mein M.S. zu lesen, wird Ihnen
Freude machen. Der echte Ornithologe, wie er leibt und lebt!
Sit ei terra levis.“ — (26. XI. 93.)
Madagascar mit seiner seltsamen Fauna, welche an die
zoologische Geographie so schwere Aufgaben stellt, fesselte Hartlaub
von Jugend auf. In den Vögeln Madagascars (1877) gab er ein
Compendium alles bis dahin bekannten. Durch die madagassi-
schen Formen, deren Fortexistenz bedroht ist, oder die schon ganz
vom Schauplatze verschwunden, wurde er auf die Beachtung
solcher Fälle im allgemeinen geführt und veröffentlichte als
80 jähriger eine sehr lehrreiche Zusammenstellung darüber.
„Neulich hatte ich in einem Schweinsleder-Bändchen der
Göttinger Bibliothek, einen 1600 in Paris erschienen Book of fancy
1)... Gemeint ist die Frau des Pascha in Scutari, dessen Leibarzt
Emin war... . (—XII: 93.)
Zur Erinnerung an Dr. Gustav Hartlaub. 347
betitelt Farteriana über etwas nachzusehen, und zwar anlässlich
Aepyornis. In diesem Buche heisst es, die Einwohner hätten sich
zum Schutze gegen Angriffe des Vogels Roq gezähmter
Tiger als sauvegarde bedient! Reizend führwahr ! —“ (29. VI. 1900).
„Die kleine Ralle (Pennula ecaudata (King.) [millsi Sc.
Wils.] wurde mir durch Ihre Vermittlung denn wirklich von
Cambridge zugesandt: das wunderbarste Geschöpf in der
Vogelwelt! Bei dieser Gelegenheit habe ich mit Alfred Newton
eine höchst interessante Correspondenz über die Ralliden gehabt.
„You may depend upon it,“ schreibt er mir „that Rallidae are
a very old invention,“ und dass sie sich auf’s Colonisieren
(mit der selbstverständlich im Laufe der Zeit erfolgenden Diffe-
renzierung) wundervoll verstanden haben „next to the human
race“ am besten.“ — (25. VI. 92). ‚bei meiner Arbeit über
extincete Vögel der Jetztzeit stehe ich wieder der grauenvollen
Thatsache gegenüber, dass der letzte, lebende Mascarin-Papagei
(Mascarinus Duboisi Forbes), welchen Hahn bekanntlich nach
einem Exemplar in der Menagerie des Königs abbilden liess,
so abhanden kommen konnte, dass jede Spur von dem gestorbenen
Vogel verschwunden bleibt, seit 1834. Welcher Jammer, wenn
man erwähnt, dass überhaupt nur 2 Exemplare dieser pracht-
vollen Form in Museen existieren.“ (20. V. 92).
Aus dem bisher vorgebrachten geht schon hervor, wie er-
schöpfend Hartlaub die Fachlitteratur kennen musste. In der
That entging ihm so leicht nichts. Wie schon in den Conver-
sationslexieis betont wird, lieferte er fünf Lustren lang die
Berichte über die Leistungen in der Naturgeschichte der Vögel
für Troschels Archiv, um dann 1871 das Kommando an v. Pelzeln
abzutreten. In diesen bibliographischen Übersichten spiegelt
sich der Charakter dieses wundervollen Mannes: er kennt keine
Rücksicht, wenn es sich um Geisselung von Unrichtigem oder
Oberflächlichem handelt; und er lobt mit Freude des enthusias-
tischen Jünglings das Vortreffliche und Gediegene. Als Kritiker
war er zu fürchten; angegriffen wurde er aber höchst selten?).
1) z. B. von Giebel, der sich sehr energisch gegen eine abfällige
Recension des Thesaurus in Zarncke’s Centralblatt (1872 No. 9. 2. März
p. 215) wehrte (in Zeitschrift f. d. ges. Naturw. 1872. Febr. 8 Seiten).
Hartlaub hatte übrigens die Verdienste des Repertoriums Giebels vollauf
anerkannt. (Über die Leistungen im Jahre 1871. Arch. für Naturg.
XXXVIl 2. Bd. p. 2—4 Sep.-Abz.) Lev.
348 Paul Leverkühn:
Der arbeitende Ornithologe muss wieder und wieder alle
Jahresberichte durchblättern; bei den Hartlaub’schen wird die
zeitraubende Mühe stets versüsst durch die fortreissende Indivi-
dualität des Recensenten. Wie leuchtete er z. B. den Vater Brehm
heim, als dieser ihm unbekannte Exoten bekam und frischweg
als lauter neue Arten beschrieb, weil sie ihm persönlich neu
waren! — Eine gewisse Unnahbarkeit offenbarte sich in dem nur
selten verlassenen Pluralis majestaticus, dessen Hartlaub sich
in allen seinen Veröffentlichungen bediente. Aber ganz falsch
wäre der Schluss, daraus etwa Hochmut oder gar Einbildung
folgern zu wollen; es handelte sich um sehr berechtigtes Selbst-
bewusstsein, welchem gerade im richtigen Verhältnis die zierende
Bescheidenheit des Gelehrten sich zugesellte.
In unserem Briefwechsel kamen natürlich oft Literalien vor:
„Ein gutes modernes Gesamtwerk über die Tauben existiert
nicht. Reichenbach, so grässlich seine Abbildungen sind, bleibt
doch nützlich. Die afrikanischen Tauben hat Shelley vorzüglich
monographisch bearbeitet. Die indischen suche man bei Jerdon,
Hume und Oates. Die oceanischen, papuanischen etc. sind voll-
ständig in Salvadori’s grossem 3bändigen Werke. Am schwierigsten
stehts um die Tauben Amerikas, die man in 20 Büchern und
mehr suchen muss. T'schudi, Prinz Max, Burmeister, d’Orbigny,
Pelzeln, Berlepsch, etc. etc.‘ (18. V. 87).
„In der „Täglichen Rundschau“ findet sich ein Aufsatz von
Dr. Georg Bauer über die Ornis der Galapagos.“ (17. V. 92).
„Ein famoses Buch über die Ornith. Südungarns ist neu-
lich erschienen von einem Grafen?!) Zahlreiche Kupfer. Sie
kennen es wohl schon? In Pest war damals ein Herr Petenyi
der Hauptornitholog.* (13. VIL 91).
„Der ornithologische Teil in Erhard’s Cycladen unterscheidet
sich nicht wesentlich von dem Text der Naumannia.“ (8. Ill. 1887).
„Ehrhard’s Buch enthält nur das in der Naumannia mitgeteilte.‘
(13. III. 1887).
„A. Newton’s Dictionary of birds ist in meinen Augen
eines der besten Werke, die auf ornithologischem Gebiete jemals
erschienen sind. Ein ganz vortreffliches Buch, das ich den
Zierden meiner Bibliothek beizähle.“ (2. I. 97).
1)?
Zur Erinnerung an Dr. Gustav Hartlaub. 349
„Radde’s Museum caucasicum erster Band ist ausserordent-
lich wertvoll, weil es ein korrektes Namensverzeichnis der
vorhandenen Tiere mit Angabe von Datum und Fundort enthält,
und weil es sehr wertvolle Notizen über einzelne Arten bringt,
so über die grossen Katzen des Kaukasus, über Bos bonasus
(NB!), über Megaloperdix caucasica usw. Ich habe mit Vergnügen
und Belehrung diese Notizen gelesen. Auch über die wilden
Capra und Ovis-Arten des Kaukasus höchst instruktiv. Ich
denke mit Vergnügen zurück an die vier Vorträge, die Radde
hier in Bremen vor vielen Jahren hielt und zähle sein schönes
Buch: „Bericht über Reisen im Süden von ÖOstsibirien“ (Peters-
burg 1861)!) zu den wertvolleren meiner Bibliothek. Es ist die
Arbeit eines auf allen Gebieten gründlich beschlagenen, eifrigen
und durchaus tüchtigen Naturforschers.“ (2. II. 1900).
„Kostbare Kupferwerke zu verleihen ist nun einmal gegen
mein Princip. — Auf die äussere Haltung meiner Bücher lege
ich den grössten Wert, und bitte Sie also um mögliche Sorgfalt
in dieser Beziehung.“ (13. V. 1887. 13. III. 1888.) „Strickte
Ordnung herrscht bei mir in allen meinen persönlichen Sachen.“
(19. V. 92.) „Ihre Idee, Biographieen von Vogelfreunden mit
Portraits herauszugeben, interessiert mich lebhaft. Ein sehr
nettes, durchaus zeitgemässes Unternehmen.“ (2. I. 97.)
Für alles ornithologische, das ich in Briefen vorbrachte,
interessierte er sich und nahm in rührender Weise Anteil an
den Freuden und Leiden des Studenten und Schülers. Zahllose
Male hatte ich für gute Ratschläge und nützliche Winke zu
danken. Über einen Bussard, der Hühnereier ausbrütete, stellte
er für mich Recherchen an, die ich in den „Fremden Eiern im
Nest“ (p. 25) mitteilte. Oftmals lieh er mir schwer zugängliche
Bücher oder lenkte meine Aufmerksamkeit auf abgelegene Citate.
Folgende Briefstellen haben vielleicht auch für andere Interesse:
[,„Mus alexandrınus hat sich jetzt bei uns hier und in
Vegesack eingebürgert.“ (— XII. 93.)
„Die Behn’sche?) riesige Sammlung ist mir aus eigener An-
schauung bekannt und namentlich in bester Erinnerung durch das
durch Gould unsterblich gewordene Trogon-Artefact.“ (18. V. 87).
1) Hartlaub besprach dieses Werk im Jahresbericht für 1861,
p- 55 und 1863, p. 1 und 10. Lev.
2) P. S. Z. 1887. 557. J. f. 0. 1889. 101. Ornis 1890 1. Lev.
350 Paul Leverkühn:
„Die Nestor-Arten sind bekanntlich äusserst variabel
in der Färbung und selbst in ihren Massen. Im Bremer Museum
ist eine hübsche Suite.“ (18. 5. 87.)
„Die 2 Exemplare von Acrulocercus nobilis der Bremer
Sammlung sind sehr verschieden von einander, der eine erheblich
grösser als der andere; Schwanzform und Schwanzfärbung
total verschieden! Was liegt hier vor? Gadow beschreibt in
dem Brit. Mus. Cat.) nur die kleinere Form.“ (22. V. 92.)
„Unser Bremer Exemplar von Turtur decipiens Finsch und
Hartl., das einzige der Sammlung, stammt von Verreaux, angeblich
aus Ostafrika. Die Synonymie der Art ist keineswegs gesichert.
In unsern Vögeln Ostafrikas (p. 544) stammt die lateinische
Beschreibung von mir her, die deutsche von Finsch. Beide sind
gänzlich unabhängig von einander entworfen.“ (12. XI. 96.)
„Es ist sehr möglich, dass ich noch eine kleinere Sendung
Vögel aus Hainan erhalte, und ebenso möglich, dass dieselbe
Neues enthält. Hr. Schomburg, der lange Jahre auf Hainan lebte
und sich lebhaft für die Zoologie dieser südchinesischen Gegend
interessiert, hat mir wiederholt von einer „ganz gelben‘ Taube
gesprochen, die er selbst sah und die für mich zu erlegen er
sich eifrigst bemühen wird.‘ (Febr. 1898.)
Über die Anregungen, die Hartlaub auf geographischem
Gebiete gab, schreibt Dr. Moritz Lindeman:
Schon in den sechziger Jahren sehen wir Dr. Hartlaub mit
Kind, Buchenau, Haepke u. a. an der Spitze des auf ihre An-
regung ins Leben gerufenen naturwissenschaftlichen Vereins,
dessen noch heute erfolgreiches vielseitiges Wirken in Pflege und
Förderung der Naturwissenschaften für das geistige Leben unserer
Stadt mit bestimmend geworden ist. Reges Interesse brachte
Hartlaub aber besonders den in den sechziger und siebziger
Jahren von Deutschland aus nach den verschiedensten Richtungen
unternommenen Eintdeckungs- und Forschungsreisen dar. Haupt-
sächlich auf Dr. Hartlaub’s Betrieb und Empfehlung geschah es,
dass der aus Bremen stammende französische Militärarzt Gerhard
Rohlfs, als er sich auf seiner ersten abenteuerlichen Reise in
Marocco befand, vom Senat einen namhaften Reisekostenzuschuss
erhielt, der später, als es sich um die Aufsuchung Vogel’s durch
Rolfs handelte, wiederholt wurde.
1) Vol. IX. 1884. p. 84. Lev.
Zur Erinnerung an Dr. Gustav Hartlaub. 351
Aber auch für die durch August Petermann in den Vorder-
grund gebrachten Bestrebungen zur Förderung der deutschen
Polarforschung .hatte Dr. Hartlaub volles Verständnis; er be-
grüsste freudig die Arbeiten und Erfolge der zweiten deutschen
Polarexpedition, welche erst im vorigen Sommer durch die kühne
Bootfahrt des dänischen Leutnants Amdrup längs der bisher
unbekannten, von der Schollenfahrt der Hansamänner nur stellen-
weise gesichteten südlichen Ostküste Grönlands ihren ergänzenden
Abschluss gefunden hat. Dr. Hartlaub übernahm bereitwillig
mit Lindeman die Redaktion des ersten (erzählenden) Teils des
grossen Werkes, welches über diese Reise bei Brockhaus in
Leipzig erschien. Lebhafte Teilnahme fand bei Hartlaub die
Begründnng der Bremer Geographischen Gesellschaft und die
Herausgabe der Geographischen Blätter, deren Hefte er regel-
mässig in seiner anregenden, durch musterhaften Stil sich aus-
zeichnenden Weise besprach. Sein lebhaftes Interesse nahmen
die von der Geographischen Gesellschaft veranstalteten For-
schungsreisen in die Polarwelt und die ihr angrenzende Region .
‘in Anspruch, die erste nach Westsibirien 1876, ausgeführt von
Dr. Finsch, Dr. A. Brehm und Graf Waldburg-Zeil, die
zweite nach der Tschuktschen-Halbinsel und Nordwest-Amerika
1882—83 von den Gebrüdern Professor Krause, die dritte
nach Ost-Spitzbergen 1889 von Professor Kükenthal. Ja, in
dem Vorwort zu dem grossen Werk über die deutsche Expedition
nach Ostgrönland weist Hartlaub sogar auf die grossen Aufgaben
hin, welche der deutschen Forschung am Südpole sich bieten, in-
dem er dem künftigen glücklichen Entdecker ein preisendes Dichter-
wort Petrarca’s zuruft.“ (Weser-Ztg. No. 19414. 1. Dec. 1900.)
„In meinen Weserzeitungs-Recensionen und den „Deutschen
Geographischen Blättern‘ habe ich seit Jahren für eine Südpol-
Expedition plaidiert! Es ist dies ja ohne allen Zweifel, die
letzte und allerinteressanteste Frage auf geographischem
Gebiet, die überhaupt noch zu lösen ist! Bastian ist mir per-
sönlich befreundet. — Mir scheint, es ist noch alles mehr in
votis, als zur Action fertig. Die Sache kostet viel Geld, denn
zwei Schiffe werden unbedingt nötig sein. Ich hoffe das im
Kerguelenland ein schönes Exemplar von Ohionis minor erbeutet
werden wird.“ (21. XI. 95.)
„Auf Hartlaubs Vorschlag, fährt Lindeman fort, plante die
Geographische Gesellschaft die naturwissenschaftliche Erforschung
352 Paul Leverkühn:
der früher von dem deutschen Ornithologen Kittlitz besuchten,
noch wenig bekannten Bonin-Insel südlich von Japan, allein der
Plan kam nicht zur Ausführung, da der in Tokio lebende
deutsche Naturforscher, welcher sich anfänglich zur Lösung der
Aufgabe bereit erklärt hatte, im letzten Augenblicke von dem
Vorhaben zurücktrat.“
Nach äusseren Ehren strebte Hartiaub’s einfacher Sinn nicht.
Wir können aber wertvollere wissenschaftliche aufzählen: er
gehörte als Gründer seit dem Jahre 1851 der Deutschen Ornitho-
logen Gesellschaft und seit 1867 dem Gründungs-Ausschuss der
Deutschen Ornithologischen Gesellschaft an, welche ihn im Jahre
1870 in ihren Vorstand, 1875 in ihren Ausschuss und von 1883
bis 1890 zu ihrem Präsidenten wählte. Die Zoologische Gesell-
schaft in London nennt als einzigen Deutschen ihn ihr Foreign
Member seit 1855, eine ganz besondere Auszeichnung; die British
Ornithologist’s Union erwählte ihn 1860 zu ihrem Ehrenmitgliede;
ebenso die schwesterliche A. O. U. in New York 1883. — 28
Arten und ein Genus wurden ihm zu Ehren benannt von folgen-
den Forschern: Bianconi, Barboza du Bocage, Bolle, Charles
Lucien Bonaparte, Bruch, Cabanis, Cassin, Elliott, Finsch, Grandi-
dier, G. R. Gray, Heuglin, Sir Jardine, Lafresnaye, Malherbe,
Reichenow, Salvadori, Sclater, Sharpe und J. Verreaux.
Im Naturwissenschaftlichen Verein zu Bremen gehörte er
dem Vorstande vom 1. Juni 1877 an, den Vorsitz führte er vom
1. April 1878 bis April 1887. Im Jahre 1888 beging er die
seltene Feier seines 50 jährigen Doktorjubiläums, bei welcher
Gelegenheit er von seinen Bremer Berufsgenossen einmütig be-
grüsst und gefeiert wurde. Mit warmen Worten der Anerkennung
für seine so vielseitigen Verdienste auf fast allen Gebieten der
faunistischen Ornithologie gedachte seiner unlängst Herman
Schalow!) in seiner schönen historiographischen Rede zur Er-
öffnung der 50 jährigen Jubelfeier des Bestehens unserer Ge-
sellschaft.
Durch seinen intimen Verkehr mit den tonangebenden
Forschern jenseits des Canals schlug er frühzeitig eine Brücke
zwischen britischen und continentalen Vogelkundigen. Kamen
Ornithologen zu ihm, so konnten sie auf einen freundlichen,
1) Orn. Monatsber. VIII. 1900 p. 178. 179., J. f. O. XLIX. 1901.
p. 14. 17. 23. Lev.
Zur Erinnerung an Dr. Gustav Hartlaub. 353
aber zunächst reservierten Empfang rechnen. Man musste viele
Bedingungen erfüllen, um vollends in die nähere Intimität zuge-
lassen zu werden. Seine Exclusivität war eine wohlberechtigte
und sogar äusserst wohlthätige Wenn der vielseitige, geist-
sprühende alte Herr anhub, so erntete man immer. „Niemand
ging von ihm mit leeren Händen; man brachte stets etwas
Geistiges nach Hause“, schreibt einer seiner Neffen. Gerade die
Vielseitigkeit der von ihm gepflegten Interessen war es, die den
Verkehr mit ihm so anregend, erquicklich und genussreich machte.
(Lindemann). Gross war seine Liebe für die Musik, und im
Bremer Theater war er sicher in seiner abonnierten Prosceniums-
Loge zu sehen, wenn klassische Opern gegeben wurden. Für
Wagner schwärmte er, namentlich für Tannhäuser; der ersten
Aufführung von Parsival wohnte er bei, als Wagner selbst vor
dem Publikum erschien, und kehrte ganz hingerissen von dem
weihevollen Eindruck heim. Auch die Hugenotten versäumte er
nie. — Er hatte selbst früher eine schöne Baritonstimme und
sang als junger Mann viel. —
| Seine Belesenheit auf allen Gebieten des Schönen und
Edlen war eine universelle und internationale. Französisch und
Englisch war ihm völlig der Muttersprache gleich geläufig. Am
liebsten vertiefte er sich aber in den einen Meister, dem er in
den späteren Lebensjahren namentlich sich ganz hingab: Goethe.
Ein eifriges Mitglied der Weimarer Goethegesellschaft, zu deren
Gründern er gehörte, verfolgte er die Goetheforschung von Schritt
zu Schritt. Er lebte mit und in Goethe. Nur einige Briefcitate
mögen hier zur Vervollständigung des Bildes in dieser Richtung
Platz finden:
„Was mich und mein geistiges Bedürfnis zur Zeit betrifft,
so bleiben zwar die Worte des englischen Dichters William
Wordsworth!) bei mir in voller Geltung:
Und Gott fleh’ ich um eines an:
Dass nie der Mutter, der Natur
Den Eid ich breche, den ich früh ihr schwur.
Daneben bin ich aber tiefer als je befangen in dem Bann,
der von Goethe’s Zauberkreise ausstrahlt. -- Lernen sie Victor
Hehn’s „Gedanken über Goethe“ kennen, wenn sie einmal das
Bedürfnis fühlen, etwas hinauszugelangen über das rein empi-
1) geb. 7. IV. 1770. gest. 23. IV. 1850. Lev.
Journ, f, Orn,. XLIX, Jahrg. Juli 1%1, 24
354 Paul Leverkühn:
rische.“ (— Oct. 94.) „Ich kann Ihnen auch das im vergangenen
Jahre bei Cotta erschienene Buch Hehn’s: über Goethe’s
Herman und Dorothea als ersten Ranges empfehlen. Immer
vorausgesetzt, dass Sie sich überhaupt für Goethe warm und voll
enthusiasmieren können. In diesem letzteren Falle nenne ich
Ihnen noch als Goethebücher vortrefflichster Art: Dr. O.
Harnack, Goethe in der Epoche seiner Vollendung, Leipzig 1887
und: Goethe in den Hauptzügen seines Lebens und Wirkens von
Adolf Schoell Berlin 1882. Beide Bücher sind ernste, um nicht
zu sagen schwere Lektüre. Aber es lohnt sich die darauf ver-
wendete Zeit und Mühe.“ (27. Oct. 94.) „Ich nähre nach wie vor
meinen Geist hauptsächlich von Goethe. Und kann Ihnen nur
raten, dasselbe zu thun. Man steht sich gut dabei. —
Sehr gut, dass der preussische Minister Graf Posadowsky
die den Kindern Brod austeilende Lotte für eine Schiller’sche
Gestalt gehalten hat.“ (18. V. 96.) „Zählte ich mich nicht längst
zu den Immobilien, ginge ich zur Goethe-Feier nach Weimar:
lebe ich doch eigentlich nur noch in Goethe. Welch ein
Mensch!!!“ (13. VIII. 1899.) Sie wissen, dass Duentzer, bei
den höchstwertigen Goethe-Forschern, wie v. Loeper und Erich
Schmidt, viel Anfeindung erlitten hat. Wohl zum Teil nicht mit
Unrecht. Aber nichtsdestoweniger halte ich das viele auf dem
Gebiete der Goethe-Forschung von ihm geleistete für höchst ver-
dienstlich. So z. B. die kleine Schrift über Friederike von Se-
senheim ; auch den Aufsatz Goethe und Napoleon.“ (Nov. 99.)
„Lieber Freund!!)
Für die abermalige Sendung interessanter Göthiana sage
ich Ihnen meinen wärmsten Dank. Merkwürdig, dass der ur-
alte, ganz erblindete Heinr. Duentzer in Köln noch so schreiben
kann! Sein „Bei Goethe zu Gaste‘“‘ gegen Gaederz gerichtetes
Schriftstück hat mich eigentlich zumeist angesprochen. Hoffent-
lich gehts Ihnen besser wie mir — einfach bergab in tempo
cresceendo — nichts quälender als diese Dyspnoe! Hier das
1) Aus dem anfänglichen ,„Geehrter Herr“ wurde im Laufe der
Jahre das bis zum Schluss andauernde „Lieber Freund“, auf welches
Beiwort der Briefempfänger mit Recht stolz war. Als Student machte
ich von Kiel oder Hannover aus Abstecher nach Bremen; während meines
Aufenthaltes in Südost-Europa versäumte ich keine Reise nach Nord-
deutschland, ohne dem alten Herrn einen Besuch abzustatten, stets auf
das freundlichste, ja herzlichste empfangen. Lev.
Zur Erinnerung an Dr. Gustav Hartlaub. 355
Wetter noch leidlich. Wollen bald wieder in die Stadt. Noch
immer keine Separata! — Herzlichen Gruss von Ihrem G. Hart-
laub.“ (Aumund 29. IX. 1900.)
In diesem Briefe, einem der letzten, die ich empfing, klingt
die wehmütige Klage über das Älterwerden durch, welches schwer
auf dem stark am Leben hangenden und bis an sein Ende rüsti-
gen Manne lastete. Seine geistigen Kräfte, sein fabelhaftes Namen-
und Speciesgedächtnis blieben bis zur letzten Stunde unver-
ändert frisch. Die Äusserungen de senectute, welche oft in
der Correspondenz sich einstellen, athmen nur teilweise den Geist
Cato major’s. Eine kleine Auslese möge hier Platz finden:
„Das Greisentum ist überhaupt die scheusslichste aller
Krankheiten.“ (10. V. 90.) „Sie sind jung und ahnen nicht, wie
hundeelend einen das Bewusstsein des crescendo im Älterwerden
macht! Ja, ja die molesta senectus die ist's. Denken sie an
das: „Wer immer strebend sich bemüht‘ Goethe’s.“ (4. I. 92.)
„Sehr rühmen kann ich mein Befinden zur Zeit nicht. Das
allerdings mit meinem Alter ganz naturgemäss verbundene
„Bergab“ macht sich mir sehr bemerklich.“ (8. VII 92.) „Wenn
ich Hexenschuss oder das sehr unangenehme Podagra habe,
verliere ich jedes Anrecht auf den Namen: Mensch.“ (26. XI. 93.)
„Was mich persönlich betrifft, so halte ich noch leidlich gut zu-
sammen und klage nicht, wenn mich die Gicht zufrieden lässt.
Mit dem Alter ist nicht zu spassen. Lasen Sie Cicero de senec-
tute? Ich trage schwer an demselben und finde die Bezeichnung
des Euripides kaum übertrieben, der vom Alter schreibt, es sei:
Aitvos oxoneiwv Bagvregov.“ (27. X. 94.) „In immer rascherem
Tempo geht es den Berg hinunter. Natürlich! — Man wird auf
meiner Lebensstufe wenn auch nicht gerade lebenssatt, so doch
gedankenmüde durch die unerbittliche Realität des Lebens.
Schopenhauer sagt einmal treffend genug: Im Alter geizt man
mit der Zeit. Es geht uns da, wie einem, der in den Geld-
sack greift und schon den Boden sieht. Na, genug der Klagen
und tapfer weiter, so lange es noch währen soll. — Ich lese
allerlei: „My library my Kingdom large enough.“ (13. VIIL 96).
„Bei mir geht es nun holter die polter den Berg hinunter. Ich
fühle mit Goethe, dass auf dieser Alterstufe die grösste Ruhe
und Gleichförmigkeit des Daseins das einzig Richtige ist.
Die beiden Bände von Herman Grimm, Commentar zur llias,
sind zur Zeit für mich eine Art von pabulum vitae; exquisites
24*
356 Paul Leverkühn:
Vergnügen, geistiger Hochgenuss und unschätzbare Belehrung —
das ist es, was mir diese Lektüre gewährt. Und, lieber Freund,
„Homeride zu sein, wenn auch nur letzter, ist schön“, sagt Goethe.“
(3. IX. 96.) ‚Meine an sich ungeduldige Natur wird durch
Krankheit stets auf die härteste Probe gestellt. Krankheit ist
und bleibt grässlich, mag man sich darüber hinweg philosophieren,
so gut man’s auch kann.“ (22. XI. 96.) „Mein Befinden lässt
sehr zu wünschen übrig.“ (23. V. 97.)
Um diese Zeit unterschrieb er seine Briefe als „Senex sili-
cernius“ und „alter Melancholicus“.
„Ich schleppe mich so hin — danke Gott, dass ich noch
sehen und hören kann, und finde Trost bei guten Büchern.“ —
(Juli 1900.) „Mein Befinden ist das denkbar schlechteste; die
qualvollste Dyspnoe Tag und Nacht. Ursache: Emphysem. All-
zulange kann es ja nicht mehr dauern; es ist ein Trost, wenn
auch ein melancholischer.“ (10. X. 1900.) Letzte Postkarte.
Am 20. November!) trat die Erlösung ein, nachdem er nur
4 Tage lang das Bett gehütet hatte; immer halb schlummernd,
nie klagend und dann endlich still ohne Kampf erlöschend.
Kein Leidenszug entstellte seine edlen Züge. Auf seinem Grab-
mal wird man jenes Wort der Heiligen Schrift lesen, das Goethe
in Eckermann’s Stammbuch schrieb: Es geht vorüber, ehe ich’s
gewahr wurde und verwandelt sich, eh’ ich’s merke.
Hartlaub hatte darunterin einem seiner Excerptbücher gesetzt:
‚‚Ja, wer das an sich erführe .... aber das erfährt
wohl nur einer, ders verdient. —“?)
1) Meyer’s Conversations-Lexicon (5. Aufl.) liess ihn schon im
Oktober 1894 gestorben sein! Lev.
2) Merkwürdigerweise hat hier Goethe den Text der Bibel wesent-
lich und mit ganz anderem Sinne geändert, denn es heisst Hiob 9, 11
also: Siehe, er [Gott] gehet vor mir über, ehe ich es gewahr wurde;
und verwandelt sich ehe ich es merke. — (Gespräche mit Goethe in den
letzten Jahren seines Lebens. Von Johann Peter Eckermann. — Fünfte
Auflage zweiter Teile B. Z. Leipzig Brockhaus 1883 S. 139. Weimar,
Mittwoch den 21. April 1830. „Ich nahm heute Abschied von Goethe,
indem die Abreise nach Italien .... bestimmt war .... Als ich
ging, schenkte er mir ein Stammbuch, worin er sich mit folgenden
Worten eingeschrieben:
Es geht vorüber, eh’ ichs gewahr wurde,
Und verwandelt sich eh’ ich’s merke. Hiob.
Den Reisenden
Goethe“, Lev.
Zur Erinnerung an Dr. Gustav Hartlaub. 357
Hartlaub war glücklich verheiratet und erfreute sich innigst
am Familienleben, für das er vielen Sinn hegte. Seine Frau,
geb. Stachow, ging ihm im Tode am 28. III. 1900 voraus. „Die
Zeit war für mich die denkbar traurigste, da es in Gottes Rat-
schluss bestimmt war, meine heissgeliebte Frau fort von meiner
Seite zu nehmen; nach einer glücklichen, ich kann wohl sagen
ungetrübt glücklichen Ehe von 56 Jahren. Gott sei Dank, dass
vortreffliche Töchter mir zur Seite stehen und tragen ‘helfen,
was uns auferlegt ist.“ (4. III. 1900). Einer seiner Söhne,
Clemens, erbte die Liebe zur Naturwissenschaft und waltet als
Professor der Zoologie heute in der kgl. preuss. Station für
Biologie auf Helgoland. —
Es erübrigt, auf die reiche litterarische Thätigkeit des
Ornithologen einen Blick zu werfen. Ein Schriftenverzeichnis
liess er 1894 als Manuscript bei A. Guthe in Bremen drucken
(8Y°- 24 Seiten). Dasselbe ist in 7 Gruppen geteilt;
l. Allgemeiner Inhalt, II. America, III. Afrika, IV. Mada-
gascar und die benachbarten Inselgruppen. Lemuria, V. Austra-
lien und Polynesien, VI. Asien und Europa, VII. Specielles.. Es
umfasst 177 Nummern. Dann folgen die Namen der Vögel,
welche seinen Namen tragen. Den meisten der Titel hat er
kurze Bemerkungen über den Inhalt, die Anzahl der behandelten
Arten u. dergl. zugesetzt, wodurch die leider nur in wenigen
(50) Exemplaren gedruckte Liste besonders wertvoll wird. Er schrieb
in deutscher, französischer und englischer Sprache und gab
manches in Verbindung mit anderen Gelehrten heraus, nament-
lich mit dem treuen Freunde Finsch, ausserdem mit Moritz
Lindemann. Seit Abschluss der 1894er Liste publizierte er
folgende Arbeiten:
No. 178. 1894. Schriftenverzeichnis von Dr. G. H. — Als Manu-
script gedruckt. — Bremen, A. Guthe. 8vo. 24 p.
179. 1895. Ein Beitrag zur Geschichte der ausgestorbenen
Vögel der Neuzeit, sowie derjenigen, deren
Fortbestehen bedroht erscheint. (Abhandl.
naturwiss. Ver. Bremen XIV. 1. p. 1—43).
180. 1896. Dasselbe. Zweite (vermehrte) Ausgabe, als
Manuscript gedruckt. 64 S.
181. 1897. Ein dritter Beitrag zur Ornithologie Chinas.
(Abhandl. naturw. Ver. Bremen XIV. 3. p. 341
—383 pl. I, I).
358
182.
183.
Paul Leverkühn :
1899. Zwei Beiträge zur Ornithologie Asiens. (Eben-
da XVI. 2. p. 243— 273).
1900. Aus den Zentralkarpathen. Näheres siehe oben.
Folgende Arbeiten befinden sich in dem Schriftenver-
zeichnis nicht:
184.
185.
1852. Zur geographischen Verbreitung der Gattung
Turacus, Cuv. (Wiegmann’s Archiv für Natur-
geschichte p. 18—21).
1874. Die Glanzstaare Afrika’s. (Abh. naturwiss.
Ver. Bremen IV. 2. p. 35—98).
Von Besprechungen in der Weser-Zeitung sind mir die
folgenden, durch (G. H.) bezeichneten bekannt:
186.
187.
188.
189.
190.
191.
192.
193.
194.
195.
196.
197.
198.
Bastian, Ethnologische Forschungen und Sammlung
von Material für dieselben. I. Band. — (Weser-
Zeitung im folgenden mit W. Z. abgekürzt, 22. Juni
1872. 5 Spalten).
Das Buch von der deutschen Nordfahrt. (W. 2.9.
II. 1873. 8 Spalten).
Bastian, Schöpfung oder Entstehung. (W. Z. 18. IV.
1875. 3 Spalten).
Oscar Peschel, Nachruf. (W. 2.7. X. 1875. 4 Spalten).
Stanley, through the dark continent. (W. Z. 28. VIL
1878. 'A.Sp. — 4. VII, 1878. 6 Sp.).
Madagascar. — (W. Z. 31. 1. 1879. 5 Sp.).
Bastian, die heilige Sage der Polynesier. (W. Z. 20.
Ill. 1881.22 Sp,).
Bastian, die Vorgeschichte der Ethnologie. Eine neue
Schrift von Bastian. (Deutsche Geograph. Blätter
1881, Heft III. 2 Sp.).
Bastian, In Sachen des Spiritismusund einer naturwissen-
schaftlichen Psychologie. — (W.Z. 21. XI. 1881. 2 Sp.).
Bastian, Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissen-
schaft vom Menschen. (W. Z. 23. XI. 1881. 4 Sp.).
Bastian, Inselgruppen in Ozeanien. — Völkerstämme
am Brahmaputra und verwandschaftliche Nachbarn.
(WE 2.30. X. 1881. 9275p)).
Tylor, Anthropology: an introduction to the study of
man and civilisation. (W. Z. 7. II. 1882. 5 Sp.).
A. & K. Müller, Tiere der Heimat. (W. 2. 14. I.
1883. 1 Sp.).
Paul Leverkühn: Zur Erinnerung an Dr. Gustav Hartlaub. 359
199.
200.
201.
202.
203.
204 — 206.
207.
Walfischausstellung. (W. Z. 5. X. 1884. 3 Sp., 19.
X. 1884 (Sirenen). 3 Sp.).
Bastian, Allgemeine Grundzüge der Ethnologie. (W.
Z2..15.0Xx1, 1884 2, Sp.).
Bastian, Die Seele indischer und hellenischer Philo-
sophie. (W. Z. 26. II. 1886. 4 Sp.).
Bastian, Indonesien oder die Inseln des malajischen
Archipels. (W. Z. 14. XII. 1886. 2 Sp.).
Bastian, die Welt in ihren Spiegelungen unter dem
Wandel des Völkerlebens. Prolegomena zu einer
Gedankenstatistik. (W. Z. 11. XH. 1887. 2 Sp.).
Lindemann, Deutsche Geographische Blätter. Band
xl 2. (W. 2. 15. VI. 1888. 1 Sp.). Dasselbe, Band
XH. 1. (W. Z. 12. Ill. 1889. 1 Sp.). Dasselbe, Band
XII. 1. 2. (W. Z. 3. IV. 1890. 3 Sp.)
Tring. (W. Z. 8. XII. 1893. 4 Sp.).
Ich schliesse diese Worte des Gedenkens, welche bewun-
dernde Verehrung und liebevolle Hochachtung dictiert haben,
mit einem Lieblingsvers des grossen Ornithologen, den er in
rührender Selbstironie in seinem Todesjahre für mich aufzeichnete:
Gieb mir die Zeit zurück, wo die Gedanken
Wie zügellose Rosse vorwärts stürmten,
Vom Glücksgefühl gespornt die jungen Flanken;
Wo meine Stirn in friedlich heiterm Glanz
Den Sonnenschein des Hoffens wiederspiegelnd
Nichts drückte als der Kindheit Blumenkranz.
Sofia, Palais, 30. März 1901.
-
(25. I. 1900).
360
Einige Bemerkungen über Kasuare.
Von Dr. W. v. Rothschild.
Herr Paul Matschie hat im Aprilheft dieses Journals
eine kleine Übersicht der Kasuare geliefert, welche durch meine
Monographie hervorgerufen wurde. Ich fühle mich veranlasst, da-
rauf kurz zu erwidern, weil mehrere Punkte darin nicht mit meinen
Ansichten übereinstimmen, und ebenso weil seit der Publikation
meiner Monographie mehrere noch nicht bekannte Thatsachen
entdeckt worden sind.
Matschie betont, dass es ihm folgerichtiger erscheint, nur
eine Stammart, Casuarius casuarius, in der Gruppe der Zwei-
lapp-Kasuare anzuerkennen und Casuarius bicarunculatus nur
als eine geographische Abart davon zu trennen. Hierin kann
ich nicht mit ihm übereinstimmen, da ich ziemlich sichere Nach-
richt besitze, das auf derselben Insel, wo Cas. bicarunculatus
lebt, ein zweiter Zweilapp-Kasuar vorkommt, sei es ©. intensus
oder C. beccarü. Seit dem Erscheinen meiner Monographie habe
ich von Herrn Heinrich Kühn von der Insel Trangan folgende
Exemplare erhalten: einen Balg eines fast ausgefärbten alten
Kasuar, 2 Bälge von Dunenjungen und mehrere Eier. Mit diesem
Material sandte der erwähnte Sammler eine sorgfältig angefertigte
Skizze der Nacktteile des alten Kasuares, die zweifellos beweist,
dass der auf Trangan lebende Kasuar wirklich ©. viokicollis ist,
wie ich früher vermutet hatte.
Herr Matschie hat augenscheinlich meinen Artikel über
©. c. salvadorii nicht zu Ende gelesen. Ich sagte ausdrücklich,
dass C. salvadorii mit Sicherheit nur aus den 2 typischen Bälgen
bekannt ist und ich als zu dieser Rasse gehörend nur zeitweilig
gewisse lebende Kasuare aus Neuguinea ansah, die ich sonst
nicht in der Klassifikation unterbringen konnte. Ich möchte aber
besonders hervorheben, dass der Typus von C. salvadorii einen
ganz niedrigen Helm besitzt und überhaupt gewissermassen ver-
schieden ist von dem, der von Salvadori abgebildet wurde.
Dieser Vogel diente Sclater als Typus für seinen Casuarius alti-
jugus. Diese beiden Bälge stammen aus der Ausbeute von
Laglaize und wurden wie die meisten von seinen Sachen von
den Eingebornen gekauft. Es scheint mir daher nicht ganz un-
möglich, dass der zweite Kasuar wirklich von C. salvadorii ver-
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Einige Bemerkungen über Kasuare. 361
schieden ist. In diesem Falle würde er wahrscheinlich mit meinem
O. intensus identisch sein, der dann als Casuarius casuarius altijugus
Scelat. bezeichnet werden müsste. Dass C. tricarunculatus eine
Monstrosität ist, beweist die Thatsache, dass ich von C. sclateri
2 junge Vögel lebendig erhielt, wovon der eine einen einzigen
grossen Lappen hatte, während der andere 3 deutliche, ganz
getrennte Karunkeln besass. Von der Form, die ich zeitweilig
mit ©. salvadorii identificierte, habe ich mehrere Stücke gehabt,
lebendig und in Bälgen, die einen, zwei oder mehrere anormale
Lappen am Vorderhalse trugen. Ich muss gestehen, dass Herr
Matschie meiner Meinung nach nicht genügende Gründe hat, wenn er
den Oasuarius philipi als subspecies zu ©. unappendiculatus zieht.
Meine Argumente, ©. philips als gute Art zu betrachten, sind
zweierlei. Erstens habe ich jetzt mehr als eine Vermutung, dass
er zusammen mit ©. «. oceipitalis auf der Insel Jobi zu Hause
ist; zweitens ist der Vogel jetzt gestorben und der Knochenbau sowie
die innere Gestalt zeigen sehr abweichende Charaktere und in
einzelnen Teilen ganz riesenhafte Dimensionen. Seit der Publikation
- der Monographie habe ich zwei echte und ganz typische Casuarius
unappendiculatus Blyth lebend erhalten und hatte schon erkannt,
dass das abgebildete Tier einer neuen Form angehört. Indem
ich Herrn Matschie vielmals danke für die Ehre, die er mir er-
wiesen hat, indem er diese Form nach mir benennt, will ich nur
noch hinzufügen, dass dann wohl Casuarius unappendiculatus typicus
auf die Insel Salwatti beschränkt zu sein scheint, während ©. un-
appendiculatus rothschildi die Form der Berau Halbinsel sein dürfte.
Michel Edmond, Baron de Selys-Longehamps.
+
Nachruf von Rudolf Blasius.
Am 11. Dezember 1900 starb zu Lüttich im 88. Jahre der
Nestor der belgischen Ornithologen, Michel-Edmond de Selys-
Longehamps.
Derselbe wurde am 25. Mai 1813 zu Paris geboren, wo sein
Vater, Baron Michel Laurent de Selys-Longchamps, sich zu
parlamentarischen Geschäften aufhielt. Er gehörte einer alten
aristokratischen Familie an, die aus Maestricht stammt und als
Urahn den Baron Michel de Selys, gestorben um das Jahr 1622,
362 Rudolf Blasius:
aufführt. Die eine von diesem abstammende Linie nahm den Zu-
namen Longchamps an nach einem kleinen Dorfe Longchamps-
sur-Geer, nahe bei Waremmes, 15 Kilometer westlich von Lüttich,
wo sie grossen Grundbesitz, einen prachtvollen Park und ein
prächtiges Schloss besass.
Hier verlebte der Vorstorbene seine Jugend, indem Haus-
lehrer seine Erziehung leiteten. Eine Schule besuchte er niemals,
sondern studierte nur als Jüngling auf der Universität Lüttich.
Schon von frühester Jugend an zeigte er besondere Neigung
zu den Naturwissenschaften, namentlich zur Ornithologie und
Insektenkunde. Seine erste wissenschaftliche Arbeit überreichte
er im Alter von noch nicht 16 Jahren am 5. Mai 1829 der
Societe des Sciences naturelles de Liege und wurde als ordentliches
Mitglied derselben (der späteren Societ&e royale des Sciences de
Liege) aufgenommen. Mit 18 Jahren machte er 1831 seine erste
naturwissenschaftliche Publication, indem er im Dictionnaire geo-
graphique, herausgegeben von P. van der Maelen, die Vögel und
Insekten der Provinz von Lüttich bearbeitete.
Im Jahre 1838 verheiratete er sich mit Sophie Caroline,
der Tochter von d’Omalius d’Halloy, dem berühmten belgischen
Geologen. Seit 1869 war er Wittwer und hinterliess bei seinem
Tode Kinder, Grosskinder und Urgrosskinder.
Immer hat sich der Verstorbene in regster Weise für das
öffentliche Leben interessiert. 1848 wurde er zum Mitgliede des
Gemeinderates von Waremme gewählt und blieb es 58 Jahre
lang bis zu seinem Tode. Von 1846—48 war er Provinzialrat
desselben Kantons, am 13. Juni 1848 wurde er in das Ab-
geordneten-Haus gewählt für Waremme und am 13. Februar
1855 für dasselbe Arrondissement für den Senat. Mitglied des
Senates war er bis 1900, seine Gesundheit erlaubte es ihm nicht,
eine Wiederwahl anzunehmen; 1879 wurde er zum Vicepräsidenten
und 1880 zum Präsidenten des Senates ernannt und blieb in
dieser Stellung bis 1884. Viele Jahre lang war er der Führer
der liberalen, antiklerikalen Partei in Belgien.
Bis zu seinem Tode hin war er geistig thätig, in wissen-
schaftlicher und politischer Beziehung. Alle bewunderten wir
bei Gelegenheit des III. internationalen Ornithologen-Kongresses zu
Paris, zu dessen Ehrenpräsidenten er gewählt war, im Juni v. J.
seine Unermüdlichkeit, den Sitzungen und Festen beizuwohnen
und sich in dem Trubel der Weltausstellung zu bewegen. Wie mir
Michel Edmond, Baron de Selys-Longcehamps. 363
der jüngere Sohn Walter mitteilt, kam er ziemlich erschöpft von
seiner Pariser Reise zurück. Ein bösartiges Unterleibsleiden ver-
schlimmerte sich zunehmend und zwang den Verstorbenen, sehr
gegen seinen Willen, seine Lebensgewohnheit — immer wieder und
wieder zu arbeiten — zu ändern. Physisch litt er weniger als mora-
lisch, da er mehr oder weniger auf Arbeit verzichten musste und
nicht mehr an den Sitzungen der belgischen Akademie der Wissen-
schaften Teil nehmen konnte. Am 4. Dezember verliess er seinen
Landsitz in Longchamps und siedelte nach Lüttich über, um sich
dort bequemer pflegen lassen zu können. Sein Zustand ver-
schlimmerte sich sehr rasch, am 8. Dezember konnte er noch
das Schlafzimmer verlassen, um im Esszimmer sein Dejeuner zu
nehmen. Lebhaft interessierte er sich noch für die Neuwahl eines
Mitgliedes der Academie de Bruxelles und bedauerte noch am
Sonnabend, 8. Dezember, nicht daran Teil nehmen zu können.
Montag trat ein soporöser Zustand ein, die Besinnung war ge-
schwunden und Dienstag, 11. Dezember Morgens 6 Uhr erlöste
ein sanfter Tod den Kranken von seinem unheilbaren Leiden.
— Am Freitag, 14. December fand die Leichenfeier mit allem
äusseren Pomp statt, wie er dem früheren Präsidenten des Senates
und Inhaber des Grosskreuzes des Leopold-Ordens zukam. Die
ganze Garnison, 2 Linien-Infanterie-Regimenter, die 2. Lancier’s,
eine Abtheilung Genie- Truppen, unter dem Kommando von
Generalleutnant Daelman, Vertreter des Ministeriums, des Se-
nates, des Abgeordnetenhauses, Provinz- und städtische Beamte,
Mitglieder der belgischen Akademie der Wissenschaften und vieler
anderer gelehrten Gesellschaften, zahlreiche Herren des belgischen
Adels, viele Offiziere und andere hervorragende Persönlichkeiten
hatten sich ausser den nächsten Verwandten im Trauerhause,
Boulevard de la Sauveniere 36, eingefunden. Sieben Reden
wurden dort gehalten; es sprachen: der Präsident des Senats,
Emile Dupont, Generalleutnant von Tilly, stellvertretender
Direktor der Klasse der Wissenschaften der belgischen Akademie,
van Marcke, Präsident der Association liberale de Liege, Favier
Neujean, Deputirter und Präsident der Federation liberale de
Belgique, Auguste Lameere, Präsident der Societe entomo-
logique de Belgique, Alfred Cogniaux, Präsident der Societe
royale de botanique de Belgique und Gravis, Professor an der
Universität im Namen der Societe royale des Sciences de Liege.
Der Leichenzug bewegte sich nach Abgabe einer Ehrensalve
364 Rudolf Blasıus:
seitens des Militärs zunächst nach Ste-Croix, wo die kirchliche
Feier stattfand, darauf nach dem Bahnhofe des Guillemins, von
wo nach einer zweiten Ehrensalve der Zug sich um 3 Uhr nach
Waremme in Bewegung setzte, begleitet von den Familienmit-
gliedern und vom Gemeinderat von Waremme unter Führung
seines Bürgermeisters. In der Nacht war der Sarg in der
Kirche aufgebahrt und wurde dann am 15. Dezember nach dem
vom Verstorbenen der Gemeinde Waremme vor 50 Jahren ge-
schenktem Kirchhofe in das Mausoleum der Familie Selys-Long-
champs übergeführt. 3 Redner sprachen noch auf dem Kirch-
hofe 1’Honeux, Senator von Huy-Waremme, Leon Naveau,
Provinzialrat und Lejeune, Bürgermeister von Waremme.
Ehrende Nachrufe wurden dem Verstorbenen noch in der Sitzung
des Abgeordnetenhauses am 13. Dezember und in der Sitzung
des Senates am 20. Dezember seitens .der Präsidenten beider
Versammlungen gewidmet.
So ruht er nun im Kreise seiner Ahnen, geachtet von allen
Seiten durch die Vertretungen seines engeren Vaterlandes, durch
die Vertreter der Wissenschaft, der Provinz, der Gemeinde, ge-
schätzt wegen seiner persönlichen, politischen und wissenschaftlichen
Eigenschaften, ein Vorbild für jeden seiner Mitbürger. Aber
nicht bloss in seinem engeren Vaterlande, nein, in der ganzen
eivilisierten Welt leuchtet Edmond de Selys-Longchamps hervor
durch die Zeugnisse seiner wissenschaftlichen Bestrebungen und
Arbeiten. In seinen zahlreichen Veröffentlichungen auf natur-
wissenschaftlichem Gebiete (am Schlusse ist ein Verzeichnis
derselben angefügt!) hat er selbst sich ein Denkmal gesetzt,
aere perennius, das nie vergessen sein wird, so lange der Mensch
seiner Kulturaufgabe, die Wissenschaften zu pflegen und durch
emsige Geistesarbeit weiter auszubilden, nachkommen wird.
Der Verstorbene war in vielen Gebieten der beschreibenden
Naturwissenschaften thätig, zuerst wohl interessierten ihn am
meisten die Vögel. Einer seiner wissenschaftlichen Freunde,
speciell auf dem Gebiete der Insektenkunde, Rob. Mac Lachlan,
schreibt in einem schönen Nachrufe, dass der Verstorbene ihm
ein kleines Buch der belgischen Vögel zeigte, das er mit selbst
colorierten Abbildungen der einzelnen Arten geschmückt hatte,
ehe er 16 Jahre alt war; mehrere sehr schöne Arbeiten
lieferte er über die kleineren Säugetiere Belgien’s, so schrieb
er über die Feldmäuse und Spitzmäuse, Arbeiten, die ihn schon
Michel Edmond, Baron de Selys-Longchamps. 365
in den 40er Jahren mit meinem verstorbenen Vater in wissen-
schaftliche Verbindung brachten; lieferte verschiedene Publicationen
über Fische, z. B. über die Fortpflanzung der Aale und die
Süsswasserfische Belgiens, beschäftigte sich mit den Crusta-
ceen seines engeren Vaterlandes; — ganz besonders interessierten
ihn aber von frühester Jugend an die Insekten und unter diesen
besonders die sogenannten „Wasserjungfern“, die Libbel-
lulidae. Man kann nach Calvaire (Nekrolog von Selys-Long-
champs in Entomological News, February 1901) seine Arbeiten
auf diesem Gebiete (im Ganzen 115 einzelne Abhandlungen) in
3 zum Theil auch chronologisch gekennzeichnete Gruppen ein-
teilen. Die erste Gruppe umfasst fast ausschliesslich euro-
päische Arten, erstreckt sich auf die Zeit von 1831 bis 1851
und gipfelt in dem Hauptwerke, Monographie des Libellulidees
d’Europe, Paris, 1840; die zweite Gruppe betrifft eine mono-
graphische Revision der Ödonaten der ganzen Erde, der „Calo-
pterygines, Gomphines, Agrionines, Cordulines, Aeschnines“, Ar-
beiten von 1853—1886 ; die dritte Gruppe erstreckt sich auf
faunistische Arbeiten, von 1857 bis 1891 hin; für Belgien und
Europa, aber auch für viele aussereuropäische Länder, wie Neu-
Guinea, Philippinen, Japan, die paläarktische Region, Klein-Asien,
Sumatra, Kirgisen-Steppe, Burma u. a. —
Aber nicht nur die Tierwelt veranlasste ihn zu wissenschaft-
licher Forschung. Besonderes Interesse hatte er für die Pflanzen.
Seit dem Bestehen der Societe royale de Botanique de Belgique,
seit 40 Jahren war er Mitglied derselben, wohnte den Sitzungen
eifrig bei, beteiligte sich an den botanischen Excursionen und
veröffentlichte mehrere Arbeiten im Bulletin der Gesellschaft.
Besondere Aufmerksamkeit widmete er den meteorologischen
Erscheinungen, so verdanken wir ihm eine Arbeit über das am
25. Juni 1863 in Waremme beobachtete Gewitter, über den Schnee-
fall am 19. Juni 1869 im Luxemburgischen u. a.
Diese Vielseitigkeit der wissenschaftlichen Anschauungen
brachte den Verstorbenen schon früh auf den Gedanken, die
Gesetze zu erforschen, nach denen die Wanderungen der Vögel
vor sich gehen, festzustellen, wie die klimatischen Verhältnisse,
das Wachstum der Pflanzenwelt die biologischen Erscheinungen
in der Vogelwelt beeinflussen. Diese Richtung der Arbeiten
Selys-Longchamps’s war es, die mich zuerst mit ihm in briefliche
wissenschaftliche Verbindung brachte. Als die deutsche ornitho-
366 Rudolf Blasius:
logische Gesellschaft auf Anregung von Professor A. Reichenow
ein Netz von ornithologischen Beobachtungsstationen über Deutsch-
land einzurichten bestrebt war und ich mich Jahre lang, später
auch Namens des permanenten ornithologischen internationalen
Comite’s für die ganze Erde dieser Angelegenheit besonders
widmete und die deutschen Jahresberichte im Journal für
ÖOrnithologie von 1879 an redigierte und viele andere ausser-
deutsche in der „Ornis“ zur Veröffentlichung brachte, lag mir
namentlich daran, ausser dem berühmten Sibirienreisenden A. von
Middendorff, der in seinen Isepiptesen eine methodische Zugbe-
obachtung der Vögel angeregt hatte, den Verstorbenen um seinen
sachverständigen Rat zu bitten. Schon 1842 stellte er einen
Plan auf zu jährlichen Beobachtungen über die periodischen
Erscheinungen in der Vogelwelt, veröffentlichte dann mit verschie-
denen Mitarbeitern zusammen von 1843 bis 1854 an jährlich
zoologische Beobachtungen über periodische Erscheinungen in
der Tier- und Pflanzenwelt, ebenso erschien eine besondere Arbeit
über die Wanderungen der Vögel von 1841—1846 in Belgien und
ein zoologischer Kalender von Belgien 1851. Einzelne Vogelarten
interessierten ihn durch ihre Wanderungen ganz besonders, so der
Tannenheher (Nucifraga caryocatactes), das Steppenhuhn
(Syrrhaptes paradoxus) und der Bienenfresser (Merops apiaster).
Wir verdanken dem Verstorbenen hierüber sehr schöne Special-
arbeiten. Auf dem zweiten internationalen ornithologischen Con-
gresse zu Budapest hatte er das Referat über Wanderungen der
Vögel übernommen. Ähnlich wie bei Gätke, finden wir auch bei
Selys Longchamps, dass er sich für die Wanderungen der Insekten
interessierte, z.B. eine schöne Arbeit über die Insektenwanderungen
auf Helgoland 1858 veröffentlichte. — Aber nicht bloss auf der-
artige biologische phänomenologische Arbeiten beschränkte er
sich. Schon 1843 versuchte er die Nomenclatur auf sichere feste
Grundlagen zu stellen, eine Reihe systematischer Arbeiten
besitzen wir von ihm, 1879 schrieb er eine grosse vortreffliche
Arbeit über die Classification der Vögel seit Linne, namentlich
mit den Familien der Meisen beschäftige er sich eingehend, be-
schrieb die von ihm so benannte Parus borealis und machte be-
sonders auf die lokalen Unterschiede ein und derselben Art in
verschiedenen Gegenden aufmerksam, beschritt damit einen Weg
in der Ornithologie, der namentlich seit dem alten Chr. L. Brehm
in den letzten Jahren wieder in der Ornithologie sehr viel An-
Michel Edmond, Baron de Selys-Longchamps. 867
klang gefunden hat. — Ein besonderes Inseresse schenkte er
der Verbastardierung einzelner Arten, namentlich bei den Enten
und Gänsen, schon 1845 veröffentlichte er eine Arbeit darüber,
die vorbildlich für spätere Autoren wie Suchetet, Leverkühn
und andere geworden ist. —
Vielfach suchte er, abgesehen von Ausflügen in seinem
engeren Vaterlande, seine Kenntnisse durch Excursionen in’s
Ausland zu erweitern und, da er immer mit offenen Augen reiste,
vieles Neue in sich aufzunehmen. Auch die Resultate solcher
wissenschaftlichen Reisen hat er in reizend geschriebenen Arbeiten
der Nachwelt überliefert, so eine Tour nach Frankreich, Gegend
zwischen Sambre und Meuse, nach Baraque-Michel; nach Italien,
nach Deutschland, Österreich und Ungarn, nach Helgoland. Mit
Vorliebe gedachte er in kurzen Nekrologen ihm befreundeter
Männer der Wissenschaft, wie Ch. Donckier de Donceel,
E. Bellier de la Chavigneric und A. Maurissen.
Zu seinen Arbeiten hatte er eine grössere Privatbibliothek
und eine in einem besonderen neben seinem Schlosse in Long-
champs erbauten Hause aufgestellte naturhistorische Sammlung,
die ich am 12. August 1884, als ich auf einer Reise nach Belgien
und Holland begriffen war, das Glück hatte, unter seiner persön-
lichen liebenswürdigen Führung zu besichtigen. Ich schrieb
darüber seiner Zeit in meinem Tagebuche: „Die Sammlung ist
ähnlich wie bei Heine in Halberstadt in einem besonderen
Nebengebäude aufgestellt. Die Vögel sind sämtlich ausgestopft.
Auf das äussere Aussehen derselben ist weniger Wert gelegt, als
auf eine möglichst vollständige Sammlung der Europäer und
Vertreter sämtlicher Familien der Vögel der Erde. Gerade
die interessantesten ausländischen Formen waren, wenn auch
nur in wenigen Exemplaren, vorhanden. Von Seltenheiten will
ich erwähnen ein völlständiges schönes Exemplar von Alca im-
pennis Linne, dann ein Exemplar von Fregilupus varius Bodd.,
das nach Selys noch seltener ist als A. impennis. — Sehr inter-
essant ist die Suite von Raubvögeln, dann namentlich die Meisen.
Die Anordnung von Selys, wobei auch die Färbung sehr
bedeutend mit berücksichtigt ist, hat doch viel für sich. Es fehlen
S. überhaupt nur 2 oder 3 bis jetzt bekannte Meisenarten. —
Eine ungewöhnlich grosse Anzahl von Bastarden von Enten und
Gänsen ist vorhanden. Bei den Fliegenschnäppern kamen wir
auf M. luctuosa und atricapilla zu sprechen, nach S. brütet dort
368 Rudolf Blasius:
in Longchamps nur luciuosa, während die richtige atricapilla nur
im Frühlinge auf dem Durchzuge beobachtet wird. — Ausser
den Vögeln hat S. auch die Säugetiere Europa’s fast vollständig
vertreten, ebenso die Amphibien, Reptilien und Fische. Die Eier-
sammlung besahen wir auch. Sie war sehr verstaubt, seit 40
Jahren hatte der jetzt 74jährige S. keinen Blick hineingeworfen.
— Nach der Sammlungsbesichtigung machten wir einen kleinen
Spaziergang durch den grossen, prachtvoll angelegten Park.
Namentlich die Nadelhölzer interessierten mich, viel war in dem
kalten Winter 1880 erfroren. — Die Hitze war furchtbar.
Nach dem Dejeuner, wobei der Diener immer in grosser Livree
aufwartete und S. selbst die Salat-Sauce in der penibelsten Weise
anrührte, gingen wir oben hinauf in die Bibliothek. Vorher
zeigte mir S. das Zimmer, (seinem eigenen gegenüber), in dem
im vorigen Winter Tristram mehrere Wochen logiert hatte. Er
war eigentlich ausser sich, dass ich nicht mehrere Tage bei ihm
bleiben konnte, und namentlich darüber, dass meine Frau nicht mit-
gekommen war. Die Bibliothek war in mehreren Zimmern unter-
gebracht, in einem besonders die Separatabdrücke seiner
eigenen Arbeiten, die er mir, was Ornithologie anbetritit, sämtlich
schicken will. Augenblicklich arbeitet S. fast nur in Libelluliden
und bekommt diese aus der ganzen Welt zugeschickt. In Berlin
wurde er offenbar sehr wenig entgegenkommend bei einer seiner
vielen Libelluliden-Reisen behandelt, indem ihm die dort vor-
handenen Neuropteren zur Bearbeitung nicht zur Verfügung
gestellt wurden. — Von lebendem Geflügel hat S. höchst inter-
essante Bastarde von Anas rutila ($) und Anser aegyptiacus (2),
dem Vater im Gefieder sehr ähnlich, der Mutter den hohen
Beinen nach. Ein Teil der Eier war von einer Puterhenne aus-
gebrütet, die Jungen waren immer auf den Lande; — ein anderer
Teil war einer Ente untergelegt, die Jungen waren immer auf
dem Wasser; — übrigens glichen sich die Land- und Wasser-
jungen im Gefieder vollständig. Beim Füttern war Anser canadensis
sehr unverschämt. — Ein heftiges Gewitter warteten wir im
Saale ab und warfen dann noch einen kurzen Blick in den
Gemüsegarten, um Artischokken zum Diner mitzunehmen. Abends
8 Uhr fuhr ich in Begleitung des liebenswürdigen alten Herrn
zur Bahn, um nach einem hochinteressanten Tage 81), Uhr
wieder in Lüttich einzutrefien.“
Michel Edmond, Baron de Selys-Longchamps. 369
Später hatte ich noch mehrere Male das Glück, mit dem
alten würdigen Herrn auf Kongressen zusammenzutreffen, zuletzt
auf dem vorjährigen Ornithologen-Kongress in Paris.
In der Unterhaltung war S. eine der anregendsten, liebens-
würdigsten Persönlichkeiten, die mir jemals vorgekommen ist.
Er sprach französisch, verstand aber deutsch, englisch, italienisch
und spanisch. Seine Veröffentlichungen sind hauptsächlich in
französischer Sprache erschienen, einzelne Arbeiten aber auch in
deutschen, englischen, italienischen und spanischen Zeitschriften.
Als „Altmeister der Odonatologie‘“ erhielt er von der ganzen
Erde die Sammlungen der Libelluliden zum Bestimmen zugeschickt
und war in diesem Fache unbedingt die erste Autorität. Nur
seiner persönlichen Liebenswürdigkeit entsprach es, wenn er z.B.
die Sammlungen von den Philippinen und anderen spanischen
Besitzungen in wissenschaftlichen spanischen Zeitungen bearbeitete.
Vielen gelehrten Gesellschaften gehörte er als Ehren- oder
korrespondierendes Mitglied an, namentlich den entomologischen
Gesellschaften seines engeren Vaterlandes, ferner von Paris,
- London, Berlin, Florenz, Wien, Stockholm, Dresden, Stettin, Bern,
Helsingfors, Philadelphia — ausserdem einer ganzen Reihe z00-
logischer Vereine, der Societe zoologique de France, ferner mehreren
-ornithologischen Gesellschaften, so war er Mitglied des genannten
internationalen ornithologischen Komite’s und Ehrenmitglied
unserer deutschen ornithologischen Gesellschaft.
Eine grosse Reihe von Orden schmückte seine Brust,
darunter das Grosskreuz des Leopold-Ordens, das Grosskreuz
des italienischen Ordens vom heiligen Mauritius und Lazarus
und das Kommandeurkreuz der französischen Ehrenlegion. Als
das Königreich Italien konstituiert und von Belgien anerkannt
war, wurde er von seinem Fürsten in einer besonderen Mission
zum König von Italien entsandt.
So war er ein in jeder Beziehung hochgeachteter Mann, als
Diplomat und Aristokrat bei seinem Könige, als Politiker bei
seiner Gemeinde und seinem Vaterlande, als Mann der Wissen-
schaft unter seinen Kollegen über die ganze Erde hin, als
wohlwollendes Familienoberhaupt bei seinen Verwandten und als
Freund allen denjenigen gegenüber, die jemals das Glück gehabt
hatten, mit ihm persönlich zusammen zu kommen und ihn
achten, schätzen und lieben zu lernen.
Journ, f, Orn. XLIX, Jahrg. Juli 1901, 95
370 Rudolf Blasius:
Nach den Verfügungen des Verstorbenen fällt das Besitz-
tum Longchamps mit den sämtlichen Sammlungen an den älteren
Sohn, Baron Raphael. Falls die Sammlung zerstreut werden
sollte, gelangen die interessantesten Stücke, wie Alca impennis
und Fregilupus auf Wunsch Selys’s an die Universität der Stadt
Lüttich. Die Bibliothek ist nicht an Longehamps gebunden und
hat der jüngere Sohn Walter, zur Zeit Mitglied des Senats für
Namur, und grosser Bücherfreund, das Recht, sich alle diejenigen
Bücher auszuwählen, die er für seine Bibliothek zu haben wünscht,
besonders die Spezialwerke, und besitzt ausserdem den ganzen
litterarischen brieflichen Nachlass des Vaters.
So kann man die bestimmte Hoffnung haben, dass die Samm-
lungen Edmond de Selys-Longchamps erhalten bleiben werden
und der wissenschaftliche gemeinnützige politische Geist des Ver-
storbenen in seinen Kindern und Kindeskindern weiter leben wird.
Noch bei Lebzeiten hatte der Verstorbene die Freude, zwei seiner
Grosssöhne sich dem Studium der Zoologie widmen zu sehen.
Hoffentlich werden sie dem würdigen Beispiele ihres Grossvaters
folgen!
Wir, seine wissenschaftlichen Freunde und Kollegen, werden
immer uns an ihn als leuchtende vorbildliche Warte der Wissen-
schaft erinnern und mit unseren schwachen Kräften versuchen,
seiner universellen Bildung nachzustreben.
Verzeichnis der wissenschaftlichen Werke von Baron Edmond
de Selys-Longchamps.!)
„Sur les Lepidopteres de la province de Liege“, presente & la
Societe des Sciences naturelles de Liege le 5. Mai 1829.
Catalogue des Oiseaux comp. le cabinet de M. le Conte de
Riocour & Aulnois, 1829.
Catalogue raisonne des Lepidopteres de Belgique. 1837.
Essai monographique sur les Campagnols des environs de Liege
(Extr.) in L’Institut, IV. 1836. N. 184. p. 382.
Campagnols inedites, in: Rev. Zool. 1839. p. 8—9.
1) Das Verzeichnis macht keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Für gütige Hilfe dabei bin ich besonders Herrn Professor Dr. Taschen-
berg in Halle zu Dankbarbeit verpflichtet. R. Bl.
Michel Edmond, Baron de Selys-Longchamps. 371
Analyse d’une classification des Oiseaux Passereaux in: Rev. Zool.
1839. p. 9—13.
Diagnose de trois especes europdennes d’Aeshna, du sousgenre
Anax, in: Rev. Zool. 1839. p. 333—334.
Description de deux nouvelles especes d’Aeshna du sousgenre
Anax (Leach). (Mit 1 Taf.) in: Bull. de l’acad. de Brux. 6,2.
1819. p. 368—393.
Addition. ibid. 7,2. 1840. p. ST—88.
Etudes de micromammalogie. Revue des Musaraignes, des Rats
et des Campagnols suivie d’un index me&thodique des Mammi-
feres d’Europe. Paris 1839.
Sur trois nouvelles especes Europ6eenes du genre Agrion, in Rev.
Zool. 1840. p. 213—215.
Enumeration des Libellulidees de la Belgique in: Bull. de l’Acad.
de Brux. 7,1. 1840. p. 31—42. — Addition ibid. 7,2. 1840, p.
88—97.. (Mit 1 Taf.)
Monographie des Libellulidees d’Europe. Avec 4 pl. Paris 1840.
Notices sur les Libellulidees in: Bull. Acad. roy. Bruxelles 1841.
Nouvelles Libellulid&es d’Europe. in: Rev. Zool. 1841. p.
243 — 246.
Sur les Campagnols, in: L’Institut, IX. 1841. No. 413. p. 404.
Note sur les Campagnols (Arvicola) de la Suisse, in: Ver-
handlungen der Schweizer naturforschenden Gesells. 26. Vers.
Zürich. 1841. p. 186—191.
Note sur deux especes de Musaraignes observ6s nouvellement
en Belgique, in: Bull. de l’Acad. de Brux. 8,2. 1841. p. 335—
338.
Projet d’observations annuelles sur la periodicit6 des Oiseaux,
in: Report. Brit. Assoc. Adv. Sc. I. Meet. 1841 (1842.) Trans-
act. Sect. p. 70—75.
Faune Belge I.: Indication meth. des Mammiferes, Oiseaux,
Reptiles et Poissons. Liege 1842. 8° 11 pll.
BORN... A. F. J. Pietet, Cordulia splendens Pict. n. spec. (Mit
ı Taf.) in: Magas. de Zool. 1843. Insect. pl. 117 (3. Seiten)
— (C. splendida) in: Rev. Zool. 1843. p. 131.
Ph&önome£nes p&riodiques, Observations zoologiques faites A
Liege par Chr. Morren et Edm. de Selys Longchamps, et &
Gand, par F. Cantraine in: Nouv. M&m. de l’Academie de
Brux. Tom. 15. 1842.
25*
372 Rudolf Blasius:
Faites a Waremmes et ä Liege par Edm. de Selys Long-
champs en 1842. lbid. tom. 16. 1843. |
faites en 1843 en divers lieus ibid. Tom. 17. 1844.
- - 1844 - - - - 18 1845.
= - 1845 - - - - 19. 1846.
- - 1846 - - - - 20. 1847.
- - 1847 - - - - 21. 1848.
- - 1848 = - - - 23. 1849.
- - 1849 - - - - 23. 1850.
= - 1850 = - = - 26. 1851.
- - 1851 - - - =7 927. 1853.
= - 1852 - - - - 28. 1854.
- 1853—1854. - - - - 29. 1855.
Note sur la nomenclature zoologique (sur les Series de pro-
positions etc. de l’Assoc. brit.) in: Bull. de l’Acad. de Brux.
10,2. 1843. p. 291—292.
Note sur une nouvelle M&esange d’Europe (Parus borealis) in:
Bull. de l’Acad. de Brux. 10,2. 1843. p. 24—31.
Note sur quelques petits Mammiferes du midi de la France.
in: Rev. zool. 1843, 129—131.
Nouvelles Additions aux Libelluliddes de la Belgique de
1840—43. Mit ı Taf.) in: Bull. de l’Acad. de Brux. 10,2.
1843. p. 149—162.
Note sur quelques Libellules d’Europe. in: Ann. soc. entom.
France 2. Ser. Tom. I. 1843. p. 107—109.
Note sur un nouveau Cordulegasier d’Europe. in: Rev. zool. 1844,
8. 135— 136.
Enumeration des Insectes L&pidopteres de la Belgique.
Liege, 1844. 8°.
Note sur une migration de Cassenoix (Nucifraga). (Mit 1 Taf.)
in: Bull. de l’Acad. de Brux. 11,2. 1844, p. 298—304.
Sur les Cassenoix (Corvus caryocatactes). in: L’Institut, XIII,
1845. No. 590. p. 148.
Recapitulation des hybrides observees dans la familie des
Anatid6es. in: Bull. de l’Acad. de Brux. 12,2. 1845. p. 335
—355. — Isis, 1848, p. 226—227.
Dur les Oiseaux ame&ricains inscrits dans la Faune euro-
peenne. in: Mem. de la Soc. R. de Liege. Tom. 4. 1849.
p. 35 —54.
Auch apart: Liege, 1846. 8°.
Michel Edmond, Baron de Selys-Longchamps. 373
Notice sur les Beccroises leucoptere et bifascie (Loxia leucoptera
‚et bifasciata). in: Bull. de l’Acad. de Belgique. 13,1. 1846.
p. 324—336. — L’Institut, XIV. 1846. No. 660, p. 290—291.
Revision of the british Libellulidae. in: Ann. of nat. hist.
Vol. 18. 1846. p. 217—227.
(Enumeration des Insectes Löpidopteres de la Belgique.
in: Mem. de la Soc. R. de Liege. Tom 2. 1846. p. 1—35.)
dasselbe.
Distribution geographique des Campagnols (Arvicola) en
Europe. in: Rev. zool. 1847, p. 305—312.
Note sur le Passer pusillus Pall. et sur la Sylvia (Hippolais)
veterina. in: Rev. zool. 1847. p. 120—124.
Resume concernant des Oiseaux brevipennes, mentionnes dans
l’ouvrage de M. Strickland sur le Dodo. in: Revue zool.: 1848.
p.- 292—295.
Observations sur les phenom&nes periodiques du r&egne ani-
mal et particulierement sur les migrations des oiseaux en
Belgique de 1841—1846. 88 pag. in: Nouv. Mem. de l’acad.
de Brux. Tom. 21. 1848.
Liste des Libellules d’Europe et diagnose de quatre especes
nouvelles. in: Rev. zool. 1848. p. 15--19.
Essai sur l’histoire naturelle du Brabant, Mammiferes.
Bruxelles, 1848. (28 pag.). 4°.
Sur la Sauterelle voyageuse (Oedipoda migratoria) observee
en Belgique. in: Bull. de l’Acad. de Belge. Tom. 16, 2. 1849.
p. 626—628. — L’institut, XVIII, No. 843. 1850. p. 71.
(Vanderstegen de Putte?) Essai sur ’histoire naturelle de
Brabant. Analyse par E. d. S. L. Mammiferes (28 pag.) in:
Nouv. Mem. de l’Acad. de Belge, T. 24, 1850.
S. L. et H.A. Hagen. Revue des Odonatesou Libbellules
d’Europe. in: Soc. Roy. d. Sciences de Liege. VI. 1850.
Auch erschienen mit demselben Titel. Brux. et Leipzig,
Muquardt, Paris, Roret 1850 (XVIII, 408 pag. Mit 11 Taf.).
— et H. A. Hagen, Revue des Odonates ou Libellules d’
Europe. Ouvrage servant de compl&ment et de supplement
ä la monographie des Libellulidees d’Europe de M. de 8. L.
publiee en 1840. Avec planches. Brux. Leipzig. Gand, Mu-
quardt, 1850. 8°. (XXIV, 408 pag). — Mein. de la Soc. Royale
de Liege. Tom. VI.
374 Rudolf Blasius:
Note sur la famille des Recurvirostride&es. in: Bull. de l’Acad.
de Belg. Tom. 18, 1. 1851. p. 5—15. — L’Institut, XIX.
1851. No. 913. p. 211.
Zoologischer Kalender von Belgien. in: Fror. Tagsber.
No. 296 (Zool. Bd. 2) 1851, p. 59—67.
Resume geographique sur les Libeilules de !’Italie conti-
nentale et insulaire. in: Mem. Accad. Torino. 2. Ser. Tom. 11,
1851. p. 64—68.
Synopsis des Calopterygiens. in: Bull. de ’Acad. de Beleg.
Annex. 1853—1854 (73 S.)
S. L. et H. A. Hagen, Monographie des Calopterygiens,
in: Soc. Roy. d. Sciences de Liege. IX. 1854.
auch erschienen mit demselben Titel Brux. et Leipzig, Mu-
quardt, 1854. (VI, 289 pag. Mit 14 Taf.)
Synopsis des Gomphines. in: Bull. de ’Acad. de Belg. Tom. 21,2.
1854 (p. 23—112). Apart.: Bruxelles, 1854. 8. (93 pag.).
Discours sur la faune de Belgique. in: Bull. de l’Acad. de
Belg. Tom. 21. 2. 1854. p. 1020-1050.
Bemerkungen über die wahren Gänse Europa’s, in: Nau-
mannia, 1855. p. 261—265. 397—398.
Notice sur P’Hirondelle rousseline d’Europe (Hirundo
rufula Temm.) et sur les autres especes du sous -genre
Cecropis. in: Bull. de l’Acad. de Belg. Tom. XXI, 2.
1855. p. 95—134. — L’Institut, XXIII. 1855. No. 1142. 398.
Addition & la recapitulation des hybrides observees dans la
famille des Anatide&es. in: Bull. de l’Acad. de Belg. Tom. 23,2.
1856. p. 6—22. — Naumannia, 1856. VI, S. 395.
Bemerkungen über einige Vögel Europa’s. in: Naumannia,
1856. p. 386—395.
— et H. A. Hagen, Monographie des Gomphines. (Mit
23 Taf.) in: M&em. Soc. de Liege. Tom. 11. 1858. p. 257
— 720.
De la chasse et de la preparation des Neuropteres.
(Extr. du nouveau guide de l’amateur d’Insects.) Paris, Dey-
rolle, 1859. 8°. (13 pag.)
Corrections aux especes et varietes nouvelles de Lepidopteres,
decrites dans l’Enumeration des Insectes Lepidopteres de la
Belgique. (Mem. Soc. Liege. Tom. 2. 1844.) in: Ann. Soc.
entom. France. 3. Ser. Tom. 1859. Bull. p. 92—94.
Michel Edmond, Baron de Selys-Longchamps. 375
Synopsis des Agrionides. 1. Legion. Pseudostigma. in: Bull.
Acad. Belg. 2. Ser. 1860. Tom. 10. No. 6. (20 Seiten). —
Derniere Legion. Protoneura. ibid. Tom. 10. No. 9 und 10
(34 Seiten).
Sur l’orage du 15. Juin 1863. in: Bull. Acad. Sc. Bruxelles
KV. 1863. p. 132—133.
Synopsis des Agrionines. 4. lEgion: Platyenemis. ibid. XVL
1863. p. 147—176.
Note sur une excursion dans l’Entre-Sambre et Meuse. in:
Ann. Soc. Entom. Belg. XVII. 1863. p. 47—51.
Apparition du Syrrhaptes heteroclitus en Belgique. in: Bull.
Acad. Sc. Bruxelles. XVII. 1864. p. 22—25.
Note sur une variete pyramidale du Populus virginiana, Desf.
(P. monilifera Ayt.) in: Bull. Soc. bot. Bruxelles. III. 1864.
p- 9—15. — Horticole Belgique. XIV. 1864. p. 257—261.
Catalogue des Neuropteres Odonates de la Corse. in: Ann.
Soc. Ent. Paris. IV. 1864. p. 35—37.
Synopsis des Agrionines. in: Bull. Acad. Sc. Bruxelles. XX.
1865. p. 375—417.
Remarques & propos de la notice de M. Lallemant. Sur l’inva-
sion des Sauterelles (Acridium peregrinum) en Algerie. in:
Ann. Soc. Entomol. Belg. IX. 1865. p. 45—46.
Notice sur une nouvelle espece de Nemoptere N. Ledereri. in:
Ann. Soc. Entomol. Belg.. X. 1866. p. 253—255.
Ravages de la Noctua segetum Tr. en 1865. in: Ann. Soc.
Entomol. Belg. X. 1866. p. VIII—-X. — Belgique horticole
XVII 1867. p. 61-63.
Additions et correction au ‘Catalogue Raisonne des Orthopteres
de Belgique’. in: Ann. Soc. Ent. Belg. XI. 1867—68. p. 22—42.
[Note sur l’invasion des Sauterelles (Acridium peregrinum) en
Algerie] in: Ann. Soc. Ent. Belg. XI. 1867—68, p. IV—V.
Notice sur une nouvelle espece de Neuroptere du genre Ne-
moptera, d&couverte dans l’Asie-Mineure par M. Lederer (N.
Ledereri). in: Ann. Soc. Ent. Belg. XI. 1867—68. p. VII.
[Observations sur le Deilephila esulae] ibid. XI. 1867—68.
p. XVI-XVI.
Sur quelques Odonates du Mexique. in: Ann. Soc. Ent. Belg.
XI 1867—68. p. LXVI—LXXI
Diagnose d’un nouveau genre d’Agrionine Hemiphlebia nob,
ibid.e XL. 1857—68. p. LXXI—LXXI.
376 Rudolf Blasius:
Diagnose d’un nouveau genre d’Agrionine d’Australie: Synlestes
nob., et d’une Panorpide nouvelle d’Australie: Bittacus nigri-
ceps. ibid. XI. 1867--68. p. LXXVI—LXXVM.
Sur les Lycaena alcon et euphemus. ibid.. XI. 1867—68.
p. LXXXIV—.V.
Agrion scitulum, nouveau pour ia faune Belge. ibid. XI. 1867—68.
p. XC-XCl
Odonates des Iles Seychelles. ibid. XII. 1868—69. p. 95— 99.
Note surles Neuropteres Odonates recueillis en Mingrelie
en 1868 par M. Theophile Deyrolle ibid. XIL 1868—69.
p. 105—106.
List of species and description of a new genus (.Allolestes)
and five new species of Dragonflies (Odonata) from the Sey-
chelles. in: Ann. Mag. Nat. Hist. III. 1869. p. 272—277.
Seconde et troisieme additions au Synopsis des Colypterygiens
(Oolopteryx). in: Bull. Acad. Bruxelles. XXVII. 1869. p. 645—
680; XXXV. 1873. p. 469—519; XXVI. 1873. p. 610—619.
Sur la presence de la neige dans diverses localitös du Luxem-
bourg, le 19. Juin 1869. in: Bull. Acad. Sc. Bruxelles. XXVIN.
1869. p. 29-31.
Seconde et troisieme additions au Synopsis des Gomphines.
in: Bull. Acad. Sc. Bruxelles. XXVII. 1869. p. 168— 208;
‚XYXV. 1873. p. 732—774; XXXVI. 1873. p. 492--531.
Sur les poissons du departement d’Eure-et-Loire. in: Congrös
scientif. France. XXXVI 1869. p. 110 —112.
Notes on various birds observed in Italian Museums in 1866.
in: Ibis, VI. 1870. p. 449—455.
Nouvelle revision des Odonates de l’Algerie. in: Ann. Soc. Ent.
Belg. XIV. 1870—71. p. 9—20.
Resume d’une nouvelle classification de la sous-famille des Cor-
dulines. ibid. XIV. 1870—71. p. IV—-VI.
[Renseignements du Professeur Stefanelli sur les Deilephila
euphorbiae et esulae.| in: Ann. Soc. Ent. Belg. XIV. 1870-71.
p. XXI— XXI.
[Notice sur quelques Ascalaphides] ibid.e XIV. 1870—71.
p. XXXIL
Compte-rendu de l’excursion faite & la Baraque-Michel, du
8 au 11 Juillet 1871. ibid. XIV. 1870—71.. p. XLIX—LXI.
Synopsis des Cordulines. in: Bull. Acad. Sc. Bruxelles. XXXI.
1871. p. 238—316; 519 —565.
Michel Edmond, Baron de Selys-Longchamps. 377
Le Guepier (Merops apiaster) en Belgique. ibid.e. XXXI. 1871.
p. 565—567.
Apercu statistique sur les Neuropt&res Odonates. in: Trans.
Entomol. Soc. London 1871. p. 409—416.
[Sur une notice de M. T. H. Briggs relative aux varietes de la
Zygaena trifolii.) in: Ann. Soc. Ent. Belg. XV. 1871—72.
p- LVII—LIX.
Note sur plusieurs Odonates du Madagascar et des iles
Mascareignes. in: Rev. et Mag. de Zool. XXIII. 1871-72.
p. 175—183.
Selys-Longehamps, Edmond de et R. Mac Lachlan,
Mat£@riaux pour une faune neuropterologique de l’Asie-Septen-
trionale. in: Ann. Soc. Ent. Belg. XV. 1871—72. p. 25—77.
On the form of Zygaena trifolü. in: Entomol. Monthl. Mag. IX.
1872 73: .p: 14.
Note on two new genera of Psocidae: Psyllipsocus and Hemipsocus.
in: Entomol Monthl. Mag. IX. 1872 —73. p. 145 — 146.
Sur la production des Anguilles. in: Bull. Acad. Sc. Bruxelles.
ROSWVL 1873. p. 757-758.
Revision des Psocides decrites par Rambur, suivie de la liste
des especes de cette famille observees jusqu’ici en Belgique.
in: Ann. Soc. Ent. Belg. XVI. 1873. p. 5—9.
Sur les limites de la Faune Europ6enne. in: Ann. Soc. Ent.
Belg. XVI. 1873. p. XXH—XXIX.
Addition. au synopsis des Cordulines. in: Bull. Acad. Sc.
Bruxelles. XXXVI. 1874. p. 16—34; XLV. 1878. p. 183—222.
Note on Odonata from Newfoundiand, collected in 1874 by
Mr. John Milne in: Entomol. Monthl. Mag. XI. 1874—75.
p. 241—243.
Synopsis des Agrionines (suite de la 5®® lEgion: Agrion). in:
Bull. Acad. Sc. Bruxelles. XLI. 1876. p. 247—322; 496—539;
1233 —1309; XLII. 1876. p. 490—531; 952—991; XLIII. 1877.
p- 97—189. — Ann. Soc. Ent. Belg. XIX. 1876. Compt. rend.
p. XXXV—XXXVI; XLVII—L.
Note sur un voyage scientifique fait en Allemagne, en Autriche
et en Hongrie en 1876. in: Ann. Soc. Ent. Belg. XIX. 1876.
C. R. p. LXVI—LXXI.
Examen des Acridiens recus de M. Lichtenstein. ibid. XX.
1877. C. R. p. X—XU,
378 Rudolf Blasius:
Note sur deux Libellulines du genre Urothemis. ibid. XXI.
1877. C. R. p. LXIV—LXVI.
Quatriemes additions au synopsis des Gomphines. in: Bull.
Acad. Sc. Bruxelles. XLVI. 1878. p. 408—471: 658—698.
Quatriemes additions au synopsis des Colopterygines. ibid.
XLVII 1879. p. 349 — 409.
Revision des Ophiogomphus et descriptions de quatre nouvelles
Gomphynes americaines. in: Ann. Soc. Ent. Belg. XXIL 1879.
C. R. p. LXH—LXX.
La sous-famille des Psocines en Angleterre, en Belgique et en
Scandinavie. ibid. XXIL 1879. C. R p. CLXIV—CLXVI.
La classification des oiseaux depuis Linne. In Bull. Acad. Sec.
Bruxelles. XLVII. 1879. p. 729—813.
Description of new species of Phyllomacromia (Corduliina) from
West Africa, in: Entomol. Monthl. Mag. XVI. 1879 — 80.
p. 103—104.
Lais devillei, in: Ann. Soc. Ent. Belg. XXIII. 1880. C.R.p. XLIX—LI.
Neophya Selys, nouveau genre des Cordulines. ibid. XXV. 1881.
C. R. p. XV— XVII.
Sur la distribution des insectes odonates en Afrique. in: Compt.
Rend. Assoc. franc. p. l’avanc. d. sc. 1881. p. 663—669.
Odonates des Philippines. in: Anales Soc. Hist. Nat. Madrid.
XI. 1882, p.:5--34.
Sur quelques varietes, ou aberrations des Zygaena de Belgique.
in: Ann. Soc. Ent, Belg. XXVI. 1882. C. R. p. CXIU—-CXVI.
Note sur genre Gomphomacronmia Brauer. ibid. XXVI. 1882.
C. R. p. CLXVI—CLAXIX.
Les Odonates de Japon. ibid. XXVI. 1883. p. 82—143.
Synopsis des Aeschnines in: Bull. Acad. Sc. Bruxelles. Ser. V.
18830 p. 710 748.
Scudder, Sam. L. et S. L., Observations sur l’Acridium pere-
grinum in Soc. entom. Belg. 2. 8. No. 47. p. 12—15.
(Über Vorkommen in Amerika). 1878.
Sur la. distribution des Odonates en Afrique Extr. (Assoc.
france. av. Sc., Alger.). in: Rev. Sc. Nat. Montpellier (3.) T.
l. No. 2. 1881. p. 183-185.
Les Odonates de Japon. in: Ann. Soc. Entomol. Belg. T. 27.
1. P. 1p:. 82143:
(28 n. sp.). 1881.
Michel Edmond, Baron de Selys-Longchamps. 379
Excursion ä lile Helgoland. in: Bull. Soc. Zool. France, 1882.
an EB. p. 250-279
Considerations sur le genre Mesange (Parus). in: Bull. Soc.
Zool. France, T. 9. No. 1/,. p. 32—78. 1883.
(n. subgen. Sittiparus, Peripurus, Pandaliparus).
Diagnose d’un nouveau Macrogomphus (abnormis n. Sp.). in:
Soc. Entomol. Belg. Compt. rend. (3). No. 41. p. 10. 1883.
Revision des Diplax pal6earctiques. in: Ann. Soc. Entomol.
Belg. T. 28. p. 29-45. 1884.
Rectification concernant l’Onychogomphus Genei Ssl., Compt. rend.
(3). No. 66. p. 146—147. 1885.
Programme d’une revision des Agrionines. in: Soc. entomol.
Belg. Compt. rend. (3.). No. 66. p. 141—146. (n. g. Maga-
podagrion, n. s-g. — Mesagrion, Protosticta). 1885.
Note sur deux COrustaces Entomostrac&s de Belgique. in
Soc. Entom. Belg. Compt. rend. (3.) No. 85. p. 54—55. 1886.
Odonates nouveaux (5) de Pekin. in: Soc. Entomol. Belg.
Compt. rend. (3.) No. 78. p. 178—185. 1886.
Odonates recueillis aux iles Loo-Choo par feu M. Pıyer.
in: Soc. entom. Belg. Compt. rend. (3.) No. 101, p. 48— 53.
(16 Species). 1887.
Odour observable in males of Pieris napi. in: Entom. Monthly.
Mag. Vol. 24. July. p. 40—41. 1887.
Charles Donckier de Donceel. in: Soc. entom. Belg. Compt.
rend. (3.) No. 101, p. 53—55. 1887.
Remarques sur un ouvrage de H. A. Hagen. [(Sur l’ouvrage de
Ignat. de Asso.?); liste des Neuropt£eres, reimprimee). in.
Soc. entom. Belg. Compt. rend. (3.) No. 92. p. 92—93],
ibidem, S. 93—94. 1887.
Sur l’hivernation de deux especes d’Odonates (Sympyena fusca
et Sympetrum scoticum). in: Soc. entom. Belg. Compt. rend.
(3.) No. 97. 1888. p. 27—28.
Where does Goneptery& rhammi hibernate? in: Entom. Monthly
Mag. Vol. 25. . Nov. p. 135. 1888.
Odonates de ’Asie mineure et revision de ceux des autres
parties de la faune dite Europe&enne. in: Ann. Soc. Entom.
Beles 27731. p: 185. (103'sp., 8; n.'spec., 5/n. var.). 71888.
Notice necrologique sur Eugene Bellier de la Chavignerie.
in: Soc. entom. Belg. Compt. rend. (3.) No. 105. p. 91—92.
1888,
380 Rudolf Blasıus:
Inseet Migrations at Heligoland. in: The Naturalist
(Yorksh.), 1888. p. 219. i
Revision des poissons d’eau douce de la faune belge. in:
Bull. Ac. Sc. Belg. (3.). T. 14. No. 12. p. 1021—1097. 1888.
Odonates de Sumatra comprenant les especes recueillies A
Pulo Nias par M. le Dr. E. Modigliani. Genova, 1889. 80
(43 p.). in: Ann. Mus. Civ. Stor. Nat. Genova, (2.) Vol. 7.
p- 444— 484. (75 (5 n.)sp., subg. Microdiplax, Oligoaeschna). 1889.
Palaeophlebia, nouvelle legion de Calopterygines. Suivi de la
description d’une nouvelle Gomphine de Japon: Tachopteryx
Pryeri. in: Soc. Entom. Belg. Compt. rend. (3.) No. 116.
p. 153—159. 1889.
Proneura, nouveau genre d’Agrionines de la l&egion de Proto-
neuras. in: Soc. entom. Belg. Comptes rend. (3.) No. 110.
p. 172—175. (ln. sp.). ‚1889.
Catalogue raisonne des Orthopteres et des Neuropte£res
de Belgique. in: Ann. Soc. Entom. Belg. T. 32. p. 103—
203. 1889.
Viaggio di Leonardo Fea in Birmania e regioni vicine.
XXXII. Odonates. in: Ann. Mus. Civ. Stor. Nat. Genova.
(2.) Vol. 10. (Vol. 30). p. 433—518. 1891.
(88 (20 n.) sp., n. g. aut subg. Amphithemis, Aciagrion).
Migration in 2. Internat. Ornith. Kongress, Hauptber. II. Th.
p. 177-178 (3 sp.). 1892.
Additions aux Odonates des Philippines. in: Anal. Soc.
Espan. Hist. Nat. T. 20. Cuad. 2. p. 209—218. (1 .n. sp.).
1892.
Adrien Maurissen. Notice necrologique. in: Ann. Soc. Entom.
Belg. Tom. 36. VIII. p. 389—391. 1893.
Causeries odonatologiques. in: Soc. Entom. Belg. Comptes
rend. (4.) 1). No. 8. p: 115-121, — 2)'No. 9, p. 157164,
— 3) Nesobasis Selys, n. subgen. in: ibidem, No. 15, p. 51 —
57, — 4) les genres Zyonyx et Schizonyx No. 19, p. 226
—232 (5.n. sp.), — 5) No. 23, p. 398—403. (2 n. sp.; n. subgen.
Nesolostes, Nesocnemis, — 6) Les Gomphines d’Afrique. ibidem,
tom. 36. II. p. 86—107. (33 (5. n.) sp.; n. subg. Oreni-
gomphus, Isomma.)1890, 1891, — 7) Ibidem, T. 38. IV. p. 163
—181, — 8) ibidem, T. 40. III. p. 78—86; neues genus und
2 n. sp. — Terminologie de la reticulation des ailes. (1896),
9) ibidem, sur le groupe de Uroihemis Brauer. Tom. 41.
Michel Edmond, Baron de Selys-Longchamps. 381
Il. 68—77 (1897). 2 n. Subsp., — 10) Avec 4 figg. Tom. 41.
XI. p. 427—432. 1) Neurobasis chinensis et ses races,
2) Aeschna Martini n. 1sp. (1898.), — 11) 1) Sur le g. Isomma
Selys, 2) Echo uniformis Selys. 3) Euphaea Modigliani Selys,
4) Sur les noms Euphaea et Calopteryx), ibidem. Tom. 42. VIII.
p. 332—338. (1898).
Sur Paclimatation de deux especes de Tetras en Belgique (Lagopus
scoticus et Tetrao urogalins). in: Bull. Acad. R. Sc. Belg. (3.)
Tom. 25. No. 7, p. 72—83. 1893.
Les progres de la connaissance des Odonates. Compt. rent.
3. Congr. internat. Zol. Leyde. p. 441—460. (1896).
Le Declin d’une Faunule, in Bull. Acad. R. Sc. Belg. (3.).
Tom. 34. No. 12, p. 1139—1178. 1897. — Auch apart er-
schienen als: Lecture faite dans la seance publique de la Classe
des sciences de l’Acad. roy. de Belg., le 16. Decembre 1897.
8%. Bruxelles. 1897.
Deutsche Ornithologische Gesellschaft.
Bericht über die Aprilsitzung 1901.
Verhandelt Berlin, Montag, den 1. April, Abends 8 Uhr im
Bibliothekzimmer des Architekten-Vereinshauses, Wilhelmstr. 92. II.
Anwesend die Herren: Grunack, Reichenow, Ehmcke,
von Oertzen, Freese, Matschie, Deditius, Jacobi und
Paeske.
Vorsitzender: Herr Reichenow. Schriftf. Herr Matschie.
Von der Verlesung des Berichtes über die Märzsitzung wird
Abstand genommen, da dieser augenblicklich im Druck sich be-
findet.
Der Vorsitzende verliest ein Schreiben des Herrn Dr. O.
Herman, Leiters der Ungarischen Ornithologischen Centrale an
den Präsidenten der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft, in
dem der Genugthuung über Begründung der Vogelwarte
Rossitten Ausdruck gegeben wird.
Ferner gelangen zwei Briefe zur Kenntnis der Anwesenden,
welche die Fortschritte der zoologischen Expedition unserer
Mitglieder, Dr. Heinroth im Bismarck-Archipel und O. Neu-
mann in Nordostafrika schildern.
382 Bericht über die Aprilsitzung 1901.
Herr Matschie spricht hierauf über den jetzigen Stand
der Vorarbeiten zu dem V. Internationalen Zoologen-Congress
und erwähnt u. a., dass die Beteiligung seitens der Ornithologen
eine sehr rege zu werden verspricht.
Nachdem eine Anzahl von neu erschienenen Schriften vorge-
legt ist, giebt Herr Jacobi einen ausführlichen Bericht über
das Werk Barringtons über Beobachtungen an den Leuchtfeuern
der Küsten Irlands, das in den Ornithologischen Monatsberichten
abgedruckt ist.
Herr Reichenow zeigt nunmehr einige seltene Vögel des
Kaukasus vor, die das Berliner Zoologische Museum kürzlich er-
worben hat und die gut kenntliche geographische Abarten von
westeuropäischen Vögeln darstellen.
Herr Deditius macht darauf aufmerksam, dass der Hänf-
ling in Italien wesentlich anders aussieht als in Deutschland.
Auch Herr Ehmcke hat eine ähnliche Beobachtung an
italienischen Buchfinken gemacht; dieser ist heller weinrot als
der deutsche Buchfink.
Herr Reichenow weist auf die Wichtigkeit der sorgfältigen
Untersuchung unserer europäischen Vögel hin und bittet, ihm für
die Berliner ornithologische Sammlung Material aus den verschie-
denen Gebieten Europas zugänglich zu machen. Auch einge-
gangene Käfigvögel, deren genaue Herkunft bekannt ist, sind für
derartige vergleichende Untersuchungen von Wert.
Herr Matschie verliest einen Brief des Herrn Baron
Rothschild in Tring, der einige interessante Ergänzungen und
Berichtigungen der von ihm seiner Zeit gemachten Bemerkungen
über Kasuare enthält.
Herr Jacobi erinnert an die Schwierigkeit, welche die
sichere Feststellung von Original-Exemplaren, auf denen Species
begründet sind, in gewissen Fällen macht, und führt dafür ein
Beispiel an.
Für den Mai ist eine Sitzung nicht in Aussicht genommen,
wohl aber wird eine Besichtigung der Vogelhäuser des Z Oeloeı
schen Gartens am Sonntag den 12. Mai stattfinden.
Matschie.
383
Dem Herausgeber zugesandte Schriften.
The Auk. A Quarterly Journal of Ornithology Vol. XVII.
No. 2. 1901.
Bulletin of the British Ornithologists’ Club. LXXVII—-LXXX.
März—May 1901.
Bulletin de la Societe Philomathique de Paris. IX. Serie. Tome
Il. No. 3. 1899 —1900.
The Ibis. A Quarterly Journal of Ornithology (8). I. No. 2. 1901.
Ornithologisches Jahrbuch. Organ für das palaearktische Faunen-
gebiet. Herausgegeben von Victor Ritter von Tschusi zu
Schmidhoffen. XII. Jahrg. 1901. Heft 1—3.
Ornithologische Monatsschrift d. Deutsch. Ver. z. Schutze der
Vogelwelt. No. 4. 1901.
Zeitschrift für Oologie. Organ für Wissenschaft und Liebhaberei.
Herausg. v. H. Hocke. Xl. No. 1.
E. Arrigoni degli Oddi, Bird Notes from Brembana Valley.
(Abdruck aus: The Zoologist Jan. 1901).
K. Berg, Ornitkologisches. (Abdruck aus: Comunicaciones del
Mus. Nac. Buenos Aires. I. No. 8 1901).
C. Berg, Comunicaciones Oolögicas. (Abdruck aus: Anales Mus.
Nac. Buenos Aires. 1896).
C. Berg, Notas Criticas referentes 4 las Contribuciones al estudio
de las Aves Chilenas de Federico Albert. (Abdruck aus:
Anal. Soc. C. Argent. LI. 1901).
A. Dubois, Synopsis Avium. Nouveau Manuel d’Ornithologie.
Fasc. V—VI. Bruxelles 1901.
O0. Finsch, Zur Catalogisirung der ornithologischen Abteilung.
II. Übersicht der Schrei- und Steppenadler. III. Südsee-
papageien. IV. Saxicolidae. (Abdruck aus: Notes Leyden
Mus. Vol. XXI).
OÖ. Finsch, Über eine neue Treron-Art von den Kangean-Inseln.
(Abdruck aus: Notes Leyden Mus. Vol. XXIJI).
O0. Finsch, Zur Catalogisirung der ornithologischen Abteilung.
V. Indische Gattungen und Arten aus den Familien: Oriolidae,
Dicruridae, Muscicapidae, Sylviinae, Timeliidae, Zosteropidae
und Nectariniidae. (Abdruck aus: Notes Leyden Mus.
Vol. XXD).
O0. Finsch, Über eine dritte Sendung Vogelbälge aus Central-
Borneo (Mahakkam), gesammelt von Herrn Dr. A. W. Nieu-
wenhuis. (Abdruck aus: Notes Leyden Mus. Vol. XXII1).
R. Friedländer & Sohn, Zoologisches Adressbuch. Teil II.
Berlin 1901.
384 Dem Herausgeber zugesandte Schriften.
E. A. Goeldi, Verzeichniss der bisher wissenschaftlich beschrie-
benen neuen Tier- und Pflanzenformen, welche während der
Jahre 1884—1899 in Brasilien gesammelt und entdeckt
worden sind von Dr. E. A, Goeldi. Bern 1899.
E. A. Goeldi, As Aves do Brasil. T. I u. II. Rio Janeiro u.
S. Paulo 1894—1900.
E. A. Goeldi, Album de Aves Amazonicas. Supplemento illustra-
tivo a obra „Aves do Brazil“ pelo Dr. E. A. Goeldi. I. Fase.
Est. 1—12.
L. Greppin, Notizen über das Vorkommen des Alpen-Mauer-
läufers in der Rheinebene bei Basel. (Flugblatt).
E. Hartert, On the Birds of the Key and South-East Islands
and of Ceram-Laut. (Abdruck aus: Novit. Zool. VIII. Febr.
1901).
E. Hartert, The Brehm Collection. I. Die Formen von Corvus
corax. Von E. Hartert und O. Kleinschmidt. (Abdruck
aus: Novit. Zool. VIII. Febr. 1901).
C. E. Hellmayr, Eine neue Graumeisenform aus Italien.
(Abdruck aus: Ornith. Jahrb. XII. Heft 2, 3).
O0. Helms, Om nogle danske Uglers Gylp. (Abdruck aus:
Vidensk. Medd. naturh. Foren. Kbhvn. 1901).
J. Jackson, List of Birds obtained in British East Africa.
Part. II. With Notes by R. B. Sharpe. (Abdruck aus: The
Ibis January 1901).
L. v. Lorenz-Liburnau, Geschichte der Zoologie in Österreich
von 1850—1900. (Abdruck aus: Botanik und Zoologie in
Österreich während der letzten fünfzig Jahre. Festschrift
Zool. Bot. Ges. Wien 1901).
J. v. Madaräsz, Magyarorzäg Madarai. A. Hazai Madärviläg
Megismeresenek Vezerfonala. VII Füz. Budapest 1901.
E. Rey, Die Eier der Vögel Mitteleuropas. 9.—11. Lif. Gera-
Untermhaus 1900.
H. C. Robinson and W.S. Laverock, The Birds of North
Queensland. Part. I. On two Collections from Cooktown
and the Neighbourhood of Cairns. With Fieldnotes by E.
Olive. (Abdruck aus: The Ibis for October 1900).
The Hon. W. Rothschild and E. Hartert, Notes on. Papuan
Birds. (Abdruck aus: Novit. Zool. VIII. Febr. 1901).
K. Russ, Die Fremdländischen Stubenvögel, ihre Naturgeschichte,
Pflege und Zucht. Vierte Auflage. Magdeburg 1901.
V.v. Tschusi zu Schmidthoffen, Ornithologische Collectaneen
aus Österreich-Ungarn und dem ÖOccupations-Gebiete. VII.
(Abdruck aus: Ornith. Jahrb. XH. Helft 2, 3).
=
Druck von Otto Dornblüth in Bernburg,
JOURNAL
ORNITHOLOGIE.
Neunundvierzigster Jahrgang.
No. 4. October I" 1901.
Nachträge zur Vogelwelt des Herzogtums $. Altenburg.
Von Dr. Otto Koepert (Dresden-Striesen).
Infolge der Veröffentlichung meiner Vogelwelt des Herzog-
tums „S. Altenburg“ (Journal f. Ornith. XLIV. Jahrg. April 1896
und Programm des Herzogl. Realgymnasium zu Altenburg 1896)
wurden mir von verschiedenen Seiten Beobachtungen zugänglich
gemacht, die teils die vorhandenen ergänzten, teils neue Arten
den bis dahin beobachteten hinzufügten. Auch konnte ich von
einer für mich bislang unbekannt gebliebenen Sammlung alten-
burgischer Vögel des verstorbenen Gastwirts und Bauers Kratsch
in Rolika Einsicht nehmen, zu deren Verständnis auch noch
eine von letzterem hinterlassene Schussliste wesentlich beitrug.
Von Herrn Dr. med. A. Meyer in Roda wurden mir gütigst
phänologische Beobachtungen zur Verfügung gestellt, deren Ver-
öffentlichung vielleicht nicht ohne Interesse ist. Wenn auch die
Avifauna eines Landes infolge des steten Wechsels nie als abge-
schlossen gelten kann, so wollte ich doch infolge meiner Ueber-
siedelung nach Dresden die Avifauna von Altenburg zu einem
gewissen Abschluss bringen. Ich lehne mich dabei an meine
oben erwähnte Arbeit im Journal f. Ornith. XLIV. April 1896
an und füge neue Beobachtungen unter den Nummern des alten
Verzeichnisses hinzu. Als neu für das Gebiet ist zu bezeichnen:
Fringilla nivalis, Fuligula maria Steph., Hydrochelidon nigra
L., Larus canus, so dass sich die Zahl der beobachteten Arten von
223 auf 227 erhöht.
Journ, {, Orn. XLIX, Jahrg, October 1901. 26
386 Dr. Otto Koepert:
2. Erithacus luscinia L., Nachtigal.
1896 Frühjahr 1 S am Kinderhospital gefangen. Laut
Zeitungsnotiz hatte sich ein Paar bei Orlamünde a. d. Saale an-
gesiedelt. Im Frühjahr 1897 hielt sich ein Paar ca. 3 Wochen
im Altenburger Schlossgarten auf, in welchem auch im Frühjahr
1900 ein allerdings gänzlich verfehlter Ansiedlungsversuch mit
10 Paaren gemacht wurde; diese hatte man durch einen Händler
bezogen und sofort in Freiheit gesetzt. Die Folge war, dass sie
sich zerstreuten und nichts mehr von ihnen gehört wurde.
4. Erithacus suecicus L., Rotsterniges Blaukehlchen.
Nach Ed. Müller im Frühjahr 1896 an der „Sprotte* beobachtet.
5. Erithacus rubeculus L., Rotkehlchen.
Brütet auch häufig bei Schmölln.
14. Turdus viscivorus L., Misteldrossel.
Von Dr. Meyer regelmässig bei Roda beobachtet.
15. Turdus pilaris L., Wachholderdrossel.
Nach Ed. Müller in der „Chemnitz“ und dem Taupadler-
holz brütend.
17. Turdus torgquatus L., Ringdrossel.
Ein Exemplar von Kratzsch in Rolika am 18. Okt. 1892 erlegt.
24. Locustella naevia Bodd., Heuschreckensänger.
Auch bei Bohra beobachtet.
36. Troglodytes parvulus Koch., Zaunkönig.
Auch in den „Lohsen‘“ bei Schmölln im Winter 1894 und
1893 beobachtet.
37. Acredula caudata L., Schwanzmeise.
Zur Brutzeit in Schmölln zahlreich. Hat nach Ed. Müller
in Kriebitsch auf einem Birnbaum gebrütet. Im Ostkreise finden
sich beide Subspecies nebeneinander vor, im Westkreise ist die
weissköpfige häufiger.
45. Otocoris alpestris L., Alpenlerche.
Im Winter 1894/95 wurde ein Exemplar tot am Bahndamm
bei Hermsdorf-Klosterlausnitz gefunden. Dasselbe befindet sich
nach Mitteilung Hellers im Besitz des Schaffners Franke in Gera.
Nachträge zur Vogelwelt des Herzogtums $. Altenburg. 387
56. Eimberiza hortulana L., Ortolan.
Ein Exemplar wurde im April 1892 bei Paditz von Schmiede-
knecht auf einem Sturzacker erlegt. Derselbe stopfte es für
seine Sammlung aus.
59. Calcarius nivalis L., Schneeammer.
Ein Paar wurde im Februar 1895 am Bahnhof Zwötzen bei
Gera, kurze Zeit nachher kleine Flüge von 8 bis 12 Stück auf
der Landstrasse nach Poris und Kauern gesehen. Sie frassen
Plantago-Samen und blieben bis 8. März dort.
62. Loxia piütyopsittacus Behst., Kiefernkreuzschnabel.
1894 6 Exemplare von Ed. Müller in den Lohsen bei
Schmölln beobachtet.
63. Pyrrhula europaea Viell. Gimpel.
Sowohl in Gärten Altenburgs, wie Schmöllns im Winter
beobachtet.
64. Serinus hortulanus Koch, Girlitz.
Auch bei Roda von Meyer beobachtet.
72a. Fringilla nivalis Schneefink.
Heller sah Anfang März 1895 bei Kaimberg und Kauern
4 Exemplare.
75. Coccothraustes vulgaris Pall., Kernbeisser.
Brütet nach Hildebrandt auch bei Breitenhain.
74. Passer petronius L., Steinsperling.
Ein Exemplar wurde im Juni 1896 von Schmiedeknecht bei
Paditz unweit Altenburg erlegt. Daselbst befinden sich umfang-
reiche Porphyrsteinbrüche und es würde das Vorkommen eine
Weiterverbreitung des Steinsperlings von Gumperda und Rothen-
stein an der Saale in östlicher Richtung beweisen.
75. Passer montanus L., Feldsperling.
Brütet bei Schmölln in hohlen Linden und auch in Gärten.
78. Pasior roseus L., Rosenstar.
Auch in der Sammlung von Kratzsch in Rolika befindet
sich ein dort erlegtes Exemplar.
26°
388 Dr. Otto Koepert:
80. Nucifraga macrorhyncha Brehm, dünnschnäbliger Tannenheher.
Am 18. Oct. 1878 wurde ein Stück bei Rolika von Kratzsch
erlegt; am 17. Nov. 1899 eins im Meusebacher Revier von Hil-
debrandt geschossen.
81. Garrulus glandarius L., Eichelheher.
In der Sammlung Kratzsch in Rolika befindet sich ein
reinweisser Albino.
87. Corvus corax L., Kolkrabe.
In der Sammlung Kratzsch steht ein dort am 18. Mai
1853 erlegtes Exemplar, das angeblich im Lucka’schen Forste
genistet hat. In den sechziger Jahren befanden sich noch zwei
Kolkrabenhorste in der „Pahna“ bei Fockendorf.
90. Lanius minor L., Grauer Würger.
Am 2. Mai 1894 von Meyer bei Roda beobachtet.
93. Muscicapa collaris Behst., Halsbandfliegenfänger.
Von Schmiedeknecht Anfang September 1897 an der
Schmölln’schen Strasse bei Altenburg angetroffen.
99. Clivicola riparia L., Uferschwalbe.
Eine Kolonie befindet sich in einer Lehmgrube bei Knau
unweit Altenburg in der Nähe des alten Bahndammes.
101. Caprinulgus europaeus L., Nachtschwalbe.
Kommt nach Ed. Müller auch in den Tautenheiner Wal-
dungen vor.
102. Coracias garrula L., Blaurake.
In den 50er Jahren ein Exemplar von Kröber bei Wilden-
börten erlegt.
103. Upupa epops L., Wiedehopf.
Ein Paar wurde am 10. Juni 1896 vom Oberforstmeister
Pöschmann in Kammerforst brütend angetroffen. Brütet nach
Hildebrandt auch in der Nähe des Rettungshauses bei Meusel-
witz. Von Letzterem wurde bei Breitenhain Anfang Mai 1898
1 Exemplar erlegt.
107. Picus viridicanus Wolf, Grauspecht.
Ein Paar im Juni 1896 bei Hummelshain von Hildebrandt
erlegt.
Nachträge zur Vogelwelt des Herzogtums S. Altenburg. 389
109. Dendrocopus medius L., Mittelspecht.
Im Februar 1878 zwei Stück bei Rolika erlegt (Sammlung
Kratzsch).
111. Dryocopus martius L., Schwarzspecht.
Brütet nach Hildebrandt häufig im Lucka’er Forst.
123. Asio otus L., Waldohreule.
Im Winter 1894/95 bei Schmölln in den Lohsen dutzend-
weise, im Winter 1895/96 nicht eine einzige.
126. Falco subbuteo L., Baumfalk.
Auch im Luckaer Forst und von Meyer bei Roda angetroffen.
130. Falco peregrinus Tunst. Wanderfalk.
Auch bei Schmölln im Chemnitzholze als Durchzügler nach
Edwin Müller beobachtet. 1896 ein Stück von Findeisen in der
Leina bei Altenburg erlegt.
134. Aquila chrysaetus L., Goldadler (Steinadler).
Der 1853 von Kratzsch erlegte Steinadler steht ausgestopft
in der Bürgerschule zu Schmölln.
135. Archibuteo lagopus Brünn, Rauhfussbussard.
In den 70er Jahren wurden zwei Stück auf einer Krähen-
hütte bei Kriebitsch erlegt. In der Sammlung von Kratzsch
befinden sich zahlreiche im Herbst und Winter bei Rolika erlegte
Exemplare.
139. Pandion haliaetus L., Fischadler.
In der Sammlung von Kratzsch stehen zwei bei Rolika er-
legte Exemplare.
140. Pernis apworus L., Wespenbussard.
{m Sommer 1896 wurde ein Stück auf den Plateauwiesen
bei Altenburg vom Hofbüchsenmacher Gmeiner erlegt.
142. Milvus ictinus Sav. Gabelweihe.
Kratzsch erlegte bei Rolika zwei Stück, welche in seiner
Sammlung stehen.
146. Circus cyaneus L., Kornweihe.
Kratzsch schoss am 2. Dez. 1858 ein Exemplar bei Rolika,
390 Dr. Otto Koepert:
148. Circus pygargus L., Wiesenweihe.
Edwin Müller erhielt im Frühjahr 1895 ein Stück, das
Arbeiter bei Gimmei aufgefunden hatten.
151. Teirao tetrix L., Birkhuhn.
Dr. Meyer beobachtete im März 1897 zahlreiche Birkhühner
auf Feldern bei Roda. Kratzsch erlegte bei Rolika ein Birkhuhn
am 28. Octob. 1843.
153. Tetrao urogallus L., Auerhuhn.
Kommt auch im Tautenhainer Revier des „Westkreises“ vor.
Am 15. Febr. 1849 wurde bei Rolika eine Auerhenne, am 7. Nov.
ein Auerhahn von Kratzsch erlegt, die sich in seiner Sammlung
befinden.
154. Perdix cinerea Lath., Rephuhn.
In der Sammlung Kratzsch befinden sich zwei Albinos mit
gelbbraunen Flecken. Fabrikant Ranniger erlegte bei Altenburg
drei Albinos, die er für seine Sammlung ausstopfen liess.
154a. Phasianus colchicus L., Fasan.
Tritt nach einer Notiz von Kratzsch zuerst 1854 bei Rolika auf.
154c. Meleagris gallopavo americana, Nordam. Truthuhn.
Neuerdings wurde auch vom Fabrikant Herbst in Meusel-
witz ein Einbürgerungsversuch gemacht in einem Wäldchen bei
Lucka, der indess gänzlich missglückte. Herumziehende Zigeuner
sollen die Vögel gefangen und verspeist haben. Auch die in der
„Leina“ ausgesetzten Truten sind infolge Nachstellungen von
herumplündernden Menschen arg decimiert worden. So ist der
dortige Bestand auf 6 Stück zurückgegangen. Es zeigt sich
eben, dass Wälder, welche viel von Menschen besucht werden
und durch welche Chausseen und zahlreiche Wege führen, weniger
geeignet für einen derartigen Einbürgerungsversuch sind, da
besonders die Gelege zu sehr gefährdet sind. Im Frühjahr
1899 erlegte S. Hoheit Prinz Ernst von Sachsen-Altenburg einen
starken Hahn in der Balz.
157. Columba oenas L., Hohltaube.
Brüten nach Hildebrandt zahlreich bei Meusebach.
162. Ciconia alba J. GC. Schäff., Weisser Storch.
Von mir am 7. Mai 1896 und Juni 1898 mehrere bei
Kotteritz und Oberlödla beobachtet. Im Sommer 1898 über-
Nachträge zur Vogelwelt des Herzogtums S. Altenburg. 391
nachteten regelmässig 12 Störche im Kammerforst, wo man an
der Losung ihre Standbäume erkennen konnte Im Sommer
1899 nistete ein Paar auf einer geköpften Weide zwischen Schelditz
und Wilchwitz. Das Gelege von 4 Eiern wurde durch Stein-
würfe zerstört, das alte Paar verscheucht. Ein zweites Paar
brütete im Mai 1899 auf der Brennereiesse des Rittergutes Treben
und brachte auch Anfang Juni Junge aus. Leider wurde infolge
Abschusses eines der Eltern die Brut nicht gross. Im Sommer
1900 hingegen gelang eine Brut von 4 Stück, die sämtlich
flügge wurden. In derselben Zeit befand sich ein Horst auf
einer geköpften Pappel bei Haselbach. Der weisse Storch ist
demnach seit 1900 in Ostthüringen Brutvogel.
173. Scolopax rusticula L., Waldschnepfe.
Kratzsch verzeichnet als merkwürdiges Vorkommnis den
Abschuss einer Waldschnepfe am 5. Dezember 1877 bei Rolika.
180. Totanus hypoleucus L., Flussuferläufer.
Ein Exemplar im September 1899 bei Meusebach von
Hildebrandt erlegt.
183. Totanus ochropus L., Punktierter Wasserläufer.
Im Mai 1899 schoss Hildebrandt bei Meusebach ein Stück.
197. Oedicnemus scolopax Gm., Triel.
Von Oberförster Koehler in Meusebach wurde ein Stück im
Herbst 1897 bei Weissbach erlegt.
191. Oharadrius pluvialis L., Goldregenpfeifer.
1877 von Heller am Hainspitzer Teich drei Stück beobachtet.
200. Anas penelope L., Pfeifente.
Zwei Exemplare bei Rolika erlegt und zwar am 26. März
1848 und 20. April 1875.
202. Anas clypeata L., Löftelente.
Kratzsch hat in seiner Sammlung 11 bei Rolika erlegte
Exemplare. Die Erlegungsdaten sind folgende: 15. Sept. 1847
zwei Stück, 11. Nov. 1875 ein Stück, 8. April 1860 zwei Stück,
23. August 1860 ein Stück, 3. April 1862 ein Stück, 11. Okt. 1875
ein Stück, 10. Sept. 1876 zwei Stück, 10. April 1879 ein Stück,
392 Dr. Otto Koepert:
294. Fuligula elangula L., Schellente.
Kratzsch schoss am 5. März 1848 ein Exemplar bei Rolika.
2053. Fuligula maria Steph., Berg- oder Muschelente.
Ein Stück am 26. April 1842 bei Rolika erlegt.
205. Fuligula nyroca Güld., Moorente.
Am 31. März 1881 schoss Kratzsch zwei Exemplare bei
Rolika.
207. Fuligula eristata Leach, Reiherente.
Mitte Nov. 1898 wurde ein Exemplar auf einem Teiche
zwischen Fröhlichenwiederkunft und Meusebach erlegt. Die in
der Sammlung Kratzsch befindlichen 11 Exemplare wurden bei
Rolika an folgenden Daten erlegt: 30. März 1850, 14. Mai 1853,
7. April 1857, 10. April 1864, 12. März 1868 und 24. März 1869.
211. Mergus merganser L., Gänsesäger.
Beim Fischzüchter Fuchs in Lippersdorf stehen zwei aus-
gestopfte Gänsesäger, die auf einem dortigen Teiche 1895 erlegt
wurden. ;
212a. Hydrochelidon nigra L., Trauerseeschwalbe.
Von Hildebrandt wurden am 14. Juni 1898 sechs Stück
auf dem Wilchwitzer Teiche beobachtet.
214. Larus ridibundus L., Lachmöve.
Am 26. April 1884 wurde ein Stück bei Rolika erlegt.
215a. Larus canus L., Sturmmöve.
Im Oktober 1898 wurde vom Dammaufseher des „Grossen
Teiches“ bei Altenburg ein über demselben kreisendes Exemplar
erlegt und von mir für die Sammlungen der Naturforschenden
Gesellschaft erworben.
221. Colymbus cristatus L., Haubensteissfuss.
Bei Beginn des Winters 1895 wurden 5 Stück in der Stadt
Schmölln aufgefunden.
223. Urinator arcticus L., Polartaucher.
Am 22. Nov. 1896 wurde ein Stück bei Schmölln ermattet
aufgefunden.
Nachträge zur Vogelwelt des Herzogtums $S. Altenburg. 395
Phänologische Notizen. Beobachtungsort: Roda SA.
Sturnus vulgaris L. Ankunft: 1894: 28. Febr., 1895: 5. März,
1896: 20. Januar, 1897: 19. Febr. Ank.: 1898: 20. Febr.,
1899: 21. Januar, 1900: 14. Febr., 1901: 25. Januar.
Micropus apus L. Ank.: 1894: 21 April, 1896: 25. April, 1897:
30. April, 1898: 26. April, 1899: 30. April, 1900: 28. April.
Hirundo rustica L. Ank.: 1894: 12. April, 1895: 6. April, 1896:
11. April, 1897: 31. März, 1899: 4. April, 1900: 9. April,
1901: 7. April.
Motacilla alba L. Ank.: 1894: 1. März, 1895: 17. März, 1896:
11. März, 1897: 16. März, 1898: 13. März, 1899: 7. März,
1900: 26. Febr., 1901: 17. März.
Motacilla melanope Pall. Ank.: 1894: 1. März, 1895: 18. März,
1896: 11. März.
Erithacus titis L. Ank.: 1894: 16. März, 1885: 24. März, 1896:
20. März, 1897: 18. März, 1898: 6. April, 1899: 27. März,
1900: 7. April, 1901: 5. April.
Beiträge zur Vogelfauna Centralasiens.
Uebersicht der von Herrn Oberamtmann Dr. Holderer während
einer Durchquerung Asiens gesammelten Vögel
von Herman Schalow.
Hierzu Tafel III und IV.
Im Jahre 1897 unternahm Herr Oberamtmann Dr. Holderer
aus Heidelberg in Begleitung des Herrn Dr. Futterer, Prof. der
Mineralogie und Geologie an der grossherzogl. technischen Hoch-
schule in Karlsruhe, eine Forschungsreise durch Asien, welche
im November des gedachten Jahres von Karlsruhe aus angetreten
wurde, und die im Januar 1899 in Shanghai endete. Auf dieser
Reise, über welche bereits verschiedene, zum Teil sehr ausführ-
liche Mitteilungen!) vorliegen, wurden die nachstehend ver-
zeichneten Vögel gesammelt.
1) Es mögen hier erwähnt sein:
K. Futterer, Geologische Beobachtungen am Terek Pass (Ver-
handl. Ges. Erdkunde Berlin, 1898 S. 262—265).
394 Herman Schalow :
Die Expedition Dr. Holderers hat in Centralasien Gebiete
besucht, welche von russischen und anderen Reisenden bereits
mehrfach betreten worden waren, sie ist aber auch durch Gegen-
den gekommen, welche wenig erforscht und zum Teil sogar
geographisch vollständig unbekannt gewesen sind. Ueber Wien,
Kiew, Tiflis ging der Weg der Reisenden zum Caspischen Meer.
Nach Durchquerung der Türkmenen-Steppen und nach kurzem
Aufenthalt in Buchara, Samarkand und Taschkent wurde Osch
erreicht, wo die letzten Reisevorbereitungen getroffen und die
Karawane zusammengestellt wurde. Am 26. Januar 1898 erfolgte
von hier der Aufbruch. In dichtestem Schneegestöber über-
schritten die Reisenden den 2112 m. hohen Schalbelipass und
gelangten dann nach jähem Abstieg nach Gultscha.. In den
Bergen der Umgegend dieses Ortes ist Phasianus semitorquatus
nicht selten, darf aber nur mit Erlaubnis des Gouverneurs ge-
jagt werden. Die Fasanen kamen hier bis dicht an die mensch-
lichen Wohnungen heran. Auf einer von Dr. Holderer unter-
nommenen Excursion konnten mehrere dieser schönen Hühner-
vögel für die Sammlungen erlegt werden. In Sufi- Kurgan
wurden die Reisenden mehrere Tage durch schlechtes Wetter
aufgehalten. In der Nähe des Ortes konnten Perdix daurica,
Tauben und kleine Fringilliden gesammelt werden. In Sufi-Kurgan
gabelt sich der Weg. Der eine führt über den berüchtigten
Terek-Dawan, der andere über den Taldukpass in’s grosse Alai
Thal und von dort nach Kaschgar. Die Reisenden wählten den
ersteren. Unter grossen Schwierigkeiten, bei starkem Schneefali
und empfindlicher Kälte gelang es der Expedition, den 3871 m.
hohen Terek-Dawan Pass zu überschreiten und Kaschgar in Ost-
Turkestan zu erreichen. Im nördlichen Tarim-Becken, wohin
sich die Reisenden nunmehr wandten, fanden sich Gegensätze
zwischen Kulturland und totem Wüstengebiet schroff und un-
vermittelt. In den niederen, sandigen Hügeln, bedeckt mit
Zweiter Brief über die Reise nach Centralasien von Dr. Futterer
und Dr. Holderer (ebenda 1898 S. 448—455).
Dritter Bericht über die Reise durch Centralasien und China von
Prof. Dr. Futterer und Dr. Holderer (ebenda 1899 S. 139—150).
K. Futterer, Durch Asien. Erfahrungen, Forschungen und
Sammlungen während der von Amtmann Dr. Holderer unternommenen
Reise, Bd. 1. Berlin 1901. gr. 8°. XXII + 545 S. Mit Ill. Pro-
filen und Karten.
Beiträge zur Vogelfauna Centralasiens. 395
verkrüppeltem Buschwerk, zeigte sich kein Vogelleben, während
eine reiche Vogelfa